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Die Suche nach den Wendepunkten

Routine


Rochade Express, Nr. 67, Seite 12ff, "Die Suche nach den Wendepunkten"
von Harald Fietz

   Jeder weiß sicher aus eigener Erfahrung, dass die wenigsten Schachpartien in einer logischen Abfolge verlaufen, bei der ein in der Eröffnung oder dem Mittelspiel erzielter Vorteil konsequent in einen Sieg umgewandelt wird. In der Regel wechselt das Spielgeschehen hin und her, und nicht selten trifft Tartakowers Bonmot zu, dass "der vorletzte Fehler gewinnt". Untersucht man eine Partie genauer, so kommt es neben der Analyse von konkreten Varianten auch darauf an, jene Phasen zu beleuchten, an denen sich die Position verändert. Jussupow führt hierzu aus: "Vor allem muss man die Wendepunkte finden. Wo traten Fehler auf, änderten sich Stellungsbewertungen oder blieben Chancen ungenutzt, die Situation auf dem Brettjäh zu verändern." [1]

   Unter dieser Prämisse möchte ich eine Partie untersuchen, die ich letzten November beim Badenweiler Open gespielt habe. Mein Gegner war Thomas Thiel, der früher bei den KSF gespielt hat, und der inzwischen in der zweiten Bundesliga West bei Dortmund Brackel spielt und mit einer Elo-Zahl von 2320 zu Buche stand. Die Begegnung fand in der sechsten Runde statt und war somit für uns beide nach einem Start mit 3,5 aus 5 wichtig. Die Analysen habe ich erst später in Berlin angefertigt, da ich nach der Partie einerseits zu sehr über mein schwaches Spiel in der Eröffnung enttäuscht war und andererseits am nächsten Tag eine Doppelrunde anstand, die bereits zu unchristlicher Zeit um 8 Uhr begann. Zur Analyse bin ich in drei Schritten vorgegangen. Zuerst ohne Computer in Handarbeit, dann parallel zum Eingeben in ChessBase mit dem Analyse-Modul und schließlich eine Kontrolle mit Genius 3 auf einem 486er l66MHz.











