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Interview mit Weltmeister Garri

Jubiläum


Rochade Express, Nr. 51, Seite 3ff, "Interview mit Weltmeister Garri"
von Hartmut Metz

   Weltmeister Garri Kasparow zählt zu den stärksten Schachspielern aller Zeiten. Das Genie weilte bis vor wenigen Tagen in Baden-Baden, wo er einen Wettkampf gegen die deutsche Nationalmannschaft bestritt. Der Moskowiter unterstrich dabei seine Ausnahmestellung und bezwang die vier deutschen Großmeister mit 3:1. Für Jürgen Gersinska und mich war der Wettkampf ein Glücksfall: Jürgen und ich lernten den sympathischen Champion bei dieser Gelegenheit kennen. Jürgen amtierte bei dem Spektakel in der Kurstadt als Assistenz-Schiedsrichter, ich übernahm für die Bäder- und Kurverwaltung die Pressearbeit und konnte so ausgiebig mit Kasparow ins Gespräch kommen. Deshalb freut sich die Redaktion des "Rochade Express", seinen Lesern ein Interview mit dem Weltmeister präsentieren zu können. Schade, dass es um eine Nummer zu spät kommt. Das Gespräch mit dem Champion wäre sicher der ideale Höhepunkt für die "Rochade Express" Jubiläumsnummer 50 gewesen. Naja, beginnen wir eben die zweite Hunderter-Hälfte mit einem Leckerbissen - wobei wir natürlich nicht der Ansicht sind, dass wir sonst nur fade Hausmannskost bieten. Kein Gedanke.

Rochade Express: Sie sind sehr medienfreundlich. Ist es nicht fürchterlich, ständig jedermanns Liebling sein zu müssen?
Kasparow: Nein. Das gehört zum Geschäft. Wenn ich Werbung für das Schachspiel machen will, muss ich die Menschen und die Medien beeindrucken, weil Schach noch nicht so populär ist. Mit Ausnahme der Weltmeisterschaft ist Schach noch schwer an die Bevölkerung zu bringen. Der Idealzustand scheint mir diesbezüglich noch lange nicht erreicht. In Amerika wächst das Interesse seit dem WM-Kampf, bei dem ich viele Aktivitäten an den Tag legte. In Europa, speziell in Deutschland, bleibt alles noch ein bisschen im Untergrund und verbessert sich langsam, sehr langsam. Der Weltmeister hat daher auch nach Deutschland zu gehen und zu schauen, was er für das Schach tun kann.

Rochade Express: Sie sehen es also nicht so wie unser deutscher Spitzenspieler Dr. Robert Hübner, der sich lieber von den Medien abschottet.
Kasparow: Ja, aber Hübner ist nicht die einzige Person. Vor sechs Jahren, bevor ich Weltmeister wurde, hielten sich die Schachspieler allgemein zurück, vermieden den Umgang mit der Presse. Schach war daher seit dem Match zwischen Fischer und Spasski ein Außenseitersport. Dies änderte sich nach dem Abbruch des WM-Duells durch Campomanes. Schach wurde danach viel populärer. Zum Beispiel wissen Sie ja auch, dass ich dem "Spiegel" schon mehrere Interviews gab oder schon fast Stammgast im amerikanischen Fernsehen bin. Die Schachspieler haben falsche Ansichten. Sie erwarten viel Geld zu verdienen, einfach 40 Leute zu sein, die absolut nichts tun. In Tennis braucht man nichts Besonderes tun, da läuft alles automatisch. Aber im Schach müssen wir die Pioniere sein, die für den Sport werben. Ich hoffe, mein Beispiel wirkt sich positiv auf die Nachwuchsspieler aus, so dass sie auch auf das Publikum und die Medien zugehen. Denn: Ohne Zuschauer ist unser Sport gar nichts.

Rochade Express: Lieben Sie Amerika? Sie sprechen sehr gut Englisch, tragen dort auch die nächste Weltmeisterschaft aus.
Kasparow: Ich habe weltweite Pläne. Nach vielen Aktivitäten in Europa wurde mir klar, dass man Schach nicht zu den beliebtesten Sportarten machen kann, ohne Amerika dabei zu integrieren. Wenn etwas in Kalifornien passiert, und es ist erfolgreich, dann erfährt es auch automatisch Europa. Wenn uns eine erfolgreiche WM in Los Angeles gelingt, steht außer Zweifel, dass die nächste 1996 in Europa ausgetragen wird.

Rochade Express: Vielleicht in Berlin, das Interesse bekundete?
Kasparow: Ich weiß nicht. Das kommt auf die Aktivitäten der Sponsoren an. Ich bin jedenfalls der festen Überzeugung, dass Amerika - vor allem das ideale Kalifornien - der beste Ort ist, um einen Werbezug für das Profischach zu starten.

