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Remis gegen Weltranglisten-31. - danach Schlappe gegen die Nummer 51325

Hartmut Metz kommentiert seinen verpassten Sieg über Naiditsch

von FM Hartmut Metz, 13. Mai 2009

 

Beim Neckar-Open in Deizisau hat ein Teilnehmer schon vor dem ersten Zug zu seiner Verwunderung Glückwünsche erhalten! Als Ihr Berichterstatter am Morgen in die Halle eilte, wusste er wegen der langen Erstrundenpartie am Abend zuvor nicht, dass auf ihn der Star des 13. Neckar-Open an Brett eins wartete! Wenn einem die Auslosung einen 2700er beschert - und dazu noch den herausragenden deutschen Spieler -, Schach-Herz, was willst du mehr? Das Resultat ist da schließlich zweitrangig. Am Tag zuvor hatte ich noch im kleinen Kreis vor der Halle mit dem deutschen Meister Arik Braun und David Baramidze (beide enttäuschten mit 6 bzw. 6,5 Punkten) sowie Naiditsch geulkt: "Arkadij, ich würde so gerne gegen dich spielen! Wenn ich dann in 25 Zügen verliere, macht mir das nichts aus." Dass aus dem Spaß ein Ernst wurde, der durchaus in 25 Zügen hätte enden können, schien später wie eine Vorahnung - es hätte durchaus sein können, dass Naiditsch in 25 Zügen verliert!











