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So etwas passiert eben

Routine


Rochade Express, Nr. 66, Seite 24f, "So etwas passiert eben"
von Hartmut Metz

   Woher den achten Mann nehmen und nicht stehlen? Fast schon mit dem letzten Aufgebot wollten wir in der zweiten Runde des mittelbadischen Mannschaftspokals bestehen. Gegen Iffezheim musste es auch so reichen. Zumindest wollten wir aber mit acht Leuten antreten. Bei meiner hektischen Suche am Freitag fand sich jedoch keiner: Die einen hatten keine Lust, die anderen keine Zeit und die letzten waren nicht zu erreichen. Kurz vor 18 Uhr rief ich folglich Ralf Großhans an, obwohl es mir schon fast so schien, als ob wir mit seiner Fahrt aus Lahr mit Kanonen auf Spatzen schießen wollten. Ralf war trotzdem dazu bereit, so dass endlich das Oktett komplett war.

   Bis kurz vor Abfahrt verschlang ich die Erinnerungen "Aus erster Hand" des niederländischen Schach-Journalisten Jules Welling. "Während des Interpolisturniers 1987 wurde ich von den Organisatoren des Sonnevanckturniers aus Wijk aan Zee angerufen, das ausgerichtet worden war, jungen Spielern zu Meisternormen zu verhelfen. Man war in Panik geraten, weil der rumänische Meister Julius Armas nicht rechtzeitig angekommen war und das ganze Vorhaben ins Wasser zu fallen drohte, weil zu wenig Titelträger übrig blieben. Ob ich nicht innerhalb von 24 Stunden einen Meister aus dem Armel schütteln könnte?

   Nun, so kurzfristig war das nicht einfach. Darüber hinaus waren die gebotenen Bedingungen, um es euphemistisch zu formulieren, etwas dürftig. Der jugoslawische Meister Zdenko Krnic lief im Presseraum als Vertreter des Schach-Informators herum. Zunächst fragte ich ihn, aber er dankte höflich für die Ehre. Seine Arbeit ginge vor.

   Weil es in Hinsicht auf die Titelnorm unbedingt ein Ausländer sein sollte, gab es wenig Auswahl. Ich blätterte mein Adressbüchlein durch und entdeckte eigentlich nur einen Namen, der in Betracht kommen konnte. Und da brauchte ich auch noch ein wenig Glück. Heikki Westerinen. Telefonisch klärte ich, ob man auch mit einem Großmeister einverstanden sei. Das könnte zwar teurer werden, aber ich bekam grünes Licht und machte mich an die Arbeit.

   Aus früheren Gesprächen mit Heikki wusste ich, dass seine Freundin in Belgien wohnte. Er hatte mir erzählt, dass er in turnierfreien Zeiten häufiger bei ihr als in Helsinki war. Daraufhin wagte ich es abends gegen zehn Uhr, die Nummer in Belgien zu wählen. Ich hatte das Glück, das ich erhofft hatte: Heikki war tatsächlich dort. Ich erklärte ihm die schwierige Situation in Wijk aan Zee. Ob er am nächsten Tag um 13 Uhr da sein könnte, um völlig unvorbereitet am Turnier teilzunehmen? Er sprach kurz mit seiner Freundin und sagte zu. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Als ich fragte, ob er etwas über die Bedingungen wissen möchte, meinte er nur, dass er die gleichen Bedingungen akzeptiere, die für denjenigen galten, an dessen Stelle er jetzt spielen würde. Er war der Retter in der Not, ich dankte ihm überschwänglich. In Triumphstimmung rief ich in Wijk aan Zee an: Einen Großmeister hätte ich ausfindig machen können, das Turnier könne stattfinden und es würde nicht einmal etwas extra kosten. Der Dank war überwältigend. Einige Stunden später - es war schon weit nach Mitternacht - wurde ich aus dem Hotel ans Telefon angerufen: Wijk aan Zee. Julius Armas war doch angekommen, Heikkis Teilnahme somit übertlüssig. Ich war wütend. So ging es nicht, vor allem dem großzügigen Finnen gegenüber. Sie sollten selbst sehen, wie sie das lösten.

   Während der Olympiade 1988 in Thessaloniki sah ich Heikki wieder. Ich entschuldigte mich wortreich, aber das war gar nicht nötig. "So etwas passiert eben", meinte er. Was soll's - ein Drink als Ausgleich, und alles war wieder im Lot."

   Welch Duplizität der Ereignisse: Mitten in dieser Geschichte klingelte das Telefon, und Alexander Hatz teilte mir mit, die Iffezheimer hätten soeben den Pokalkampf abgesagt! Geistesgegenwärtig hatte er nach Erhalt dieser Nachricht sofort versucht, Ralf Großhans zu Hause zu erreichen - doch vergebens, unser Mann war bereits unterwegs gen Iffezheim. Nach kurzer Verärgerung über die späte Absage der sonst so zuverlässigen Iffezheimer beschlossen wir, Ralf als kleinen Ausgleich für seine einstündige Fahrt ins Kino einzuladen. Also auf nach Iffezheim, um Ralf dort abzupassen. Herausgeputzt (Krawatte etc.) entstieg er im Renndorf seinem Fahrzeug, vernahm gelassen die Nachricht und freute sich, sogleich zu einer Party, die er extra wegen uns später besucht hätte, fahren zu können. Frei nach Westerinens Motto: "So etwas passiert eben!"

   Um das ganze Theater ad absurdum zu führen: So schlecht war die Absage der Iffezheimer gar nicht. Hätten sie nämlich gespielt, wären wir ziemlich dumm dagestanden. Aus irgend einem Grund glaubten wir, ein Auswärtsspiel zu haben. Wir hätten also in Iffezheim auf den Gegner gewartet und der in Kuppenheim auf uns. Angeblich sollen wir in der dritten Runde in Bühlertal spielen ...

   Zum Pokalauftakt hatten wir uns mit Ottenau gemessen. An die einzelnen fünf Gewinnpartien kann ich mich - abgesehen von meinem leichten Erfolg - gar nicht mehr erinnern. Dafür hatten es die Minuspunkte bei dem 5:3 Sieg in sich. Markus Hirn stand gegen Volker Neuwald ganz ordentlich, traute sich jedoch wenig zu, was zu einem Desaster führte. Ralf Gantner verpasste in Zeitnot günstige Fortsetzungen und verpatzte anschließend das remisträchtige Endspiel gegen Ottenaus besten Spieler, Marin Baraba. Die Krönung vollzog jedoch Alexander Hatz. Erst mühte er sich lange Zeit ge,gen Martin Berganski (etwa 500 DWZ schlechter), dann stand er doch auf Gewinn - nur, um die Partie in Zeitnot wegzuwerfen. Glück, dass sein Kontrahent auch den Überblick verlor, aber clever genug war, ein Damenendspiel zu remisieren.


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