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Vierländerkampf in Osnabrück

Jubiläum


Rochade Express, Nr. 59, Seite 23ff, "Vierländerkampf in Osnabrück"
von Wolfgang Gerstner

   Jedes Jahr treffen sich am dritten Juniwochenende in irgendeiner entlegenen Ortschaft Deutschlands die Vertretungen der Schachverbände Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Baden, um im beliebten Modus "jeder gegen jeden" das stärkste Land zu ermitteln. Diesmal verschlug es uns nach Niedersachsen, genauer gesagt nach Osnabrück. Mit Hartmut und mir waren gleich zwei Mitglieder der Rochade Kuppenheim, die damit 20 Prozent der badischen Cracks stellte, dabei. Dies sollte doch zum Sieg reichen, könnte man meinen, zumal Hessen und Niedersachsen meist nur mitspielen, um den dritten Platz zu erzielen. Doch leider gibt es im Raum NRW mehrere Bundesligamannschaften, von denen immer mal wieder einer der Spieler zum Einsatz kommt. Die Auslosung hatte ergeben, dass wir mit Niedersachsen und Hessen einen vermeintlich leichten Aufgalopp hatten und in der letzten Runde zum Endspiel gegen den NRW antraten. Dass Badens Landesturnierleiter Karl-Heinz Saffran natürlich die Parole ausgegeben hatte "Wir gewinnen haushoch!" ist übrigens ein immer wiederkehrendes Ritual, ebenso, dass der Badische Meister an Brett 1 den Wölfen zum Fraß vorgeworfen wird. Die Aufstellung der weiteren Bretter wird meist nach Elo-Zahl vorgenommen, so dass ich - trotz heftiger Proteste Hartmuts - vier Bretter vor meinem internen Konkurrenten zum Einsatz kam. Dass Hartmut - trotz meiner heftigen Proteste - überhaupt zum Einsatz kam, lag daran, dass ich erst sehr spät gefragt wurde und meinen Einfluss bei Saffran nicht mehr geltend machen konnte.

   Der Länderkampf begann wie erwartet, das heißt, wir fegten Niedersachsen mit 6,5:3,5 von den Brettern, wobei Hartmut und ich mit soliden Leistungen für volle Punkte sorgten. Ersterer zelebrierte ein schwieriges Endspiel recht souverän, während ich die Bauern meines Gegners vorlockte und eine tödliche Parade setzte. Den Parallelkampf gewann NRW noch deutlicher mit 7:3. Auch die Hessen sollten kein Problem sein. Schnell hatte ich einen Tempoverlust meines Kontrahenten ausgenutzt und Baden in Führunq gebracht. Meine Mitspieler legten fast alle nach - mit Schaudern erinnert man sich allerdings an Hubert Schuhs Partie, welche er mit einem glatten Mehrturm zielsicher in den Verlust führte. Hartmut steuerte ein Remis bei, wobei er allerdings Möglichkeiten auf mehr in Zeitnot ungenutzt verstreichen ließ. Am Schluss hatten wir erneut 6,5:3,5 gewonnen - und das war für die Hessen gewiss schmeichelhaft, während Niedersachsen überraschend gegen NRW mit 5:5 zu einem Mannschaftspunkt kam. Dies hieß, dass uns eine Punkteteilung reichte, doch unser aller Saffran hatte ein 7,5:2,5 als Ziel ausgegeben. Dies war dann allerdings zu optimistisch, denn schon schnell übernahm NRW das Kommando. Da nicht alle aus ihren Stellungen das Optimum heraus holten - Hartmut remisierte mit zwei Figuren für einen Turm in einer zwar komplizierten, aber für ihn besseren Partie - lag ein badischer Sieg nie in Reichweite, aber das Unentschieden hätte Herbrechtsmeier beim Stand von 4:5 sichern können, als er in einer Zeitnotschlacht seine bessere Stellung weg warf und völlig den Faden verlor, was zum Verlust führte. Meine Wenigkeit spielte in diesem Kampf die folgende Partie:











Dinstuhl - Gerstner
Vierländerkampf Osnabrück, 1993

1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 Sf6 4.Sf3 Sbd7 5.cxd5 exd5 6.Lf4 c6 7.e3 Sh5 8.Lg3 Le7 9.Ld3 0-0 10.Dc2 g6 Schwarz wartet mit dem Schlagen auf g3, bis sich Weiß entschieden hat, wohin er rochiert. Im Falle der langen Rochade muss Schwarz überhaupt nicht den Lg3 eliminieren und die h-Linie öffnen, sondern kann mit Sh5-g7 "dicht" machen. Rochiert Weiß kurz, so wird auf g3 ein Doppelbauer erzeugt und mit f7-f5 bzw. h7-h5 angegriffen. Deshalb ist 10..g6 besser als 10..h6. 11.Tb1 Sxg3 12.hxg3 Te8? Manchmal macht man völlig unerklärliche Dinge. Weiß rüstet sich zum Minoritätsangriff mittels b2-b4. Kann Schwarz diesen verhindern, so steht er mit dem Läuferpaar und dem geschwächten weißen Königsflügel etwas besser. [ Traurig ist dabei, dass dies mit 12...Ld6! 13.0-0 a6 klappt, da 14.a4 De7 15.Db3 Lxg3 einen Bauern gewinnt - wie ich vier Monate zuvor im Bundesligakampf gegen Bayern München meinem Gegner Schlosser nachgewiesen hatte!] 13.0-0 Ld6 14.b4 a6 15.a4 Nun ist der Minoritätsangriff voll im Gange und Schwarz steht vor dem großen Problem, was er dagegen unternehmen soll. 15...Sf6 Nach einer halben Stunde entschied ich mich für den Angriffsplan mit h7-h5 und Sturm über die h-Linie, wohl wissend, dass Weiß besser steht und Ungenauigkeiten einstreuen muss, damit Schwarz Erfolg haben kann. [ Der typische Gegenschlag 15...b5 16.axb5 axb5 17.e4! dxe4 18.Sxe4 Sb8 19.Sc5+- würde zu einer trostlosen Stellung führen.; 15...a5 16.b5 c5 17.Sxd5 kostet einen Bauern.; Und der thematische Gegenangriff 15...f5 16.b5 axb5 17.axb5 Sf6 18.bxc6 bxc6 19.Sa4+- wäre zu langsam wegen des schwachen Bc6.] 16.b5 cxb5! Statt der einen Schwäche auf c6 schafft sich Schwarz in den Bauern a6 und d5 zwei, aber der Bd5 ist nicht zu erobern, während ich den Ba6 notfalls im Sinne des Angriffs zu opfern gedachte. Wichtig ist, dass Weiß Zeit bei seiner Eroberung verliert und die Belagerung des Ba6 dauert länger als die des Bc6, weil a6-a5 möglich ist. 17.axb5 Lg4 18.bxa6 bxa6 19.Tfc1 Kg7 20.Da2? Ein Tempoverlust, da der Bd5 indirekt gedeckt werden kann. [ Besser war 20.Ta1 a5 ( 20...h5 wäre zu scharf: 21.Txa6 Txa6 22.Lxa6 Lxg3 ( 22...h4 23.Sxh4 Th8 24.Lf1 Dg8 25.f4 Dh7 26.Kf2+- ) 23.fxg3 Lxf3 24.gxf3 Dd6 25.Lf1 Dxg3+ 26.Dg2+- ) ] Nun kann Schwarz erste gefährliche Drohungen aufstellen. 20...h5! 21.Le2 [ 21.Sxd5? Lxf3 22.Sxf6 Dxf6 23.gxf3 h4 24.g4 Dxf3 25.De2 Dh3 26.f3 Lf4-+ ] 21...Lc7 22.Ta1 Th8 23.Dc2 [ 23.Lxa6? h4 24.Sxh4 Txh4 25.gxh4 Lc8 26.De2 Dd6 27.g3 Lxa6-+ ] 23...Lf5 [ Weniger gut gefiel mir: 23...Dd6 24.Se5 Lxe2 25.Sxe2 Tac8 26.Dd3 a5 27.Tc6 De7 28.Tac1+- ] 24.Dd1? Danach ist Schwarz nicht mehr zu stoppen. [ 24.Ld3 Lxd3 25.Dxd3 Dd6 hätte einen Angreifer abgetauscht, Zeit gewonnen und zu unklarem Spiel geführt.] 24...Sg4 25.Txa6 [ 25.Sxd5 Lxg3 26.fxg3 Dxd5 27.Tc3 Dd6 28.De1 Le4-+ ] 25...h4 26.gxh4 Weiß tappt nicht in die Falle: [ 26.Txa8 hxg3! 27.fxg3 ( 27.Txd8 gxf2+ 28.Kf1 Th1+ 29.Sg1 Txg1# ) 27...Lxg3! ; Auch 26.Sxh4 Txa6 27.Lxa6 ( 27.Sxf5+ gxf5 28.Lxa6 Th1+! ) 27...Txh4 28.gxh4 Dxh4 29.Dd2 Lg3! bietet keine Rettungschancen, zum Beispiel 30.fxg3 ( oder 30.Sxd5 Lxf2+ 31.Kf1 Dh1+ 32.Ke2 Dxg2 33.Sf4 Dh2-+ ) 30...Dh2+ 31.Kf1 Dh1+ 32.Ke2 Dxg2+ 33.Ke1 Dg1+ 34.Lf1 Dxg3+ 35.Kd1 Sf2+ 36.Ke2 Lg4+ ] 26...Txa6 27.Lxa6 Lh2+ 28.Kf1 Lg3! 29.Db3 [ 29.fxg3? Sxe3+ ] 29...Lxf2 30.Sd1 [ 30.Sxd5 Le4 31.Sc3 Lxf3 32.gxf3 Lxe3 33.Tc2 Df6 34.Le2 Txh4-+ ] 30...Lxh4 31.Lb7 Dd6! 32.Dxd5 Ld3+ 33.Kg1 Dg3 34.Da2 Verhindert 34..Df2+. 34...Lg5 Dies gewinnt "nur" einen Turm - und zwar auf recht komplizierte Weise, [ während das relativ einfache 34...Sh2!! das Matt forciert hätte: 35.Dd2 ( 35.Sxh2 Dxh2+!! 36.Kxh2 Lf2# ; 35.Sxh4 De1+ 36.Kxh2 Txh4# ) 35...Sxf3+ 36.Lxf3 Dh2+ 37.Kxh2 Lf2+ 38.Lh5 Txh5# Nur einmal bekommt man die Gelegenheit, ein solch schönes Matt zu geben und man sieht es nicht!] 35.Dd2 Sh2 36.Sxg5 [ 36.Dxd3 Sxf3+ 37.Lxf3 De1+ 38.Df1 Th1+ 39.Kxh1 Dxf1+ 40.Kh2 Lxe3-+ ] 36...Sf1! 37.Se6+ [ 37.Dxd3 Th1+ sah ich, nicht jedoch das obige Matt.] 37...fxe6 38.Tc7+ Dxc7 39.Dxd3 Th1+! Der Schlusspunkt dieser Kombination, welche doch wesentlich komplizierter war, als das Matt. 40.Kf2 Dg3+ Exakt bis zum Schluss, aber auch leicht bescheuert: Bei weniger als einer Minute Bedenkzeit für den letzten Zug nicht á Tempo den Lb7 zu schnappen und mit Mehrturm weiter zu spielen, sondern noch einen windigen Angriff durchzurechnen, rief bei meinen Mitspielern allgemeines Unverständnis hervor. Wehe, wenn ich mich verrechnet hätte! 41.Ke2 Sxe3 42.Dc3 [ 42.Sxe3 Te1+ 43.Kd2 Df2+ 44.Kc3 Txe3-+ ; 42.Sf2 Tf1 43.Dxe3 Te1+ 44.Kxe1 Dxe3+ 45.Kf1 Dc1+ nebst 46..Db2+ und 47..Dxb7.] 42...Txd1 43.Lf3 Sd5 44.Da5 Tb1
0-1



