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Analysator vs. Praktikator

REO - Die Aera Hatz


Rochade Express, Nr. 48, Seite 23ff, "Analysator vs. Praktikator"
von Hartmut Metz (Text) und Wolfgang Gerstner (Analysen)

   Da der Redaktion ein bedauerlicher Irrtum bezüglich des Textes unterlaufen ist, folgt diesmal die korrekte Fassung. Zudem finden Sie im Anhang die Partien sieben und acht. Der Analysator hatte einen unerwartet guten Lauf und vermochte auch die siebte Partie Remis zu halten. Danach strebte der Praktikator die baldige Fortsetzung des Wettkampfes an, um das 3:4 in eine Führung umzuwandeln. Doch der Analysator wusste was die Stunde geschlagen hatte: Der Praktikator befand sich in Top-Form und hätte ihn in der Luft zerrissen. Also war es wieder einmal an der Zeit, durch ein Ränkespiel den Wettkampf zu verzögern. Monat für Monat ging ins Land, ohne dass der auf Revanche brennende Praktikator auch nur einmal die Gelegenheit erhalten hatte, die achte Partie auszutragen.

   Nun wollte es der Zufall, dass den Praktikator ein schlimmes und heimtückisches Nasenleiden befiel. Er wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Nun witterte sein linker Gegner, der politisch rechts steht (übrigens der krasse Gegensatz zum Praktikator, der ein rechtschaffender Mann ist, aber politisch links steht), seine Chance: Flugs waren die Ärzte bestochen, dem dahinsiechenden Praktikator keine schmerzlindernden Mittel zu verabreichen, ja diesen sogar noch mehr als ohnehin leiden zu lassen! Damit aber nicht genug. Infam wie der Analysator nun einmal ist, kreuzte er irgendwann am Krankenbett des grausig hergerichteten Praktikators auf und überreichte ihm eine Packung "mon cheri" (diese verfütterte der Praktikator in weiser Vorausahnung an die Tauben auf den Fenstersimsen, die danach von den selbigen purzelten - Gift!). Danach forderte er - so ahnte es der Praktikator bereits im Delirium - zur nächsten Partie heraus. Als der dahinsiechende Praktikator mit matter Stimme andeutete, dass er momentan nicht ganz im Vollbesitz seiner Kräfte sei, wurde der Analysator wütend: "Das ist ja wieder typisch. Da will ich ständig spielen und du drückst Dich wie üblich", brüllte er. Als die Krankenschwestern den Analysator zur Ruhe mahnten, stellte dieser noch die Sauerstoffzufuhr und die Tropfflaschen des Praktikators ab und ging dann vergnügt pfeifend seines Weges ...

   Nun, der Praktikator überstand auch diese niederträchtige Aktion seines Gegenspielers, der dadurch wieder einmal seinen wahren Charakter zeigte. Der Praktikator fand die einzig richtige Antwort, die den ehrgeizigen Wicht von Analysator am härtesten trifft: den Sieg und damit der Ausgleich zum 4:4. Doch lassen wir Partien sprechen.











