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Mit 80 der älteste Leistungssportler

Schach-Legende Viktor Kortschnoi brennt noch immer vor Ehrgeiz

von FM Hartmut Metz, 19. März 2011

 

Komplimente "akzeptiert" Viktor Kortschnoi "gerne". Aber das, er sei mit 80 Jahren der "älteste Leistungssportler, der noch der Weltelite Paroli bietet", schätzt die Schach-Legende weniger, denn: "Früher wurde mir wegen meiner Leistungen applaudiert - heute wegen meines Alters und wegen meiner Verdienste", bemerkt der dreifache Vizeweltmeister, der am Mittwoch seinen 80. Geburtstag feiert. Obwohl sich Kortschnoi inzwischen an einen Gehstock gewöhnen musste, fühlt sich der Wahl-Schweizer zumindest "am Brett gut - nur gibt es zuvor ein riesiges Problem: Bis vor fünf Jahren erhielt ich zahlreiche Turniereinladungen. Seit ich so alt bin, lässt diese Zahl jedoch nach! Neuerdings muss ich ja deswegen sogar Seniorenturniere spielen, um überhaupt mal ans Brett zu kommen!", brennt der Wohlener selbst nach 65 Turnier-Jahren vor Ehrgeiz.

Beim enorm stark besetzten Open in Gibraltar lehrte Kortschnoi seine schachlichen Urenkel das Fürchten. "Viktor der Schreckliche" gewann zwölf Elo-Weltranglistenpunkte dazu - damit zufrieden war der gebürtige St. Petersburger aber längst nicht, schließlich "wollte ich 30 Elo holen! Ich versemmelte zu viele Partien. Ansonsten wäre ich Zweiter oder Dritter geworden, anstatt nur den mickrigen Seniorenpreis zu gewinnen". Das Vorbild für die Hauptfigur des Musicals "Chess" träumt noch immer davon, in die Top 50 oder 60 der Welt zurückzukehren, anstatt derzeit "nur" ein durchschnittlich starker Großmeister zu sein!

In den Annalen des königlichen Spiels sieht sich Kortschnoi dagegen dort, wo ihn Nathan Divinsky in seinem Werk "Warriors of the mind" ("Krieger des Geistes") einordnete: als siebtgrößter Schachspieler aller Zeiten - und das war 1989, also lange bevor er zum am längsten erfolgreichen Spieler aufstieg.

Die nachstehende Partie spielte Kortschnoi 1954 bei der 21. UdSSR-Meisterschaft in Kiew. Die Kommentare stammen hauptsächlich von Kortschnoi selbst, die er in seinem zum 80. Geburtstag herausgegebenen Sammelband "Meine besten Kämpfe" (Edition Olms) machte. Die 432 Seiten für 19,95 Euro sind ein echtes Schnäppchen. Der Buchtitel hebt auch die hervorstechendste Qualität des Jubilars hervor: Kampf, bis zum letzten Bauern! Der enorme Siegeswille bescherte Kortschnoi manchen zusätzlichen Punkt.











