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"Australien bedeutet das Ende deiner Schachkarriere"

Interview mit Ian Rogers: Topspieler vom Fünften Kontinent tritt aus gesundheitlichen Gründen zurück

Von FM Hartmut Metz, 5. August 2008

 

Die Nachricht kam für viele überraschend: Ian Rogers erklärte seinen Rücktritt aus der Turnierarena. Am Schluss standen 120 Turniersiege und eine Elo von 2545 zu Buche. Der 47-Jährige stand somit seit mehr als zwei Jahrzehnten als Synonym für das australische Schach - nicht nur, weil er seit 1980 ununterbrochen die Rating-Liste in Down Under anführte und auch 1985 als erster Spieler vom Fünften Kontinent den Großmeister-Titel errungen hatte. Vielen Schachspielern ist Rogers vor allem auch als umtriebiger Berichterstatter von Großereignissen bekannt. Diese Rolle will der gebürtige Tasmanier zusammen mit seiner Ehefrau Cathy, die die Fotos zu seinen Berichten beisteuert, weiter ausfüllen. Hartmut Metz unterhielt sich mit Ian und Cathy Rogers über seine Karriere, Schach in Australien und die Berichterstattung rund um die 64 Felder.

Frage: Herr Rogers, ist es so viel leichter, über Schach zu schreiben, als es selbst zu spielen? Ihr Rücktritt und die künftige Konzentration auf den Schach-Journalismus scheint dies zu implizieren.
Rogers: In der Tat ist das Spielen sehr viel anstrengender! Beim Schreiben besteht nicht die Notwendigkeit, jedes Mal den besten Zug zu finden, ohne einen Fehler zu machen. Ich kann eine erste Fassung formulieren - und sie bei jeder Gelegenheit ändern, wenn sie mir nicht gefällt. Aber dieser Unterschied ist nicht der Hauptgrund für meinen Rücktritt vom aktiven Schach. Ich hänge meine Turnierschach-Karriere an den Nagel, weil mir mehrere Ärzte dies rieten. Ich hatte keine andere Wahl, wollte ich eine weitere Zerstörung meiner Nieren vermeiden, die durch Langzeitstress verursacht wurde.

Frage: Sie sahen aber immer in den Turniersälen, bei Analysen und in Pressezentren ruhig und gelassen aus.
Rogers: Weil ich nur innerlich angespannt war, musste ich Schach wegen zu viel Stress aufgeben. Offensichtlich kann das Auftreten eines Menschen täuschen.

Frage: Was bereitet mehr Vergnügen und Befriedigung: eine gute Geschichte zu schreiben oder eine Partie zu gewinnen?
Rogers: Das ist nicht einmal ein Wettbewerb - eine Partie zu gewinnen, verschafft 50 mal mehr Befriedigung.

Frage: Dann sind Sie eindeutig mehr Spieler als Schreiber. Obwohl ich Partie-Gewinne auch sehr schätze, könnte ich die Frage nicht so eindeutig beantworten. In welcher Sparte halten Sie sich für begnadeter: Schach zu spielen oder darüber zu schreiben?
Rogers: Das sollen andere beurteilen. Ich versuche jedenfalls immer, das Beste aus meinem Können zu machen.

Frage: Welche Reaktionen erfuhren Sie auf Ihren Rücktritt, schließlich verlor Australien auf einen Schlag seinen seit einem Vierteljahrhundert führenden Spieler?
Rogers: Die Reaktionen verblüfften mich; Es gab sogar eine Überraschungsparty, um meinen Abgang festzuhalten und zu feiern. Viele meiner Freunde aus ganz Australien kamen dazu! Das bedurfte monatelanger Vorbereitungen - und die Organisatoren wie meine Frau Cathy hielten alles geschickt vor mir geheim.

Frage: Nahmen die Massenmedien auch Notiz von Ihrem Rücktritt? Australien gilt in europäischen Gefilden nicht als klassisches Schach-Land, sondern eher als eine Tennis- und Schwimm-Nation mit Stars wie Ian Thorpe.
Rogers: Mein Rücktritt blieb in den australischen Medien unbemerkt, nimmt man die Schachkolumnen aus. Fünf Monate nach meinem Abgang erschien in einer Literaturzeitschrift ein kleiner Artikel darüber. In Amsterdam fand mein Rücktritt mehr Beachtung. Eine Zeitung widmete meiner Ankündigung, dem aktiven Schach Ade zu sagen, eine halbe Seite mit Fotos.