Praktikator - Analysator
7. Wettkampfpartie, 1991

1.e4 c5 2.Sf3 e6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 a6 5.Ld3 Dc7!? Ein an dieser Stelle sehr selten angewandter Zug, der häufig ein Tempo verlieren kann, sich aber auch viele Möglichkeiten offen lässt. Üblich sind Sf6, Sc6, Se7, g6 oder Lc5. 6.Le3 Sf6 7.f4 Weiß nimmt den Fehdehandschuh auf und entwickelt sich originell. Die Idee ist die lange Rochade nebst Bauernsturm am Königsflügel, was bei der Scheveninger Variante alles andere als üblich ist. 7.Sc3 oder 0-0 hätte in theoretische Gewässer zurückgeführt. 7...d6 8.Sd2 [ Das natürliche 8.Sc3 erlaubt Schwarz sofortiges Gegenspiel mittels 8...b5 9.a3 Lb7 ] 8...Sc6 9.De2 Le7 10.0-0-0 0-0 11.Tdg1? [ 11.g4? Sxd4 12.Lxd4 e5 13.g5 exd4 14.gxf6 Lxf6 15.e5 dxe5 16.Se4 Le7 ist zu ungestüm.; Aber wenn Weiß die Entlastung Sxd4 verhindert, hat er bessere Angriffschancen: 11.Sxc6 bxc6 12.g4 e5 ( 12...Tb8? 13.g5 Sd7 14.f5 ) 13.g5 Sg4 14.f5 Sxe3 15.Dxe3 Td8 16.f6 Lf8~~ ; 11.S2f3 Sg4 12.Sxc6 bxc6 13.Ld2 f5~~ ; 11.S4f3? taugt nichts wegen 11...e5 12.f5 d5 ] 11...Sxd4 12.Lxd4 e5 13.Lc3 [ Indiskutabel sind 13.fxe5? dxe5 14.Lc3 Le6 15.Kb1 b5 16.Sf3 Sd7 ; und 13.Le3? Sg4 14.f5 Sxe3 15.Dxe3 d5! nebst Lc5.] So aber bleibt der Lc3 auf der gefährlichen langen Diagonalen, zumal Schwarz das Bauernopfer kaum annehmen darf. 13...exf4 14.g3! Unter Bauernopfer will sich der Praktikator die g- oder h-Linie öffnen, was ihm einen wohl zu starken Angriff einbrächte. 14...f3 Lieber entwickelt Schwarz den Springer auf d2. Die Stellung scheint nun in annäherndem Gleichgewicht. 15.Sxf3 Le6 16.Kb1 Sd7 Der Nachziehende will mit Lf6 ebenfalls die lange Diagonale besetzen, um den unangenehmen Druck des Lc3 zu neutralisieren oder den zentralen Punkt erobern. Zudem wird e5 unterbunden. 17.Sd4 Verschafft sich das Läuferpaar, schwächt die schwarze Bauernstruktur und beseitigt den lästigen Le6. 17...Lf6 18.Sxe6 fxe6 19.Lxf6 Txf6 20.Lc4 Der Druck gegen e6 kompensiert den Besitz der offenen f-Linie, da der Tf6 verteidigen muss. 20...b5 21.Lb3 Sc5 Deckt insbesondere e6 und ermöglicht den Abtausch im Bedarfsfall. 22.Tf1 Taf8 [ Der Versuch 22...Txf1+ 23.Txf1 Sxb3 24.axb3 De7 bringt nach 25.Dg4 ( 25.Df3? Tf8! ) 25...Tf8 26.Txf8+ Kxf8 27.Df4+ nichts ein.] 23.Txf6 Txf6 24.Td1! Diese Feinheit, die d6 und e6 schwach werden lässt, führt zum schnellen Remis. [ Nach 24.Tf1? Df7 25.Txf6 Dxf6 besetzt der Analysator das wichtige Feld e5 und kann die Stellung noch etwas kneten.] 24...Kf8 Um auf e7 den Bauernschutz zu übernehmen. 25.c3 Sxb3 Sonst aktiviert Weiß den Läufer auf der Diagonalen bl-h7. Jetzt müssen beide Seiten sich mehr um die eigenen schwachen Bauern kümmern, als dass sie etwas unternehmen könnten, deshalb Remis.
1/2-1/2













