Startseite Rochade Kuppenheim

Leko schlägt erstmals Kasparow

Anand steht vor dem Turniersieg

von Hartmut Metz

Frankfurt Chess Classic 2000


   Garri Kasparow tobte in seinem Ruheraum. Wie begossene Pudel saßen sein Sekundant, Großmeister Juri Dochojan, und sein Manager Owen Williams am Tisch und erduldeten dessen lauten Groll. Auf und ab tigerte der weltbeste Schachspieler wie ein gereiztes Raubtier. Soeben hatte ihn der Ungar Peter Leko bei den Frankfurt Chess Classic geschlagen und vor den letzten drei Runden am Sonntagabend jede realistische Chance auf Platz eins geraubt. Und das ausgerechnet bei diesem historischen Wettbewerb, bei dem zum ersten Mal in der 149-jährigen Turniergeschichte die kompletten Top Ten am Start sind. „Wenn ich nicht in der Lage bin, eine gewonnene Stellung mit 20 Minuten Bedenkzeit auf der Uhr zu gewinnen, dann kann ich auch nichts sagen", fauchte Kasparow und ließ die Pressekonferenz platzen.

 

Garri Kasparow

Garri Kasparow

 

   Dort sprudelte es um so mehr aus Leko heraus. Der einst jüngste Großmeister aller Zeiten erzählte gleich dreimal, wie er den ungeliebten Weltmeister in die Knie zwang. Selbst Kasparows WM-Gegner im Oktober in London, der Weltranglistendritte Wladimir Kramnik, konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen, obwohl auch er zuvor gegen Leko eine seiner raren Niederlagen kassiert hatte. „Ich war so sauer, weil ich in der zweiten Runde gegen Garri unnötig verloren hatte, dass ich die Revanche durchziehen wollte", feixte der mit 1:4 Punkten gestartete 20-Jährige und dankte nach dem zweiten Sieg an diesem Tag seinem indischen Freund Viswanathan Anand.

  

Peter Leko

Peter Leko

 

   Der „Tiger von Madras" hatte den Weg zu diesem Erfolg geebnet. Erst musste Kasparow im direkten Duell der Führenden froh sein, ein Remis durch Dauerschach zu erzielen. Dann schlug Anand mit leichter Hand Alexander Morosewitsch in nur 24 Zügen. Nervös verfolgte Kasparow während seiner Begegnung die Schlappe seines russischen Landsmannes auf einer großen Leinwand und wusste: Ich muss gewinnen, um meinen Titel bei der inoffiziellen Schnellschach-Weltmeisterschaft zu verteidigen. Doch ihm wollte partout keine Gewinnfortsetzung einfallen. Immer wieder schüttelte er deswegen den Kopf, schnitt unzufrieden Grimassen - und verbrauchte viel zu viel Bedenkzeit. Allein für den unspektakulären 25. Zug, der lediglich dazu diente, einem Unentschieden auszuweichen, investierte der Moskauer mit 3:40 Minuten rund ein Siebtel seiner 25 Minuten. Derweil nippte Leko gelangweilt am Wasserglas. „Nach f4+ war ich sehr froh", benannte das Schlusslicht zur Halbzeit des Fujitsu Siemens Giants den Wendepunkt, nachdem er lange Zeit mit einem Remis zufrieden gewesen wäre. „Garri trickste mich in der Eröffnung mit einer langen Variante aus. Ich stand etwas schlechter, nachdem ich sah, dass mein ursprünglicher Plan nicht funktionierte", analysierte der Ungar, ehe er mit sechs Minuten Zeitvorteil seinen ersten Erfolg über den besten Spieler ins Auge fasste.

   Ein Zuschauer raunte: „Wenn Leko gewänne, das wäre der Hammer!" Der mit einem Zeitpolster von über fünf Minuten ausgestattete Weltranglistensechste tat ihm den Gefallen und heimste Ovationen ein, als bei Kasparow die letzten Sekunden abliefen und er aufgebracht in seinen Ruheraum flüchtete. Dort war es allerdings mit der Ruhe vorbei. Mit 5,5:1,5 Punkten ist Anand der prestigeträchtige Erfolg im Fujitsu Siemens Giants kaum mehr zu nehmen. In den drei letzten Runden zwischen den Top 6 kann Kasparow (4:3), der in den vergangenen zwei Jahren alle Turniere bis auf einen Internet-Wettbewerb gewonnen hat, diesen Rückstand fast nicht mehr wettmachen. Anand bleibt schließlich auf der Hut. „Ich vergesse den Turnierstand, weil ich den Wettbewerb an vier Tagen als vier verschiedene Wettbewerbe sehe. Diese Regie macht mir das Giants sympathisch, zumal ich am Abend sehr gerne spiele", erläuterte der 30-Jährige. Für den dritten Platz kommt noch jeder aus dem Quartett Leko, Kramnik, Alexej Schirow (alle 3:4) und Morosewitsch (2,5:4,5) in Betracht, obwohl die Russen am Samstag ein Desaster erlebten. 1:5 Punkte holten sie lediglich am dritten Tag der Frankfurt Chess Classic. Vor allem Morosewitsch war mit 0/2 von der Rolle. Nachdem er gegen Schirow leicht schlechter in der Eröffnung stand, nur noch „etwas Wirbel" verursachte, bevor „der Rest einfach war" (referierte der Sieger), nahm ihn Anand auseinander. Die Attacke am Königsflügel des Weltranglistenfünften war verfehlt. „Alexander beging mit g5 einen positionellen Schnitzer und hat dabei wohl h4 übersehen. Danach kollabierte die Stellung", erklärte der Spitzenreiter. Sein Remis gegen Kasparow bezeichnete er als „in Ordnung. Ich sah Dd5 zu spät, konnte aber nicht mehr zurück nach dem Figurenopfer von Kasparow. Das Dauerschach war daher okay".

 

Wladimir Kramnik

Wladimir Kramnik

 

   Kramnik klagte wenige Stunden vor seinem 25. Geburtstag: „Ich war völlig von der Rolle - wie jeder hier an einem Tag. Die erste Partie gegen Leko spielte ich in der Eröffnung gut, bevor am Schluss fast jeder Zug ein Schnitzer war. In der zweiten Begegnung gegen Schirow konnte ich keinen Vorteil erringen. Die Stellung schien mir lediglich minimal besser." Sein spanischer Rivale hatte eine Partie zwischen Karpow und Kramnik von Wien 1995 leicht verstärkt. Doch der daraus resultierende isolierte Doppelbauer auf der b-Linie genügte zu nicht mehr als einer Zugwiederholung.

alle Partien der Giants online


zur FCC 2000-Seite