Blindspieler weist Sehenden ihren Patzer nachSpektakulärer Weltrekord an 46 Brettern: Marc Lang gewinnt 34,5:11,5von FM Hartmut Metz, 4. Dezember 2011 |
Selbst der Computer macht nach 22 Stunden schlapp: Just als Marc Lang seinen letzten Zug auf dem Bildschirm mit den leeren Schachbrettern eingibt, stürzt das überforderte Elektronenhirn ab. Langs Hirn bleibt dagegen nach dem Weltrekord fit, zumindest den Umständen entsprechend. Der Schwabe hatte auf seiner "intellektuellen Zirkusveranstaltung" 46 Partien gleichzeitig absolviert - blind! 1040 Züge lang musste sich der Denkakrobat exakt merken, wo die anfangs 1472 Figuren auf den 2944 Feldern postiert waren.
Trotz der gigantischen Gedächtnisleistung verlor der 41-Jährige gegen seine Gegner, die volle Sicht auf das Brett genossen, nur zwei Duelle und verbuchte 34,5:11,5 Punkte. "Ich bin hochzufrieden, die Veranstaltung war der Knüller", jauchzte der Günzburger. Applaus brandete in Sontheim an der Brenz für diese Gedächtnisleistung auf: Lang steigerte die bisherige Bestmarke von 1947 um eine Partie. Dem Weltklasse-Großmeister Miguel Najdorf war vor 64 Jahren eine herausragende Leistung gelungen: An 45 Brettern setzte sich der Argentinier 39 Mal durch, remisierte lediglich vier Partien und verlor auch nur zwei.
Der spielstarke Amateur im Range eines FIDE-Meisters (dritthöchster Titel des Weltverbandes FIDE) behielt hinter dem Bretterverschlag sogar blind den besseren Überblick als mancher Kontrahent. "In einer Pause analysierten ein paar Spieler auf einem Brett", erinnert er sich. Als der Programmierer seine nächste Fortsetzung mit der Dame auf das Feld d2 verkündete, reklamierten seine Widersacher einen unmöglichen Zug. "Mir unterliefen zwar im Verlauf der 22 Stunden rund ein halbes Dutzend Mal Fehler - in dem Fall an Brett 28 war ich mir aber sicher, dass Dame nach d2 geht", erzählt Lang vom "inneren Vorbeimarsch" gegen die Analysierenden - die hatten nämlich die Stellung nach dem unerlaubten Hin- und Herziehen falsch aufgebaut, ergab der Blick des Schiedsrichters aufs Partieformular.
Da Lang im Vorjahr für seinen Europarekord an 35 Brettern bereits 23 Stunden benötigte, rechnete der Schwabe diesmal mit einer 36 Stunden dauernden Ochsentour. Doch es ging deutlich schneller, weil manche Gegner, die hinter dem Bretter-Sichtschutz um Lang gruppiert waren, weniger wach als der körperlich austrainierte Weltranglisten-4912. wirkten. Mit seinen gefährlichen Hauruck-Angriffen beendete der zweifache Familienvater 14 Partien früh. Bis zum 20. Zug überbrachte Adjutant Harald Keilhack, der die Züge an die Spieler übermittelte, zwölf Aufgaben. Zweimal resignierte Lang. Zudem brachten einige Remisangebote bis zur 20. Runde enorme Entlastung. "Es ist kräftemäßig unmöglich, alle Partien bis zum letzten Blutstropfen auszuspielen. Beim Stand von 16:6 ließ mich der Gedanke schaudern, dass noch immer mehr als die Hälfte offen war", berichtete Lang. Morgens um 4 Uhr übermannte ihn ein weiterer toter Punkt: "Wann hat das endlich ein Ende?", fragte er sich. Drei Stunden später war Lang erlöst.
Daran, den Weltrekord auf 50 Blindpartien zu schrauben, verschwendet der FIDE-Meister vorerst keinen Gedanken: "Neee, das war schon jetzt grenzwertig!"
Taktisch präsentierte sich Lang bei seinem Weltrekord äußerst stark. Zu den sehenswertesten Kombinationen zählen vor allem die Schwarz-Siege gegen Dirk Reinhold und Gabriel Gritsch.
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Reinhold,D - Lang,M
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"Mit einem Sieg über den ehemaligen Oberliga-Spieler Gritsch habe ich überhaupt nicht gerechnet", gesteht Lang. Den stärksten Kontrahenten überraschte er mit einem Opfer, "das mir bekannt vorkam aus einer Partie von Lajos Portisch".
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Gritsch,G - Lang,M
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