Wolferl und die Bundesliga |
Rochade Express, Nr. 50, Seite 19f, "Wolferl und die Bundesliga"
von Hartmut Metz
Bundesliga: Davon träumt jeder ambitionierte Sportler, sei er nun Kicker, Turner oder Tischtennisspieler. Nicht anders verhält es sich im Schach, dem so schwierigen Denksport. Unser vieljähriges Mitglied Wolfgang Gerstner hat den Sprung geschafft. Dabei glückte das Debüt auf Anhieb.
Langsam tastete sich der 24jährige nach oben. Von seinem Stammverein Caissa Rastatt wechselte er leider nicht zu uns, sondern zu Oberligist Hörden. Dort war er zwei Spielzeiten lang der überragende Mann am Spitzenbrett - zu überlegen gegenüber seinen Kontrahenten. Spätestens nach seinem überzeugenden Erfolg bei den Badischen Meisterschaften 1991 war klar: Der Mathematik- Student brauchte schachlich eine neue Herausforderung.
Unter mehreren Angeboten süddeutscher Vereine entschied sich Wolfgang für Sindelfingen. Sportliche Aspekte gaben dafür den Ausschlag: Der Klub aus der schwäbischen Sportstadt offerierte ihm das sechste Brett - einen Stammplatz also in dem achtköpfigen Bundesliga-Team. Das zählte für den Rochadnik, weniger das Salär, mit dem man ohnehin im Schach nicht reich wird. Bei einer Spitzenmannschaft wie München 1836 wäre unser Vereinsmitglied auch untergekommen, doch dort wäre er "nur" im Kader gestanden, hätte vielleicht nicht immer gespielt. Doch gerade dies war ihm wichtig.
So stand der Badische Meister dieser Tage vor seinem ersten Einsatz für ein Team, das als Saisonziel den Klassenerhalt nennt. Und gleich ging es gegen Empor Berlin, den letzten DDR-Vizemeister. Dieser hatte sich zudem noch mit drei erstklassigen Sowjets, von denen allerdings nur zwei eingesetzt werden durften, verstärkt. Schlechte Voraussetzungen dagegen auf der Sindelfinger Seite: Ein Spieler fiel kurzfristig aus, Ersatz Wolfram Bialas (Baden- Baden) konnte aber erst am nächsten Tag zur Stelle sein. Folglich hieß es schon 1:0 für Empor.
Doch Wolferl und seine neuen Kameraden schlugen mit Geistesblitzen zurück. Ein nie erwartetes 6:2 sprang heraus. Auch der Rastatter befand sich unter den Siegern. Mit den schwarzen Steinen bezwang er den Berliner Rosenthal. Trotzdem war die Koryphäe unzufrieden mit seinem Spiel: "Mir fehlt derzeit wegen meines Studiums die Zeit, Turniere zu spielen. Seit fünf Monaten bin ich aus der Übung und gerate daher stets in Zeitnot", moniert der Baden-Export ins Schwäbische. Seine "schreckliche Partie" war allerdings gar nicht so schlecht, wie er gerne glauben machen möchte. Die meisten Schachanhänger wären froh, wenn sie nur einmal auf solch einem Niveau spielen könnten.
"Zwischen zwölf und 15 Stunden habe ich mich wohl mit Partien meiner möglichen Gegner befasst", plaudert Wolfgang aus dem Nähkästchen. Jedoch vergebene Liebesmüh: Die Gegner stellten anders auf, als vom Sindelfinger Coach erwartet. Gegen die Groß- und Internationalen Meister soll die Vorbereitung das nächste Mal besser klappen. Die Atmosphäre im Team gefiel dem Neuling ganz gut. Nach seiner Niederlage habe man ihn getröstet, ohnehin führten sich die Spitzenbretter nicht auf, als seien sie etwas Besonderes. Dass die Mannschaft, vor allem die beiden jugoslawischen Großmeister Rajkovic und Marinkovic, nur zu den Spielen anreisen und danach gleich wieder verschwinden, stört ihn nicht. "Bei Profis muss das wohl so sein", sieht der Amateur das Ganze gelassen.
Im zweiten Duell, die Bundesliga absolviert für gewöhnlich an einem Wochenende gleich zwei Spiele, zog der 24jährige dann den Kürzeren. Er unterlag Dr. Dietzen (Buna Halle), obwohl lange Zeit zumindest ein Remis greifbar schien. War der Amateur zu nervös? "Ich war noch nie nervös vor einer Partie", verneint der Badische Champion und nennt damit gleichzeitig eine seiner herausragenden Eigenschaften: Er ist die Ruhe selbst und behält kühlen Kopf - und genau dort werden Schachpartien entschieden. Letztlich blieb die Niederlage ohne Auswirkung, da seine neuen Mannschaftskameraden seinen Verlust ausbügelten. Nach dem 4,5:3,5 über Halle rangiert Sindelfingen unerwartet auf Rang zwei, noch vor den Meisterschaftsabonnenten aus Solingen und München.
Welche Atmosphäre herrscht bei einem Bundesligaspiel im Gegensatz zu den Amateurklassen? "Es herrscht absolute Ruhe, da zwei Paarungen gleichzeitig laufen, wird an 16 Brettern gespielt und es sind zwei Schiedsrichter da", zählt Gerstner auf. Die Zuschauerzahl bleibt aber auch in der höchsten Spielklasse "recht dürftig". Maximal 30 bis 40 Schachkundige verfolgten pro Spieltag das Geschehen. In Frankfurt, am 7. und 8. Dezember, sollen es wesentlich mehr sein, denn dann wollen Gerstners ehemaligen Vereinskameraden aus Rastatt und Hörden sowie eventuell Kuppenheim den Mittelbadener beäugen. Die Reise nach Frankfurt hat einen guten Grund: Es spielen dort neben der einheimischen FTG die weiteren Spitzenteams München 1836 und vor allem Rekordmeister Bayern München mit.
Seit dieser Artikel im Badischen Tagblatt veröffentlicht wurde, sind schon wieder einige Tage ins Land gezogen. Sindelfingen steht mittlerweile nach 6:0 Zählern mit 6:6 Punkten im Mittelfeld. Allerdings bezogen Wolfgang und seine neuen Kameraden die Niederlagen gegen die drei führenden Teams Porz, Bayern München und München 1836. Zuvor wurde noch Koblenz bezwungen.
Wolfgang hält sich dabei weiter wacker. Einem Sieg über Weidemann folgte gegen Großmeister Knaak die erwartete Niederlage. Eine ausgezeichnete Leistung vollbrachte unser Mitglied gegen die Münchner Vereine: Dem Remis gegen IM Ruf folgte eine zweite Punkteteilung im Duell mit GM Kindermann, immerhin zigfacher Nationalspieler! Bei zwei Siegen, zwei Unentschieden und zwei Niederlagen darf man darauf hoffen, dass Wolferl die 15 Bundesligapartien mit einem positiven Ergebnis abschließt. Die leichten Gegner kommen ja noch ...