Rochade Express: Wie reden Sie Ihren Widersacher Anatoli Karpow an? Sagen Sie zu ihm Anatoli oder Herr Karpow?
Kasparow: In Rußland ist es normal, höflich miteinander umzugehen. Ich sage Anatoli zu ihm.

Rochade Express: Würden Sie mit Karpow Karten spielen?
Kasparow (lachend): Nein.

Rochade Express: Wird Karpow erneut Ihr Kontrahent im nächsten WM-Kampf sein?
Kasparow: Ich hätte schon gerne einmal etwas Abwechslung. Von den vier Herausforderern im Kandidaten-Halbfinale besitzen Karpow, Nigel Short und Artur Jussupow in etwa gleiche Aussichten. Jan Timman steckt zur Zeit in einem Formtief. Karpow und Short werden sich ein spannendes Match liefern. Der Engländer und Jussupow können mit Karpow mithalten.

Rochade Express: Wann kommt es zum apokalyptischen WM-Finale Kasparow gegen einen Schachcomputer?
Kasparow: 1994 oder 1995 könnte es passieren. Ich weiß jedoch nicht, ob die Entwicklung bei den Geräten weiter so rasch voran schreitet. Sollte es dennoch dazu kommen, hoffe ich, die Kraft zu besitzen, um für die Menschheit kämpfen zu können. Solch ein Vergleich hätte wohl einen sehr ungewissen Ausgang. Ich schenke jenen keinen Glauben, die dem Computer leichte Siege vorhersagen. Die Maschinen werden auch ihre Schwachen haben. Die kann man zwar analysieren, aber es wird schwer, das Schachspiel weiter spannend zu finden.

Rochade Express: Wie lange trainieren Sie täglich?
Kasparow: In Baden-Baden stelle ich einen neuen Rekord auf. Ich denke, ich verbringe hier 24 Stunden am Tag mit Schach.

Rochade Express: Und normalerweise?
Kasparow: Sonst absolviere ich Trainingseinheiten, die maximal vier, fünf Stunden umfassen. Aber es gibt viel Tage im Jahr - sogar vermutlich die Mehrzahl -, an denen ich überhaupt nicht trainiere. Das ist natürlich schlecht. Ich sollte mehr solche Wettkämpfe wie hier spielen, um fürs Training motiviert zu sein.

Rochade Express: Was halten Sie vom Fernschach?
Kasparow: Es ist ein ganz anderer Typus des Schachs, den ich nicht verstehe.

Rochade Express: Würden Sie eine Fernschachpartie gegen den Fernschach-Weltmeister gewinnen? Ich nehme es zumindest an, oder?
Kasparow: Ich denke auch. Wir verstehen das Spiel besser und unsere Analysen sind besser. Für mich beinhaltet Fernschach aber keinerlei Spannung.

Rochade Express: Wie stehen Sie Mannschaftswettbewerben gegenüber, zum Beispiel der Olympiade oder der deutschen Bundesliga?
Kasparow: Sie sind sehr wichtig für die Schach-Werbung. In meinen Augen wäre eine professionelle weltweite Bundesliga das richtige. Es müssen keine Nationalteams mitwirken, so dass jeder unter mehreren Vereinen auswählen könnte. Die weltweite Liga würde das Image des Schachspiels ändern.

Rochade Express: Ihnen ist die Bundesliga also zu national ausgerichtet?
Kasparow: Nein, aber ein idealer Wettbewerb wäre eben eine Weltliga.

Rochade Express: Was machen Sie für Ihre körperliche Fitness?
Kasparow: Tennis spielen, laufen und im Sommer noch schwimmen.

Rochade Express: Und Fußball?
Kasparow: Spiele ich noch manchmal. Dafür braucht man jedoch Zeit und einige Mitspieler. Wenn die nicht zur Hand sind, spielt man besser Tennis. Da braucht man nur einen.

Rochade Express: Herr Kasparow, Sie engagieren sich nicht nur beim königlichen Spiel. Sie haben sich auch für den demokratischen Wandel in der ehemaligen Sowjetunion eingesetzt - und das in einer Zeit, in der dies gefährlich sein konnte und "Glasnost" und "Perestroika" unbekannte Worte waren. In den achtziger Jahren galten Sie als Anhänger Gorbatschows. Heute unterstützen Sie Boris Jelzin?
Kasparow: Ich hänge keiner Person an. Ich unterstütze nur den politischen Wandel. Zunächst war ich auf der Seite Gorbatschows, der das System scheinbar ändern wollte. Später begriff ich aber, dass dies Unsinn ist und der Mann die alten Strukturen beibehalten wollte. Danach wandten sich die Leute von Gorbatschow ab - nicht direkt von ihm, aber vom System. Die Medien meinen jetzt, Jelzin ginge die Reformen zu langsam an, mache manches falsch. Insgesamt meine ich aber, dass er die beste Garantie auf dem Weg zur Demokratie ist.