Frage: Mit Ausnahme von Darryl Johansen besitzt Australien keinen weiteren Großmeister. Und Sie waren der einzige Spieler mit einer Elo über 2500. Woran liegt das?
Rogers: Johansen lag etwa ein Jahrzehnt lang ebenso über 2500. Aber nun ist er - wie ich - an die 50 und hat seine beste Zeit hinter sich. Australien besitzt einige junge Spieler, die das Zeug zum Großmeister haben - aber ihre Möglichkeiten sind begrenzt. Nichtsdestotrotz werden Zhao Zong Yuan und David Smerdon vielleicht in ein paar Jahren Großmeister.

Frage: In Europa träumen viele Leute vom Auswandern nach Down Under. Erstaunlicherweise zieht es Schachspieler weniger dorthin - ein paar Titelträger ausgenommen wie den englischen IM Gary Lane oder die deutsche Internet-Legende "Hawkeye" Roland Schmaltz, den es aus privaten Gründen hinzog und jetzt in Brisbane seinen Lebensunterhalt fern des Brettes als Pokerspieler verdient.
Rogers: Neben Schmaltz lebt ebenso der deutsche IM Peter Fröhlich in Australien. Frauen-Großmeisterin Daniela Nutu-Gajic wanderte auch zu uns aus. Der Hauptgrund, warum kaum Schachspieler nach Australien gehen, besteht vor allem darin: Es bedeutet das Ende deiner Schachkarriere! Nutu-Gajic zählte vor ihrer Auswanderung zu den Top 50 bei den Frauen - seitdem spielte sie kaum noch. Sie brauchte Arbeit in einem normalen Job, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und ihren Ehemann und zwei Kinder unterstützen zu können. Die andere Ursache besteht darin, dass unsere Einwanderungsbehörden Schach nicht als Fertigkeit ansehen - eine jüngst gefällte Entscheidung stellte klar, dass ein Großmeister-Titel nicht einmal den Wert einer dreijährigen Ausbildung besitze! Großmeister Dejan Antic musste sich diese Begründung im Januar anhören. Aber ich weiß nicht, wie hoch seine Chancen bei einer Berufung dagegen sind.

Frage: Im März finden in Sydney und Canberra zwei Open mit einem niedrigen fünfstelligen Preisfonds statt. Zusammen mit den Organisatoren in Bangkok, die Anfang April ihr Turnier ausrichten, bildet das Trio einen Grand Prix. Meinen Sie, das hilft, um Schach etwas populärer auf dem Fünften Kontinent zu machen?
Rogers: Schach ist bereits in Australien sehr beliebt: Allein in Sydney spielen es 100000 Kinder. Der Doeberl Cup in Canberra und das Sydney International Open haben sich bereits als eine großartige Möglichkeit entpuppt, bei der einige Junioren ihre Fähigkeiten gegen ausländische Spieler erproben können. Unter diesem Aspekt besitzen die beiden Turniere enormen Wert. Wie auch immer, sollten Sie meinen, Schach werde dadurch eher in die Medien kommen, habe ich meine Zweifel. Es besteht eine tief verwurzelte Abneigung gegen Denksport sowohl in den australischen Medien als auch bei staatlichen Behörden! Und das wird sich so lange nicht verändern, bis einige Kinder des fortschreitenden Schach-Booms in ferner Zukunft einflussreiche Stellen erreichen.

Frage: Die Ignoranz hört sich schrecklich an. Woran liegt das? Machen es allein die Distanzen in einem riesigen Land mit nur 20,5 Millionen Einwohnern schwer, Schach-Ligen nach europäischem Muster einzuführen, so dass die Akzeptanz als Sport fehlt?
Rogers: Die Tyrannei der gewaltigen Strecken war schon immer ein Problem fürs australische Schach. Im Übrigen mit ein Grund, warum wir vergleichsweise überproportional im Fernschach und Teleschach stark sind. Mit Cecil Purdy stellte Australien den ersten Fernschach-Weltmeister, zudem kommt der aktuelle Teleschach-Weltmeister von hier. Mit dem Einzug des Internets verringerte sich das Distanz-Problem. Das mag der Schlüssel für den Schach-Boom im vergangenen Jahrzehnt gewesen sein. Dass viele Kinder das Spiel im Netz bevorzugen, beschert wiederum den traditionellen Turnierorganisatoren neue Sorgenfalten.

Frage: Hat es Sie als herausragender Akteur jemals gestört, dass Ihre Mitstreiter so viel schwächer bei Olympiaden waren? Oder betrachteten Sie es stets als Frage der Ehre, für Ihr Land anzutreten?
Rogers: Es ist eine falsche Annahme, dass meine Mannschaftskameraden viel schwächer als ich waren. Viele besaßen sehr viel Talent, hatten jedoch kaum Gelegenheit, dies in von der FIDE gewerteten Wettbewerben zu beweisen. Wenn jedes Team-Mitglied überdies Tausende von Dollar vorstreckt, um überhaupt an der Olympiade teilzunehmen, schätzt man die Teilnahme umso mehr. Natürlich war es auch immer eine Ehre, für Australien ans Brett zu gehen. Ich diskutierte vor kurzem mit Jewgeni Jermenkow, der für Palästina allein wegen des Geldes bei Olympiaden antritt - er teilt nicht einmal die politischen Ambitionen seines Landes! Er glaubte nicht, dass ich grundsätzlich falsch liege, wenn ich nur für die Ehre des Vaterlands antrete - ich denke, er wollte aber mehr das Augenmerk darauf lenken, dass wir nicht einmal die Ausgaben erstattet bekamen. Jermenkow kam zu Schluss, dass es sich allein Spieler aus reichen Ländern leisten können, solche Prinzipien zu haben.

