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Kramniks Lager hat aufgegeben

Weltmeister Anand strotzt vor Selbstvertrauen und lehnt forsch ein Remisangebot ab / Dennoch Punkteteilung zum 5:2

von FM Hartmut Metz, 25. Oktober 2008

 

Viswanathan Anand hat seinen Vorsprung bei der Schach-WM in Bonn verteidigt. Der Weltmeister aus Indien führt nach dem vierten Remis gegen Herausforderer Wladimir Kramnik mit 5:2. Damit fehlen dem "Tiger von Madras" noch drei Unentschieden aus fünf Partien zum Gesamtsieg. Die deutliche Führung verleitet den 38-Jährigen aber keineswegs zu Übermut. "Wir arbeiten hart weiter", kündigte ein gut gelaunter Anand an, seine "Sekundanten weiter im Hotel eingeschlossen zu lassen".

Dass er nach zwei Siegen in Folge vor Selbstvertrauen strotzte und kaum mehr die Führung abgeben wird, zeigte sich nach dem 21. Zug: Kramnik tauschte die Damen und offerierte in der Bundeskunsthalle den Friedensschluss. Aber der Inder lehnte ab und versuchte den vollen Punkt einzufahren. Doch der Ex-Weltmeister aus Russland verteidigte sich präzise. "Ich spielte eine Slawisch-Variante von meinem WM-Kampf 2006 gegen Wesselin Topalow - aber irgendwas brachte ich durcheinander", berichtete Kramnik und setzte fort, "zwischenzeitlich war ich zu relaxt und musste die Abwicklung forcieren, ehe es kritisch für mich wird." Am Ende hatte der 33-Jährige auf dem bis auf die Könige leer gefegten Brett nur fünf gegen sechs Bauern. Weil Weiß trotz des Materialvorteils keine Durchbruchsmöglichkeit besaß, willigte Anand im 37. Zug in die Punkteteilung ein.

Der Herausforderer hatte durch den Farbwechsel zur Halbzeit wie schon in Partie sechs die schwarzen Steine zu führen. Nach der schmerzlichen dritten Niederlage verzichtete Kramnik auf einen weiteren Harakiri-Angriff als Nachziehender. Die umsichtige Verteidigung Anands und dessen tödlicher Konter waren dem mit einer Pariser Journalistin verheirateten Weltranglistensechsten eine Lehre. "Wir müssen die WM jetzt anständig zu Ende bringen", deutete sein Manager Carsten Hensel an, dass man im Lager des Russen nicht mehr an die Wende glaubt. Die Gründe für das schwache Abschneiden seines Schützlings will der Dortmunder Hensel nach dem Zweikampf offen legen. Dies öffnet Spekulationen Tür und Tor, ob Kramnik wieder an schwerer rheumatischer Arthritis leidet, die den Schlaks von der Schwarzmeerküste schon einmal lange außer Gefecht setzte.

Seinen Landsmann aufgegeben hat derweil Anatoli Karpow. "Die Lage ist seit dem letzten Desaster ziemlich hoffnungslos. Vor der sechsten Partie glaubte ich noch an eine mögliche Rettung", verkündete der ehemalige Weltmeister in Bonn. Der 57-jährige Karpow, der nur noch selten am Brett sitzt und sich lieber als Unicef-Botschafter engagiert, sieht Kramnik in einem Dilemma. Dessen trockener positioneller Stil tauge nicht zum kompromisslosen Spiel auf Sieg, denn die brachialere "Taktik ist Anands Territorium".

Der Ablauf der ersten zwei entschiedenen Partien ähnelte sich: Anand überraschte den Herausforderer aus Russland mit neuen Eröffnungszügen. Kramnik geriet danach in Zeitnot und übersah taktische Kniffe des Inders. Nachstehend der erste brillante Sieg des Baden-Badener Bundesligaspielers aus Runde drei. Zudem ist das fünfte Duell ab dem 15. Zug integriert, als Anand abwich und mit einer sehenswerten Kombination die Ernte einfuhr.