Rochade Express: Sie gründeten einst eine demokratische Partei. Was wurde aus ihr?
Kasparow: Ich war Mitbegründer. Doch die Partei funktionierte nicht so recht. Die Mitglieder wollten alle verschiedene Richtungen einschlagen und später zersplitterte man sich in verschiedene Gruppen. Wir sind aber inzwischen wieder aktiv.

Rochade Express: Was halten Sie von der neuen Gemeinschaft Unabhängiger Staaten?
Kasparow: Die Gemeinschaft hat nur den Sinn, den Übergang der Sowjetunion zu einzelnen Staaten schrittweise vollziehbar zu machen. Außerdem sollen dadurch größere Komplikationen vermieden werden.

Rochade Express: Jelzin steht mittlerweile in der Schusslinie. Die Not wird in Rußland immer größer.
Kasparow: Vielleicht haben wir alle den Abstand zur westlichen Welt unterschätzt. Aber wir sind auf dem richtigen Weg. Die Menschen hatten auch schon vor Monaten nichts mehr zu essen. Jelzin war eben so konsequent, die notwendige Freigabe der Preise durchzusetzen. Solch eine Entscheidung ist für jede Regierung gefährlich. Ich fand es jedoch erfreulich, dass Jelzin den Mut für diesen schweren Schritt aufbrachte. Wenn es ihm gelingt, die alten Kommunisten nieder zu halten und die Privatisierung voran zu treiben, dann glaube ich, schaffen wir es. Die Zukunft sieht meiner Ansicht nach positiv für Rußland aus.

Rochade Express: Ihnen selbst wurden Ambitionen auf den Präsidenten-Stuhl unterstellt. Streben Sie ein hohes politisches Amt an?
Kasparow: Wenn wir dieses oder nächstes Jahr Wahlen haben, will ich versuchen, in das russische Parlament zu gelangen.

Rochade Express: Sie sind ja sehr populär in der ehemaligen Sowjetunion.
Kasparow: Hm, ja, hauptsächlich in Moskau. Aber prinzipiell denke ich nicht daran, Schach aufzugeben und mich auf die Politik zu konzentrieren.

Rochade Express: Sie stammen aus Aserbaidschan, kämpfen politisch wie sportlich für Rußland. Warum?
Kasparow: Gut, ich wurde in Baku geboren. Aber wissen Sie, ich spreche Russisch, meine Bildung ist russisch, meine Kultur ist russisch. Ich bin von Kopf bis Fuß Russe und lebe mit meiner Frau in Moskau. Inzwischen kann jeder seine Wahl treffen, wo er leben möchte. Ich entschloss mich allerdings bereits vor zwei Jahren, mich dort nieder zu lassen.

Rochade Express: Eine letzte Frage: Welche Frage würden Sie gerne beantworten?
Kasparow: Prinzipiell beantworte ich jede Frage. Der Weltmeister muss ja eine professionelle Einstellung haben und etwas für den Schachsport tun.

   Da Weltmeister Garri Kasparow vor dem Match gegen die deutsche Nationalmannschaft noch ein wenig trainieren wollte, musste sich der "Rochade-Expressquot; beim Interview möglichst knapp halten. So vermieden wir es, Fragen zu stellen, die bereits in der Pressekonferenz bzw. bei einem Interview mit dem Südwestfunk angeschnitten wurden. Um die Leser aber ausführlich über den Champion zu informieren, listen wir die interessantesten Fragen und Antworten ebenso auf.

Was bedeuten die schwarz-weißen Figuren für Sie und Ihr Leben?
Kasparow: Schach ist der wichtigste Teil meines Lebens. Alles in meinem Leben habe ich durch das Schach erreicht.

Was verdanken Sie dem Schach, was verdankt der Schachsport Ihnen?
Kasparow: Ich verdanke dem Schach alles, weil ich dadurch alles erreicht habe. Der Schachsport ist mir aber auch etwas schuldig: Er ist jetzt viel populärer - was vielleicht auch mein Verdienst scheint. Mehr und mehr Leute interessieren sich inzwischen für das Spiel.