Frage: Sie arbeiteten auch als australischer Nachwuchstrainer. Werden Sie so weiterhin dem Verband verbunden bleiben?
Rogers: Ich bin aber kein Nationaltrainer, weil Australien so etwas im Schach nicht hat. Ich trainierte und betreute aber verschiedene Nachwuchstruppen wie das U16-Nationalteam. Ich will auch in Zukunft die Trainingsarbeit fortsetzen - aber bezüglich meiner langfristigen Pläne bin ich mir noch unschlüssig. Es gibt genügend junge Spieler in Australien - jedoch einen aktuellen Mangel an guten Trainern. Ein Problem, das nicht allein in Australien herrscht - in Asien hat's viele Länder mit Talenten, die keinen Coach finden. Seit ich meinen Rücktritt ankündigte, wurden mir bereits fünf Jobs als Trainer angeboten!

Frage: Haben Sie einen Spitznamen in Ihrer Heimat? Dank Ihrer Heimatstadt Hobart würde sich der "Tasmanische Teufel" aufdrängen ...
Rogers: Nein. Nur die Medien kreieren Spitznamen - und wir sind unsichtbar in den Medien.

Frage: Ein Kollege in unserer Sportredaktion behauptet immer, "Journalismus muss wehtun". Muss Schach-Journalismus auch wehtun, sprich alles kritisch beleuchtet werden?
Rogers: Nein, aber es erfordert enormen Zeitaufwand, die Arbeit gut machen. Deine Meinung hinauszuposaunen ist leicht - über einen Wettbewerb zu berichten, erweist sich als schwerer.

Frage: Seit 1980 schreiben Sie regelmäßig für neun Schach-Magazine und leiten drei Schachspalten in Australien.
Rogers: Stimmt. Cathy und ich haben uns nach und nach über die vielen Jahre einen Stamm an Abnehmern erarbeitet. Das Schach-Magazin 64 beziehungsweise das einst übernommene Schach-Echo war, wenn ich mich recht erinnere, mein erstes europäisches Blatt, für das ich schrieb. Ich habe auch schon ein paar allgemeinere Artikel für australische Zeitungen geschrieben - aber die meisten Leute wollen, dass ich über Schach schreibe!

Frage: Sie sind bei Analysen der Topleute häufig mittendrin. Bevorzugen Sie Partieanalysen gegenüber dem Schreiben über die Persönlichkeiten?
Rogers: In meinen Turnierberichten versuche ich mitzuteilen, wie es ist, bei diesem Turnier dabei zu sein. Weltklasse-Turniere sind immer interessant - aber es gibt auch viele andere außergewöhnliche Veranstaltungen in aller Welt. Ich halte das Bangkok CC Open für den vergnüglichsten Event! Alle Spieler werden wie Ehrengäste behandelt - bis jetzt kommt es so auch ohne großes Preisgeld und Weltklasse-Großmeister aus. Was die Analysen anlangt: Sie werden fortschreitend unwichtiger, weil alle ihr "Fritz"- oder "Rybka"-Programm dafür einsetzen. Dennoch halte ich es für wichtig, die Aufmerksamkeit der Menschen auf bemerkenswerte Partien zu lenken. Ich versuche zu erläutern, was die Spieler dachten, wenn sie ihren Zug machten.

Frage: Glauben Sie, es ist ein großer Vorteil, als Großmeister über den eigenen Sport zu schreiben? Wie erwähnt: Ich sah Sie oft Züge mit den Spielern diskutieren, während schwächere Schach-Journalisten ganz andere Fragen hatten.
Rogers: Ein Großmeister zu sein, der vielen dieser Spieler schon am Brett gegenübersaß, ist ein großer Vorteil - obschon die Zahl der jungen Generation überhandnimmt, die keinen blassen Schimmer hat, dass ich auch Großmeister bin! Die meisten Journalisten bei Topturnieren lassen ihren "Fritz" mitlaufen - so fallen ihre typischen Fragen in etwa so aus: "Warum hast du nicht das gespielt? ,Fritz' gibt das mit +0.31 an." Ich versuche Spieler dagegen nach Varianten zu fragen, die sie während der Partie beschäftigten. Abgesehen von Anand, der sehr schnell spricht, vermag ich den Abspielen für gewöhnlich zu folgen und kann noch bei Bedarf eine Anschlussfrage stellen.

