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Favoritensturz in die Zuschauerränge

Deutsche Großmeister sorgen beim Topturnier in Dortmund für Furore

von FM Hartmut Metz, 6. Juli 2008

 

Ein Favoritensturz hat die Schach-Fans im Dortmunder Schauspielhaus besonders aufgeschreckt: Plötzlich kam ihnen Wassili Iwantschuk nach seinem Remis gegen den Russen Jan Nepomniachtschi entgegengefallen. Der zuweilen etwas unbeholfene wie geistesabwesende Ukrainer hatte im Halbdunkel die Stufen verfehlt und krachte von der Bühne aus in die erste Zuschauerreihe. Die Untersuchung im Krankenhaus sorgte für Entwarnung: Der Weltranglistenvierte hatte sich nichts gebrochen und konnte zur vierten Runde am Mittwochnachmittag wieder am Brett sitzen. Dort stierte Iwantschuk wie gewohnt an die Decke statt auf die Figuren, um seine genialen Züge zu finden.

So recht mag das dem 39-Jährigen aber beim "Sparkassen Chess-Meeting" noch nicht gelingen. Nach vier der sieben Runden dümpelt Iwantschuk mit 1,5:2,5 Punkten nur auf dem siebten und vorletzten Platz. Einen sportlich noch schmerzvolleren Favoritensturz erlebte Wladimir Kramnik: Der Ex-Weltmeister aus Russland kam zum Auftakt erst gegen Jan Gustafsson nicht über ein Remis hinaus, dann unterlag er zwei Runden später auch noch dem zweiten Deutschen im Feld, Arkadij Naiditsch. Ein Desaster, weshalb der Weltranglistenzweite mit nur 2:2 Punkten um seinen Ruf als Dauersieger von Dortmund bangen muss.

Dem jetzt gleichauf liegenden Naiditsch war 2005 eine Sensation gelungen, als der damals 19-Jährige die Weltelite in seiner Heimatstadt auf die Plätze verwies. Heuer scheint aber eher Gustafsson den neunten Triumph Kramniks verhindern zu können. Der krasse Außenseiter aus Hamburg luchst bei seinem Dortmund-Debüt den Favoriten - zuletzt am Mittwoch Iwantschuk - ein Remis nach dem anderen ab. Zudem schlug der Weltranglisten-123. im direkten Duell der Nationalmannschaftskollegen die Nummer 54 Naiditsch. So lag der 28-Jährige zusammen mit dem Ungarn Peter Leko und dem erst 17-jährigen Nepomniachtschi (beide 2,5:1,5) vor den drei Schlussrunden am Wochenende an der Spitze. Mit einem Sieg über Schlusslicht Loek van Wely (Niederlande/1:3) könnte Gustafsson den Weg für Platz eins weiter ebnen.

Dies wäre ein Auftakt nach Maß für das "heißeste" Schach-Halbjahr, das Deutschland je gesehen hat. Stehen ansonsten im Sommer die Wettbewerbe in Dortmund und bei den Chess Classic Mainz (Ende Juli) im Mittelpunkt, sind die beiden Topturniere heuer nur die Generalprobe für die zwei Höhepunkte im Schachkalender: Im Oktober verteidigt Weltmeister Viswanathan Anand (Indien) in Bonn seinen Titel gegen den von ihm entthronten Kramnik. Im November folgt in Dresden die Schach-Olympiade, bei der mehr als 250 Nationalmannschaften um Gold bei Damen wie Herren sinnieren. Bisher traute man den Schützlingen von Bundestrainer Uwe Bönsch nicht viel zu - spielen Naiditsch und Gustafsson aber wie in Dortmund, ist wie anno 2000 ein Silber-Coup möglich.

Naiditsch scheint sich zum Lieblingsgegner von Gustafsson zu entwickeln. Bei der Europameisterschaft im April des vergangenen Jahres zerpflückte der Hanseat die deutsche Nummer eins trotz der schwarzen Steine in nur 25 Zügen. Mit dem Anzugsvorteil als Weißer ging es in der zweiten Runde noch zwei Züge schneller gegen den Bundesligaspieler der OSG Baden-Baden.











