"Googleberg"-Affäre auf den 64 Feldern"Kleiner Fisch" schießt Eigentor: Rajlich bekommt alle WM-Titel von "Rybka" aberkanntvon FM Hartmut Metz, 16. Juli 2011 |
"Das ist wie der positive Dopingtest des kanadischen Sprinters Ben Johnson 1988", ordnet die populäre Webseite Chessvibes.com den Skandal auf den 64 Feldern ein. Deutsche Schachspieler dürfte die Affäre eher an die "Googleberg"-Plagiate erinnern - nur, dass im vorliegenden Fall nicht wie bei Verteidigungsminister Karl Theodor von und zu Guttenberg und anderen Politikern für Doktor-Arbeiten munter ohne Quellenangabe abgeschrieben wurde. Diesmal ging es um noch mehr: den lukrativen Weltmeister-Titel bei Schach-Programmen. Vasik Rajlich bekam die seit 2007 durch "Rybka" errungenen vier Goldmedaillen alle aberkannt und wurde von künftigen Wettbewerben ausgeschlossen.
Die fünf Exekutivmitglieder der International Computer Games Association (ICGA), die die Weltmeisterschaften ausrichtet, sprachen den US-Amerikaner mit tschechischen Wurzeln schuldig: Rajlich hat laut ICGA-Präsident David Levy von den Programmen "Fruit" und "Crafty" Programmcode übernommen, ohne dies zu kennzeichnen. Die Kopiererei wäre - wie bei den Doktor-Titel-Plagiaten - bei Quellenangabe durchaus statthaft gewesen. Derlei ist bei frei erhältlichen Programmen wie "Fruit" sogar erwünscht, allerdings müssten die Klone dann auch kostenlos angeboten werden. "Rybka" war aber - anders als sein übersetzter Name - kein "kleiner Fisch", sondern ging als bissiger Hai unter den Schachprogrammen kommerziell äußerst erfolgreich auf Raubzug. Gewiss haben deswegen auch 14 andere Programmierer die ICGA aufgefordert, den Fall zu untersuchen.
Kurioserweise hatte Rajlich den Skandal selbst ins Rollen gebracht. Obwohl der 40-Jährige noch vor seinem großen Leistungssprung 2006 zugab, dass ihm "Fruit" geholfen habe, sein Produkt zu verbessern, unterstellte der Amerikaner nun dem Belgier Robert Houdart Ähnliches: Dessen "Houdini" habe sich frech beim "Rybka"-Code bedient - und lief so diesem den Rang ab.
Rajlich wollte den Code nicht zu seiner Entlastung offenlegen und verweigerte der ICGA Einsicht. Lediglich in einer knappen E-Mail bestritt der Angeklagte die Beschuldigungen und verweigerte auch trotz zahlreicher Anfragen von Chessvibes.com und anderen Aussagen zum Plagiatsvorwurf.
Der Computerverband forderte den Weltmeister auf, die Trophäen und Preisgelder von 2007, 2008, 2009 und 2010 zurückzugeben. Zudem rückten die Platzierten bei den Weltmeisterschaften jeweils um einen Rang auf. So konnte der von 1996 bis 2006 herausragende Rekordchampion Stefan Meyer-Kahlen (Düsseldorf) jetzt die Titelzahl mit "Shredder" von 13 auf 16 erhöhen.
Egal, ob nun "Rybka", "Houdini" oder "Shredder": Jedes Programm ist heutzutage so stark, dass es die taktischen Fähigkeiten der besten Großmeister übertrifft. In Windeseile zeigen die Elektronenhirne Gewinn- und Mattkombinationen an. Nachstehend zwei aktuelle Beispiele vom Turnier in New Delhi, bei denen Menschen die Kombinationen beeindrucken und erfreuen, während sie "Rybka" & Co. emotionslos rasch ausspucken.
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So,W (2667) - Laznicka,V (2681) [D31]
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In der nächsten Partie scheint Laznicka wegen der Mattdrohungen nach dem 50. Zug ebenso auf Verlust zu stehen - doch hatte der Tscheche gegen den Inder Parimarjan Negi einen teuflischen Gegenschlag vorbereitet.
Ergänzung: Nach Veröffentlichung der Schachspalte im Badischen Tagblatt hat sich Rajlich zu den Anwürfen geäußert. Der Rybka-Autor widerspricht in einem Interview auf Youtube heftig der Entscheidung. Chessvibes.com fasst das Gespräch von Nelson Hernandez mit Rajlich zusammen. Immerhin tröstlich für den derzeitigen „Ex-Weltmeister“ (bis vielleicht die Gerichte anders entscheiden): „Ich hatte einen netten Anstieg der Verkäufe“, berichtete der IM mit Blick auf die Publicity.
http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=cQshTNJ4pSM
http://www.chessvibes.com/reports/rybka-affair-rajlich-speaks/