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Gehirnzellen sind nicht zu dopen

Kein Doping im Schach

von Hartmut Metz, März 2000

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   Schach will 2008 olympische Disziplin sein. Juan Antonio Samaranch, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), unterstützt dieses Ansinnen und gewährte den Denksportlern die Anerkennung. Um olympisch zu werden, muss aber auch der Weltverband FIDE Doping-Kontrollen einführen. "Doch nach was sollen wir suchen?", fragt ein hochrangiger deutscher Schach-Funktionär. Gibt es überhaupt Möglichkeiten, seine Gehirnzellen künstlich auf Trab zu bringen? Unser Mitarbeiter Hartmut Metz sprach mit Dr. Helmut Pfleger (56).

   Der Mediziner mit Fachrichtung "Innere Medizin-Psychosomatik-Psychotherapie" trägt den Großmeister-Titel. Als bester Spieler am vierten Brett trug der Bamberger 1964 bei der Schach-Olympiade in Tel Aviv maßgeblich zum Bronzemedaillen- Gewinn der deutschen Nationalmannschaft bei. Das Quartett besiegte damals das über Jahrzehnte fast unbezwingbare sowjetische Team sensationell mit 3:1. Heute sorgt Pfleger vor allem durch seine Fernsehsendungen und die Schachspalten in der "Zeit" und der "Welt am Sonntag" für die Popularisierung des Spiels auf den 64 Feldern.

BT: Manfred Donike, verstorbener Leiter des Kölner Doping-Labors befand einmal: "Es gibt keinen Sport, in dem Doping nichts bringen würde." Gilt das auch für den Denksport Schach?

Helmut Pfleger: Schach ist hier wohl die berühmte Ausnahme von der Regel. Sowohl dämpfende als auch stimulierende Substanzen haben unliebsame Nebenwirkungen, die einen erwünschten Effekt eher überwiegen.

BT: Die üblichen Präparate für mehr Muskeln, Schnelligkeit und Ausdauer bringen den Gehirnwindungen nichts. Besteht folglich im Schach eine geringere Dopinggefahr?

Pfleger: "So ist es. Nicht von ungefähr sagte 1978 bei der 100-Jahr-Feier des Deutschen Schachbunds der damalige Präsident des Deutschen Sportbunds Willi Weyer, dass er froh sei, die Schachspieler in den Reihen des DSB zu wissen, weil Schach ein sauberer Sport sei - diese Rede hatte angesichts des Menetekels der Olympischen Spiele von Montreal, wo erstmals die Doping-Problematik ins Licht der Öffentlichkeit gerückt wurde, ein besonderes Gewicht.

BT: Sie haben selbst schon allerlei Untersuchungen mit Schachspielern gemacht. Welche Mittel könnten Leistungen steigern?

Pfleger: Selbstverständlich können kleine Dosen von Koffein anregend wirken, nicht umsonst ist Kaffee oder auch schwarzer Tee ein beliebtes Getränk von Schachspielern. In größeren Mengen überwiegen indes die negativen Kreislaufwirkungen zum einen, Störungen des klaren Denkens zum anderen.

BT: Ich kenne einen Amateur, der wirft sich vor jeder Partie Beruhigungspillen ein. Steigern Beta-Blocker, die den Herzschlag vermindern und den Blutdruck senken, die Leistung in Stressphasen bei knapper Bedenkzeit oder schwierigen Stellungen auf dem Schachbrett?

Pfleger: Es gibt Spieler, die zur Übererregbarkeit und so zu gelegentlichen Blackouts neigen, so dass Beta-Blocker sinnvoll erscheinen mögen. Doch auch hier sind, abgesehen vom heutigen Verbot, große Bedenken anzumelden. Bei einer Schachpartie ist von vornherein nicht abzusehen, wann es eine besonders spannende Partiephase gibt. Bei meinen eigenen Untersuchungen an Spielern des C-Kaders des Deutschen Schachbunds 1981 experimentierte ich auch bei geeignet erscheinenden Spielern nach vorheriger Rücksprache mit ihnen mit Beta-Blockern, die damals noch nicht auf der Dopingliste standen. Die Ergebnisse waren widersprüchlich, einmal sogar eindeutig schlecht. Als warnendes Beispiel möchte ich mich selbst anführen. Zwei Jahre zuvor nahm ich bei einem Weltklasse-Turnier in München, bei dem ich auch die Teilnehmer untersuchte, vor meiner Partie mit Ex-Weltmeister Boris Spasski einen Beta-Blocker mit katastrophalen Folgen: Pulsfrequenz und Blutdruck sanken in den Keller. Mit großem Gleichmut spielte ich einen ziemlichen Käse und verlor sang- und klanglos.

BT: Bringt die gegenteilige Doping-Form, Stimulanzien, etwas? In Italien erwischte man bei einem Turnier einen Akteur mit Amphetaminen.