Fietz - Thiel
Badenweiler Open 1994

1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 Sf6 4.Sc3 e5 5.0-0 An dieser Stelle sollte Weiß auf c6 nehmen und nach dem Schlagen mit dem d-Bauern entweder 6.d3 oder Se5 spielen. Mit dem Rochieren ist bereits ein neuer Eröffnungsweg beschritten. Rückblickend kann hier bereits von einem ersten Wendepunkt gesprochen werden, da ich nicht mit den Abspielen dieser selten gespielten Variante vertraut war und entsprechend improvisieren musste. 5...d6 6.h3 Le7 7.Te1 0-0 8.Sd5?! Die zweite kritische Stelle in der Eröffnung. Ich erinnerte mich dunkel, dass Fischer in seinem Match mit Spasski 1992 den Springer nach d5 stellte. In dieser konkreten Variante ist diese Idee jedoch fehl am Platz, da Schwarz leicht den schwachen Bauern attackieren kann. Besser ist es daher, die Entwicklung normal fortzusetzen, obwohl hiermit kein Eröffnungsvorteil erreicht werden kann: [ 8.d3 Db6 ( 8...a6 9.Lc4 b5 10.Lb3 Lb7 11.Sd5 Sa5 12.Ld2 Sxb3 13.Sxe7+ Dxe7 14.axb3= ) 9.b3 Sd4 10.Lc4 Le6 11.Sd5 Sxd5 12.Lxd5 mit ausgeglichenem Spiel.] 8...Sxd5 9.exd5 Sb8 Diesmal muss Schwarz eine prinzipielle Entscheidung treffen. Neben dem Rückzug, der vergleichbar auch in einigen Abspielen des Sweshnikov-Systems vorkommt, standen zwei Optionen zur Verfügung. [ Zum einen 9...Sb4 10.Lc4 e4! und nach diesem überraschenden und starken Bauernzug sollte Schwarz eine gute Stellung erhalten entweder mit 11.Txe4 ( oder mit 11.Sh2 f5 12.d3 exd3 13.Lxd3 Lf6 14.c4 Te8 15.Txe8+ Dxe8 16.Lb1 b5 17.a3 Sa6 18.cxb5 Dxb5=/+ ) 11...Lf5 12.d3 ( 12.Te2 Sxc2 13.Tb1 Sd4 14.Sxd4 Lxb1 15.Sb5 a6 16.Sc3 Lg6-+ ) 12...Lxe4 13.dxe4 Da5-+ ; Die andere Variante mit dem Springerzug nach d4 ist weniger gefährlich für Weiß: 9...Sd4 10.Lc4 Lf5 11.d3 Dd7 12.Sxd4 cxd4 13.Ld2 Tac8 14.Df3 Tc7=/+ ] Die Initiative ist jeweils an Schwarz übergegangen. 10.c3 Weiß verfolgt immer noch den nicht mehr zu realisierenden Plan einer günstigen Öffnung des Zentrums mittels d4. Angebracht war an dieser Stelle eine Blockierung des Zentrums: [ 10.c4 Lf5 11.d3 a6 12.La4 Sd7 13.Lxd7 Dxd7 14.Db3 b5 ( 14...Tfb8 15.a4= ) 15.Ld2 Tfb8 16.Dc3 Tb6 17.b3 ] Jetzt kommt Schwarz sofort dazu, einen typischen Bauernsturm einzuleiten. 10...f5 11.d3 Kh8 Mit dem Königszug legt Schwarz seine Karten offen. Eine alternative Strategie konnte mit einem aktiven Spiel am Damenflügel verfolgt werden, obwohl dies Weiß gewisse Chancen auf Gegenspiel eingeräumt hätte: [ 11...a6 12.La4 b5 13.Lb3 Sd7 14.Ld2 Lb7 15.a4!? ( 15.c4 bxc4 16.dxc4 e4 17.Sh2 Lf6 18.Dc2 Se5 19.Te2 Sd3 20.Tb1=/+ ) 15...bxa4 16.La2 Lf6 17.Tb1 Sb6 18.c4 Tb8 19.La5 La8 20.Lxb6 Dxb6 21.Dxa4 Tf7 22.Te2 Tfb7 23.Da3 und der Ausgang ist unklar.] Zwar hat Schwarz jetzt ein konkretes Aktionsfeld, den Königsflügel, gewählt, jedoch überlässt dies dem Weißen den Damenflügel als Aufmarschfeld. Wie der spätere Spielverlauf zeigt, ist die Einschätzung der wechselseitigen Spielchancen auf entgegengesetzten Flügeln das entscheidende Element, um die eigenen Angriffsmöglichkeiten ausloten zu können. 