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Friedensschluss auf dem Höhepunkt der Schlacht
Anand und Kramnik remisieren bei Schach-WM erneut nach 32 Zügen / Kleiner Punktsieg im Psychokrieg für russischen Herausforderer
von FM Hartmut Metz, 18. Oktober 2008
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Die spannende Schlacht tobte vier Stunden - doch just auf dem Höhepunkt entschieden sich die Generäle von 16 Schachfiguren für einen Waffenstillstand. Das Publikum goutierte die Entscheidung von Viswanathan Anand und Wladimir Kramnik wenig. Kaum eine Hand rührte sich zum Beifall in der Bonner Bundeskunsthalle. Die 500 Fans wollten Blut sehen. Abertausende, die im Internet live das Geschehen auf dem Brett verfolgten, ebenso. "Ich bin enttäuscht. Beide hatten die Hosen voll", schimpfte ein erzürnter Surfer nach dem zweiten Unentschieden bei der Schach-Weltmeisterschaft.
Den Großmeistern fehlte es an Courage, einen Fehlstart zu riskieren. So grübelte Titelverteidiger Anand ein paar Minuten, ehe er die Remisofferte des russischen Herausforderers nach erneut 32 Zügen annahm. Mit nur noch 165 verbliebenen Sekunden für acht Züge schien dem Inder die Gefahr zu groß, in Zeitnot einen Schnitzer zu machen - schließlich verfügte Kramnik mit neun Minuten über deutlich mehr Bedenkzeit bis zum 40. Zug. "Ich sah keinen sonderlichen Vorteil für mich", rechtfertigte der Baden-Badener Bundesligaspieler Anand seine Entscheidung. Der Wettkampf über zwölf Partien, für den beide Denkstrategen jeweils 600000 Euro Preisgeld kassieren, steht somit 1:1 vor dem heutigen dritten Duell (15 Uhr).
"Einen Moment lang war ich überoptimistisch", berichtete Kramnik von seiner Gefühlslage. Mit Schwarz opferte der Weltmeister von 2000 bis 2007 einen Bauern, wodurch die weißen Steine deutlich unkoordinierter standen. Der Wahl-Pariser fand allerdings keine Möglichkeit, dies konsequent auszunutzen. "Die komplizierte Stellung geriet von Anfang an außer Kontrolle. Ich wusste nicht, ob ich einen Konter wagen konnte. Deshalb beschloss ich wegen des Bauern weniger, das Remis anzubieten", erzählte Kramnik.
Über das Gesicht des 33-Jährigen war beim Partieauftakt ein Schmunzeln gehuscht. Anand hatte die Begegnung mit dem Damenbauern eröffnet. Wie die meisten Experten zeigte sich Yasser Seirawan in Bonn erstaunt. "Das war die erste Überraschung", befand der amerikanische Großmeister, weil der "Tiger von Madras" fast immer gleich den Königsbauern zwei Felder nach vorne stößt. Kramnik dagegen zeigte sich gewappnet. "Ich habe mich auf alles vorbereitet", scherzte der Weltranglistensechste nach der monatelangen Eröffnungsvorbereitung mit seinen drei Weltklasse-Sekundanten Peter Leko (Ungarn), Geburtstagskind Sergej Rublewski (Russland) und Laurent Fressinet (Frankreich). Der Damenbauern-Zug seines Nachfolgers auf dem WM-Thron bedeutete für ihn einen kleinen Erfolg im Psychokrieg. Offensichtlich traute sich Anand nicht zu, mit der üblichen Eröffnung Kramniks Spezialvarianten, die so genannte Russische Verteidigung und die Berliner Mauer, zum Einsturz zu bringen.
Das erzielte Unentschieden freute den 33-Jährigen aber auch nicht richtig, obwohl bis dato keiner der beiden seinen Rivalen mit Schwarz bezwingen konnte. Nach dem 42. Unentschieden in der 52. Turnierpartie - nach Siegen führt Kramnik 6:4 - erheiterte den Russen indes ein Hinweis eines Zuschauers. Der machte den vergesslichen Ex-Champion auf die Fernsehübertragungen aufmerksam. "Oh ja, heute kommt Fußball. Danke für den Tipp!" Im TV konnte er sehen, dass die russischen Kicker in der WM-Qualifikation gegen Finnland deutlich angriffslustiger agierten und deshalb 3:0 gewannen.
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Anand (2783) - Kramnik (2772) [E25] Weltmeisterschaft Bonn, 15.10.2008
1.d4
Die erste Überraschung, spielt doch Anand fast ausschließlich [ 1.e4
]
1...Sf6
2.c4
e6
Kramniks Hauptwaffe.
3.Sc3
Laut WM-Kommentator Miguel Illescas die "zweite Überraschung. Anand versucht meist Nimzo-Indisch mit [ 3.Sf3
zu umgehen".]
3...Lb4
4.f3
"Und die dritte und letzte weiße Überraschung. In Mode ist [ 4.Dc2
à la Capablanca. Von den Topspielern wagte nur Alexej Schirow in den 90ern diese aggressive Fortsetzung. Anand spielte die Variante nie - und Kramnik wurde noch nie damit konfrontiert", erklärt Illescas. Die Sämisch-Variante ist nach dem deutschen Großmeister Fritz Sämisch benannt.]
4...d5
5.a3
Lxc3+
6.bxc3
c5
7.cxd5
Sxd5
8.dxc5
f5!?