Pfleger: Bei einer länger dauernden Schachpartie besteht die Gefahr, dass gerade in der Abklingphase des Amphetamins mit ihrer "deprimierenden" Wirkung besondere Wachheit erforderlich wäre. Dies ist zum Beispiel bei Autorennfahrern ganz anders, bei denen eine bestimmte Rennzeit vorgegeben ist; soweit ich weiß, sind dann sogar Kombinationen von Weckaminen mit Beta- Blockern beliebt.

BT: Viele Schachspieler bevorzugen während ihrer Partien Kaffee, um hellwach zu bleiben - obwohl angeblich die besten russischen Schachspieler immer schwarzen Tee wegen der länger anhaltenden Wirkung bevorzugten. Wie viel Liter Cola oder wie viele Tassen Kaffee müsste man trinken, um den erlaubten Koffein-Wert zu überschreiten?

Pfleger: Das ist schwer zu bestimmen. Zum einen hängt das sehr stark von Faktoren wie dem Körpergewicht des Sportlers ab. Zum anderen besitzen Cola- oder Kaffeesorten unterschiedlich hohe Koffeinwerte. Bei Stoffwechsel-Störungen können schon zwei Tassen für eine positive Probe genügen, generell gilt aber: Der Koffein-Wert, bei dem Doping vorliegt, wurde so hoch gewählt, dass er bei normalen Lebensgewohnheiten nicht erreicht wird.

BT: Demnach scheint die Aufregung unter den Schachspielern zu groß. Deutschlands vieljähriger Vorkämpfer Robert Hübner kündigte sein sofortiges Karriereende an, sollte es im Schach Dopingproben geben. Der Niederländer Jan Timman will in diesem Fall gar einen eigenen Verband gründen. "Ich trinke Kaffee, um nicht müde zu werden. Wenn ein Mittel existierte, das die Gehirnleistung verbessert, würde ich es sofort nehmen", erklärte der Großmeister.

Pfleger: Ich kann die Gefühle von Hübner und Timman gut verstehen. Andererseits müssen wohl auch die Schachspieler "B" sagen, nachdem sie "A" gesagt haben, sprich um Aufnahme als olympische Sportart nachsuchen. Gleiches Recht für alle. Ganz persönlich wird mir der Sport mit all den Dopingskandalen immer mehr verleidet.

BT: Der spanische Schach-Journalist Leontxo Garcia bezichtigte Garri Kasparow wie Anatoli Karpow des Dopings. Beide würden sich vor Partien aufputschen. So soll Karpow bei der Weltmeisterschaft 1987 erfolgreich an sowjetischen Astronauten erprobte Tabletten gegen Müdigkeit genommen haben. Sie kennen beide Koryphäen. Können Sie sich das vor allem bei Kasparow vorstellen? Das Temperamentbündel steht ohnehin ständig wie kein Zweiter unter Strom.

Pfleger: Bei Kasparow, nein. Nie werde ich die Worte seiner Mutter vergessen, als ich sie fragte, was ihr an ihrem Sohn am meisten gefalle. Ihre Antwort: "Seine Energie wie Dynamit." Bei ihm wäre es wie Öl in einen Vulkan zu gießen. Bei Karpow kann ich mir eher vorstellen, dass er etwas ausprobierte. Sein Arzt, mit dem ich sowohl 1984 als auch 1987 darüber sprach, verneinte dies allerdings; jedoch fragte er mich damals, ob ich Mittel zur Leistungssteigerung wüsste.

BT: Insgesamt kann man festhalten, dass leistungssteigernde Mittel höchstens während des Wettkampfs Vorteile bringen. Im Training sind Stimulanzien ebenso unnütz wie Beta-Blocker. Trainingskontrollen sind folglich überflüssig?

Pfleger: Erscheint mir der Sinn von Doping bei Schachwettkämpfen schon äußerst fraglich, so wäre es im Training geradezu absurd.

BT: In Spanien gehört völlige Nüchternheit zum Doping-Ehrenkodex. In Deutschland erlaubt sich der ein oder andere Amateur während der Partie ein Bier. Mancher scheint gar betrunken besser als ohne Alkohol zu spielen. Ist das möglich? Oder lenkt der Angetrunkene den Gegner einfach zu sehr ab, so dass Letzterer automatisch auch nachlässt?

Pfleger: Anekdotisch sind Heldentaten unter Alkohol am Schachbrett überliefert. Mag dies sogar im Einzelfall zutreffen, so bin ich doch davon überzeugt, dass die Leistungen ohne Alkohol zumindest nicht schlechter gewesen wären. Bei fast allen Spielern wirkt sich Alkohol negativ auf die Spielstärke aus.

BT: Sind die Gefahren für den Schachsport durch Dopingmittel oder durch Betrugsversuche mit Computern, die es in den vergangenen Jahren ein paar Mal gab, größer?

Pfleger: In der Tat wird die Betrugsgefahr durch Computer als unerlaubtes Hilfsmittel noch zunehmen, zumal diese immer kleiner und leistungsfähiger werden beziehungsweise über einen Sender Verbindung mit einem externen Computer aufgenommen wird, wie wir ja an einigen drastischen Fällen bereits erlebt haben. Vielleicht haben wir bald anstatt Dopingproben Leibesvisitationen wie auf Flughäfen - eine Horrorvorstellung.


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