Kramnik (2772) - Anand (2783) [D49]
Weltmeisterschaft Bonn, 17.10.2008

1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 [ In der 1. Runde bevorzugte Kramnik die zahme Abtauschvariante 3.Sc3 Sf6 4.cxd5 .] 3...Sf6 4.Sc3 e6 5.e3 [ Bei der WM im Vorjahr in Mexiko wagte Kramnik gegen Anand noch das ebenfalls scharfe 5.Lg5 h6 6.Lh4 - diesmal verzichtet der Russe aber offensichtlich lieber darauf gegen den taktisch starken Inder.] 5...Sbd7 6.Ld3 dxc4 7.Lxc4 b5 8.Ld3 a6!? [ Das Meraner System ist ultrascharf. In einem Schaukampf 2007 in Moskau zog Anand das beliebte 8...Lb7 ] 9.e4 c5 10.e5 Diese Variante hatte Anand noch nie in einer Turnierpartie auf dem Brett. Häufiger wurde er schon dagegen mit dem zweiten Hauptabspiel, [ 10.d5 , konfrontiert.] 10...cxd4 11.Sxb5 axb5 12.exf6 gxf6 13.0-0 Db6 14.De2 [ 14.Le4 kennt Kramnik auch von der anderen Seite. 1994 in Linares stand der Zug gegen Gata Kamsky zur Debatte und führte zum Remis.] 14...Lb7! Keine Neuerung, aber erstmals auf Großmeister-Niveau erprobt! Bisher zogen die Profis automatisch [ 14...b4 , was allerdings wie auch; 14...La6 Schwarz zuletzt nur Probleme einbrockte. Die Überraschung ist Anand gelungen! Kramnik wurde aus seinem Konzept gebracht und überlegte 15 Minuten lang.] 15.Lxb5 Ld6 [ Bevor Kramnik ihn unangenehm überrascht, wich Anand in der fünften WM-Partie drei Tage später lieber selbst ab und stürzte seinen Gegner wieder in von ihm vermintes Gelände. 15...Tg8 16.Lf4 Ld6 17.Lg3 f5 18.Tfc1 f4 19.Lh4 Le7 20.a4 Lxh4 21.Sxh4 Ke7 22.Ta3 Tac8 23.Txc8 Txc8 24.Ta1 Dc5 25.Dg4 De5 26.Sf3 Df6 27.Te1 Tc5 28.b4 Tc3 29.Sxd4?? Dxd4 30.Td1 Sf6 31.Txd4 Sxg4 32.Td7+ Kf6 33.Txb7 Tc1+ 34.Lf1 Se3!! Das hatte Kramnik bei der Abwicklung übersehen. 35.fxe3 fxe3 0:1.] 16.Td1 [ 16.Sxd4 Tg8 17.Sf3 Ke7 verheißt Schwarz Angriffschancen auf der g-Linie, weshalb Weiß lieber auf den Bauern verzichtet.] 16...Tg8 17.g3 [ 17.Txd4? kontert Schwarz mit 17...Txg2+! 18.Kxg2 Dxd4 ] 17...Tg4!N Das ist der erste neue Zug. Der Turm überdeckt d4 und stünde ideal, wenn Schwarz auch noch zu Ke7 und Tag8 käme. [ Das noch bekannte 17...Lc5? 18.b4!+- führte in d'Israel-Gerbelli, Brasilien 2000, sofort zu einer Gewinnstellung für Weiß.] 18.Lf4! Nach langem Nachdenken rang sich Kramnik zu diesem Figurenopfer durch. Zweifellos hatte Anand beim logisch wirkenden [ 18.Sd2 eine geistreiche Idee in der Hinterhand. Sehenden Auges hätte der Weltmeister kaum die Variante in ein paar Minuten heruntergespult, um danach in eine aussichtslose Lage zu geraten. Die Kommentatoren wie Miguel Illescas, der auf der WM-Seite alle Partien analysiert, glaubt an eine "teuflische Falle" mittels 18...Ke7! 