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Die Arbeit als Sekundant befriedigt Nielsen mehr

Dänischer Eröffnungsexperte sieht es gerne, wenn Weltmeister Anand seine Ideen in Perfektion umsetzt / OSC Baden-Baden wieder haushoher Titelfavorit

Von FM Hartmut Metz, 25. Januar 2008

 

Vom Weltklassespieler zum erfolgreichsten Schach-Sekundanten: Peter Heine Nielsen gehört zur Star-Truppe des OSC Baden-Baden. Der dänische Spitzenspieler hat sich aber in den vergangenen Jahren mehr auf die Betreuung von Assen seines Denksports verlegt. Der 34-Jährige trainiert das nicht einmal halb so alte norwegische Wunderkind Magnus Carlsen - und arbeitet auch mit dem frischgebackenen Weltmeister Viswanathan Anand. Beide spielen ebenso wie der mit 2625 Elo auf Platz 106 der Weltrangliste zurückgefallene Nielsen für den deutschen Meister aus der Kurstadt. Hartmut Metz unterhielt sich mit der Nummer elf des OSC über die Bundesliga-Saison und seine Arbeit als Sekundant.

Frage: Die Arbeit eines Sekundanten war früher klar: Er half bei der Wahl der Waffen und räumte im Falle der Niederlage die Leiche weg. Wie sieht heute die Arbeit eines Schach-Sekundanten aus?
Nielsen: Ich denke, heutzutage ist es noch eröffnungsbezogener als früher. Letztlich dürften es 95 Prozent der Zeit sein, die ich für Vishy an Eröffnungen arbeite. Das liegt daran, dass Computer inzwischen diese Partiephase nahezu mathematisch ausrechnen, und die Profis haben - ob sie es nun mögen oder nicht - keine andere Wahl, als diese Aufgabe zu erledigen.

Frage: Anand hat Sie nach dem Gewinn des Titels über den grünen Klee für Ihre Arbeit gelobt. Wie hoch fiel Ihr Anteil an der Weltmeisterschaft des Inders aus?
Nielsen: Wie schon erwähnt: Mein Beitrag bestand in der Eröffnungsphase. Ein bisschen diskutierten wir auch über die Turniertaktik, aber hauptsächlich half ich ihm bei seinem Eröffnungsrepertoire. Diesbezüglich lief es gut. Vishy schaffte es, interessante Stellungen zu bekommen, die zu seinem Stil passen. Aber natürlich kann man Unfälle nicht gänzlich ausschließen, weshalb es stets Momente gibt, in denen man sich eine bessere Vorbereitung gewünscht hätte.

Frage: Worin besteht die wichtigste Aufgabe eines Sekundanten?
Nielsen: Das hängt sehr davon ab, für welchen Spieler man arbeitet. Vishys Ansprüche sind sehr spezifisch auf die Eröffnung bezogen. Bei Magnus Carlsen ergibt sich ein viel weiteres Feld: Pizza holen und im Poker zu verlieren, um ein paar Beispiele zu nennen.

Frage: Gilt es auch den Spieler bei guter Laune zu halten und den Clown zu mimen?
Nielsen: Manchmal. Als Carlsen die erste Schnellschach-Playoff-Partie bei der WM-Qualifikation Ende 2005 gegen Malachow verlor, mussten wir eine halbe Stunde lang warten - wir schlugen dann die Zeit mit einem Computer-Spiel namens "Sealball" tot. Ich denke, das kann man durchaus als Clown bezeichnen - letztlich lenkte ihn das von seiner clownesken Figur ab, die er in der ersten Partie abgab (grinst). Mit Vishy lache ich sicher viel, aber ich würde das nicht als Clownerie bezeichnen.

Frage: Muss der Sekundant ein guter Freund sein?
Nielsen: Ich halte das für essenziell! Es scheint mir wichtig, Respekt vor der Person zu haben, für die man arbeitet. Das gilt auch für dessen Verhalten und Arbeit am Brett, bei der Vorbereitung und bezüglich der Schach-Politik. Und weil so ein Trainingscamp Monate dauern kann, halte ich es für wichtig, Spaß miteinander zu haben - und das funktioniert auf freundschaftlicher Basis leichter.