Analysator - Praktikator
8. Wettkampfpartie, 1991

1.d4 Sf6 2.Lg5 c6 3.c4 d5 4.Sc3 Se4 Dieser selten gespielte Zug ist nicht schlechter als die bekannten Fortsetzungen Sbd7, e6 oder dxc4, verleiht dem Spiel aber eine völlig andere Prägung. 5.Sxe4 dxe4 6.Dd2 [ Theoretische Hauptvariante: 6.Lf4 Lf5 7.e3 e6 8.a3 Le7 ] 6...g6 7.e3 Lg7 8.Se2 0-0 9.Sc3 Erstes weißes Angriffsobjekt ist der Bauer e4, dessen Deckung den Nachziehenden zu einer positionellen Entscheidung zwingt. 9...f5 [ 9...Lf5? 10.h3 h5 11.Le2 Dd7 12.0-0-0 ; 9...c5 10.d5 h6 11.Lf4 e5 12.dxe6 Dxd2+ 13.Kxd2 Lxe6 14.Sxe4 ] und der Praktikator besäße keine Kompensation. Nun ist der Bauer auf e7 eine Schwäche, die Weiß mit einem Zentrumsdurchbruch ausnutzen will. 10.Le2 h6 11.Lh4 c5? Schwarz erkennt natürlich die weiße Absicht mit f3 das Zentrum sprengen zu wollen und handelt sofort. Dieser Gegenstoß im Zentrum soll dem Lg7 die lange Diagonale freilegen und dem Springer das Feld e5 zugänglich machen. Dennoch ist er schlecht, weil er das Zentrum festlegt, so dass Weiß problemlos am Königsflügel agieren könnte. [ Der richtige Plan lag in der Unterminierung des weißen Bauernpaares c4, d4 etwa mit 11...a6! 12.f3 b5 13.fxe4 g5! 14.Lf2 e5 15.d5 ( 15.cxb5 exd4 16.exd4 axb5 17.e5 Le6 ) 15...b4 16.Sa4 Da5 17.b3 fxe4 und der Praktikator steht gewiss nicht schlechter.; Zweifelhaft wäre dagegen die Läuferjagd 11...g5 12.Lg3 e5 ( 12...f4 13.exf4 Dxd4 14.fxg5 hxg5 15.0-0-0 Dxd2+ 16.Kxd2! ) 13.dxe5 Dxd2+ 14.Kxd2 Te8 15.f4 exf3 16.gxf3 Lxe5 17.Lxe5 Txe5 18.f4 ; oder der Angriff des Zentrums mittels 11...Sd7 12.f3 exf3 13.gxf3 g5 14.Lf2 e5 15.d5 Sf6 16.h4 ] 12.d5 Sd7 13.f4? Ein nach den vorausgegangenen Bemerkungen gänzlich unverständlicher Zug, der zwar das Zentrum festlegt, aber keine Angriffslinie am Königsflügel öffnet. [ Der einzig logische Zug bestand in 13.f3 exf3 14.gxf3 g5 15.Lf2 f4 ( 15...e5 16.e4 f4 17.h4 b6 18.0-0-0 Sf6 19.Tdg1 ) 16.e4 b6 17.0-0-0 Se5 18.Tdg1 was zu weißem Vorteil führt.] Dem Druck auf dem Königsflügel hat Schwarz nichts entgegen zu setzen. Jetzt aber entsteht ein schwieriger positioneller Kampf, in dem der Praktikator versuchen muss, die Schwache auf e7 zu beseitigen. 13...Sf6 14.h3? Weiß möchte weiter aktiv am Königsflügel operieren. Allerdings kann er dort nur das Läuferpaar und den Thl einsetzen, weshalb der Schauplatz auf den Damenflügel zu verlegen war. 14...a6 15.g4 Se8 Auf d6 steht der Springer ideal, da er die wichtigen Felder c4 und f5 kontrolliert und außerdem den Bauern d5 blockiert. 16.a3 Eventuell kann b4 folgen. Im Übrigen haben beide Seiten viel Zeit zum Pläne schmieden und verhindern, weil konkrete Ansatzpunkte fehlen. 16...Dc7 Geht aus der unangenehmen Fesselung und macht so den e-Bauern beweglich. 17.Tc1 Sd6 18.Sa4 Der Auftakt zu einem komplizierten und langen Umgruppierungsmanöver, das aber nicht gelingen wird, weil es so lange dauert. Ziel ist es, den Läufer von h4 nach c3 zu bringen, was neun Züge erfordert, eine halbe Ewigkeit. Besser war daher 18.g5 mit Abschließen des Königsflügels oder [ 18.Tg1 Kh7 19.g5 ] , da Weiß dort nichts mehr erreichen kann. 18...b6 19.gxf5 Gibt dem Lc8 neue Perspektiven und öffnet den Königsflügel, was sich nur negativ auswirken kann. Der Analysator verkennt die positionellen Gegebenheiten und glaubt die Initiative inne zu haben. das Gegenteil ist der Fall. [ 19.g5 h5 20.0-0 e6 21.Tfd1 Td8 22.b3 Ld7 23.Sc3 zeigt, dass der Anziehende schon zu viel Zeit verloren hat und etwas schlechter steht. Dennoch scheint diese Abwicklung noch am besten für Weiß.] 19...Lxf5 20.Tg1 Kh7 Besetzt sofort die g-Linie und deckt den Bg6, um e6 zu ermöglichen. 