Kaffeehaus-Zocker schlägt CapablancaÄltester Schach-Großmeister Andor Lilienthal stirbt mit 99 Jahrenvon FM Hartmut Metz, 5. Juni 2010 |
Andor Lilienthal hat gegen zehn Schach-Weltmeister gespielt und die Hälfte davon geschlagen. Von seinen Siegen über die Legenden Emanuel Lasker, José Raoul Capablanca und Alexander Aljechin berichtete der Ungar besonders gern. Aber auch Michail Botwinnik und Wassili Smyslow mussten gegen den ältesten Großmeister der Welt die Hand zur Aufgabe über das Brett reichen. Am 5. Mai feierte der Budapester noch seinen 99. Geburtstag - drei Tage später starb er im Verlauf der WM zwischen Viswanathan Anand und Wesselin Topalow in Sofia, wo man den unterhaltsamen Grandseigneur mit einer Gedenkminute würdigte.
Lilienthal kam in Moskau zur Welt, weil seine Mutter dort ein Engagement als Sängerin hatte. Mit ihren drei Kindern kehrte die Ungarin 1913 nach Budapest zurück, während der Vater in Russland blieb. Weil die Mutter krankheitsbedingt ihre Stimme verlor, verarmte die Familie, und Andor wuchs laut dem "Schach-Magazin 64" in einem Kinderheim auf. Lilienthal absolvierte eine Schneider-Lehre, ohne jedoch danach eine Anstellung zu finden. Mit den Gewinnen bei Schach-Duellen in Kaffeehäusern hielt er sich jedoch über Wasser und machte zunehmend von sich reden. In Paris 1930 erhielt er eine erste Einladung zu einem internationalen Turnier und schlug sich mit 4:3 Punkten als geteilter Vierter mehr als achtbar.
Rasch stieg Lilienthal zu einem der stärksten Spieler auf und lag laut der historischen Weltrangliste 1934 auf Platz sechs. Das Jahr darauf lernte er seine künftige Frau in Moskau kennen und ließ sich dort nieder. Später nahm der Ungar sogar die sowjetische Staatsbürgerschaft an. Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte Lilienthal weniger und tat sich vor allem als Trainer von Tigran Petrosjan hervor, der 1963 Weltmeister wurde. Nach dem Tod seiner Frau 1976 kehrte der mittlerweile 65-Jährige zurück in seine Heimat. Wie schon 1935, als sich Lasker in Moskau aufhielt, half er auch Bobby Fischer 1992 bei seinem Aufenthalt in Budapest. Das US-Genie, das Lilienthal für den stärksten Spieler aller Zeiten hielt, lebte auch einen Monat in seiner Wohnung. Als 2001 in Berlin die Lasker-Gesellschaft gegründet wurde, war der älteste Großmeister auch ein gerne gesehener Gast, der noch eigene Histörchen über den Rekordweltmeister zu erzählen wusste.
1929 erzielte Lilienthal in Wien bei seinem ersten Treffen mit Capablanca ein Remis - in einem Simultan. Fünf Jahre später traf er beim berühmten Turnier über den Jahreswechsel im englischen Seebad Hastings allein auf den Kubaner. Dem früheren Kaffeehaus-Zocker gelang dabei seine berühmteste Partie.
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Lilienthal,A - Capablanca,J [E24]
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