Frage: Sie sekundieren nicht nur dem Weltmeister, sondern auch dem 16-jährigen Wunderknaben Magnus Carlsen. Sehen Sie sich jetzt als weltbester Sekundant?
Nielsen: Nicht wirklich. Das hat gleich mehrere Gründe. Zum Beispiel war ich mehrfach Sekundant, aber zum ersten Mal hat mein Spieler, den ich unterstützte, gewonnen! Aber meine Fähigkeiten scheinen Vishys derzeitigen Ansprüchen zu genügen. Ich mag es, mit dem Computer zu arbeiten, was heutzutage unerlässlich ist. Ich muss zugeben, dass mich tiefgründige Ideen, die allein den Köpfen von Elisbar Ubilawa und Artur Jussupow entsprangen, beeindruckten. Aus vielerlei Gründen birgt es wenig Reiz, jedoch besteht nun eben die Arbeit des Sekundanten mehr darin, alles mit dem PC und nicht mit dem eigenen Kopf zu prüfen - was mir entgegenkommt.

Frage: Löst Carlsen Anand auf dem WM-Thron und an der Spitze der Weltrangliste ab?
Nielsen: Vishy hat erst soeben nach jahrelanger harter Arbeit den Titel erobert. Deshalb hoffe ich wirklich und denke, dass es zu früh ist, über einen Nachfolger zu reden (lacht). Sicher gibt mir jeder Recht, wenn ich Carlsen das Talent bescheinige, ganz nahe an den WM-Titel heranzukommen. Jedoch ist es jetzt schwierig zu sagen, ob es für die Weltmeisterschaft reicht. Ich halte es für ein Handicap, dass er aus dem Westen stammt und somit die "Russische Schachschule" keinen Einfluss auf ihn hat.

Frage: Was unterscheidet die beiden noch?
Nielsen: Mit Blick auf ihr Talent gibt es keine allzu großen Unterschiede, auch wenn es Anand bereits geschafft hat, sein enormes Potenzial umzusetzen. Das muss Magnus erst einmal nachmachen. Anand selbst erklärte auf der Pressekonferenz nach dem Titelgewinn, er habe aus seinen Fehlern gelernt. Das ist der wesentliche Unterschied, wenn man einen arrivierten Weltmeister mit einem außergewöhnlich talentierten Jungen vergleicht, der noch Fehler macht und daraus lernen soll.

Frage: Wen halten Sie für talentierter? Was hat der eine, was der andere nicht hat?
Nielsen: Bei einem in Vishys Alter - sorry Vishy! - über Talent zu reden, macht keinen Sinn mehr. Man sollte ihn nach seinen Resultaten beurteilen. Ein unumstrittener Weltmeister, der sich fair und ohne Geschacher qualifiziert hat, muss sich fantastisch fühlen. Seine größte Leistung besteht in meinen Augen jedoch darin, in K.o.-Turnieren einen Rekord von 19:1 Siegen aufgestellt zu haben. Aus statistischer Sicht halte ich das für fast unmöglich. Jeder aus der aktuellen Schachszene hat sein Glück schon dabei versucht, aber keiner kann auf solche Erfolge verweisen. Carlsen besitzt meiner Meinung nach das Potenzial selbst für eine Karriere auf Anands Niveau. Er ist jedoch jünger und noch viel mehr begrenzt in seinem Spielstil als Anand - aber das ist normal für einen 16-Jährigen.

Frage: Lohnt sich ein Sekundanten-Job mehr, als selbst Turniere zu spielen?
Nielsen: Ich genieße beides. Beides stellt eine eigene Herausforderung dar und unterscheidet sich sehr. In mancherlei Beziehung vermisse ich das Spielen ein bisschen, weil ich die letzten paar Jahre hauptsächlich als Sekundant arbeitete. Aber da die Angebote als Sekundant zu aufregend waren, um sie abzulehnen, kann ich mit der Situation leben. Ich fasste den Gedanken, mich weniger um meine eigenen Resultate zu kümmern und das Spiel zu genießen - aber das klingt zu sehr nach einer schlechten Ausrede von einer Person, dessen Elo-Weltranglistenzahl sich im freien Fall befindet. Und außerdem ist diese entspannte Sichtweise für die meisten schier unmöglich umzusetzen; definitiv gilt das auch für mich!

Frage: Manager kassieren bei Sportlern 20 Prozent Provision - gibt es für Sekundanten auch solch eine Erfolgsbasis oder "nur" ein Festhonorar? Bei 390.000 Dollar Preisgeld für Anand würde sich das mit 78.000 Dollar Honorar rentieren.
Nielsen: 20 Prozent!? Ich hoffe wirklich, die Manager bekommen mehr. Nehmen Sie den aktuellen WM-Zyklus: Laut den Buchmachern besaß Kramnik eine 33-prozentige Chance, seinen Titel zu verteidigen. Dennoch ertrotzte Kramniks Manager Carsten Hensel ein Revanchematch. Nehmen wir mal an, er hätte bei diesem ähnliche Chancen, verdoppelt sich die Wahrscheinlichkeit auf 66 Prozent, dass Kramnik am Ende der WM-Duelle wieder Weltmeister ist. Und Silvio Danailow gelang es, dass sein Schützling Wesselin Topalow nicht im Weltcup spielen muss und so keine sieben K.o.-Runden zu überstehen hat. Stattdessen trifft er gleich auf den Weltcup-Gewinner. Das bedeutet nicht nur eine magere Verdoppelung der Chancen wie bei Kramnik, sondern weit mehr! Ich bin beeindruckt - und ein bisschen neidisch. Mein Beitrag für Vishy kommt nicht annähernd an diese Proportionen heran. Aber man sollte auch bedenken, dass die Honorar-Prozente nicht nur aus einem Vakuum stammen, sondern anderen Teilnehmern weggenommen werden.