Kortschnoi,V - Geller,J [B64]
21. UdSSR-Meisterschaft Kiew, 1954

1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 d6 6.Lg5 e6 7.Dd2 Le7 [ Am Ende des 20. Jahrhunderts ist ein anderer Aufbau populärer: 7...a6 8.0-0-0 h6 ] 8.0-0-0 0-0 9.f4 Der natürlichste Zug. Weiß wird im Zentrum und am Königsflügel offensiv. Aber auch [ 9.Sb3 macht Schwarz die Aufgabe nicht einfach.] 9...e5!? Eine Neuerung, dachte ich am Brett, ohne zu wissen, dass Geller diesen Zug sechs Monate vorher am Kandidatenturnier in Zürich schon gegen Kotow gespielt hatte. Eine gut präparierte Neuerung aus dem Stand zu widerlegen ist schwierig. Kotow versuchte das erst gar nicht: Er nahm auf c6 und e5, tauschte auf der d-Linie die Schwerfiguren ab und man einigte sich bald auf ein Remis. Was tat ich? Da ich am Tag zuvor verloren hatte, träumte ich nun von einem Sieg! 10.Sf3 Obwohl Schwarz ein Tempo eingebüßt hat (e7-e6, e6-e5), ist es nicht einfach, seinen Aufbau zu widerlegen. Als Folge der entgegengesetzten Rochaden wird die Partie scharf, und Schwarz entfaltet seine Initiative entlang der halboffenen c-Linie. Nicht gut für Weiß ist [ 10.Sxc6 bxc6 11.Lxf6 Lxf6 12.Dxd6 Db6 13.fxe5 Td8 14.exf6 ( 14.Da3 verliert sofort nach 14...De3+ 15.Kb1 Txd1+ 16.Sxd1 Dxa3! 17.bxa3 Tb8+ 18.Ka1 Lxe5+ 19.c3 Lg4 und der Zusammenbruch auf c3 kann nur durch Preisgabe des Springers verhindert werden.) 14...Txd6 15.Txd6 Lg4 16.fxg7 De3+ 17.Td2 De1+ 18.Sd1 Tb8 19.h3 Le6 20.b3 Kxg7 21.Te2 Dg3 22.Te3 De5 23.Kb1 ist für Weiß unangenehmer zu spielen. Mehr als ein Remis dürfte kaum herausschauen.; Und auch 10.Sb3 Le6 11.f5 Lxb3 12.cxb3 ( 12.axb3 Da5 ) 12...Tc8 13.Kb1 Sd4 verspricht ihm keinerlei Vorteil.; Nach vielen Jahren praktischer Erfahrung empfehlen die Eröffnungsbücher deshalb 10.Sf5! Lxf5 11.exf5 exf4 12.Kb1! d5 13.Lxf6 Lxf6 14.Sxd5 Le5 15.c3 mit leichtem Plus für Weiß. Doch selbst heute werden wohl nicht alle Großmeister mit meinen angegebenen Varianten einverstanden sein, weder aus weißer noch aus schwarzer Sicht. In dieser Partie wählte ich den natürlichsten Zug. Er bringt Weiß überhaupt keinen Eröffnungsvorteil.] 10...Lg4 Ein Entwicklungszug, mit dem Schwarz das Feld d4 unter seine Kontrolle bringt. 11.h3 Natürlicher sieht [ 11.Le2 aus. Da Schwarz seinen Läufer nach g4 gestellt hat, ist klar, dass er früher oder später auf f3 schlagen will, doch ich war zu ungeduldig darauf zu warten und wollte Diagonalen und Linien öffnen. Übrigens zeigten später gespielte Partien, dass der Läuferzug keinen Vorteil verspricht.] 11...Lxf3 12.gxf3 Sd4 In meinen Kommentaren kurz nach der Partie untersuchte ich [ 12...h6 Heute würde ich mich um solch einen Zug nicht mehr kümmern. Es könnte 13.fxe5 Sxe5 ( 13...dxe5 14.Lxh6 ) 14.Lxf6 Lxf6 15.f4 folgen, jeweils mit weißem Vorteil.] 13.fxe5 dxe5 [ Selbstverständlich nicht 13...Sxf3? 14.exf6! Sxd2 ( 14...Sxg5 15.fxe7 Dxe7 ; 14...Lxf6 15.Lxf6 Sxd2 16.Lxd8 Sxf1 jeweils mit Figurenverlust.) 15.fxe7 Da5 16.exf8D+ Txf8 17.Lxd2 ] 14.Tg1? Das hingegen ist inkonsequent. Logisch und stark ist [ 14.f4 , um Schwarz die schwarzen Felder streitig zu machen. Bei 14...Da5?! ( Nach 14...Sh5 15.Lxe7 Dxe7 16.fxe5 Sf3 17.De3 Sxe5 18.Le2 Sf6 19.Sd5 steht Weiß leicht besser.) 