Sind Sie manchmal schachmüde?
Kasparow: Nicht richtig müde. Aber jeder braucht schließlich seine Motivation. Mir hat sie letztes Jahr gefehlt. Nach dem Sieg über Karpow war ich nicht mehr so gut. Ich hoffe, mich wieder etwas zu erholen und erneut so gut wie vor zwei Jahren spielen zu können.

Wo liegt Ihr Schwerpunkt? Sind Sie Wissenschaftler, Künstler oder Sportler?
Kasparow: Wer Weltmeister ist, muss alle drei Dinge auf sich vereinen. Ich mag die Schönheit des Schachspiels, weshalb ich am liebsten Künstler bin. Andererseits darf ich den wissenschaftlich-sportlichen Teil nicht ignorieren. Veranstaltungen, wie die hier in Baden-Baden, bedürfen besonderer Anstrengung und Vorbereitung. Deshalb muss man auch Wissenschaftler sein.

Sollte Schach bei der Sommer-Olympiade in Barcelona dabei sein?
Kasparow: Nicht unbedingt, auch die Teilnahme in Albertville wäre denkbar, weil es nicht unbedingt eine Sommersportart ist (lacht herzlich). Ich mag aber die Idee nicht, Schach bei der Sommer-Olympiade aufzunehmen. Schach ist eine ganz besondere Art der Beschäftigung. Ich fände es falsch, wenn das Schach neben anderen Sportarten in Barcelona stünde. Ich plädiere dafür, unsere Wettbewerbe getrennt auszuüben. Dann können wir die Schönheit des Schachs besser aufzeigen, als wenn es eine unter vielen Disziplinen in Barcelona wäre.

Wie wichtig ist für Sie Training? Welche Schwächen können Sie denn ausmerzen?
Kasparow: Training ist für jeden Profi grausam. Bei mir ist es ganz offensichtlich: 1991 verringerte ich meine Vorbereitung und schon gingen meine Ergebnisse im Vergleich zu früher in den Keller. Die Trainingsmethoden muss man heutzutage ändern, bereit sein, sich auf ein breites Feld einzustellen und sich an den neuen Entwicklungen beteiligen.

Vor welchem Gegner besitzen Sie am meisten Respekt?
Kasparow: Schwer zu sagen. Vielleicht Karpow. Er machte mir das Leben am Brett am schwersten.

Was sagen Sie zu der Abwanderung der Spieler aus dem Osten?
Kasparow: Der Exodus nimmt zu. Ich glaube jedoch nicht, dass er noch lange anhält. Für mein Land führt der Exodus zu schwer wiegenden Konsequenzen. Alle guten Spieler leben im Westen, so dass vielleicht schon in fünf Jahren hier die großen Talente aus dem Boden sprießen.

Der Unterschied zwischen Genie und Wahnsinn ist oft ein schmaler Grat. Wie ist es bei Ihnen?
Kasparow (schmunzelnd): Man kann nichts ausschließen.

Wird eine Frau einmal Weltmeister?
Kasparow: Ich will mich bei diesem Thema nicht festlegen. Ich konstatiere nur Fakten: Die besagen, dass Frauen schlechter spielen. Schach ist ein sehr anstrengender Sport. Er fordert die Psyche ganz besonders und da gibt es wohl Probleme für die Frauen - dafür können aber Frauen andere Dinge besser als Männer.

Haben Sie schon einmal gegen eine Frau gespielt?
Kasparow: Für mich ist es ungewohnt, gegen eine zu spielen. Nur einmal spielte ich gegen eine. Das war gegen Maja Tschiburdanidse.

Und das Resultat?
Kasparow: Ich gewann.

Denken Sie bei einer Partie auch noch an andere Dinge außerhalb des Schachs?
Kasparow: Nur ans Schach, da sonst die Konzentration darunter leidet.

Was halten Sie von Viswanathan Anand?
Kasparow: Er ist ein sehr großes Talent und sehr vielseitig. Durch die starken Turnieren, in denen er in der vergangenen Zeit mitspielte, hat er sich weiterentwickelt. Er hat eine ganz andere Art Schach zu spielen als ich. Deshalb habe ich auch so Probleme, wenn wir aufeinander treffen.

Wurde er zu Ihrem Angstgegner?
Kasparow: Nein. Das ist alles nur eine Frage der Vorbereitung.

Wie viele Ihrer Ausrufezeichen in der Eröffnung beruhen auf heimischer Analyse beziehungsweise entstehen spontan am Brett?
Kasparow: Das ist sehr verschieden. Es wird jedoch weniger sein, was spontan kommt. Eine breite Vorbereitung scheint mir unerläßlich und ich entscheide mich dann spontan vor Ort, welche Züge ich mache.


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