Gustafsson (2603) - Naiditsch (2624) [D37]
Sparkassen-Meeting Dortmund, 29.06.2008

1.d4 [ Mit Schwarz nahm Gustafsson im Vorjahr Naiditsch schon einmal in nur 25 Zügen auseinander. Hier die Partie: 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0-0 Le7 6.Te1 b5 7.Lb3 0-0 8.c3 d5 9.exd5 Sxd5 10.Sxe5 Sxe5 11.Txe5 c6 12.Te1 Ld6 13.g3 Lf5 14.d4 Dd7 15.Le3 Tae8 16.Sd2 Lg4 17.Db1 Lf5 18.Lc2 Lxc2 19.Dxc2 f5 20.c4? bxc4! Das ist der erste neue Zug und die Widerlegung des gesamten weißen Aufbaus inklusive des Bauernvorstoßes nach c4. Der Marshall-Angriff ist - wie so viele Varianten in der Spanischen Verteidigung - sehr weit ausanalysiert. Beim Turnier im italienischen Reggio Emilia über die Jahreswende 2007 zog der einheimische Sabino Brunello mit Schwarz gegen Viorel Iordachescu ( 20...Sf6? und verlor alsbald nach 21.Lg5! ) 21.Sxc4 f4 22.Ld2 f3! Droht Dh3 nebst einem Matt auf g2. 23.Dd3 Damit scheint alles in Butter: Die weiße Dame federt elegant nach f1 zurück, sollte ihr schwarzes Pendant via h3 ein Auge auf das Mattfeld g2 werfen. Aber: 23...Te2!! Der Turm schneidet der Verteidigungsfigur den Rückweg ab. 24.Txe2 ( 24.Se3 verliert umgehend: 24...Txd2! 25.Dxd2 Dh3 26.Tf1 ( 26.Dc2 Sxe3 27.fxe3 Lxg3! 28.Tf1 f2+ 29.Txf2 Lxf2+ 30.Dxf2 Txf2 ) 26...Tf6 nebst Th6 und h2 ist nicht mehr zu decken.) 24...Dh3 25.Se3 ( Das Damenopfer 25.Dxf3! Txf3 26.Sxd6 lässt Weiß noch im Spiel. Allerdings führt 26...Sf6! langfristig auch die Entscheidung herbei. 27.Tae1 h6 Bloß nicht voreilig ( 27...Sg4?? 28.Te8+ Tf8 29.Txf8+ Kxf8 und das Matt passiert, anders als geplant, auf der gegenüberliegenden Brettseite. 30.Te8# ) 28.Te3 Txe3 29.Lxe3 ( 29.fxe3 Sg4 30.Te2 Sxh2! 31.Txh2 Dxg3+ 32.Tg2 Dxd6 und Schwarz gewinnt.) 29...Sg4 30.Sc4 Sxh2 31.Se5 g5! 32.g4 ( 32.Tc1 erlaubt 32...g4 33.Txc6 Sf3+ 34.Sxf3 gxf3 mit undeckbarem Matt auf g2.) 32...h5 33.Tc1 hxg4 34.Txc6 g3! ( 34...Sf3+? 35.Sxf3 gxf3 36.Tg6+ Kf7 37.Txg5 ) 35.Tc1 ( 35.fxg3 Sf3+ 36.Sxf3 ( 36.Kf2 Sxe5 37.dxe5 Dh2+ 38.Kf3 ( 38.Ke1 Dh1+ 39.Kd2 Dxc6 ) 38...Dh1+ 39.Ke2 Dxc6 ) 36...Dxg3+ 37.Kf1 Dxf3+ 38.Lf2 Dxc6 ) 35...Sf1! und Schwarz gewinnt.) 25...Tf4!! Ein herrlicher Schlusszug, der sofort gewinnt. ( 25...Tf6? 26.De4 unterbindet. 26...Sxe3 führt danach nur zum Dauerschach: 27.fxe3 Lxg3! 