Badischer Schachkongress |
Rochade Express, Nr. 62, Seite 11, "Badischer Schachkongress"
von Wolfgang Gerstner
Unter schlechteren Sternen hätte der Kampf um die Badische Meisterschaft nicht stattfinden können, und das, obwohl ich mich nach zwei Jahren schwäbischer Abstinenz sehr auf dieses kleine Festival gefreut hatte. Doch abgesehen von dem Stress meiner Diplomarbeit, die ich um einen Monat in den März hinein verlängern musste, so dass eine gezielte Vorbereitung unmöglich gemacht wurde, war insbesondere die Frage der Unterkunft der Grund meiner Misstimmung. Ursprünglich hatten mit Michael Hoffmann, Christian Dettweiler, Bernd Geiger, Joachim Kick und mir fünf hier ansässige größeres Interesse angemeldet, mit anderen badischen Koryphäen in den 64-feldrigen Ring zu steigen, doch von Michael hörte man überhaupt nichts mehr, Christian legte sich Mitte März einen Computer zu, so dass seine finanziellen Aufwendungen für dieses Quartal gedeckt waren, und in Bernds Haus wurde plötzlich alles krank, weshalb er weitgehend allein den Weißen Sonntag seiner Schwester vorbereiten sollte. Damit blieben noch Jogi und ich übrig, weshalb wir die beabsichtigte Ferienwohnung streichen konnten und in der Kürze der verbliebenen Zeit auch die Suche nach einem geeigneten Quartier aufgaben. Dies bedeutete, dass wir zwischen Rastatt und Hockenheim pendeln mussten, was bei 75 Kilometern Fahrt, Rundenbeginn teilweise um 8 Uhr und Doppelrunden nur nach in den totalen Stress ausartete.
Man stelle sich nur die ersten fünf Runden vor: Am Freitag um 22 Uhr Ankunft, Samstag 6 Uhr aufstehen, 8 Uhr 1. Partie, 15.30 Uhr 2. Partie, 22.30 Uhr Ankunft, Sonntag 8 Uhr aufstehen, 22.30 Uhr Ankunft, Montag 6 Uhr aufstehen. Dazwischen wurde fast ausschließlich Schach gespielt bzw. analysiert. Im Gegensatz zu den meisten Gegnern hatten wir einen Mehraufwand von anderthalb Stunden pro Tag, und das verkraftet man so leicht nicht. Dementsprechend schwankend bis schlecht war meine Partieanlage, was dazu führte, dass mir nur zwei gute Partien gelangen. Dass dies dennoch zum geteilten ersten Platz reichte, lag zum einen am relativ schwach besetzten Feld und zum anderen am fehlenden Kampfgeist einiger Spieler, die eine wirklich gute Chance vorüberziehen ließen. Das Feld war übrigens nicht in der Spitze schwach, mit Panzalowitsch, Schmidt-Schäffer und mir hatten wir drei starke Favoriten, mit Pfrommer, Vatter und Herbrechtsmeier drei formabhängige, aber nicht ungefährliche Spieler, aber dann kam der große Bruch: Wenn es gut laufen würde, so dachte ich vorher, würden Hauke, Schneider und Bossert um den Anschluss ans Mittelfeld kämpfen, aber Kountz, Wind und Max Scherer fielen doch enorm ab.
Doch nun der Reihe nach. Gleich in der ersten Runde hatte ich mit Christian Bossert jemanden gezogen, der noch eine Rechnung mit mir offen hatte, nachdem ich ihn im letzten Jahr in Baden-Baden in elf Zügen auseinander genommen hatte (das Ende folgte damals wenig später). Wie bedenklich meine Form war, zeigt die folgende Stellung:
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Gerstner - Bossert
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Panzalowitsch hatte in der ersten Runde Schmidt-Schäffer vom Brett gefegt, was ihn in meinen Augen zum Favoriten stempelte, und war auch gleich mein nächster Gegner. Diese Partie war eine sehr mysteriöse Angelegenheit, denn wir glaubten beide, dass er besser stand, konnten dies aber auch in der Analyse nicht nachweisen. Schließlich stand ich leicht besser, konnte aber nichts entdecken und einigte mich auf Remis. In Runde drei kam mit Lutz Wind von Chaos Mannheim der DWZ-schwächste ans Brett. Aber am Morgen hatte auch er Schmidt-Schäffer geschlagen. Dadurch gewarnt, spielte ich vorsichtig, aber nur, solange er in der Theorie blieb. Danach stand ich hoch überlegen und quetschte ihn wunderbar zusammen, doch verzichtete ich zweimal auf einen Bauerngewinn, um ihm kein Gegenspiel zu erlauben - dies war blödsinnige Spielführung, zumal er nur optisch schlecht stand:
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Wind - Gerstner
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Die nächste Partie legte Christoph Herbrechtsmeier ab dem ersten Zug auf Remis an, und mir gelang es trotz klarem Raumvorteil nicht, seinen Belagerungsring zu sprengen. Dafür schaffte dies gleich in der nächsten Runde Hajo Vatter, dessen Qualitätsopfer ich völlig falsch berechnete und meine Stellung aus den Angeln hob. So fand ich mich mit 3/5 in der Spitzengruppe wieder, denn Panzalowitsch hatte gegen Bossert verloren. Mit letzterem und Christian Hauke lagen zudem zwei Spieler mit in Front, die durch starkes Spiel überrascht hatten. Den absoluten Tiefpunkt hatte ich jedoch in Runde sechs, als ich Jochen Kountz in zehn Zügen vom Brett fegte, dann jedoch in einer Stellung, von der Jochen meinte, dass jeder meiner Züge zum Matt führt, Verteidigungszüge entdeckte, an die mein Kontrahent nicht im Traum gedacht hätte. So büßte ich nicht nur meinen Zeitvorteil von 75 Minuten ein, sondern brach meinen Angriff ab. Am Schluss hatte ich sogar das Glück, dass Jochen mir ein Remis offerierte.