   Doch leider reichten Hartmuts und meine Leistung - wir waren die besten Einzelbretter Badens - nicht aus, um NRW in die Schranken zu weisen. Vom Parallelkampf weiß ich nur noch, dass die Hessen Niedersachsen schlugen, so dass die Schlusstabelle folgendes Aussehen hatte:
1 Nordrhein-Westfalen 5:1
2 Baden 4:2
3 Hessen 2:4
4 Niedersachsen 1:5

   Gesenkten Hauptes schlich also Saffran aus dem Turniersaal, denn es hatte wieder nicht gereicht. Während der Rückfahrt wurde auch über die Konsequenzen gesprochen, hatten sich doch nicht alle Spieler an die Mannschaftsorder - die bekanntlich 7,5:2,5 gelautet hatte - gehalten. Hier brachte ich natürlich den Namen Metz ins Gespräch. Wie, so fragte ich unseren Landesturnierleiter, soll Baden erfolgreich sein, wenn ein gebürtiger Schwabe in seinen Reihen mitspielt? Dies leuchtete ihm ein, und so darf man auf die nächste Nominierung von Hartmut sehr gespannt sein. Wie meinte jener? Es sei leichter, in der deutschen Nationalmannschaft ein Brett zu erhalten als in der badischen. Sprach's und seufzte tief.


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