28.Tf1! f2+ 29.Texf2 Lxh2+ 30.Kh1 Lg3+ 31.Kg1 Lh2+ . 0-1 Naiditsch,A-Gustafsson,J/EM in Dresden 2007.) ] 1...Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 d5 4.Sc3 dxc4 5.e4 Lb4 6.Lg5 c5 7.Lxc4 cxd4 8.Sxd4 Lxc3+ 9.bxc3 Da5 10.Lb5+ Ld7 11.Lxf6 gxf6 Das ist alles noch Theorie. Das Zwischenschach [ 11...Dxc3+ erweist sich umgehend als Verlustzug: 12.Kf1 gxf6 13.Tc1 Da5 14.Tc8+! Ke7 15.Txh8 Lxb5+ 16.Sxb5 Dxb5+ 17.Kg1 und Schwarz kann aufgeben.] 12.Lxd7+ Sxd7 13.0-0 a6 14.Tb1 Dc7 15.Dh5 Droht mit dem Springer auf e6 zu schlagen, weil der f7-Bauer gefesselt ist. 15...Ke7 16.f4!? Der erste Zug, den die Computer nicht mehr empfehlen. [ 16.Tfd1 verspricht Weiß ein leichtes Plus angesichts der schwachen gegnerischen Königsstellung. ] 16...Dxc3 Die konsequenteste Fortsetzung. 17.Tfd1 Tab8 [ 17...De3+ 18.Kh1 Dxe4 Das wird bestraft. 19.Sf5+!! exf5 ( 19...Dxf5? führt zum Matt: 20.Txd7+! Kxd7 21.Dxf7+ Kd6 22.Tb6+ Kd5 23.Dd7+ Kc4 24.Da4+ Kd5 25.Da5+ Ke4 26.Tb4+ Ke3 27.Db6+ Ke2 28.Tb2+ Kd3 29.Db3+ Kd4 30.Db4+ Kd5 31.Td2+ Kc6 32.Dd6+ Kb5 33.Tb2+ Kc4 34.Tb4+ Kc3 35.Dd4+ Kc2 36.Tb2+ Kc1 37.Dd2# ) 20.Te1 Tac8 21.Dxf5 De6 22.Txe6+ fxe6 23.Dg4 und Weiß sollte gewinnen, auch wenn der Nachziehende mit Turm, Springer und Bauer noch genügend Material für die Dame hat. Erneut macht sich die zu offene Königsposition negativ bemerkbar.] 18.e5 De3+? Unerwarteterweise ist dieses Zwischenschach der endgültige Verlustzug. [ 18...Thd8 19.Tb3 Dc4 20.exf6+ Sxf6 21.De5 Txd4 22.Dxd4 Dxd4+ 23.Txd4 b5 24.Kf2 Sd5 Das Endspiel sieht Weiß klar im Vorteil, aber der Nachziehende darf noch auf ein Remis hoffen.] 19.Kh1 Thd8 20.exf6+ Ke8 [ 20...Sxf6 kontert Gustafsson mit 21.Txb7+!! Txb7 ( 21...Sd7 22.Sc6+ Ke8 23.Dxh7 Dc5 24.Sxb8 Sxb8 25.Dxf7# ) 22.Sc6+ Kf8 23.Txd8+ Se8 24.Dh6+ Kg8 25.Txe8# ] 21.Sxe6!! Plötzlich wird klar: Die schwarze Dame hat sich auf der e-Linie ins Schussfeld begeben. 21...Sxf6 [ 21...Dxe6 22.Te1 ] 22.Sc7+ Ke7 23.Dh4 [ 23.Dh4 Txd1+ 24.Txd1 Nun sind die schwarzen Kräfte paralysiert. Das Springerschach auf d5, das die Figur auf f6 einheimst, kann nicht mehr sinnvoll pariert werden. 24...Td8 ( 24...Db6 25.Sd5+ ) 25.Te1 ] 1-0



Jan Gustafsson
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