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Brillanter Topalow zertrümmert schwarze Königsfestung

Bulgaren bejubeln Schach-Nationalhelden / Weltmeister Anand sucht nach Auftaktschlappe keine Ausreden

von FM Hartmut Metz, 26. April 2010

 

Die bulgarischen Schachfans bejubelten ihren Star: Wesselin Topalow zertrümmerte beim WM-Auftakt am Samstag in Sofia Titelverteidiger Viswanathan Anand in nur 30 Zügen. Tosender Applaus brandete im Zentralen Militärklub auf, als der Weltmeister nach dem dritten Opfer des Herausforderers aufgab. So verlor der 40-Jährige selten - vor allem benötigte der "Schnelle Brüter" aus Indien mit 93 Minuten mehr als doppelt so viel Bedenkzeit wie der sonst so bedächtig kalkulierende Topalow.

In der zweiten von maximal zwölf Partien strebte Anand gestern mit "eigenem Aufschlag", den weißen Steinen, umgehend den Ausgleich an. Als Ausrede für die bittere Schlappe mochte der Verlierer nicht seine beschwerliche Anreise nach Sofia nutzen. Wegen der isländischen Vulkanasche war er nur dank einer 40-stündigen Autofahrt von Frankfurt aus rechtzeitig auf den Balkan gelangt. Der indische Schachverband hatte danach zwar eine dreitägige Verschiebung gefordert, der Schach-Weltverband FIDE verlegte das erste Duell aber nur von Freitag auf Samstag. "Daran lag es nicht. Ich spielte einfach schlecht", streute Anand nach dem Debakel selbstkritisch Asche aufs eigene Haupt.

Bei der merkwürdigen Eröffnungsfeier, in der alle eine Rede des bulgarischen Premierministers Bojko Borrisow erwarteten, tauchte unvermittelt die Bodybuilding-Ikone Ronnie Coleman (achtfacher Mr. Olympia) auf. Fast eine halbe Stunde später als Anand folgte der schmale Topalow, setzte sich, füllte wortlos sein Partieformular aus und rückte seine 16 Figuren auf dem Brett zurecht. Nachdem Coleman den beiden in Spanien lebenden Großmeistern die Hände geschüttelt hatte, stieß Schirmherr Borrisow für den Nationalhelden den Damenbauern zwei Felder nach vorne. Das Spiel entwickelte sich rasch, weil beide einem Duell des Bulgaren folgten, das jener beim Herausforderer-Match gegen Gata Kamsky (USA) gewagt hatte.

Im 16. Zug wich Anand als Erster mit einem Damenzug ab. Doch sein Kontrahent zeigte sich glänzend vorbereitet und folgte einer Idee der beiden Nachwuchsstars Sergej Karjakin (Russland) und Magnus Carlsen (Norwegen), der eine jüngster Großmeister aller Zeiten, der andere Weltranglistenerster vor den beiden WM-Kontrahenten. Als Schwarz im 23. Zug mit einem Königszug ein schwerer Fehler unterlief, durchschlug Topalow mit einem Springeropfer die Deckung. Die nächsten Angriffszüge kamen ebenfalls wie aus der Pistole geschossen. Am Ende der erfolgreichen Königshatz hatte der 35-Jährige nur 40 Minuten seiner zwei Stunden Bedenkzeit verbraucht. Ein Indiz, dass er all dies bereits zu Hause mit seinen Sekundanten und Computern analysiert hatte - Topalow wollte dies jedoch nicht bestätigen. Anand murmelte dagegen, er habe "die Züge durcheinandergebracht". Ein Läuferzug nach d7 statt des fatalen Königszugs hätte die Opferorgie verhindert.

Der Sieger des Duells über zwölf Partien erhält 1,2 Millionen Dollar. Der Verlierer muss sich mit 800.000 Euro bescheiden. Sollte es 6:6 stehen, folgt am 13. Mai eine Schnellschach-Verlängerung. Vor dem ersten Zug hatte der Weltmeister wegen der abgesagten Flüge eine Odyssee erlebt: Um nach seinem verhängnisvollen Zwischenstopp in Frankfurt überhaupt nach Sofia zu gelangen, hatte seine Gattin Aruna in den Niederlanden zwei Privatfahrer eines VIP-Services angeheuert. Die Transporter steuerten über Österreich, Ungarn und Rumänien dem Ziel entgegen. Die kürzeste Route über Belgrad blieb dem Weltranglistendritten und seinen Sekundanten verwehrt, weil Serbien im Gegensatz zu Rumänien von Indern ein Visum fordert. Am Schlagbaum in Bulgarien wurde der Schach-Weltmeister um Mitternacht sofort von den Zöllnern erkannt und begrüßt. Als der schwarze Mercedes Sprinter rund 100 Kilometer vor Sofia in einer 50er-Zone 74 km/h raste, stoppte die Polizei die Delegation. Der holländische Verkehrssünder erklärte kurz, wen er an Bord hatte, wonach der freundliche Offizier sie lachend entließ: "Gut, fahren Sie Anand nach Sofia - aber nicht zu schnell bitte!" Nach Topalows furiosem Auftaktsieg muss der Beamte vorerst keine Dienstaufsichtsbeschwerde fürchten.

http://www.anand-topalov.com/


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