19.Lxd7 ( 19.Dxg4 Dxb5 kann es nicht sein, weil der weißfeldrige Läufer riesenstark ist.) 19...Tag8! 20.Lb5 ( 20.Db5 Dc7 und alle Figuren drücken auf die weiße Rochade-Stellung, die alsbald mit Lxg3 gesprengt wird.) 20...d3 ( 20...Txg3+ 21.hxg3 Txg3+ 22.Kf1 Lg2+ 23.Ke1 Te3! 24.fxe3 Lg3+ 25.Df2 Lxf2+ 26.Kxf2 dxe3+ 27.Kxg2 Dxb5 28.Sc4 Noch am besten. 28...Dg5+ und Schwarz hat ein Dauerschach.) 21.Dxd3 Txg3+ 22.hxg3 Txg3+ 23.Kf1 Txd3 24.Lxd3 Dd4! 25.Sb3 Dd5 26.Le3 Lb4 27.Sd4 Dg2+ 28.Ke2 Dg4+ 29.f3 Dg2+ 30.Lf2 Lc5 31.Ke1 Lb4+ 32.Ke2 Lc5 mit Zugwiederholung.] 18...Lxf4 Anand zögerte nicht lange, weshalb er noch immer in seiner Vorbereitung war. Bis dahin verbrauchte der 38-Jährige lediglich neun Minuten seiner zwei Stunden Bedenkzeit! 19.Sxd4!? [ 19.Txd4 gewinnt die Figur zurück - aber das hätte Anand sicher auch noch gekannt. Der Springerzug brachte nun erstmals den Weltmeister ins Grübeln.] 19...h5 Dafür benötigte Schwarz 43 Minuten! 20.Sxe6! [ 20.Lxd7+? wird widerlegt durch 20...Kxd7! Der König zieht furchtlos ins Abzugsschach. 21.Sxe6+ Ld6 22.Txd6+ Dxd6 23.Td1 fxe6 24.Txd6+ Kxd6 25.Dd2+ Ld5 und der Nachziehende steht auf Gewinn.] 20...fxe6 [ Nichts taugt hingegen 20...Le5? 21.Sc7+! Dxc7 22.Txd7 Dxd7 23.Lxd7+ Kxd7 24.Td1+ Kc6 25.f4!? Lxf4 26.Dc4+ und Weiß behält die Oberhand.] 21.Txd7 Kf8 [ 21...La6? scheitert an 22.Td6+ Dxb5 23.Dxe6+ Kf8 24.Td7! ] 22.Dd3! Tg7! Schwarz will den auf der siebten Reihe lästigen weißen Turm beseitigen. Weniger nachhaltig wirken: [ 22...Le4?? 23.Dxe4 Lxg3 24.Dxa8+ ; 22...f5?? 23.Dc3! e5 24.Db4+ ; 22...Lc8 verliert nicht sofort, scheint aber auch zu Gunsten von Weiß zu verlaufen. 23.Th7 Kg8 24.Te7! f5 25.Td1 Kf8 26.Te8+ Kf7 27.Dc3! Dxb5? 28.Tf8+! Kxf8 29.Df6+ Kg8 30.Td8+ De8 31.Txe8+ Kh7 32.Th8# ; Zum Remis dürfte 22...Lxg3! reichen. 23.hxg3 h4 24.Dd6+ ( 24.Td6 Dc5 ist unklar.) 24...Dxd6 25.Txd6 Tb4 26.Lc6 Lxc6 27.Txc6 hxg3 ] 23.Txg7 [ In der Pressekonferenz schlug Kramnik 23.Td1 als Alternative vor. 23...Txd7 24.Dxd7 Le5 25.Dh7 Ld5 26.Dh8+ Kf7 ( 26...Ke7 27.Dg7+ Kd6 28.Dd7+ Kc5 29.Tc1+ Kb4 30.Lc6 sieht zu gefährlich aus für den schwarzen König.) 27.Dh7+ Kf8 28.Dh8+ mit Dauerschach.] 