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Ein Kuppener in der Puszta

von Hans Wiechert, Januar 2002

zu den Schachtexten

   

   Ungarn? Puszta? Schach? Nichts als Kopfschütteln, Ungläubigkeit oder dergleichen erfährt man, wenn man dem ski- bzw. snowboardbegeisterten Durchschnittswesteuropäer diese Begriffe auf die Frage hin, worin denn das Weihnachts- bzw. Silvesterprogramm bestünde, an den Kopf knallt.

   Nichtsdestotrotz machte ich mich, begleitet von meiner Göttergattin, am 22. Dezember 2001 auf den langen Weg gen Osten, aufgrund des frostigen Wetters wurde dabei die Reise mit dem Zug derjenigen mit dem PKW vorgezogen. Am 26.12.2001 begann dann das "Jahresabschlußturnier" in Debrecen, welches ich über das Internet entdeckt hatte. Einfach einmal etwas anderes ausprobieren, das war meine Devise, dessen überdrüssig, an südwestdeutschen Turnieren ständig Leuten wie Vatter, Panzalovic, Solomunovic oder Fuchs am Brett gegenüberzusitzen.

   Nun, als ich im Turniersaal ankam, war ich dann doch einigermaßen überrascht, denn ich fand mich in einem kleinen Hörsaal im Chemiegebäude der Universität Debrecen wieder. Ich hatte eher mit einem größeren Turniersaal gerechnet, die Teilnehmerzahl hatte ich in etwa auf 100 geschätzt. Doch weit gefehlt! Lediglich 20 Schachenthusiasten fanden den Weg in die nach Budapest zweitgrößte Stadt Ungarns, darunter 18 Ungarn, ein Ukrainer aus dem grenznahen Ungvar, und ich als einziger EU-Europäer! Kein Rumäne, kein Slowake, kein Jugoslawe war dabei, auch in dieser Hinsicht wurden meine Erwartungen nicht bestätigt.

   Meine Unterkunft befand sich im "Krankenzimmer" (kein Witz!) in einem Studentenwohnheim in der Nähe des Stadtzentrums, davon später mehr.

   In Debrecen gibt es nur eine Straßenbahnlinie, welche ich dann auch täglich in Anspruch nahm, um die etwas weiter außerhalb liegende Universität zu erreichen. Doch nun zum Turnier:

   Als Nummer sechs der Startrangliste hatte ich es in der ersten Runde mit dem elolosen Janos Deczki zu tun, welcher kein Problem für mich darstellte. Ich gewann bald die Dame für zwei Leichtfiguren, wegen der unkoordinierten schwarzen "Restfiguren" konnte ich noch einen weiteren Bauern einheimsen, und nach einem groben Fehler Deczkis war die Partie auch schon vorbei.

   In der zweiten Runde bekam ich dann mit FM Gyula Mester (ELO 2414, also IM-Niveau) gleich den größstmöglichen Brocken, will heißen den Turnierfavoriten, vorgesetzt. Nun, ich löste die Aufgabe mit Bravour und fügte meiner wertvollen Titeltrophäensammlung einen weiteren FM-Skalp hinzu. Hier die Partie zum online Nachspielen am Bildschirm.

   In Runde drei bekam ich es mit FM Adam Popovics (ELO 2306), dem talentierten 15-jährigen ungarischen Nachwuchsstar zu tun, der in westlichen Breiten allerdings noch weitgehend unbekannt ist. In dieser Partie spielte ich in der Eröffnung zwar ganz gut, verlor aber im Laufe der Partie völlig den Faden, im Grunde genommen war es ab einem bestimmten Zeitpunkt ein Spiel auf ein Tor, wobei ich mich lediglich darauf beschränkte, der Zugpflicht nachzukommen und nichts einzustellen, denn aufgeben wollte ich dann doch noch nicht. Ich erinnerte mich daran, daß Jugendliche im Endspiel oftmals ziemlich schwach agieren und biß die Zähne zusammen. Im 53. Zug war es dann soweit, Popovics beging einen groben Rechenfehler, der ihn sofort Material und bald darauf auch die Partie kostete. Im 70. Zug erfolgte die Aufgabe. Das war ein äußerst glücklicher Sieg.

