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"Wenn einer frech wird, will ich ihn bestrafen"

Viktor Kortschnoi trotzt selbst mit 80 Jahren noch der Weltklasse

von FM Hartmut Metz, 26. März 2011

 

"Schach ist mein Leben", unterstreicht Viktor Kortschnoi im Vorwort seiner neu überarbeiteten Autobiographie "Meine besten Kämpfe". Der Buchtitel umschreibt nicht nur die Einstellung der Legende, die heute in Wohlen (Aargau) ihren 80. Geburtstag feiert - er nennt auch die hervorstechendste Eigenschaft des Großmeisters, die ihn sechs Jahrzehnte zu Höchstleistungen trieb: der Wille zum Kampf. Deswegen mag die aktuelle Nummer drei der Schweiz nur eines in seiner Heimat nicht: "Die Neutralität. Ich will von ihr nicht angesteckt werden!" Der dreifache Vizeweltmeister ließ sich selbst durch die Repressalien der Sowjetunion, aus der er 1976 flüchtete, nicht brechen. Sein aufregendes Leben zeichnet das Musical "Chess" der Abba-Komponisten in Teilen nach. Dem Hörgerät und dem Gehstock zum Trotz: "Viktor der Schreckliche" denkt nicht ans Karriereende und steckt sich weiterhin hohe Ziele, wie er im Interview mit Hartmut Metz verriet.

Frage: Herr Kortschnoi, wie alt fühlt sich der älteste Leistungssportler, der noch der Weltelite Paroli bieten kann?
Kortschnoi:: Ich akzeptiere gerne alle Komplimente, aber dieses behagt mir weniger. Früher wurde mir wegen meiner Leistungen applaudiert - heute wegen meines Alters und wegen meiner Verdienste.

Frage: Wie fit fühlen Sie sich nach 5000 Turnierpartien?
Kortschnoi:: Am Brett gut - nur gibt es zuvor ein riesiges Problem: Bis vor fünf Jahren erhielt ich zahlreiche Turniereinladungen. Neuerdings muss ich ja deswegen sogar Seniorenturniere gegen alte Männer ab 60 spielen, um überhaupt mal ans Brett zu kommen!

Frage: Nach Ihrem letzten Turnier in Gibraltar erhielten Sie bei der Siegerehrung stehende Ovationen. Sie schlugen unter anderem den Italiener Fabiano Caruana. Er ist die Nummer eins der Junioren, Weltranglisten-25. der Herren und könnte mit 18 Jahren Ihr Urenkel sein.
Kortschnoi:: Diesmal konnte ich zeigen, dass ich ihn noch schlagen kann. Ich kam aber gegen mehrere Patzer nicht über Unentschieden hinaus. Normalerweise müsste ich acht statt sechs Punkte holen und Zweiter oder Dritter werden!

Frage: Macht Ihnen das Alter am Brett schwer zu schaffen?
Kortschnoi:: Ich habe oft eine strategisch gewonnene Stellung und lehne mich zurück - die Partie ist aber noch lange nicht beendet, während ich sie schon abhake. Mein Kopf will nicht mehr. Caruana ließ ich auch zunächst entschlüpfen, anstatt ihn einfach und schnell zu erledigen. Alles braucht Energie. Es liegt auf der Hand, dass die Ziele im Alter geringer ausfallen. Man muss aber wie in jungen Jahren ehrgeizig bleiben. Tigran Petrosjan hat angeblich einmal gesagt: "Mit dem Ehrgeiz von Kortschnoi würde ich ewig Weltmeister bleiben!"

Frage: Wären Sie inzwischen weniger ehrgeizig, wenn Sie einmal den WM-Titel erobert hätten?
Kortschnoi:: Bis 1981 wollte ich Weltmeister werden. Die dritte Niederlage gegen Karpow war so schrecklich, die ganze Atmosphäre in Meran - das wollte ich nie mehr spüren!

Frage: Garri Kasparow schlug für Sie Ihren Erzfeind Anatoli Karpow. Er hörte aber auch mit 42 auf. Undenkbar für Sie?
Kortschnoi:: Kasparow kann ich nur eines nicht verzeihen: Dass er jetzt plötzlich mit Karpow befreundet ist! Er besitzt keine Prinzipien. Wie kann ich mit jemand befreundet sein, der einem so viel Schlechtes zufügte? Aufzuhören, weil man Weltmeister war, das klingt nach Bobby Fischer, nicht nach Viktor Kortschnoi. Bei mir hören nur die Schüler immer auf, wenn sie Großmeister sind. Ich bin auch ohne Weltmeister-Titel zufrieden. Ich will mehr Schach spielen und junge Leute schlagen.

Frage: Zuletzt waren Sie sogar in einem russischen Verein Mannschaftskamerad von Karpow. Werden Sie im Alter milde?
Kortschnoi:: Er ist kein Kamerad von mir! Ich sehe Karpow nicht als Symbol allen Übels für mich - aber Kamerad, nein, Kamerad existiert prinzipiell nicht in meinem Wortschatz.

Frage: Was halten Sie von Ihren Nachfolgern wie dem Norweger Magnus Carlsen?
Kortschnoi:: Ich bin neidisch auf Carlsen! Ich brauchte Jahre um Jahre harter Arbeit, um so weit zu kommen - und ihm fliegt alles zu! Mit links schlägt er alle. Wirklich unglaublich.

Frage: Der hiesige Taxifahrer erzählte: "Früher ist Kortschnoi stramm die zwei Kilometer zum Bahnhof marschiert. Heute sieht man ihn schon einmal am Wegesrand, wie er ein Päuschen einlegt. Oder fährt gleich mit uns."
Kortschnoi:: Ein Hexenschuss setzt mir zu. Jetzt benötige ich einen Stock zum Spazierengehen. Das ist schwach. Fürs Turnierschach bräuchte ich mehr Kraft und Fitness. In dieser Beziehung muss ich unbedingt mehr machen. Ein Trimmrad habe ich auf jeden Fall schon mal gekauft.

Frage: Früher haben die Gegner "Viktor den Schrecklichen" gefürchtet. Haben die nun weit weniger Respekt?
Kortschnoi:: Die sehen natürlich den alten Mann mit dem Gehstock kommen, der sich mühsam auf die Toilette schleppt - aber am Brett sitze ich noch meine fünf Stunden. Vor dem Turnier lief mir in Gibraltar der Moldawier Bologan über den Weg. "Wollen Sie wirklich spielen?
", fragte er mich keck. Die Antwort gab ich ihm dann am Brett, auch wenn ich traurig war, dass er mir ins Remis entwischte! Wenn einer frech wird, habe ich schon noch den Willen, ihn zu bestrafen (grinst). Sein Pech bestand darin, dass er in Runde drei auf mich prallte und nicht erst in Runde neun, wenn ich kaputt bin.

Frage: Werden Sie auch noch mit 100 am Brett sitzen und dort sterben?
Kortschnoi:: Da muss ich schon bis zum Matt spielen! Ich traue mir aber durchaus zu, 98 zu werden.

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