21.Lg4 Tg8 22.b3 Deckt vorsorglich den Bc4, da später ja Lc3 folgen soll. 22...Lh8 23.Ke2 [ 23.Lxf5? Sxf5 24.Lf2 e6! 25.dxe6 Tad8 26.Dc2 Td6 ist wenig ersprießlich.] 23...Tab8 24.Dc2 Dd7! Der Höhepunkt der schwarzen Aktionen: Alle Figuren stehen optimal und können zuschlagen. 25.Lxf5 Es drohte h5 mit Bauerngewinn bzw. g5 mit Aktivierung der Schwerfiguren. 25...Dxf5 Mit der Idee Dh5+. 26.Lxe7 Weiß muss in den sauren Apfel beißen und gibt lieber eine Figur, als in die oben skizzierte Variante mit [ 26.Tg4 h5 27.Tg3 Lf6 einzulenken.; 26.Lf2 Dxh3 27.Tg3 Dh5+ 28.Kd2 ( 28.Ke1 g5! 29.fxg5 Le5-+ ) 28...e5! 29.dxe6 ( 29.fxe5 Lxe5 30.Tg2 Tbf8 ) 29...Tgd8 30.e7 Sf5+! ( 30...Td7 reicht auch.) 31.exd8D Txd8+ 32.Ke1 Sxg3 33.Lxg3 Dh1+ ] 26...Dh5+ 27.Kd2 Sf5 28.Lxc5 [ 28.Dxe4? Tge8 29.d6 Sxd6 30.Dd3 Sf5 und Schwarz gewinnt.; Zu versuchen war dagegen 28.Sxc5 bxc5 ( 28...Sxe7 29.Sxe4 mit Kompensation.) 29.Lxc5 Tge8 30.b4 a5 31.Tb1 axb4 32.axb4 Ta8 ] 28...bxc5 29.Sxc5 Df3! Schwarz lässt den Bh3 auf dem Brett, um das weiße Figurenspiel zu beeinträchtigen. Außerdem deckt der Zug den Bauern auf e4 indirekt. 30.Tge1 Tge8 31.b4 a5! Setzt unerbittlich nach. Ansonsten hätte Weiß noch Sb3 und abschließen des Damenflügels nicht nur das Schlimmste überstanden, sondern könnte auch schon die Freibauern mobilisieren.. Der Praktikator führt den ganzen Angriff sehr schwungvoll (Anm. d. Red: Und das aus dem Munde des Analysators - das will schon was heißen!). 32.Tb1 Verteidigt sich so gut er kann. 32...axb4 33.axb4 Ta8 34.Db3 Verhindert Ta3 und macht den b-Bauern mobil. [ 34.Te2 Ta3 35.Tb3 Ta1 36.Tb1 scheitert an 36...Ld4!! ] 34...Ta7 35.b5 Tea8 36.Sa6 Sd6! Bereitet einen versteckten taktischen Schlag vor, um die weiße Position endgültig im Sturm zu nehmen. Auf alle anderen Züge könnte der Analysator mit c5 eine gefährliche Initiative entfalten. 37.Db4? In Zeitnot übersieht der Anziehende die eigentliche Drohung, wonach es schnell mit ihm zu Ende geht. [ 37.c5? Sxb5 38.Dxb5 Txa6 39.Db7+ Lg7 40.Tb2 Ta2 ist auch keine Lösung, denn der Punkt c4 musste überdeckt werden, wie der Leser gleich sehen wird.; 37.Tbc1 Lf6! 38.Db4 Sf5 39.c5 g5 40.fxg5 Lxg5 41.Tc3 und nun muss Schwarz mit 41...Te8 ( Das verführerische 41...Df2+ 42.Te2 Sxe3 43.Txf2 ( scheitert an 43.Dxe4+ Sf5+ 44.Kd3! Df1 45.d6 ) 43...Sxd5+ 44.Ke1 Sxb4 45.Sxb4 Ta1+ 46.Ke2 Td8 47.Tc2 Tdd1 48.Tf7+ Kg6 49.Tc7 Te1+ 50.Kf2 Lh4+ 51.Kg2 Tg1+ 52.Kh2 Th1+ 53.Kg2 Tag1# ; 41...Sxe3 42.Tcxe3 Df2+ 43.Kd1 Lxe3 44.Dxe4+ Kh8 45.Dxe3 ) 42.Db3 Lh4 43.Te2 Tg7 mit enormen, wahrscheinlich entscheidendem Druckspiel fortsetzen.] 37...Txa6! Entscheidet die Partie und Schwarz krönt seine vorzügliche Leistung (Anm. d. Red.: Alter Schmeichler). 38.bxa6 Txa6 39.Db3 Andere Züge retten auch nichts mehr. 39...Ta3 40.Dc2 Td3+ 41.Kc1 Tc3 42.h4
0-1




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