23...Kxg7 24.gxf4 Td8 Schwarz hat zwar nun zwei Bauern weniger, aber der weiße König steht gefährdeter als sein Widerpart. 25.De2 [ 25.Db3 ist möglich im Gegensatz zu; 25.Dg3+? Kh8! 26.Db3 Tg8+ 27.Kf1 Tg2 und Weiß steht auf Verlust.] 25...Kh6! 26.Kf1 Tg8 27.a4! Schützt den Läufer und lässt endlich einen der Bauern am Damenflügel marschieren. [ 27.f5?! erweist sich als zu zweischneidig: 27...Lg2+ 28.Ke1 Lc6 29.Dd2+ Kh7 30.Lxc6 Dxc6 31.Ke2 Db5+ 32.Kf3 Tg4! ; 27.Td1? verliert nach 27...Lg2+ 28.Ke1 Da5+ 29.Td2 Lh3! 30.Kd1 Dxa2 ] 27...Lg2+ 28.Ke1 Lh3! [ Der Weltmeister signalisierte damit, dass ihm ein Remis zu wenig ist. Aggressiv spielte er nun auf den vollen Punkt, anstatt die Züge mittels 28...Lc6 29.Kf1 Lg2+ zu wiederholen.] 29.Ta3? [ 29.Td1! hält Weiß im Spiel. 29...Tg1+ ( 29...Lg4?! ist nicht besser. 30.De3! Dxe3+ 31.fxe3 Lxd1 32.Kxd1 Tg2 33.b3 Txh2 34.a5 Ta2 35.a6 h4 36.La4 h3 37.a7 Ta1+ 38.Kc2 h2 39.a8D h1D 40.Dxh1+ Txh1 41.Lc6 Th2+ 42.Kd3 mit einem ausgeglichenen Endspiel.) 30.Kd2 Tg2 31.De3!? Txf2+ 32.Le2 Txe2+ ( Bloß nicht 32...Dxb2+? 33.Ke1 Tg2 34.f5+! Kg7 35.Td7+ mit baldigem Matt.) 33.Dxe2 Lg4 34.Dd3 Dxb2+ 35.Dc2 Dd4+ 36.Kc1 Lxd1 37.Dxd1 mit Friedensschluss, sofern Schwarz nicht auf 37...Dxf4+?? 38.Dd2! verfällt, da nun der a-Bauer zur Dame marschiert.] 29...Tg1+ 30.Kd2 Dd4+! 31.Kc2 [ 31.Td3? Dxb2+ 32.Ke3 Da1! gewinnt angesichts der Drohung Te1 in allen Varianten.] 31...Lg4?! [ Sofortiges 31...Lf5+ ist stärker. 32.Kb3 ( 32.Ld3 Lg4 33.f3 Lh3 führt zur Partie.) 32...Tc1! 33.a5 Dd5+ 34.Lc4 Db7+ 35.Ka4 ( 35.Lb5 Lc2+ 36.Ka2 ( 36.Kb4 De7+ 37.Kc3 Ld1+ ) 36...Dh1-+ mit Gewinn.) 35...Tc2 36.La6 Dc6+ 37.Db5 Tc4+ 38.b4 Lc2+ 39.Tb3 Dxb5+ 40.Lxb5 Tc3 und Schwarz behält die Oberhand.] 32.f3? [ 32.Td3!=/+ hält die Partie in Gang. 32...Lf5 33.Kb3 kostet die Qualität, die Freibauern sollten allerdings ein Remis verbürgen.] 32...Lf5+ 33.Ld3? [ Bei 33.Kb3 muss Schwarz erst noch 33...Tc1 34.a5! Dd5+! 35.Lc4 Db7+! 36.Lb5 Tc2 37.a6 Db6! 38.Df1 De3+! 39.Ka2 Dd2 40.Tb3 Tc1 finden.] 33...Lh3?! [ Gleich Schluss macht 33...Lxd3+! 34.Txd3 ( 34.Dxd3 Tg2+ ) 34...Dc4+! 35.Kd2 Dc1# ] 34.a5 [ Oder 34.Dd2 Tg2! 35.Le2 Lf5+ 36.Kc1 Dg1+ 37.Dd1 Dxh2 38.Kd2 Dxf4+ 39.Kc3 De5+ mit hoffnungsloser Position.] 34...Tg2 35.a6 Nach dem Damenverlust hoffte Kramnik noch, dass der a-Bauer irgendwie bis nach a8 vorstößt. 35...Txe2+ 36.Lxe2 Lf5+ 37.Kb3 De3+ 38.Ka2 Dxe2 39.a7 Dc4+ 40.Ka1 Df1+ 41.Ka2 Lb1+ 0-1



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