Tag der ÜberraschungenTop 3 geben bei Ordix-Auftakt Punkte abvon Harald Fietz |
Das Ordix Open 2000 bei den Frankfurt Chess Classic stellt schon zu Beginn seine Attraktivität unter Beweis, denn bei den Begegnungen der rund 300 Spieler haben sich bereits am ersten Tag einige spannende David-Goliath-Dramen abgespielt. Lief die Auftaktrunde noch ohne große Sensationen ab, so brachten die Außenseiter in den beiden nächsten Durchgängen ihre Steinschleudern in Stellung. In den Erstrunden-Begegnungen gelang es nur Andreas Gypser (2078/Ludwigshafen) gegen den in Essen lebenden Russen Igor Glek (2565) ein Remis zu erringen. Außerdem rang Evsey Kazakevich (1933) aus Dotzheim seinen ebenfalls aus Hessen stammenden Gegner Gerd Euler (2386) nieder. Ansonsten setzten sich die deutlich stärkeren Spieler allesamt durch.
Dieses trübe Bild aus Sicht der Amateure wurde schon ab Runde zwei weggewischt: Auf der Bühne büßte Alexei Dreev (2680) mit Weiß gegen eine Slawische Verteidigung, eigentlich seine Leib- und Mageneröffnung mit Schwarz, einen wichtigen halben Punkt ein. Sein couragierter Gegner Johannes Rudolf aus dem badischen Neckargemünd bot in einem Turmendspiel Paroli und entließ den russischen Spitzenspieler trotz eines knappen Zeitvorteils ins Remis. In unmittelbarer Nähe neben der Tribüne ereignete sich aber die eigentliche Sensation der Runde. Vorjahresgewinner und Masters 2000-Teilnehmer Loek van Wely (2646) musste sich mit den weißen Steinen der deutschen Frauen-IM Gisela Fischdick (2235) geschlagen geben. Motiviert von dem wenig höflichen Verhalten des frisch gekürten niederländischen Meisters, der sich schon bald nach Beginn der Partie den "Luxus" erlaubte, sein Brett in aller Seelenruhe zu verlassen, reagierte die 150-fache deutsche Rekordnationalspielerin kampfeslüstern ("Das regt mich auf!") und opferte in einer Slawischen Eröffnung einen Springer für zwei Bauern. "Gute Spieler können sich eigentlich verteidigen," lautete der lakonische Kommentar der 38-maligen deutschen Meisterin hinterher. Aber bei unausgeglichenem Materialverhältnis gelang dies nicht immer optimal, zumal weil zuvor vorsätzlich die Zeitreserve verplempert wurde. "Da lauf' ich gegen dich lieber nicht weg!", merkte Karl-Heinz Podzielny, das Blitz- und Schnellschach-Urgestein aus dem Ruhrpott, trocken an. Eine weitere positive Überraschung bildete das Remis des Oberurselers Patrick Chandler (2221), der Konstantin Landa (2598) in Schach hielt.
In der dritten Runde schließlich purzelten weitere Favoriten. Ausgerechnet der "heiße Tipp" auf den Qualifikationsplatz für das FCC-Masters 2000, Peter Svidler aus St. Petersburg (2677), leistete sich einen vollen Ausrutscher. Der Spanier Vehi Bach (2431) machte seinem Vornamen Victor alle Ehre und bezwang den Mastersteilnehmer des Vorjahres. In einer Modernen Verteidigung konnte der Russe das Eindringen des Turms auf die siebte Reihe nicht verhindern. In schlechterer Position stellte Svidler dann auch noch seinen Turm ein, als er in Zeitnot impulsiv seinen König berührte und danach sofort die Waffen streckte. Der seit langem in Belgien lebende Russe Michail Gurevich (2694) versuchte sein Zeitplus zu nutzen, um in einer Remisstellung Oliver Brendel (2417) vom Bundesligisten Castrop-Rauxel in Bedrängnis zu bringen. Der Schuss ging nach hinten los, denn plötzlich waren zwei Bauern abhanden gekommen und der Rest nur noch eine Sache der Technik. Auch andere Titelträger sollten nicht ungeschoren in den Abend entlassen werden: Klaus Bischoff (2544) gab ein Remis gegen Janusch Koscielski (2334) aus Neu-Herne ab, ebenso erging es dem Russen Evgeni Agrest (2604) gegen den Spanier Juan Pomes (2383). Wladimir Chuchelov (2537) aus dem belgischen Eupen lieferte gar einen vollen Punkt an das Nachwuchstalent Ferenc Langheinrich aus Erfurt (2325).
Es zeigte sich, dass Schnellschach durchaus geeignet ist, einiges an etablierten Schachhierarchien durcheinander zu wirbeln. Das macht letztlich den Reiz der Sache in einem Open aus. Nach dem Vorspiel zu weiteren zwölf Runden im Qualifikationsmarathon für das Masters 2000 haben noch 27 Teilnehmer eine weiße Weste, aber mit jeder Runde wird der Kreis der Unbesiegten kleiner werden.
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