Frage: Profitieren Sie auch von der Zusammenarbeit mit dem Topspieler?
Nielsen: Mein dänischer Landsmann Bent Larsen sagte einmal grinsend zu einem Spieler, der ihn als "Inspiration" bezeichnet hatte: "Ja, man muss schon dumm sein, um nichts von mir zu lernen." Ähnlich verhält es sich bei der Zusammenarbeit mit Vishy: Es ist unmöglich, nicht unheimlich viel zu lernen. Doch wie Joel Lautier, der Kramnik einst sekundierte, anmerkte: Du lernst auch, wie leicht manches für andere ist und wie schwierig es für dich bleibt. Das ist in gewisser Weise deprimierend. Wie auch immer, es ist natürlich interessant, mit den absoluten Topleuten zusammenzuarbeiten und steigert das eigene Schachverständnis enorm. Das gilt genauso für deren Arbeitsmethodik. Das Feilen an den Eröffnungen ist schon immer meine Hauptwaffe gewesen. Wenn ich Fortschritte als Spieler erzielen will, muss ich andere Schwerpunkte setzen. Ich sollte dann all meine Energie in das Ausmerzen meiner Schwächen stecken. Klingt das letztlich nicht doch wie eine einleuchtende Entschuldigung für meine momentanen armseligen Ergebnisse (grinst)?

Frage: Eine Eröffnungsneuerung, die Sie entdecken, bleibt dem Topspieler vorbehalten und Sie verzichten im Zweifelsfall in einer eigenen Partie darauf, diese zu ziehen?
Nielsen: Nicht zwangsläufig. Wir diskutieren auch nicht viel darüber. Es gab Augenblicke, in denen ich einige Ideen nicht nutzte, um sie für später aufzusparen. Aber das geschieht selten. Heutzutage stammen die meisten Eröffnungsideen von Computern, weshalb sie jeder generieren kann. Natürlich vermeide ich es, die Ideen aus dem WM-Vorbereitungslager einzusetzen in den wenigen Partien, die ich dazwischen selbst spielte.

Frage: Ist das nicht frustrierend?
Nielsen: Kaum, eher das Gegenteil ist der Fall. Der Schach-Informator verlieh mir schon zweimal den Preis für die beste Eröffnungsneuerung - doch in beiden Partien blieb mir der Gewinn versagt. Insofern ist es eine Freude, Vishy eine Idee zu empfehlen, um danach zu sehen, dass er sie so vollstreckt, wie es die Eröffnungsidee verdient.

Frage: Sie zählen zur erweiterten Weltspitze. Welche eigenen Ambitionen hegen Sie noch? Oder legen Sie diese zugunsten des Trainer- und Sekundanten-Jobs langsam zu den Akten?
Nielsen: Tja, da kann ich mich weder festlegen noch es beeinflussen. Die gegenwärtigen Angebote als Sekundant sind auf der einen Seite fantastisch, auf der anderen Seite bekomme ich kaum Einladungen zu Turnieren. Ich hoffte bei der Europameisterschaft in Dresden auf ein gutes Abschneiden und die Qualifikation für den Weltcup. Das misslang mir jedoch, weshalb es mir derzeit auch an einem klaren Ziel als Spieler fehlt.

Frage: Im Europapokal hat der OSC Baden-Baden vergangene Woche als Vierter gut abgeschnitten. Den anvisierten Titel verpasste das Team indes.
Nielsen: Jeder Anfang ist schwer. Das war in der Bundesliga genauso: Es dauerte, bis wir unser Potenzial entfalteten. Auch wenn es wie eine billige Ausrede klingt: Hinzu kommt beim Europapokal, dass das System mit lediglich sieben Runden alles andere als ideal ist, um einen gerechten Sieger zu finden. Das Geschäftsmodell des Europapokals besteht überdies darin, Mannschaften möglichst in großer Zahl anzulocken. Viele Teams reisen mit zwei Ambitionen an: An einem Turnier mit Weltklasse-Beteiligung teilzunehmen und in einer sonnigen Gegend als Tourist einen Urlaub zu genießen. Baden-Baden belegte Rang vier und spielte ständig vorne mit, traf aber auf keinen einziges Verein, der höher als auf Rang neun platziert war! Auch wenn wir die Auslosung eher als Lotterie empfinden, erfüllten wir keinesfalls die Ansprüche, die man an eine Mannschaft vom Kaliber Baden-Badens stellt. Ich denke jedoch, wir ziehen unsere Lehren daraus und sind motiviert, erfolgreicher abzuschneiden, wenn wir eine zweite Chance erhalten.

