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Falsifizieren, wie bitte?

Ein weiterer Schritt zum richtigen Denken

von Patrick Karcher, 23. November 2011

 

"Was ist der stärkste Zug in dieser Stellung?" mag der unbedarfte Spieler am Kuppenheimer Schachabend in die runde Fragen. Und wird mitunter die stichelnde Antwort des Meisters zurückerhalten: "Pass lieber auf, dass Du nichts einstellst!". Doch was steckt hinter dieser Antwort des Meisters [nennen wir ihn Hartmut]?

Schwache Spieler neigen dazu, stets den stärksten Zug in einer Stellung zu suchen. Ob es einen stärksten Zug gibt oder nicht, spielt für diese tollkühnen Zeitgenossen keine Rolle! Doch nicht immer gibt es einen stärksten Zug und dann ist ein anderes Herangehen an die Stellung erforderlich. Nämlich den Wert seiner Stellung zu erhalten und einen Zug zu spielen der zwar nichts direkt gewinnt oder droht aber den Druck aufrecht erhält. Dieses Vorgehen wird in Schachbüchern oft im Zusammenhang mit den Methoden Prophylaxe, Überdeckung, etc. genannt. Ich möchte hier jedoch noch genereller die wissenschaftliche Methode der Falsifizierung vorstellen: Spielen Sie unter Beachtung der gegnerischen Drohungen einen starken Zug. Ein starker Zug, das klingt gut. Doch was ist ein starker Zug? Ein Zug, der ihre Möglichkeiten erhält, ihre Figuren auf aktiven Position belässt, die Harmonie ihrer Stellung aufrecht erhält, es dem Gegner schwer macht einen aktiven Plan/Angriffsstelle zu finden und damit dem Gegner eine ähnliche Aufgabe zurückstellt.

Haben Sie jemals einfach nur darauf geachtet wie ihre eigenen Figuren zueinander in Verbindung stehen? Wenn ja, sind sie bereits ein starker Spieler oder auf dem richtigen Wege einer zu werden. Falls nein, richten sich die folgenden Zeilen genau an Sie! Zwei eigene Figuren können zueinander in nennen wir es "bedrohlicher Beziehung" stehen oder nicht. Sie stehen zueinander in "bedrohlicher Beziehung" wenn Sie (a) auf einer gleichen Linie/Reihe, (b) auf einer gleichen Diagonalen oder (c) in Springerabstand zueinander stehen. Im dem Falle, dass sie auf einer Reihe stehen gibt es noch den Spezialfall, dass sie genau ein leeres Feld voneinander trennt. "Na und?" wirft erneut der spöttische Zeitgenosse erneut ein. Okay, kommen wir zu des Pudels Kern! In all den Fällen, wo ihre Figuren zueinander in bedrohlicher Beziehung stehen kann ihr Kontrahent potentiell einen taktischen Schlag gegen diese ausführen. Im Falle von zwei Figuren auf einer Linie/Reihe ist ein Spieß/Fesselung durch Turm oder Dame möglich. Im Falle von zwei Figuren auf einer Diagonalen ist wiederum ein Spieß/Fesselung möglich. Stehen zwei ihrer Figuren zueinander im Springerabstand, ist eine Springergabel möglich. Und schließlich ist eine Bauerngabel möglich, wenn zwei ihrer Steine im Abstand von zwei Feldern auf einer Reihe stehen. [Die komplexeren Konstellationen die Dame und König ausnutzen können klammern wir hier bewusst aus!] Dabei ist es zunächst einmal unerheblich, ob die gegnerischen Figuren einen Angriff direkt drohen oder nicht. Wesentlich ist zunächst einmal, dass sie in ihrem gedanklichen Bild vom Schachbrett diesen Zusammenhang erkennen. Und wie durch ein Wunder sehen sie plötzlich mehr - die unerschöpflichen Weiten des Weltalls nehmen wahrhafte Gestalten an. Aber zurück zum Schachbrett!

