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"Puppenspieler von Mexiko" nur Marionetten des Weltverbandes

Sonderbares WM-Reglement begünstigt Titelverteidiger Kramnik / Inder Anand gilt als Topfavorit

Text und Fotos von FM Hartmut Metz, September 2007

 

Wladimir Kramnik darf die Schach-WM in Mexiko City heute gelassen angehen. Selbst wenn der Weltmeister bei dem mit 1,3 Millionen US-Dollar dotierten Turnier Letzter wird, kann er anschließend seinen Titel in einem Zweikampf zurückholen. Diese neue Form des "Revanchekampfs" kreierte einmal mehr der Schach-Weltverband FIDE.

Der Frust der sieben anderen Teilnehmer fällt entsprechend aus. "Das ist natürlich unfair. Ich habe es aber aufgegeben, mich über die FIDE aufzuregen", klagt der Weltranglistenerste Viswanathan Anand. Da der Weltverband "ständig seine eigenen Regeln über den Haufen wirft", hält sich der genervte Inder inzwischen fern von allen schachpolitischen Grabenkämpfen und "spielt nur noch". Der Topfavorit müsste sich ansonsten über weitere Eigenheiten des neuen WM-Systems ereifern und wie eine Marionette der FIDE fühlen.

Der kalmückische FIDE-Präsident Kirsan Iljumschinow hat nämlich weiteres Sonderbares ersonnen: Sollte Kramnik in Mexiko doch nach 14 Runden vorne liegen, gerät dem Russen das Reglement sogar zum Nachteil. Der Weltranglistenzweite muss dann gegen den gleichauf liegenden Wesselin Topalow ein Match austragen. Der Bulgare hatte die WM-Titelvereinigung vor einem Jahr gegen Kramnik verloren. Dabei war es zu niederträchtigen Beschuldigungen in der "Toiletten-Affäre" gekommen. Topalow hatte seinem Kontrahenten verdächtigt, mit Computer-Hilfe auf dem Klo zu bescheißen.

Und weil Topalows Manager Silvio Danailow der FIDE mit einer Millionenklage gedroht hatte, bleibt sein Schützling auch im Spiel, wenn Kramnik nicht Erster in Mexiko wird. Topalow trifft dann auf den Sieger des Weltcups, der Ende 2007 ausgetragen wird. Der Gewinner dieses Zweikampfs fordert anschließend den amtierenden Weltmeister. Reichlich verwirrend, selbst für Denkstrategen. Klar ist nur, dass sich zumindest die hiesigen Schach-Fans freuen dürfen: Kramniks WM-Zweikampf - die Revanche gegen den Sieger des heute beginnenden WM-Turniers oder Topalow - soll in Deutschland stattfinden.

 

Aronjan vs Anand

Bei der Schnellschach-WM in Mainz blieb Viswanathan Anand (rechts) Weltmeister.
Im Turnierschach will ihm der Berliner Lewon Aronjan den Titel aber streitig machen.

 

Als stärkste "Puppenspieler von Mexiko" werden Kramnik und Anand ganz vorne gehandelt. Die vor zwei Jahren zurückgetretene Legende Garri Kasparow "favorisiert klar" den "Tiger von Madras". Der Weltranglistenerste vom deutschen Meister OSC Baden-Baden gilt als erfolgreicherer Turnierspieler, während Kramnik in Zweikämpfen kaum zu schlagen ist. Der Weltmeister verliert zwar kaum eine Partie, remisiert aber auch sehr häufig. Das könnte ihm in den 14 Partien in der Millionen-Metropole zum Verhängnis werden. "8,5:5,5 Punkte könnten zum Titel reichen", gibt der 32-Jährige jedoch für sich zu bedenken und führt als Begründung das "dicht beieinander liegende Feld" an, in dem "keiner abfällt oder zusammenbrechen wird. Am Schluss werden den Ersten und den Letzten nicht viel trennen". Ähnlich argumentiert Anand, der Kramnik eine "leichte Favoritenrolle" zuschiebt.

Der Titelverteidiger hat außer dem 37-jährigen Inder zudem Peter Leko auf der Rechnung. Der Ungar war ihm 2004 erst in der WM-Verlängerung in Brissago (Schweiz) hauchdünn unterlegen. Außerdem sei "Lewon Aronjan sehr gefährlich", und sein Landsmann Alexander Grischuk werde "unterschätzt". Den Moskauer, der inzwischen mehr Poker als Schach spielt, halten die anderen Experten allerdings kaum für gut genug im Kampf um den Löwenanteil der 1,3 Millionen Dollar. Dies gilt ebenso für den meist zu zahmen Peter Swidler, den zu wankelmütig agierenden Weltranglistenfünften Alexander Morosewitsch (beide Russland) sowie Boris Gelfand (Israel).

Der in Berlin lebende Armenier Aronjan traut sich dagegen zu, den letzten fehlenden Titel in seine Sammlung zu integrieren. Der Weltcup-Sieger "kennt keine Favoriten - außer mich selbst". Ansonsten denke er nicht über die Chancen der anderen nach, sagt der einst kurzzeitig für Deutschland spielberechtigte 24-Jährige, und will bis zum letzten Zug am 29. September "nur gut spielen". Das zumindest kann die FIDE noch durch kein WM-Reglement verhindern.


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