12.a3 g5 13.Sh2 Weiß muss bereits prophylaktische Maßnahmen ergreifen. Die beiden anderen Sicherungszüge gefielen mir noch weniger als der seltsame Springerzug, der die Möglichkeit einer Verteidigung mit einer Überführung nach fl oder e3 zulässt, ohne derzeit den Aktionsrahmen des Lcl zu beschneiden: [ 13.Sd2 g4 14.hxg4 fxg4 15.b4 cxb4 16.c4 ( 16.cxb4 Db6 17.Lc4 Dxf2+-+ ) 16...bxa3 17.Txa3-+ ; 13.c4 Lf6 ( 13...g4 14.hxg4 fxg4 15.Sd2 a6 16.La4 b5 17.cxb5 axb5 18.Lxb5~~ ) 14.La4 Tg8 15.Sh2 Sd7 16.Ld2=/+ ] Zieht man nach dem skurilen Springerzug eine Zwischenbilanz, so bleibt festzuhalten: Erstens, die Eröffnungsphase ist zugunsten von Schwarz verlaufen, der einen Bauernsturm nach königsindischem Muster plant. Aus diesem Grund wird er jetzt nicht mit 13..Ld7 14.Lxd7 Sxd7 15.c4 den Läufer abtauschen wollen. Zweitens, die Chancen von Weiß liegen in einer Öffnung der b-Line und möglicherweise einem Gegenspiel auf der Diagonalen al-h8, falls e5 geknackt werden kann. Drittens, einem Angriff von Schwarz kann Weiß im Moment wenig entgegensetzen, falls er sich nicht völlig auf eine Verteidigung beschränken will (siehe Variante Zug 18). 13...Sd7 14.Lxd7 Lxd7 15.b4 [ Wenig aus weißer Sicht verspricht 15.c4 Lf6 16.a4 Tg8 17.Ld2 g4 18.hxg4 fxg4 19.Sf1 Lh4 20.Te2 g3 21.fxg3 Lxg3 22.Sxg3 Txg3 23.Db3 b6 24.Tf1 Dh4-/+ ; oder 15.d4 cxd4 16.cxd4 e4 17.Db3 b6 18.f3 exf3 19.Sxf3 Lf6 und Schwarz ist am Drücker.] 15...b6 16.De2 Lf6 17.Ld2 De8 18.Sf1 Df7 Dieser Zug ist ein Zeitverlust. Schwarz sollte direkt zum Angriff übergehen, da die Dame ohnehin auf g6 am effektivsten stehen würde: [ 18...f4 19.bxc5 bxc5 20.Tab1 Dg6 21.Tb3 g4 22.hxg4 Lxg4 23.f3 ( 23.De4 Lf5 24.Df3 Lxd3-+ ) 23...Lh3 24.Sh2 Tg8 25.Sg4 Lxg4 26.fxg4 Dxg4 27.Dxg4 Txg4 28.Te2 Tg3 29.c4 Tag8 30.Kh2 mit schwarzer Initiative.] 19.c4 h5 [ Interessant wäre 19...g4 20.hxg4 fxg4 21.bxc5 bxc5 22.Tab1 Lh4 23.Se3 mit unklarem Ausgang.] Ich glaube, mein Gegner fühlte sich an dieser Stelle zu sicher, da seine Stellung - zumindest optisch - sehr gut aussieht. Allerdings sind seine nächsten Züge nur Reaktion statt Aktion, was als ein Indiz für eine sich ändernde Stellung eingestuft werden kann. 20.bxc5 bxc5 21.Tab1 Tab8 22.La5 Txb1 23.Txb1 Lc8 24.Db2 f4 [ Die Alternative mit 24...e4 verspricht wenig. 25.Lc3 exd3 ( 25...Lxc3 26.Dxc3+ Kh7 27.Dd2 Dg6 28.Tb3= ) 26.Dd2 Lxc3 27.Dxc3+ Df6 28.Dxd3 f4 29.Df3 g4 30.hxg4 hxg4 31.De2 Kg8 32.Db2 und Weiß hat Gegenspiel.] 25.Db8 Die zweite Zwischenbilanz fällt aus weißer Sicht schon günstiger aus: Erstens, Weiß hat am Damenflügel Gegenspiel erhalten. Zudem geht eine Aktivierung der weißen Figuren mit Angriffen auf die schwarzen Schwächen (a7, d6) einher. Das Spielfeld ist nunmehr in zwei Hälften unterteilt, wobei jede Seite ihre Figuren am jeweiligen Flügel konzentrieren will. Dies deutet eher darauf hin, dass ein Gleichgewicht der Stellung von keiner Seite angestrebt wird. Zweitens, sollte dem Eindringen der Dame auch der Turm folgen, so sind zwei unterschiedliche Verhaltensweisen von Schwarz denkbar. Einerseits könnte er sich auf Deckung besagter Schwächen beschränken, was aber ein Remis sichern würde. Andererseits wird er für einen Angriff am Königsflügel seine Figuren von Deckungsaufgaben abziehen müssen, wodurch Weiß gegebenenfalls Chancen auf ein Dauerschach oder einen Angriff erhält. Dies wird dadurch erleichtert, dass der schwarze König keine Bauern mehr als Schutz hat. An dieser Stelle muss zusätzlich noch angemerkt werden, dass Schwarz bereits eine ungünstigere Zeit hatte (Weiß: 0:58; Schwarz: 1:38; Zeitkontrolle nach 40 Zügen und zwei Stunden). Zusammenfassend ist aufgrund dieser Faktoren zu erwarten gewesen, dass Schwarz den unmittelbaren Durchbruch suchen wird, da er diesen Plan schon seitdem 10. Zug verfolgt hat. 25...f3 [ Genauer war 25...Le7 26.Dxa7 f3 27.g3 Lxh3 28.Tb7 Te8 29.Se3 Df8 ( 29...h4 30.g4 Df8 31.Da6 Ta8 32.Db5= ) 30.Lc7 Ta8 31.Dxa8 Dxa8 32.Tb8+ Dxb8 33.Lxb8 Ld7 allerdings mit nur geringem Vorteil für Schwarz.] 