Deutlich gezeichnet vom harten Kampf ging es in die zweite Doppelrunde, wie immer meine Stärke, da dort viele Spieler gerne remisieren, um Kräfte zu sparen, während ich gerade dann um jeden Millimeter ringe. So auch diesmal, denn mit Max Scherer, den ich im ungleichfarbigen Läuferendspiel mit Mehrbauer bis zu seinem Ende über sechs Stunden hinweg quälte, und Bernd Schneider besiegte ich zwei Kämpfertypen. Dabei war mein Lieblingsgegner völlig von der Rolle, und es ergab sich folgende Stellung:
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Gerstner - Schneider
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Offenbar war auch Christian Hauke langsam mit seinen Kräften am Ende, denn nach 5/8 blieb er bis zum Schluss bei diesem Ergebnis stehen. Dies war der Anfang seiner Tragödie:
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Hauke - Gerstner
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Mit diesen drei Siegen in Folge hatte ich mich urplötzlich auf den alleinigen ersten Platz vorgeschoben und einen Punkt Vorsprung vor Panzalowitsch, der noch gegen Schneider verloren hatte, Herbrechtsmeier und Pfrommer. Gegen letzteren, meinen Männschaftskapitän, ging es in der vorletzten Runde, und nach 22 Zügen reichten wir uns die Hände zum Remis, als wir uns in einem reinen Schwerfigurenendspiel wiederfanden. So recht zu kämpfen getraute sich keiner von uns beiden. Da Panzalowitsch gegen Hauke gewann - im übrigen sein dritter Gegner in Folge, der eine Figur einstellte, was über das Niveau alles aussagt, hatte ich noch einen halben Zähler Vorsprung. Ich nahm an, dass Panzalowitsch mit Schwarz gegen Pfrommer nicht würde gewinnen können, so dass mir ein Remis zum Titel reichen würde. Diese Mutmaßung bestätigte sich auch, denn Pfrommer überfuhr seinen Kontrahenten ganz fürchterlich. Auch Herbrechtsmeier gewann gegen Schneider, so dass die beiden mit sieben Zählern vorne lagen. Ich selbst versiebte jedoch meine große Chance im 37. Zug:
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Schmidt-Schäffer - Gerstner
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Somit teilen sich in diesem Jahr drei Personen den ersten Platz, und ein Stichkampf im Juni oder Juli wird erst darüber entscheiden, wer als badischer Champion zur deutschen Meisterschaft fährt. Einen halben Zähler hinter uns kamen Panzalowitsch und Vatter ins Ziel, dahinter rettete sich Schmidt-Schäffer gerade noch vor dem Abstieg. Also das erwartete Ergebnis, da die sechs Schwächeren absteigen müssen? Nicht ganz, denn Bossert und Hauke hatten großes Pech. Lange in der Spitzengruppe dabei, fielen beide in den letzten drei Runden zurück, indem sie gute Chancen ausließen. Sehr häufig entscheiden bei solch einem langen und harten Turnier die Kondition und damit gerade die Schlussrunden. Oder, wie bei mir, die Doppelrunden, in denen ich mit 3,5/4 die Hälfte aller meiner Punkte holte und meine Kontrahenten genau dann nieder kämpfte, als sie sich schonen wollten. Aber, wie schon eingangs erwähnt, unter den miserablen Umständen war nicht mehr zu erwarten gewesen.