Metz,H (2277) - Naiditsch,A (2700) [B29]
13. Neckar-Open Deizisau (2), 2009

1.e4 c5 Ich hatte mich auf e5 als Entgegnung eingestellt - da ich dann Königsgambit zu spielen pflege, mutmaßte ich, mein Gegner wolle dies wie so viele andere (auch zwei weitere e5-Spieler in dem Turnier) vermeiden. 2.Sf3 Sf6 3.e5 Sd5 4.Sc3 Sxc3?! Damit war ich schon "aus dem Buch". Im Vorjahr in Australien hatte ein Rivale [ 4...e6 gezogen, was zu kompliziertem Spiel und Ausgleich führt. Das reicht Naiditsch natürlich gegen mich nicht - aber dennoch war diese Wahl sicher besser als die nun entstehende Stellung, die Weiß leichtes Spiel schenkt.] 5.dxc3 Gegen jeden anderen Gegner hätte ich reflexartig mit dem b-Bauern zugeschnappt, um auf ein starkes Zentrum zu pochen. Gegen den Weltranglisten-31. schien mir eine dezentere Vorgehensweise ratsam. 5...Sc6 6.Ld3 [ Üblich ist 6.Lc4 . Mangels Theoriekenntnis und wegen eines vorsichtigen Aufbaus, der nicht a tempo zu a6 und b5 einladen wollte, stellte ich den Läufer gewohnheitsmäßig nach d3.] 6...g6?! [ 6...d5 7.exd6 exd6 gleicht sofort aus. Der Favorit mochte aber wohl keine offene e-Linie, auf der dereinst die Schwerfiguren getauscht werden und danach die schwarzen Siegchancen auf ein Minimum schrumpfen.] 7.0-0?! Da ich mich in dem System nicht auskenne, kam ich trotz meines Hangs zur langen Rochade nicht auf die Idee, diese einmal mehr anzustreben. Das hätte den folgenden Angriff geradezu fulminant gemacht, denn bei dem typischen Vorstoß h4, h5 stünde der Turm natürlich auf der h-Linie optimal. 7...Lg7 8.Te1 0-0 9.Lf4 b6 10.Dd2 Lb7 11.Tad1 De8 Spätestens jetzt war mir klar: Ich stehe "saugut". 12.Le4 Td8 Traurige Notwendigkeit. Schwarz muss sich natürlich um den d-Bauern kümmern, kann sich aber danach kaum rühren. 13.Ld5 [ Gleich 13.h4 kam in Betracht. Doch ich wollte das befürchtete Gegenspiel mittels f6 unterbinden.] 13...La8 e6 mit schrecklichen schwarzen Löchern stellt selbstverständlich keine Alternative dar. Nun verfiel ich in langes Grübeln. Zum einen beschäftigte mich die Frage, ob es möglich sei, den schwarzen Springer nach b8 und den Läufer von g7 nach h8 zu zwingen - aus rein ästhetischen Gründen, denn dann befänden sich alle verbliebenen schwarzen Figuren wieder auf der Grundreihe. Nachdem der Humbug aus den Gehirnwindungen vertrieben wurde, erwog ich lange, ein Luftloch mit h3 zu machen. Das bietet auch den Vorteil, mal ein Schlupfloch für den Läufer auf f4 zu schaffen. Weil mir jedoch nicht in den Sinn kam, wie ich nach einem beliebigen schwarzen Zug meine Stellung weiter verstärken könnte, verfiel ich irgendwann auf h4! Also: 14.h4! Kh8 Ein Notzug, um vielleicht f6 zu ermöglichen. 15.h5! gxh5 In der jämmerlichen Stellung muss Schwarz schon nehmen, weil h6 mit Figurengewinn droht! 16.Sg5 f6 17.exf6 Lxf6 18.Dd3 Lxg5 19.Lxg5 Die Stellung gefiel mir prächtig. erstmals kam mir in den Sinn, dass ich gegen Naiditsch in 25 Zügen gewinnen könnte und nicht er! 19...Tf7! Ein Zug mit großer psychologischer Kraft! Der Favorit steht nahezu hoffnungslos - täuscht nun aber Initiative mit dem schon nahezu erzwungenen Zug an. 20.Dh3 Laut Naiditsch ein starker Zug. [ 20.De4! ist allerdings noch besser. Inzwischen schaltete mein Verstand aber völlig aus. Mir war nur eines klar: "Nehme ich den Turm auf f7 weg, zerreißt mich mein Kontrahent! Er rollt im Zentrum an, danach erledigt mich der Taktikriese auf der langen Diagonalen", redete ich mir ein.] 20...d6 Erzwungen. Ansonsten bedient sich Weiß tatsächlich auf f7 und nimmt anschließend auf d7. [ 20...Tg7? 21.Lf6 exf6 22.Txe8+ Txe8 23.Dxh5 ] 21.De6? Gegen einen x-beliebigen Gegner meiner Preisklasse hätte ich ohne Zögern auf f7 zugegriffen. Jetzt kam mir nichts mehr in den Sinn bis auf den Damenzug und die Parole: "Bloß nichts anbrennen lassen!" [ 21.Lxf7! gewinnt simpel. 21...Dxf7 22.De6 Dg7 23.Lh6 Dg6 24.Dxg6 hxg6 25.Te6 Kh7 26.Lg5 Td7 27.Tde1 Se5 28.Txe7+ Txe7 29.Lxe7 Sf7 30.Lf6 g5 31.Te7 Kg6 32.Txa7 Ld5 33.Le7+- ] 21...Se5 22.Txe5! dxe5 23.Dxe5+ Tg7 24.Lh6 Dg6 25.Lxg7+ Dxg7 Soweit mit der Zuversicht geplant, dass ich das gegen keinen Spieler auf dem Planeten mehr verliere. 26.Dxh5 Dg6 27.De5+ Dg7 28.De4 [ 28.Dh5 mit dem Angebot einer Zugwiederholung schien mir nun doch auf einmal zu wenig.; 28.De6 war stärker.] 28...Df6 29.Td3 Txd5 30.Txd5 Lxd5 [ 30...e6?? ließ mich für eine Sekunde den Schrecken in die Glieder fahren, aber: 31.De5 ] 31.Dxd5 Kg7 32.a4?? Zu nassforsch! Vergibt die sehr guten Gewinnchancen im Damen-Endspiel. Ich glaubte, die schwarze Dame habe keinen vernünftigen Zug mehr ...Dagegen bewahrt [ 32.g3! die blendenden Aussichten. Naiditsch gedachte danach mit 32...Kg6?! fortzusetzen. Weiß spielt erst daraufhin 33.a4! mit der finsteren Absicht a5, a6, Db7, Dxa7 und Durchmarsch des a-Bauern. 33...a5[] Nur das durchkreuzt den weißen Plan. 34.Dg8+ Kh6 35.Dg4 De5 36.Kf1 Dd6 37.Ke2 De5+ 38.Kd2 Dd5+ 39.Ke3 e6 ( 39...De5+ 40.De4 Df6 41.Df4++- ) 40.Df3! Dd7 41.Df6+ Kh5 42.f3 Dd5 43.g4# ] 32...Df4! 33.a5? Angesichts der völligen Verkalkung fügte ich mich entnervt ins Remis-Schicksal. Einen Versuch wert war aber noch [ 33.Dd8! Kf7 ( 33...Dc1+ 34.Kh2 Dxb2 35.Dxe7+ Kg8 36.Dxa7 Dxc2 37.Dxb6 Dxc3 38.Dd8+ Kf7 39.Dc7+ Kf6 40.a5 und alles ist wieder in Butter für Weiß.) 34.Dd3 Dc1+ 35.Kh2 Df4+ ( 35...Dxb2 36.Dxh7+ Kf6 37.g4 Dc1 38.Df5+ Kg7 39.Kg2 Dd2 40.De4 Kf7 41.Dd3 Dg5 42.Df3+ Ke8 43.De4 Kf7 44.c4 und weiterhin aussichtsreicher Position.) 36.Kh3 Dxf2 37.Dxh7+ Ke6 38.De4+ Kd6 39.Dd3+ Ke6 40.b3 Dg1 41.Kg3 De1+ 42.Kg4 Dh1 43.Kf3 Dh5+ 44.Kf2 und Schwarz steckt weiterhin in Schwierigkeiten.] 33...Dc1+ 34.Kh2 Df4+ 35.Kg1 Dc1+ 36.Kh2 Df4+ 37.Kg1 Dc1+ 1/2-1/2