In einer Stellung in der sie nicht so recht wissen was sie ziehen sollen, spielen sie tendenziell lieber einen Zug, nach dem die gezogene Figur nicht in einer bedrohlichen Beziehung zu einer anderen ihrer Figuren steht. Sie nehmen damit Gefahren aus der Stellung! Und das sollten Sie tun unabhängig davon, ob der Gegner konkret droht dies auszunutzen oder nicht. Einzige Ausnahme: Wenn der Gegner keine Figur mehr hat, die in der Lage ist die "bedrohliche Beziehung" ihrer Figuren auszunutzen, können sie diesen Grundsatz ignorieren. Hat ihr Gegner beispielsweise keinen Springer, so können sie ihre Figuren gefahrlos im Springerabstand zueinander postieren. Wichtig dabei ist, dass sie zum einen die Beziehung ihrer Figuren zueinander erkennen und zum anderen beachten welche gegnerische Figur diese Beziehung potentiell ausnutzen kann. Haben Sie das erstmal verstanden und durch praktische Übung vertieft, werden sie rasch lernen fundamental neu über das Schach nachzudenken!

Das Verständnis wie ihre eigenen Figuren zueinander in Beziehung stehen, hilft beim Erkennen von Mustern. Das Studium von Endspielen unterstützt und lehrt viele elementare Grundmuster und Methoden.

Ein weiteres Beispiel einen sinnvollen Zug zu tun bezieht sich auf die Verbesserung der Beziehung ihrer Figuren zueinander. Getreu dem Grundsatz "eine ungedeckten Figur ist eine verlorene Figur" können Sie eine ungedeckte Figur auf ein besseres Feld postieren. Ihre Figuren sollen sich unterstützen, nicht ignorieren oder gegenseitig stören: Mit einer Truppe von Ignoranten und Quertreibern gewinnen Sie jedenfalls keine Schlacht!

[Weitere Beispiele wie das Vermeiden von einfachen Figurenangriffen ist wohlbekannt und soll hier kein Thema sein. Die genaue Erklärung der Methode der Prophylaxe und das Thema Überdeckung würden den Rahmen sprengen und folgen deshalb in weiteren DWZ-Plus.]

Zusammenfassung: In manchen Stellungen werden sie auch mit viel Aufwand keinen objektiv stärksten Zug finden. Es gibt jedoch viele Möglichkeiten in dieser Stellung fehlzugreifen. Bei der Zugauswahl sollten sie dabei die Methode der "Falsifizierung" anwenden: Schließen sie schlechte Züge aus. Ein besonders wichtiges Beispiel dabei ist Züge auszuschließen, die die gezogene Figur so postiert, dass sie in "bedrohlicher Beziehung" zu einer anderen ihrer Figuren steht.

Auflösung der Fragen aus DWZ-Plus "Zusammenwirken der Figuren":