Frage: Ist das mit ein Grund, warum Sie sich den Spielern mehr verbunden und näher fühlen als andere Berichterstatter?
Rogers: Ja. Ich habe schließlich viele Stunden mit ihnen am Brett verbracht und gegen sie gespielt.

Frage: Sie mussten deswegen aber nie fürchten, dass Sie einer wegen einer früheren Niederlage schnitt? Rogers: Nein.

Frage: Welche Spieler haben Sie am meisten beeindruckt?
Rogers: Meine ersten drei Partien verlor ich gegen Kortschnoi. Ich hatte jedes Mal fast bis zum Zeitpunkt der Aufgabe keine Ahnung, was ich falsch gemacht hatte! Das Gefühl beschlich mich auch in meinem ersten Duell mit Iwantschuk.

Frage: Obwohl Sie ein verträglicher Kerl sind: Gibt es auch Spieler, die Sie persönlich gar nicht mögen?
Rogers: Mit den meisten Spielern pflege ich guten Kontakt. Spieler, die betrügen, mag ich nicht. Besonders, wenn sie im Vorfeld Ergebnisse absprechen. Aber selbst dann kann man nicht gleich sein Urteil fällen, wenn man die Umstände der involvierten Spieler nicht kennt. Ein Beispiel: Als Bojan Kurajica 10000 D-Mark annahm, um ein Dutzend Partien gegen Surab Asmajparaschwili und einen mazedonischen Lokalmatadoren in Strumica 1996 zu verlieren, wurde er fast überall verdammt. Als Kurajica jedoch erklärte, dass er im bosnischen Krieg nahezu alles verloren hatte - sein Haus, seine Ehe - und er schlicht das Geld dringend brauchte, um zu überleben, betrachtete ich seine Methode, schnell Geld zu verdienen, relativ wohlwollend.

Frage: Die Fotos zu den Berichten steuert stets Cathy bei. Beim Aufnehmen schätzen Sie vermutlich Kerle wie Kasparow, die Grimassen schneiden, oder?
Cathy Rogers: Ja, das stimmt. Es macht Spaß, Spieler zu fotografieren, die ausdrucksstarke Gesichter haben.

Frage: Welches Bild halten Sie für das beste, das Sie je aufnahmen - natürlich die von Ihrem Liebsten ausgenommen?
Cathy Rogers: Kann ich nicht sagen, dass ich ein Bild ganz besonders mag. Normalerweise sind Fotos mit einem interessanten Hintergrund oder einem verschrobenen Detail befriedigender als andere. Motive mit Tieren, Spiegelungen oder Verzerrungen des Spielers ergeben eher ein ungewöhnliches Foto. Oder was mir auch sehr gefällt, ist ein schönes Ambiente um den Spieler herum, beispielsweise wenn ein Spieler an einem freien Tag die Natur genießt.

Frage: Worauf kommt es Ihrer Ansicht nach an, damit einem ein gutes Schach-Foto gelingt?
Cathy Rogers: Soweit es möglich ist, warte ich geduldig ab, bis der Spieler aufblickt. Und wenn er dann noch zusätzlich lacht, ist das ein zusätzliches Plus - ich meine nicht nur für mich, sondern für ihn selbst, wenn das sympathische Bild veröffentlicht wird. Wenn die Spieler tief in Gedanken versunken sind oder ihr Gesicht in den Händen vergraben, kann das Bild auch gut sein. Manche lösche ich aber umgehend, sobald sie bei der Bearbeitung auf meinem Computer-Bildschirm auftauchen ...

Frage: Ist Ian mit den Bildern von ihm am Brett zufrieden?
Cathy Rogers: Ich hoffe doch.

Frage: Wie bewerten Sie als weibliche FIDE-Meisterin Ians Rücktritt? Sind Sie glücklich darüber, nicht mehr bei seinen Partien mitfiebern zu müssen?
Cathy Rogers: Ich bin wegen seines Rücktritts fürchterlich traurig. Ich liebte es, ihn spielen zu sehen und war immer sehr stolz auf seine Kunst. Ich vermisse seine Partien wirklich enorm. Ich denke, andere sehen das genauso, weil er ein aufregender Spieler war, einer der das Risiko suchte und die Herausforderung annahm. Dennoch wünsche ich nicht seine Rückkehr ans Brett, außer der medizinische Fortschritt würde dies Ian gefahrlos erlauben - leider wird das vermutlich in unserem Leben nicht mehr passieren. Ich bin lieber in Zukunft mit einem Schach-Journalisten und -Trainer oder was auch immer verheiratet, als Witwe zu sein.


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