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"Der vorletzte Fehler gewinnt"

125. Geburtstag: Savielly Tartakower ein Meister am Brett und des geschliffenen Worts

von FM Hartmut Metz, 1. April 2012

 

"Eine Drohung ist stärker als ihre Ausführung!" Diesen Leitsatz hört jeder, der sich ernsthaft mit Schach beschäftigt, früher oder später von seinem Trainer. Savielly Tartakower, der vor 125 Jahren auf die Welt kam, hatte die besondere Gabe, alles rund ums Schach auf den Punkt zu bringen. Dabei half ihm sicher auch seine enorme Spielstärke. Der am 22. Februar 1887 in Rostow am Don geborene Großmeister liebte das Schach und nahm an mehr als 100 Turnieren teil. Von 1920 bis 1930 zählte Tartakower zu den Top Ten und gewann zahlreiche Wettbewerbe. 1921 lag er gemäß der historischen Elo-Zahl gar auf Platz drei der Weltrangliste. Nur für den WM-Titel reichte es nicht - vermeintlich, weil er gerne schönen oder skurrilen Zügen den Vorzug gab vor dem sicheren Gewinnzug.

Den Schach-Fans ist der nach Paris ausgewanderte und dort 1956 verstorbene Tartakower aber mehr durch seinen verschrobenen Witz in Erinnerung. Dieser wurde gar mit einem eigenen Wort versehen: Tartakowerismen! Die bekanntesten sind Weisheiten wie "Es ist stets günstiger, die Steine des Gegners zu opfern", "Der Taktiker muss wissen, was er zu tun hat, wenn es etwas zu tun gibt; der Stratege muss wissen, was er zu tun hat, wenn es nichts zu tun gibt", "Die Fehler sind alle da, sie müssen nur noch gemacht werden" oder "Immer der vorletzte Fehler gewinnt".

Mit derlei einprägsamen Lehrsätzen schmückte Tartakower seine zahllosen Artikel und Bücher. Für mehr als 30 Schachzeitungen verfasste der Journalist Artikel. Der Psychologe Reuben Fine, der selbst einst zu den besten Spielern der Welt zählte, charakterisierte ihn in einem Schachwerk als "Mann von breiter kultureller Bildung, meisterhaften Sprachkundler, Dichter, hellen Kopf, Philosophen und ergötzlichen Unterhalter".

Zu seinen Hinterlassenschaften zählt auch die "Orang-Utan-Eröffnung". Als Tartakower wieder einmal 1924 in New York eine dubiose Eröffnung wagte mit dem Bauernzug von b2 nach b4 und dann weiter nach b5, fiel ihm im Zoo der ulkige Name dafür ein: "Nicht nur, weil ich sie dort gegen Geza Maroczy nach einer Beratung mit einem jungen Orang-Utan anwandte", berichtete der Schalk und führte weiter aus, "sondern auch, weil die Kletterbewegung b2-b4-b5 an dieses erfinderische Tier erinnert." Der Name hält sich bis heute. Eine spektakulärere Partie gegen Maroczy war jene, die Tartakower 1922 in Teplitz-Schönau gewann. Hier das Juwel.