Bis dato nur die zweithäufigste Fortsetzung an dieser Stelle – doch wie so oft könnte ein WM-Kampf einen neuen Trend in einer Eröffnung setzen. Mehr en vogue war bisher der Damenausflug [ 8...Da5
, was Ex-Champion Anatoli Karpow bevorzugte.]
9.Dc2
Sd7!
Bereits die Neuerung. Gespielt wurden schon [ 9...0-0
und das bizarre, aber durchaus logisch wirkende; 9...f4
, um die weiße Entwicklung zu hemmen.]
10.e4
fxe4
11.fxe4
S5f6
12.c6!?
Der Vorstoß schwächt die schwarze Bauernstruktur. Da der Springer auf d7 früher oder später ohnehin ein besseres Feld suchen muss, bedeutet der Zug keinen sonderlichen Zeitverlust.
12...bxc6
13.Sf3
Da5
14.Ld2
Das ist auch eine Neuerung. In der Vorläuferpartie Günther Möhring - Detlef Neukirch, DDR-Meisterschaft 1965, geschah [ 14.Le3?!
Sg4
15.Lg1
0-0
und Schwarz stand klar besser.]
14...La6
15.c4
Dc5
16.Ld3
Sg4
[ 16...0-0
17.Lb4
De3+
18.De2
Dxe2+
19.Kxe2
c5
20.Lc3
Sb6
21.Tac1
und Weiß verfügt über leichten Vorteil. Der Bauer auf c4 ist indirekt gedeckt. 21...Lxc4??
verbietet sich wegen 22.Lxc4
Sxc4
23.Lxf6
Txf6
24.Txc4
mit Figurengewinn.]
17.Lb4
De3+
18.De2
0-0-0
Den Zug fand Anand schlecht. [ 18...c5
19.Ld2
Dxe2+
20.Lxe2
h6
und Schwarz stünde komfortabel, befand der Weltmeister. Seine vorgeschlagene Variante; 18...Dxe2+
19.Kxe2
Sge5?
20.Sxe5
Sxe5
21.Ld6
tadeln aber Illescas genauso wie Programme. Nach 21...Sxd3
22.Kxd3
0-0-0
23.e5
besitzt Weiß einigen Vorteil, weil der Anziehende die f-Linie besetzen kann: 23...Thf8
24.Thf1
Txf1
25.Txf1
Td7+-
und die verbliebenen schwarzen Streitkräfte sind ausnahmslos Statisten.]
19.Dxe3
Sxe3
20.Kf2
Sg4+
[ 20...Sxc4
21.Tac1
Sdb6
22.Lxc4
Sxc4
23.Tc2
Kb7
24.Thc1
Sb6
25.Txc6
Tc8
26.Txc8
Txc8
27.Txc8
Kxc8
28.Sg5
gewinnt keinen Bauern für Schwarz, sondern verliert letztlich einen.]
21.Kg3
Sdf6?!
Mit der Fortsetzung haderten anschließend beide Recken. [ Bei 21...Sge5
hat Schwarz nichts zu fürchten.]
22.Lb1!
h5!
Die stärkste Verteidigung, die der Russe nach langem Nachdenken fand. [ 22...Lxc4
verliert nach 23.e5
, weil Schwarz den Zwischenzug 23...Se3
nicht hat, der ihm bei dem Läuferzug gen c2 eine Angriffsmarke beschert hätte.]
23.h3
h4+!
Lenkt den Schimmel von e5 ab.
24.Sxh4
Se5
25.Sf3
Sh5+
26.Kf2
Sxf3
27.Kxf3
e5
28.Tc1
Sf4
29.Ta2
Sd3
30.Tc3
[ 30.Lxd3!?
erlaubt Weiß risikoloses Spiel auf Gewinn. 30...Txd3+
31.Kg4
Te3
32.Kf5
Th5+
33.Kg6
Th4
34.Tf2
Thxe4
35.Tf8+
Kb7
36.Tf7+
Kc8
37.Txg7
Lxc4
38.Kf6
Tf4+
39.Ke7
Td3
40.Ld6
und dank der verbundenen Bauern besitzt der Anziehende gewisse Chancen.]
30...Sf4
31.Lc2?
"Ein hässlicher Zug", kommentiert Illescas. Der Turm auf a2 wird verstellt. [ 31.Tb2
Td1
32.Kf2
Thd8
33.Tg3
g6
34.Lc3
Lxc4
35.Lxe5
Txb1
36.Txb1
Sd3+
37.Txd3
Txd3
38.Tc1
Lb5
39.Ta1
und Weiß steht etwas besser.]
31...Se6
32.Kg3
Td4
Mit einem cleveren Remisangebot, was Anand ins Grübeln brachte. Als er weniger als drei Minuten auf der Uhr hatte für acht Züge, akzeptierte es der Weltmeister. Er habe nach [ 32...Td4
33.c5
keine Gewinnmöglichkeiten für sich gesehen, sagte der Inder später. WM-Kommentator Illescas verstand die Entscheidung allerdings nicht und gibt als mögliche Fortsetzung 33...Sf4
34.Te3
Th6
35.Kh2
Tg6
36.g3
Lc4
37.Tb2
Sd3
38.Lxd3
Txd3
39.Txd3
Lxd3
40.Lc3
Te6
41.Tb4
an. Weiß kann dann bequem versuchen, den Mehrbauern zu verwerten.] 1/2-1/2
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Werner Müller, Evonik, führt den ersten Zug aus
Anand - Kramnik
Pressekonferenz mit Klaus Bischoff
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