15.fxe5 Sf3 16.exf6 erhält Weiß in jedem Fall großen Vorteil: 16...gxf6 ( 16...Lxf6 17.Lxf6 Sxd2 18.Tg1 g6 19.Txd2+- ; 16...Lb4 17.fxg7 Tfc8 18.Dd5 Lxc3 19.Dxa5 Lxa5 20.Lf6 ; 16...Sxd2 17.fxe7 Sb3+ 18.Kb1 ( 18.cxb3 Dxg5+ 19.Kb1 Dxe7 ) 18...Tfe8 19.Td5 Sc5 20.Lb5! ) 17.Lh6!! und Schwarz darf die Dame nicht nehmen wegen 17...Sxd2 18.Tg1+ Kh8 19.Lg7+ Kg8 20.Lxf6+ Dg5 21.Txg5# ; Die jugoslawische Enzyklopädie rät deshalb nach 14.f4 zu 14...Se6 , aber auch dann steht Weiß nach 15.Dh2! angenehmer. Damit kommen wir zum Schluss, dass 12...Sd4 kein erstklassiger Zug war. Doch Weiß zeigte sich der Lage nicht gewachsen. Einer dubiosen Falle zuliebe weicht er vom richtigen Weg ab und gefährdet seine Stellung.] 14...Sxf3? Ein Wunder, die Falle funktioniert! Die Annahme des Bauernopfers setzt Schwarz einem starken Angriff aus, anstatt dass er mit [ 14...Tc8 15.Lh6 g6 selber attackiert, zum Beispiel 16.Lxf8 Dxf8 17.Dd3 La3! 18.bxa3 Dxa3+ 19.Kd2 Txc3 20.Dxc3 Sxf3+ 21.Kd3 Dd6+ 22.Ke2 Sxg1+ 23.Ke1 Db6 mit schwarzem Vorteil, meint Kortschnoi. Allerdings ist 24.Lg2 alles andere als klar, weil der Springer auf g1 erst einmal wieder zurück ins Kampfgeschehen kommen muss. Zu jener Zeit galt ich als Spieler, der lieber Bauern nimmt, als sie opfert. Wenn ich etwas stehen ließ, wurde das als Patzer interpretiert. Offenbar fiel Geller diesem falschen Eindruck zum Opfer.] 15.Df2 Db6 Etwas besser ist es, sofort nach d4 mit dem Springer zurückzukehren, um dann nach [ 15...Sd4 16.Dg3 mit 16...g6 und ungefährem Ausgleich zu beantworten. Die Ungenauigkeit von Schwarz ermöglicht Weiß, seinen Angriff mit einem Qualitätsopfer zu beleben. Geller hatte das wohl unterschätzt.] 16.Le3 Sd4 17.Txd4! exd4 18.Lxd4 Dd8? Ein ernsthafter Fehler. Bessere Verteidigungschancen bietet [ 18...De6 19.Sd5 Se8 20.Sc7 Dh6+ 21.Kb1 ( Aber nicht 21.Le3? wegen 21...Lc5! ) 21...Td8 ( Schwächer ist 21...Lh4 22.Df3 Td8 23.Sxe8 Txd4 24.Sxg7 Kh8 25.Sf5 Df6 26.Le2 Tdd8 27.e5 Db6 28.Tg2 Le1 29.Sd6 f5 30.Dd5 Dc7 31.a3 und Schwarz steht trotz der Qualität mehr mit dem Rücken zur Wand.) 22.Sxe8 Txd4 23.Dxd4 Txe8 24.Lc4 und Weiß steht leicht aktiver.] 19.Sd5 Se8 Der einzige Zug. Sofort zu Ende ist die Partie nach [ 19...Kh8 20.Sxe7 Dxe7 21.Txg7!! Kxg7 22.Dg3+ Kh8 23.Dg5 ] 20.Dg3 f6 Das verliert. Auch [ 20...g6 ist schlecht wegen 21.De5 ; Am meisten Widerstand leistet noch 20...Lh4 21.Df4 und Kortschnoi hält die schwarze Stellung für unhaltbar. ( 21.Dxg7+ Die Windmühle funktioniert hier nicht: 21...Sxg7 22.Txg7+ Kh8 23.Txf7+ Kg8 und der Anziehende hat lediglich ein Dauerschach.) Allerdings ist das von Kortschnoi unbeachtete 21...Kh8 zäh. ( 21...Tc8? verbietet sich wegen 22.Lxg7! Sxg7 23.Dh6 ) ] 21.Lc4 Tf7 Oder [ 21...Kh8 22.Sf4 und das drohende Springerschach auf g6 nebst Dh4 matt ist nicht mehr vernünftig zu parieren.] 22.Sf4! Ld6 [ 22...Dxd4 23.Lxf7+ Kxf7 24.Db3+ Kf8 25.Se6+ Kg8 26.Sd8+ Kh8 27.Sf7+ Kg8 28.Sh6+ Kh8 29.Dg8# ] 23.Lxf7+ Kxf7 24.Db3+ Ke7 25.Lxf6+ Nach diesem Einschlag bricht die schwarze Königsstellung endgültig zusammen. [ 25.Lxf6+! gxf6 ( 25...Kd7 26.De6+ Kc6 27.Lxd8 ) 26.De6+ Kf8 27.Tg8# ] 1-0



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