26.g3 [ Zu tollkühl und auch nicht notwendig ist 26.Dxd6 fxg2 27.Se3 Lg7 28.Le1 Lxh3 29.Dxc5 obwohl die Sache längst nicht klar ist.] 26...Dd7 [ Jetzt heißt es schon Sekt oder Selters, da 26...Le7 27.Dxa7 Lxh3 28.Se3 De8 29.Tb7 Lf6 30.Lc7 Dd7 ( 30...Lc8 31.Lxd6 Lxb7 32.Lxf8 Dxf8 33.Dxb7+- ) 31.Lb8 Dd8 32.Th7+ Kg8 33.Lc7 Da8 34.Lxd6 zu einer nicht mehr verteidigsfähigen Stellungsruine führt.] 27.Dc7 Dxh3 28.Se3 h4 Spätestens hier musste Schwarz einen Gang zurückschalten. [ Mit 28...Dd7 29.Dxd7 Lxd7 30.Tb7 Tf7 31.Txa7 Kg7 32.Lc3 Lh3 33.Ta6 Le7 34.Kh2 Lc8 35.Ta8 Ld7 36.Ta7 konnte eine Stellung aufgebaut werden, auch wenn Weiß den schönen Freibauern auf der a-Linie hat.] 29.Dxd6 Lg7 [ Ebenfalls keine Hoffnung verspricht 29...Tf7 30.g4 Lxg4 31.Ld8! Kg7 ( 31...Lxd8 32.Dxd8+ Kh7 33.Tb8 Tg7 34.De8+- ) 32.Lxf6+ Txf6 33.Tb7+ Tf7 ( 33...Kg6 34.De7+- ) 34.Dxe5+ Kg6 35.Txf7 Kxf7 36.Dxg5 Ld7 37.Df4+ Kg8 38.Dc7 und der materielle Vorteil entscheidet zugunsten von Weiß.] 30.g4 Tf4? Ein Blackout mit beginnender Zeitnot. Schwarz spielte diesen Zug sehr schnell und energisch, da es aus seiner Sicht der "coup de grace" sein sollte. Angemerkt werden sollte, dass ich meine Züge ebenfalls recht schnell spielte, um meinem Gegenüber keine Atempause zu gönnen. So betrug mein Zeitverbrauch von Zug 20 bis Zug 33 nur 20 Minuten. [ Selbst der von SF Thiel kurz nach der Partie angegebene Sicherungszug mit dem König reicht nicht mehr aus: 30...Kh7 31.Dxc5 Lxg4 32.Tb7 ( 32.Dxa7 Tf4 33.Tb7 Ld7-+ ) 32...Tg8 ( 32...Tf4? 33.Dc7 Ld7 34.Dxd7+- ; 32...Lc8 33.Dxf8 Lxb7 34.De7 Lc8 35.Dxg5 Ld7 36.Lc3+- ) 33.Txa7 Lf5 34.Lc3 Kh6 ( 34...Kh8 35.De7+- ) 35.Dd6+ Kh5 36.Dc7 Lg6 37.Lxe5 mit Gewinn.; Ebenso unzulänglich ist 30...Lxg4 31.Tb8 Txb8 ( 31...Kg8 32.Txf8+ Lxf8 33.Dg6+ Lg7 34.Dxg5 Lc8 35.Lc3 Kf7 36.Dh5+ Kf8 37.Lxe5 Lxe5 38.Dxe5+- ) 32.Dxb8+ Lc8 33.Dc7 Lf5 34.Lc3 Kg8 ( 34...g4 35.Lxe5 ) 35.Lxe5 Lxe5 36.Dxe5 Lxd3 37.Dxg5+ Kf7 38.Df4+ Kg7 39.Dc7+ Kg6 40.Dxc5 und wiederum sichert der materielle Vorteil den Gewinn.] In der Partie und auch unmittelbar danach waren wir beide der Auffassung, dass ich hier Glück gehabt hätte. Nüchtern betrachtet, hat Weiß jedoch seit dem 25. Zug keine Probleme mehr. Häufig kommt es allerdings vor, dass Stellungsbeurteilungen aus früheren Partiephasen latent die nachfolgenden Variantenberechnungen beinflussen. In dieser Partie wird Schwarz seine Angriffschancen gleichbleibend hocheingeschätzt haben, zumal Weiß keine zusätzliche Figur zur Verteidigung abstellte. Daher vielleicht auch der impulsive, vermeintliche Gewinnzug. 31.Dd8+ Kh7 [ reicht auch der Rückzug nicht mehr aus, da nach 31...Tf8 32.Dxg5 Kh7 33.Dh5+ Kg8 34.Lc3 die Schwächen sichtbar sind und die schwarze Dame patt gestellt ist.] 32.Dxc8 e4 In Zeitnot beabsichtigt Schwarz möglicherweise, den Springer auf e4 durch den Läufer zu beseitigen. [ Eine Verteidigung ist bereits aussichtslos: 32...Tf7 33.De8 Tf6 34.Dh5+ Th6 35.Dxg5 Tg6 36.Dh5+ Th6 37.Df5+ Tg6 38.Tb7 ] 33.dxe4 [ 33.dxe4 Es verliert nunmehr: 33...Kh6 34.Ld8 Tf8 35.De6+ Kh7 36.Lxg5 Der Läufer kann natürlich nicht wegziehen, da sonst der Turm mit Schachgebot eingreift.] 1-0