   Runde vier bescherte mir den 67-jährigen pensionierten Mathematiker Dr. Sandor Kantor (ELO 2057), den "Hausherren" des Turniers, der in der ersten Runde überraschend die Nummer Zwei der Startrangliste, den Ukrainer Juri Dovzik, geschlagen hatte. Vorsicht war also geboten. Ich hatte Schwarz und ging die Partie eher gemütlich an, der "Schlindwein-Aufbau" mit 3.f4 konnte mein Beton-Caro-Kann nicht erschüttern. Es begann eine lange Lavierphase, wobei sich schon andeutete, daß die Zeit eine nicht unwesentliche Rolle in dieser Partie spielen würde.

   Apropos Zeit: An diesem Turnier kam ich erstmals in den "Genuß" der neuen FIDE-Bedenkzeit, also 1:30 Stunden plus 30 Sekunden pro Zug für die gesamte Partie. Der 40.Zug hat demnach überhaupt keine Bedeutung mehr, Zeitüberschreitung, so sollte man meinen, ist ausgeschlossen. Doch die Sache hat einen Haken: Man muß bis zum Schluß mitschreiben, ein beträchtliches Handicap, das in der Partie zwischen Vasvari-Ats der Hauptgrund dafür war, daß Weiß die Zeit überschritt. Man sollte also darauf achten, sich möglichst lange ein "Restpolster" der Grundbedenkzeit zu erhalten, um noch genügend Zeit zum Schreiben zur Verfügung zu haben. Irgendwann ist freilich auch dieses aufgebraucht, dann braucht man ein schnelles Händchen ...

   Nach diesem kleinen Abschweif zurück zur Partie, in der Kantor bald in "Dauerzeitnot" geriet, wie sie aus der Partie Dreev-Ponomariov von der Mannschafts-WM in Erevan 2001 bekannt ist. Der "Alte" spielte aber trotzdem sehr stark und ließ mir keine Chance, in seine Stellung einzubrechen. In einem totremisen Turmendspiel ließ sich Kantor dann aber einen folgenschweren Fehler zuschulde kommen, den ich eiskalt ausnutzte und ihn im 81.Zug letztendlich zur Aufgabe zwang. Wieder ein äußerst glücklicher Sieg ...  

   Nach so viel Glück hatte ich in Runde fünf dann "endlich" das von der Konkurrenz erhoffte Pech, denn in der Partie gegen Tamas Vasvari (ELO 2217) stellte ich als Weißer in in etwa ausgeglichener Position "einfach so" zwei Figuren für einen Turm ein, meine baldige Kapitulation nach sich ziehend. So kann man ein Turnier natürlich nicht gewinnen ...

   In Runde sechs gab es dann wieder einen heißen Fight, den "Oberlehrer" und Fidemeister Peter Donka (ELO 2274) galt es vom Brett zu fegen. Doch es kam anders: In der Eröffnung erreichte ich nicht viel, was wohl auch daran lag, daß ich eine neue Eröffnungsidee ausprobiert hatte und, im Gegensatz zu meinem Gegner, nicht mit allen Feinheiten der Stellung vertraut war. Im 16.Zug überhörte ich ein Remisangebot Donkas, was ich aber sowieso nicht angenommen hätte. Im folgenden hochtaktischen Schlagabtausch kam es dann zu einer wahren "Fehlerorgie" auf beiden Seiten, erst konnte er gewinnen, dann ich, dann war es klar remis, kurz und gut, am Schluß hatte ich eine Figur weniger und mußte im 47.Zug dem Gegner die Hand zur Aufgabe reichen. Mein Gegner meinte nach der Partie, sein Sieg sei "verdient" gewesen, nun ja, was soll man dazu sagen?

   Interessant war aber auch, daß ich die letzten beiden und die nächsten drei Partien quasi in einem gewissen "Schlafzustand" über die Bühne brachte, denn in dem Studentenwohnheim konnte ich nachts überhaupt nicht einschlafen, was zum einen daran lag, daß der Straßenverkehr sehr laut war, zum anderen aber auch daran, daß es keine Rolläden gab, um die "Beleuchtung" völlig zu unterdrücken und auch die anwesenden StudentInnen einen solchen Krach fabrizierten, daß an einen geregelten Tiefschlaf nicht zu denken war. Natürlich gibt es für schlechtes Spiel keine Ausrede, aber in mancher Stellung hätte ich mir doch mehr Ausgeruhtheit gewünscht ...