Viele weitere Glückwünsche und Sendezeiten im Fernsehen gab es auch nach dem Remis! Doch Vorwürfe von Mannschaftskameraden ("Das hättest du gewinnen müssen!") mengten sich in die bittere Erkenntnis: So eine Chance auf einen Sieg gegen einen Weltklassespieler kommt nie wieder! Die Wege im Turnier trennten sich hernach umgehend. Naiditsch gab nur noch zwei Remis ab und spielte gegen Oleg Boguslavskyy (Hockenheim), der eine IM-Norm verzeichnete, eine grandiose Angriffspartie. Ich hingegen traf nach dem Remis gegen den Weltranglisten-31. auf den Lemgoer Matthias Blübaum. Der Elfjährige mit einer DWZ von 1993 sollte natürlich überfahren werden. Ungelenk vermied ich eine Remisabwicklung, was mit einer herben Schlappe gegen die Nummer 51325 der Welt (mit 2051 Elo in der FIDE-Liste) bestraft wurde! Dass man von Blübaum noch hören wird, belegte der furchtlose kleine Lemgoer mit 5,5 Zählern und einer Performance von 2342 Elo. Selbst bei seiner einzigen Niederlage gegen IM Chiel van Oosterom stand der "Kleine Killer", wie ihn seine Opfer tauften, nach dem 40. Zug noch deutlich besser. Der blonde Junge hatte am Karfreitag gefühlte 300 Elo stärker gespielt gegen mich als Naiditsch - mindestens!

Der ausführliche Bericht von Hartmut Metz über das spannende Neckar-Open, das Naiditsch zusammen mit Fernando Peralta (Argentinien) und Axel Bachmann (Paraguay/alle 7,5 Punkte) gewann, findet sich im neuen Schach-Magazin 64.

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