   Blicken wir nochmals auf die Wendepunkte dieser Partie zurück, so sind folgende Aspekte hervorzuheben. Nach der verpatzten Eröffnung ging die Initiative an Schwarz über. Dieser musste allerdings zur Massierung seiner Kräfte am Königsflügel den Damenflügel vernachlässigen. Aufgrund der räumlichen Überlegenheit am Königsflügel leistete Schwarz sich den Luxus, mit dem Damenzug nach f7 und dem Bauernzug nach h5 seinen Angriff vorzubereiten. Da die weißen Aktivitäten mit Öffnung der b-Linie und der Positionierung der Dame auf der geöffneten Linie zunächst wenig gefährlich aussahen, schätzte er ein, dass hierfür genügend Zeit vorhanden sei. Nach dem Läuferrückzug nach c8 hat Weiß jedoch ein dynamisches Gleichgewicht erreicht. Mit dem 26. Zug f3 mißachtet Schwarz diesen Umstand. Nachfolgende Züge wie 28..h4 und der fehlerhafte Turmzug bestätigen dies.

   Dies unterstreicht, wie diffizil es sein kann, signifikante Wendepunkte in einer Partie zu erkennen. Hartston und Wason erklären das Auftreten solcher Schwierigkeiten wie folgt: "The conflict here is between intuition and cold logic. A chess player's thoughts are rarely convergent processes, leading inexorahly to the move which must be played. Far more often, they involve a process of exploration, which at some stage suggests a move which one wants to plav." [2] In Anlehnung an sowjetische Untersuchungen aus den 20er Jahren verorten sie drei wesentliche Gründe, warum solche Fehler auftreten können:

  1. Ein Mangel an Konzentration, d.h., ein Spieler versucht, seinen Vorteil mit "natürlichen" Zügen ohne vertiefendes Gegenchecken zu erzielen. Solche Züge werden in der Regel gespielt, wenn eine "Krise" in der Partie vorbei ist. In der gezeigten Partie war dies aus schwarzer Sicht die Eröffnungsphase. Zumeist wird dies aber in der Zeitnot passieren oder wenn man einen deutlichen Vorteil herausgespielt hat. Auch dies trifft auf die Partie zu.
  2. Das Bestreben, ein forciertes Abspiel durchzuführen, d.h., das einmal anvisierte Ziel soll auch verwirklicht werden. Die Autoren nennen dies "blunder in pursuit of brilliancy ". Ein solcher Fehlgriff wurde in der Partie dadurch erleichtert, dass jede Seite an "ihrem" Flügel ungehindert walten konnte. Das Gegenspiel wird dabei unterschätzt. Prosaisch wird dies von Hartston und Wason umschrieben: "The main road is so brightly lit that one becomes blind to side tumings." [3]
  3. Die häufigste Fehlerursache ist jedoch die fehlerhafte Perzeption der gegenwärtigen Position und einer entstehenden, veränderten Position. In Konsequenz kommt es zu irreparablen Irrtümern (z.B. Übersehen von einstehenden Figuren, "Vergessen" von Figuren), weil Charakteristika beider Positionen überlagert wahrgenommen werden. Auf den Punkt gebracht: "The board changes, but ideas stay the same." Auch für dies Phänomen bietet die Partie ein Beispiel.

   Die Analyse unterstreicht einmal mehr, wie komplex Schach sein kann, gerade wenn man genauer hinter die Kulissen schaut.

[1] Jussupow, Artur 1991, Analyse der eigenen Partien, in: Artur Jussupow / Mark Dworetzki, Der selbständige Weg zum Schachprofi. Geheimnisse und Tips aus einer neuen Schachschule, Beyer Verlag, S.41
[2] Hartston, William R. / Wason Peter c. 1983, The Psycholog of Chess, Facts on File Publications, 5.88
[3] Ebenda, S.89


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