  1. Welche Figur kann ein Springer angreifen, ohne dass diese ihn zeitgleich angreift? Jede Figur, außer dem gegnerischen Springer.
  2. Welche Figur kann einen Springer angreifen, ohne dass dieser sie zeitgleich angreift? Jede Figur, außer einem Springer.
  3. Welche Figur schlägt anders als sie zieht? Der Bauer und nur der Bauer, das ist eine enorm wichtige Besonderheit und Eigenschaft des Bauern. Denn Bauern kontrollieren im Gegensatz zu allen anderen Figuren Felder auf die sie nicht ziehen können (Beachten Sie: Der König kontrolliert manchmal auch Felder auf die er nicht ziehen darf)!
  4. Angenommen sie seien in hochgradiger Zeitnot beim Endspiel Springer gegen Läufer! Was haben sie zu strategisch zu beachten, wenn sie die Springerpartei vertreten (Tipp: Felderkontrolle durch gegnerischen Läufer)? Ziehen sie ihren König nur in begründeten Ausnahmefällen auf die Farbe von Feldern, die der gegnerische Läufer kontrolliert. Sie nehmen damit potentielle Gefahren (Angriffe, Einsteller, etc.) aus der Stellung.
  5. Welche Möglichkeiten des Karcher-Konters haben sie bei einem Angriff auf ihren König? Alle beiden: Schlagen der angreifenden Figur oder Verstellung der Angriffslinie. D.h. es geht um die Kontrolle eines der Felder von angreifender Figur bis zum König!
  6. Welche Möglichkeiten des Karcher-Konters haben sie bei einem Angriff auf ihren König? Alle beiden: Schlagen der angreifenden Figur oder Verstellung der Angriffslinie. D.h. es geht um die Kontrolle eines der Felder von angreifender Figur bis zum König!
  7. Haben Sie die Möglichkeit des erweiterten Karcher-Konters bei einem Angriff auf ihren König? Nein, ein Gegenangriff ist nicht gemäß den Schachregeln nicht möglich. D.h. auf ein Schach muss reagiert werden!
  8. Haben sie die Möglichkeit des KK bei einem Doppelschach? Nein, bei einem Doppelschach muss der König immer ziehen! Deshalb ist das Doppelschach die vielleicht gefährlichste Waffe/Drohung im Schachspiel!
  9. Haben sie die Möglichkeit des EKK bei einem Doppelschach? Nein!!!
  10. Welche Angriff ist der stärkste Angriff im Schachspiel? Das Abzugsschach! Dabei wird der König doppelt angegriffen und muss unbedingt ziehen. Sind alle Felder verstellt oder unter ihrer Kontrolle, so ist er Matt.
  11. Beim Angriff welcher Figur muss der König immer ziehen? Ausnahmen? Beim Angriff durch den Springer, es sei denn der Springer kann geschlagen werden. Eine Verstellung ist nicht möglich! D.h. Im Sinne des Karcher-Konters gibt es kein Feld, das kontrolliert werden könnte, um den Angriff des Springers zu verstellen. Der Springer springt direkt von Feld zu Feld - das ist eine enorme Stärke des Springers!
  12. Welche Farbe hat das Feld "a2"? Wieso ist es wichtig das zu wissen? Das Feld a2 ist "Weiß". Es ist wichtig für ein besseres Abbild der Stellung in Ihrem Gehirn, für das berechnen von Varianten, Erkennen von Beziehungen, etc. pp.
  13. Angenommen die Dame greife den gegnerischen König auf einer Linie im Abstand von 2 Feldern an (Schach). In welchen Fällen können sie den KK spielen? In welchen den EKK? In welchen Fällen müssen sie reumütig mit ihrem König weichen? Wie viele Felder stehen dafür zur Verfügung? Sie können den KK spielen, wenn sie die Dame schlagen können oder wenn sie das Feld zwischen König und Dame verstellen können. Den EKK können sie in Reinform nicht spielen. In besonderen Fällen können sie aber, durch den Wegzug ihres Königs eine Angriffslinie auf eine gegnerische Figur öffnen und damit einen Gegenangriff starten (ohne dass ihre eigene Figur (= der König) dabei angegriffen bliebe). Es stehen dafür maximal 4 Felder zur Verfügung, steht der König am Rand verbleiben nur zwei Felder. Sind die Felder unter ihrer Kontrolle oder verstellt reduziert sich die Anzahl weiter bis hin zu einem Mattbild.
  14. Die Dame greift den gegnerischen König diagonal im Abstand von 2 Feldern an (Schach). In welchen Fällen können sie den KK spielen? In welchen den EKK? In welchen Fällen müssen sie reumütig mit ihrem König weichen? Wie viele Felder stehen dafür zur Verfügung? KK ist möglich, wenn sie das Feld kontrollieren auf dem die Dame steht oder das Feld zwischen Dame und König verstellen können. Der EKK ist wieder nicht möglich. Der König hat 6 (8-2) Felder zum Rückzug zur Verfügung. Ein Randkönig nur 4 (5-1).
