Von der Konferenzschaltung mit sich selbstChess Classics im Internetvon Holger Bergmann |
Das Internet spielt im Schach eine wesentlich größere Rolle als in anderen Sportarten. Die mit dem Image der Betulichkeit verhaftete Denksportart ist in relativ kurzer Zeit in die Dynamik von Cyberspace durchgestartet. Auch beim Chess Classic gehört für die Turniere der Meister und Giganten die aktuelle Berichterstattung über eine laufend modifizierte Homepage zum guten Ton. Die überaus hohe Anzahl der Zugriffe während des laufenden Turniers ist ein sicherer Indikator für die zunehmende Wichtigkeit dieses Angebots.
Für mich als jemanden, der seit einigen Jahren in der konventionellen Pressearbeit zu Hause ist, eine völlig neue Erfahrung, denn im Gegensatz zur soliden Berichterstattung, die auch in den Bulletins geboten wird, geht es im Internet vor allem um den Faktor Zeit. Kritiker dieses Angebots könnten über diesen Instant-Journalismus die Nase rümpfen. Wie sieht diese herrliche Arbeit nun praktisch aus?
Um ein Bild aus der Fußball-Berichterstattung zu gebrauchen: man ist ständig in einer Konferenzschaltung mit sich selbst. Es sind in jeder Spielrunde drei bis vier Monitore im Auge zu behalten, auf denen, je nach Bedenkzeitkonto und Partiephase, die einzelnen Züge und Zugfolgen mehr oder weniger schnell hin- und herfliegen. Bewaffnet mit einem Notizblock versucht man, entscheidende Phasen und Wendungen der parallel übertragenen Partien festzuhalten, um sie nachher im Internet für einen mehr oder weniger gehaltvollen und korrekten Kommentar zu verwerten. In der Praxis artet das gelegentlich zu einem regelrechten Mißstand aus, denn wenn es auf der linken Seite spannend wird, vernachlässigt man automatisch die anderen Stellungen. Manchmal ist in Partie drei der Markt verlaufen, während man sich zu stark mit Partie eins auseinandergesetzt hat. Außerdem fehlt grundsätzlich die Zeit, irgendwelche Manöver auf den Brettern noch kurz durchzudiskutieren, bevor man sie in einem Kommentar verbrät. So widerlegt die spätere Betrachtung im Turnierbulletin des öfteren den spontan geäußerten Eindruck auf der Homepage, zumal der Internet-Kommentator ja neben dem Zeitnachteil auch kein großmeisterliches ELO-Konto aufzuweisen hat.
Da man als alleiniger Betrachter an einem Turniertag mehr als zwanzig Partien zu verfolgen hat, sieht man ab einem bestimmten Zeitpunkt ohnehin eher quadratisch. Die Welt besteht nur noch aus sich bewegenden Figurensymbolen, die teils schnörkellos, teils gewunden, über die 64 Felder gleiten. Interessant wird es auch, wenn eine Partie inzwischen beendet ist und man hat es nicht mitbekommen. Da ist es dann ganz praktisch, daß die beendeten Partien auf dem Monitor wiederholt werden, doch wenn man das Kommando verpaßt, ist es möglich, daß das Ende auch beim zweiten Umlauf wieder fehlt. Dann erfährt man zwar, wie die Partie ausgegangen ist, doch deswegen lange noch nicht, warum eigentlich. Und für einen Kommentar macht es dann doch einen gewissen Unterschied, ob jemand einen Punkt geholt hat, weil sein Gegner die Zeit in Gewinnstellung überschritten hat, oder ob das Hoch in der Tabelle auf eine geniale Opferwendung zurückzuführen war. Alles ist hier eine Zeitfrage, deshalb muß die Information schnell kommen und nicht irgendwann.
Kaum ist der letzte König gefallen, beginnt die praktische Verwertung für die Homepage im Internet. Neben passenden Bildern, die zu den einzelnen Runden zugefügt werden, kommen der Kurzkommentar zum Runden- und Spielverlauf, sowie die Einzelergebnisse und die aktu-elle Tabelle. Das Werk für die virtuelle Welt sollte in spätestens zehn Minuten fix und foxi auf der richtigen Seite stehen, denn nach Ablauf dieser Zeit wird schon die nächste Runde angepfiffen. Und wenn man dann noch auf der Homepage herumbastelt, ist es mißlich, weil dann schon die Eröffnungen der folgenden Runde fehlen. Und so geht das Runde für Runde, Tag für Tag ... Macht so etwas Spaß? Seltsamerweise ja - bei diesem Presseteam aber andererseits auch kein Wunder.
Träumt man nachts von zuckenden Springern und sich drehenden Königen? Zum Glück ist das nicht - oder noch nicht - der Fall. Wenn es aber wirklich dazu kommen sollte, ist eine Auszeit dringend erforderlich. Eine Auszeit mit richtigen Presseberichten für eine richtige Zeitung. Ein wenig Entspannung muß schließlich zur Abwechslung auch einmal sein.