Maroczy,G - Tartakower,S [A85]
Teplitz-Schoenau, 05.10.1922

1.d4 e6 2.c4 f5 3.Sc3 Sf6 4.a3 Le7 5.e3 0-0 6.Ld3 d5 7.Sf3 c6 8.0-0 Se4 9.Dc2 Ld6 10.b3 Sd7 11.Lb2 Tf6 Schwarz leitet den typischen Angriff in der Holländischen Verteidigung ein: Dame und Turm schwenken auf den Königsflügel und streben dort einen direkten Angriff an. 12.Tfe1?! [ 12.Se5! dämmt die gegnerischen Möglichkeiten ein. 12...Th6 ( 12...Sxe5 13.dxe5 Lxe5 14.Sxe4 Lxb2 15.Sxf6+ Lxf6 16.Tac1 muss Maroczy nicht fürchten.) 13.f4 Die Stellung ist ungefähr ausgeglichen.] 12...Th6 Droht Lxh2 14.Sxh2 nebst Dh4. 13.g3 Df6 14.Lf1 g5 15.Tad1? Maroczy spielt zu sorglos im Zentrum. [ 15.Sd2 befragt den lästigen Springer auf e4 und strebt den entlastenden Abtausch an.] 15...g4 16.Sxe4 [ 16.Sd2 erlaubt bereits das Opfer 16...Sxf2! 17.Kxf2 Txh2+ 18.Kg1 Lxg3 19.Te2 Th5 mit drei Bauern für die Figur und gewaltigem Angriff. ( 19...Dh4 überzeugt weniger wegen 20.Lg2 Sf6 21.Sf1 ) ] 16...fxe4 17.Sd2 Txh2!! Langsamere Umgruppierungen sind objektiv vielleicht stärker - in einer praktischen Partie setzt das Turmopfer aber den Gegner stark unter Druck und bietet die besten Gewinnchancen. 18.Kxh2 Dxf2+ 19.Kh1 Sf6 [ 19...Dxg3? erweist sich als deutlich schwächer, da die weiße Dame nach 20.Sb1+/= ihrem König auf der zweiten Reihe zu Hilfe eilen kann.] 20.Te2 [ 20.Tc1 Dxg3 21.Te2 Dh4+ 22.Kg1 g3 23.Lg2 Ld7 24.Kf1 Sg4 25.Ke1 Sf2 26.Sf1 Sd3+ 27.Kd2 Tf8 28.Ta1 Le8 zeigt, wie hilflos Weiß trotz des Mehrturms ist. Bei Schwarz spielen langsam alle Figuren mit, während die weißen alle nur unglücklich herumstehen.] 20...Dxg3 21.Sb1 Sh5 22.Dd2 Ld7 23.Tf2 [ 23.c5 zögert das Ende nur hinaus. 23...Lc7! Schwarz lässt sich nicht befrieden mit ( 23...Dh4+ 24.Th2 Lxh2 25.Dxh2 Dg5 26.Le2= ) 24.De1 Df3+ 25.Tg2 ( 25.Lg2 Sg3+ 26.Kg1 Sxe2+ ) 25...Sg3+ 26.Kg1 Sf5 27.Lc1 Dh3 28.Tf2 Dh6 29.Tg2 g3 30.Sc3 Kh8 31.Le2 Tg8 32.Df1 Sh4 33.Df7 Le8 34.Dxc7 Sxg2 35.De5+ Tg7 und Maroczy kann aufgeben.] 23...Dh4+ 24.Kg1 Lg3 [ 24...g3 ist präziser. 25.Tg2 Tf8 26.c5 Lc7 27.Sc3 Tf3 28.De1 Sf6 29.Le2 Sg4 30.Td2 Sf2 Weiß kann aufgeben.] 25.Lc3 [ 25.Tg2 Tf8 26.Lc1 Lc7 27.Th2 Dg5! 28.Tg2 Sg3 29.Sc3 Sf5 30.Le2 g3 31.Tf1 Tf6 32.Sd1 Dh4 und der Anziehende kann sich nur noch kurz wehren.] 25...Lxf2+ 26.Dxf2 g3 27.Dg2 Tf8 28.Le1 [ 28.Td2 Sg7 29.Dh3 Dg5 30.Te2 Sf5 31.Le1 Tf6 32.Tg2 Tg6 lässt die weiße Stellung wieder zusammenbrechen.] 28...Txf1+! Das spektakulärste Finale. [ 28...e5 29.Td2 Dg5 30.Te2 Lg4 31.Lxg3 Lxe2 gewinnt ebenso.] 29.Kxf1 e5 30.Kg1 [ 30.Lxg3 nutzt auch nichts mehr. 30...Sxg3+ 31.Ke1 Lg4 32.Td2 Sh1+ 33.Kf1 exd4 34.Txd4 ( 34.exd4 e3 ) 34...Sg3+ 35.Ke1 Sf5+ 36.Df2 Sxd4 37.exd4 ( 37.Dxh4 Sf3+ 38.Kf2 Sxh4 39.Kg3 Sf5+ 40.Kxg4 Sxe3+ ) 37...Dh1+ 38.Df1 Dh6 39.Dg1 Dc1+ 40.Kf2 Df4+ 41.Ke1 e3 42.Sc3 Dxd4 ] 30...Lg4 31.Lxg3 Sxg3 32.Te1 Sf5 33.Df2 Dg5 34.dxe5 Lf3+ 35.Kf1 Sg3+ [ 35...Sg3+ 36.Kg1 Sh1+ 37.Kf1 Sxf2 38.Kxf2 Dg2# ] 0-1



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