  15. Der schwarze König steht auf h8. Wie viele Mattbilder bekommen sie mit weißer Dame und einem weißen Läufer hin (mit/ohne Beteiligung des weißen Königs)? Bitte, fangen Sie bloß nicht an auszuprobieren. Sondern wenden Sie das erlernte Wissen an! Und zwar systematisch: Der König auf h8 hat drei Felder zur Flucht (Wegziehen) zur Verfügung. Ihre Figuren müssen also so postiert werden, dass sie die vier Felder h7, h8, g7 und g8 kontrollieren. Haben sie einen weißfeldrigen Läufer, können die beiden schwarzen Felder nur durch die Dame kontrolliert werden! Diese muss dazu auf einem der f8, g7 oder h6 stehen. Alternativ kann die Dame auch auf einem der zu kontrollierenden Felder (g8, g7, h7) selbst stehen muss dann aber gedeckt sein. Probieren Sie die dabei entstehenden Positionen auf einem leeren Schachbrett oder noch besser im Kopf aus. Diese Übung schult ihr schachliches Vorstellungsvermögen ernorm.
  16. Der schwarze König steht auf e8. Wie viele Mattbilder bekommen sie mit weißem Turm und Springer hin (mit/ohne Beteiligung des weißen Königs)? Gehen Sie wieder methodisch mit dem Denkmodell der Felderkontrolle vor und analysieren Sie schrittweise.
  17. Wann ist ein KK nicht nötig? Wenn Sie weder das Feld der angreifenden Figur kontrollieren, noch ein Feld zwischen angreifender Figur und angegriffener Figur verstellen können.
  18. Wieso ist eine Fesselung so unangenehm? Zwei ihrer Figuren werden dabei (auf einmal) entwertet/eingeschränkt. Die gefesselte Figur, da bei einem Wegzug die angriffslinie zur dahinterstehenden Figur frei wird und die dahinterstehende Figur, da sie mitunter zur Deckung der gefesselten Figur gebraucht wird. Vermeiden Sie deshalb nervtötende Fesselungen! Bitte beachten Sie unbedingt, dass es ganz unterschiedliche Arten der Fesselung gibt: Damen, Türme und Läufer können fesseln und Damen, Türme, Läufer, Springer und Bauern können Opfer einer Fesselung werden! (Der König kann "nur" gespießt werden!)
  19. Welche Figur kann keine Fesselung durchführen? Warum nicht? Weder König noch Springer können eine Fesselung durchführen, was an ihrer Eigenschaft liegt immer nur auf dedizierte Felder hin zu wirken! Auch das wirklich zu verstehen ist sehr wichtig.
  20. Welche Figuren können gefesselt werden? Damen, Türme, Läufer, Springer und Bauern können Opfer einer Fesselung werden! (Der König kann "nur" gespießt werden!)
  21. In welchem Zusammenhang stehen KK und Fesselung? Der KK beschäftigt sich mit der direkten Abwehr eines Angriffs auf eine Figur. Im Fall der Fesselung mit dem Angriff auf die gefesselte Figur. Dabei gelten die gleichen Konzepte. Wichtig ist, dass es verschiedene Reaktionsmöglichkeiten auf eine Fesselung gibt. Die aggressivste ist das Fortziehen der gefesselten Figur, bei der je nach gefesselter Figur ein Gegenangriff auf die fesselnde Figur erfolgt (nicht möglich bei einer echten Fesselung, d.h. mit dahinterstehendem König). Besonders stark ist dieser Abzug, wenn der gegnerische König angegriffen wird. Eine andere aktive Methode ist der Angriff auf die fesselnde Figur. Ist zumindest ein Feld zwischen fesselnder und gefesselter Figur kann mitunter eine Figur dazwischengestellt werden (Motiv: "h7-h6" und "g7-g5", bei W: Lg5, S: Sf6, Ke8 Konstellation). Außerdem kann klassisch entfesselt werden, indem die gefesselte Figur aus der Fesselungslinie wegzieht.
  22. Inwiefern kann Ihnen die Kampfmethode des KK / EKK auch beim strategischen Spiel helfen? Taktik und Strategie sind keine streng getrennten autonomen Denksysteme, sondern haben weiche Übergänge. Versteht man die taktischen Methoden eröffnen sich auch neue Ansichten in die Welt der Schachstrategie. Die Bedeutung von Wirkungslinien, das Besetzen wichtiger Felder und vieles mehr..

Literatur:

"Schach für Zebras"
"Sieben Todsünden des Schachspielers"
(J. Rowson)

Bücher zur Schachtaktik (leider setzen diese grundlegendes Wissen zur Wirkung der Figuren, Kontrolle von Feldern, etc. bereits voraus. Aus meiner Sicht verhindert genau das bei den meisten Spielern die Entwicklung eines soliden Schachverständnisses. Diese Lücke zu füllen ist Maxime meiner Veröffentlichung!)

Bücher von J. Awerbach

Disclaimer:

Diese Übung richtet sich insbesondere an Spieler mit einer Spielstärke unter 2000 DWZ. Stärkere Spieler haben in der Regel gelernt, die Methode der Falsifizierung anzuwenden. Auch ist es wichtig zu verstehen, dass es zur Übung sinnvoll ist, Figuren entsprechend dem gesagten zu ziehen. Aber wie immer ist die pure Anwendung der Regel nichtig, denn noch stärkere Spieler haben gelernt die Ausnahmen von dieser Regel zu erkennen. Dazu werden wir in einem späteren DWZ-Plus kommen, wenn alle Grundlagen solide vermittelt wurden.

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