   Zu Runde sieben: György Hegedüs (ELO 2107) hieß der Gegner, eine lösbare Aufgabe. Mit Schwarz erreichte ich bald Ausgleich, im Laufe der Partie kam ich dann auch mehr oder weniger in Vorteil, ohne aber einen zwingenden Gewinn nachweisen zu können. Ich konnte zunächst meine Verlustchancen auf quasi Null reduzieren, aber Hegedüs hatte nur eine Schwäche (den Bauern c3), die er heldenhaft verteidigte. Es war wie bei einem Fußballspiel, in dem eine Mannschaft über 90 Minuten auf das Tor der anderen Mannschaft anrennt, der Ball aber einfach nicht ins Tor will und das Spiel letztlich 0:0 endet. So auch in dieser Partie: Ich quälte Hegedüs stundenlang, doch im Endeffekt erfolglos: Remis nach 81 Zügen.

   In Runde acht bekam ich den bereits erwähnten ukrainischen IM Juri Dovzik (ELO 2410) zugelost, ein weiterer harter Brocken. Ich war mit meinen Kräften am Ende und dementsprechend über Dovziks Remisangebot im 14.Zuge sehr erfreut, mehr war in dieser Partie in meinem Zustand sowieso nicht drin ...

   Runde neun, wieder ein schlagbarer Gegner: Karoly Horvath (ELO 2114), ich hatte Schwarz. Ich riß mich noch einmal am Riemen, bei einem Sieg war unter "Mithilfe" der Konkurrenz noch Platz drei im Endklassement drin. Horvath ließ den Panow-Angriff gegen mein Caro-Kann vom Stapel, wählte aber eine sehr harmlose Variante, die bei meinerseits richtigem Spiel bereits zu einem kleinen, vielleicht sogar großen Vorteil hätte führen können, ja müssen. Doch ich war nicht mehr zum normalen Kalkulieren in der Lage und ließ einen Generalabtausch zu, der nach nur 20 Zügen zu einem für mich enttäuschenden Remis führte.

   Damit war ich am Schluß nach Wertung mit 5.5/9 Vierter hinter Mester (7/9), Popovics (6.5) und Dovzik (6 Punkte). Für die Preisverteilung zählte aber die TPR (Turnierperformance), entprechend der ich nur Fünfter wurde (noch hinter dem elolosen Ats). Immerhin bekam ich noch den letzten Geldpreis, ging also nicht mit leeren Händen nach Hause und konnte ein paar ELOpunkte zulegen.

   Interessant, daß ich gegen die ersten drei 2.5/3, gegen die schwächeren Spieler aber nur 3/6 holte. Kein Spieler blieb ohne Niederlage, außerdem gab es nur wenige Kurzremisen, und genau so muß es auch sein!

   Alles in allem war es, von meiner Unterkunft einmal abgesehen, ein schönes Turnier ohne Protestfälle. Im August "steigt" das Debreziner Sommerturnier, wenn ich Zeit habe, werde ich wohl hinfahren.

 

Die Abschlußtabelle des Turniers (Debrecen 26.12-30.12.2001):

 

Name

Punkte

SB

Wertung Turnierleistung

1.

Gyula Mester

7.0

48.0

2414

2391

2.

Adam Popovics

6.5

48.0

2306

2393

3.

Juri Dovzik

6.0

46.5

2262

2262

4.

Hans Wiechert

5.5

46.5

2239

2280

5.

Ferenc Lengyel

5.5

46.5

2296

2231

6.

Laszlo Ats

5.5

45.5

2300

2300

7.

Peter Donka

5.0

46.5

2263

2263

8.

Tamas Vasvari

5.0

44.0

2202

2202

9.

Gyorgy Hegedüs

5.0

43.0

2107

2211

10.

Sandor Daroczy

5.0

38.0

2080

1920

11.

Karoly Horvath

5.0

37.0

2114

1977

12.

Dr. Sandor Kantor

4,5

45.5

2057

2180

13.

Zoltan Boka

4,5

40.0

2044

2044

14.

Lajos Farkas

4,5

37.5

1991

1991

15.

Robert Kiss

4,5

32.5

1901

1901

16.

Istvan Fekete

3,0

33.0  

1578

17.

Ferenc Filep

3,0

32.5  

1485

18.

Janos Deczki

2,5

32.5  

1448

19.

Attila Mandi

1,5

33.5  

1460

20.

Nandor Nagy

1,0

33.5  

1434


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