Frage: In der Bundesliga sehen die Verhältnisse anders aus: Der OSC liegt von den Weltranglisten-Platzierungen her weit vor allen Konkurrenten. Gibt es auch nur einen Hauch an Zweifel an der nächsten deutschen Meisterschaft?
Nielsen: Es macht keinen Sinn, es zu leugnen: Wir haben zweimal in Folge gewonnen und besitzen die beste Mannschaft. Alles andere als der Hattrick wäre eine Enttäuschung. Allerdings gilt die deutsche Bundesliga als stärkste Klasse in der Welt, und wir hatten in den vergangenen Jahren manch kritischen Moment zu überstehen. Vermutlich werden wir wieder öfter zittern müssen - letztlich sollte es uns jedoch Vorteile bescheren, wenn es mehr starke Teams gibt, die sich gegenseitig die Punkte wegschnappen, und es nicht nur auf ein Match ankommt. So unterlagen wir zwar in der Vorsaison gegen Porz, aber das war nicht entscheidend, weil das Kölner Team in anderen Duellen in Schwierigkeiten geriet.

Frage: Wen erwarten Sie auf dem zweiten Platz hinter Baden-Baden?
Nielsen: Ich wäre glücklich, wenn meine Freunde und alten Mannschaftskameraden aus Wattenscheid eine Medaille holen würden. Einen klaren Favoriten auf Silber vermag ich nicht auszumachen. Von den Wertungszahlen her liegen viele Vereine dicht beieinander, zudem weiß man nie, wie oft die Klubs ihr Top-Oktett aufbieten.

Frage: Alle Jahre wieder erschallt vor dem Bundesliga-Start der Ruf nach einer Deutschen-Quote. Wie sehen Sie als Däne, der gut ins ausländische OSC-Starensemble integriert ist, die Frage? Und wie wird sie in Dänemark behandelt?
Nielsen: In Dänemark waren bisher Ausländer traditionell gestattet. In der nächsten Saison ändert sich dies und wird auf zwei Spieler begrenzt. Ich glaube wirklich, dass es ein großer Fehler wäre, irgendwelche Begrenzungen in der Bundesliga einzuführen. Dänemark geht nun rigide vor. Eines der Argumente ist dabei, dass die Ausländer den eigenen Talenten Plätze wegnehmen. Ich halte das für kompletten Unsinn: Zunächst stimmt es so nicht. Erstens schaffen es die wirklichen Talente auch trotz der Konkurrenz durch die Ausländer in die Mannschaften. Zweitens unterscheidet sich Schach sehr von vielen anderen Sportarten: Wir spielen mehr Einzelturniere und benötigen nicht wie im Fußball eine Mannschaft, damit man sich messen kann. Der Hauptgrund ist aber für westliche Länder, vielleicht sogar für alle Länder, dass man Einflüsse von außen bekommt. In Dänemark wählten wir die restriktive Klausel, weshalb wir die Gelegenheit einbüßen, ausländische Stars und Trainer etc. spielen zu sehen. Das Ganze kombiniert mit dem Verlust von Trainingseinheiten mit ihnen. Darunter leiden wir jetzt. Das sehe ich nicht als einzigen Grund, ist aber ein Teil des Problems. In der dänischen Nationalmannschaft bin ich bei der EM aktuell der jüngste Spieler - und ich bin 34! Deutschland dagegen hat ein junges, talentiertes Team, in dem ich der Älteste wäre. Man kann nicht alles haben: die stärkste Liga, in der die Weltmeister mitspielen, die Weltklasse-Großmeister und -Trainer - und gleichzeitig allen Talenten die Chance geben, gegen die stärksten Gegner anzutreten. Selbst die persönlichen Kontakte, Trainingsmöglichkeiten etc. überwiegen die paar Vorteile, die eine Ausländerbegrenzung bringt.

Peter-Heine Nielsen
Beim OSC Baden-Baden zählt Peter Heine Nielsen
zum Stammpersonal und ist in dieser Saison einer der Topscorer


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