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"Carlsen muss jetzt nur noch über Wasser laufen"

Wunderkind und Schach-Messias: 17-jähriger Norweger scheut keine Nachteile, um Weltmeister Anand in Mainz zu attackieren

Von FM Hartmut Metz, 3. August 2008

 

"Jetzt muss er nur noch über Wasser laufen!", ulkt Viswanathan Anand angesichts der außergewöhnlichen Erfolge seines jüngsten Herausforderers. Nicht nur der Weltmeister aus Indien hält einen 17-jährigen Norweger für den neuen Schach-Messias. "Magnus Carlsen ist beeindruckend", befindet Anand und rasselt die Turniersiege herunter, die der 17-jährige Norweger im ersten Habjahr 2008 feierte. Lediglich der "Tiger von Madras" selbst konnte im spanischen Linares Carlsen einmal auf Platz zwei verweisen. Heute (01.08.) Abend will das Wunderkind, das bereits mit 13 Jahren den Großmeister-Titel errang, diese Scharte bei den Chess Classic Mainz auswetzen.

Dafür nimmt das helle Nordlicht auch Nachteile in Kauf und begibt sich auf das Heimterrain Anands. Im Schnellschach mit nur rund 30 Minuten Bedenkzeit konnte im vergangenen Jahrzehnt kaum einer dem "schnellen Brüter" aus Indien das Wasser reichen. Zehnmal hat der 38-Jährige die Schnellschach-WM bei den Chess Classic gewonnen und peilt in der Rheingoldhalle seinen neunten Triumph in Folge an. Dies versuchen zudem der Weltranglistenzweite Alexander Morosewitsch und Judit Polgar zu verhindern. Doch der Russe und die Ungarin, die mangels ernsthafter Konkurrentinnen nur bei den Männern mitspielt, dürften in der Vorrunde (heute (01.08.) und morgen ab 18.30 Uhr) lediglich die attraktive Staffage bilden. An einem Finale am Sonntag (ab 18.30 Uhr) zwischen Anand und Carlsen vor proppenvoller Halle und zigtausend Live-Zuschauern im Internet hegt kaum einer Zweifel.

Nach einem anstrengenden zweiwöchigen Turnier schonen sich die Denkstrategen oft monatelang und tüfteln mit dem Computer neue Eröffnungsvarianten aus, um die Kontrahenten aufs Glatteis zu führen. Anders Carlsen: "Der Mozart des Schachs", wie ihn Großmeister Lubomir Kavalek bereits 2004 in der "Washington Post" nannte, kommt heute (01.08.) direkt aus Biel angereist. Bis gestern Abend kämpfte der 17-Jährige in der Schweiz um Platz eins, schaffte aber nur ein Remis und landete so als lediglich Dritter einen halben Zähler hinter dem im Tiebreak siegreichen Russen Jewgeni Aleksejew und dem Kubaner Leinier Dominguez. Damit rächte sich, dass Carlsen gegen Aleksejew zigfach der Zugwiederholung und einem Remis ausgewichen war - mit einem Sieg wäre er seinem Traum, Platz eins in der Weltrangliste zu übernehmen, ganz nahe gekommen.

Heute (01.08.) fährt der junge Norweger mit dem Zug über 425 Kilometer nach Mainz, um am Abend den Branchengrößen die Stirn zu bieten. Vater Henrik Carlsen wollte das verhindern und seinen Filius, dem er mit fünf Jahren das Schachspiel beibrachte, ebenso wie die drei Töchter zur Erholung in den Familienurlaub mitnehmen. "Doch Magnus strotzt vor Energie und beharrte auf das Duell mit Anand", erzählt Chess-Classic-Organisator Hans-Walter Schmitt von einfach zu führenden Verhandlungen. Bis auf seine Passion verhält sich der Schüler eines Sport-Gymnasiums aber wie jeder ganz normale Junge seines Alters. Nach Anfängen als Skispringer wechselte der Bundesligaspieler des deutschen Meisters OSG Baden-Baden in die Fußballabteilung von Lommedalens IL. Damit frönt der Junge aus der Nähe von Oslo den Hobbys seines vieljährigen Trainers Simen Agdestein, der es außer zum Großmeister auch zum achtfachen Fußball-Nationalspieler brachte.

Anstatt sich sonderlich auf die Wettbewerbe in Biel und Mainz vorzubereiten, reiste Carlsen lieber mit seinen Kumpels zu den norwegischen Meisterschaften in Tönsberg. Nicht, um locker den nationalen Titel abzuräumen, sondern im Fußballturnier Platz eins zu belegen und an zwei Schach-Handicap-Turnieren teilzunehmen, berichtet Henrik Carlsen auf dem Internet-Blog seines Sohns.

"Carlsen spielt für einen 17-Jährigen untypisch reif und wie ein alter Hase. Er erinnert mich mit seinen brillanten wie einfachen Zügen an die Legende Bobby Fischer", zeigt sich Anand begeistert. Paukte der "Mozart des Schachs" außerdem noch wie einst der Amerikaner Fischer verbissen Eröffnungen, hätte das schlampige Genie wohl schon in der nächsten Weltrangliste im Oktober den Gipfel erstürmt. Trotz dieser Vorgabe rückt Carlsen fast zu Anand auf. Auch wenn ihn der Inder in Mainz vielleicht noch einmal ausbremsen kann, eines weiß der 38-Jährige mit Sicherheit: Diese Reihenfolge hat nicht mehr allzu lange Bestand. "Carlsen ist der kommende Weltmeister", prophezeit der Brahmane mit Blick auf den nordischen Schach-Messias.


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