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Fritz ist brutal im Vorteil!"

Jussupow misst sich in Frankfurt mit einem Primergy im Fischer Random

von Harald Fietz und Hartmut Metz

mehr Schachtexte von Hartmut Metz


   Fischer Random Chess - jeder Schachfan hat davon schon gehört: Schließlich hat es der geniale Bobby ersonnen. Aber wer kennt die Regeln so genau, wer hat es gar einmal praktiziert? Haben wir nicht alle genug mit dem herkömmlichen Spiel zu tun? Sicher ja, ein wenig Neugierde wäre da, würden zwei Könner die neue Vielfalt zeigen. Bei den Frankfurt Chess Classic 2000 hat jeder die Gelegenheit zu erleben, wie es abgeht. In einem Schnellschach-Match über zwei Partien mit der Fischer-Uhr zwischen der deutschen Nummer eins, Artur Jussupow, und dem weltbesten kommerziellen Schachprogramm Fritz auf dem leistungsstarken Primergy von Fujitsu Siemens wird am 23. und 25. Juni (jeweils ab 13 Uhr) vorgeführt, was die jüngste Variante in einer Reihe von schachähnlichen Spielen zu bieten hat.

   Die Reformdebatte um das klassische Schach ist aber keine neue. Bereits in den 20er Jahren haben die Weltmeister Lasker und Capablanca ernsthafte Vorschläge zur Modifizierung vorgebracht. Mehr Felder und neue Figuren mit unterschiedliche Gangarten sollten dem Spiel zusätzliche Impulse geben - geeignet, der erwarteten Verflachung durch eine perfektionierte Schachtechnik Einhalt zu gebieten. Doch diese Entwicklung fand nicht statt, und der Ruf nach Änderungen verstummte bis sich Ende des 20. Jahrhunderts wiederum einer, der die höchste Sphäre im Schachsport erreicht hatte, mit einer Innovation an die Öffentlichkeit wandte. Robert James Fischer, der elfte Weltmeister, hatte zwar 1972 den Thron bestiegen, bevorzugte danach aber ein Leben als Eremit - abgesehen von seinem spektakulären Revanchekampf gegen Boris Spasski 1992 in der serbischen Diaspora. Die Abwesenheit vom aktiven Turnierbetrieb minderte jedoch nicht seine fanatische Hingabe an das Spiel und die Suche nach Wegen, die die Anziehungskraft des Brettsports steigern können. Während die Fischer-Uhr inzwischen eine akzeptierte Neuerung der Zeitnahme darstellt, führt das Fischer Random Chess - eine Spielweise, bei der die Startaufstellung der Figuren auf der Grundreihe ausgelost wird - ein Schattendasein.

   Paradoxerweise sind seine beiden Anregungen völlig unterschiedlicher Natur. Wo die Fischer-Uhr dem Spieler nach jedem Zug ein zusätzliches Zeitpolster verschafft - und damit den Zufallsfaktor im Zeitnotscharmützel erheblich reduziert -, da erhebt Fischer Random Chess das Prinzip Zufall zum Fundament, auf dem der „bessere" Spieler unvorbereitet seine Qualität zeigen muß.

   Gemeinsam ist beiden Erfindungen allerdings das Streben nach identischen Ausgangspositionen. Gleiche Chancen und die Freiheit für den Einzelnen, das Beste daraus zu machen, sind vermeintlich typisch amerikanischen Ideale, mittels derer jeder seinen Weg zum Erfolg finden kann. Die Prinzipien prägten schon in frühster Jugend den besonderen Gerechtigkeitssinn Fischers, wobei ihm seine eigenwilligen Interpretationen der jeweiligen Turniersituationen einige Male Rückschläge auf dem Weg nach oben bescherten. Ihm, dem amerikanischen Individualisten, waren die Kungeleien der „Sowjetschachmafia" zeitlebens ein Dorn im Auge. Mit ihrer abgestimmten Vorbereitung hatten ihn seine östlichen Großmeister-Kollegen vor 1970 geschickt vor dem Sprung an die Spitze ausgebremst. Solchen Machenschaften soll Fischer Random Chess den Zahn ziehen. Das kollektive System der systematischen Vorbereitung soll durchbrochen werden; der Einzelne wird gezwungen, sich unmittelbar im positionellen Dickicht zurechtzufinden. Die Komplexität der Ausgangsposition erhöht sich: Allein in der Startaufstellung gibt es 960 Möglichkeiten. In dieser Spielart wird Vorbereitung kaum mehr möglich, die Spieler können diese zum Unwort erklären. Der Freund des Fianchettos erhält selten seine bevorzugte Ausgangsposition. Jegliche strategischen und taktischen Vorlieben der e4- und d4-Spieler werden über Bord geworfen. Der Spieler muss sich jedes Mal - wie ein Neugeborenes - ohne etabliertes Eröffnungswissen orientieren.

   Gleichwohl gibt es auch beim Fischer Random Chess einige grundlegenden Regeln. Der russische Bayer und sein Rechnerkontrahent haben folgendes in Frankfurt zu beachten:
 

 

   Wie läßt sich unter diesen Startbedingungen eine typische Spielgestaltung an? Der Frankfurt-Giants-Teilnehmer Peter Leko stellte Anfang diesen Jahres gegenüber der niederländischen Zeitung „Schaakmagazine" fest, dass „man sich auf Fischer Random Chess überhaupt nicht vorbereiten kann, sondern völlig von seiner Kreativität abhängig ist. Es kann vorkommen, dass man von Beginn an einen völlig falschen Weg einschlägt".

   Das fürchtet Matthias Wüllenweber keineswegs. Der Fritz-Programmierer, für gewöhnlich die Bescheidenheit und Zurückhaltung in Person, hält eine besondere Vorbereitung auf das Match mit Artur Jussupow nicht nur für völlig überflüssig. Im Brustton der Überzeugung äußert der Chef der Softwarefirma Chessbase: „Das reicht auch so. Fritz on Primergy ist brutal im Vorteil! Ich schätze, wir gewinnen mit 2:0!" Einig ist sich Wüllenweber mit dem Gegner, wenn Jussupow meint, „ich muss kreativer spielen. Dem Computer ist die Stellung egal. Er rechnet einfach". Ins Detail geht der Software-Experte. „Beim Fischer Random Chess entstehen weniger herkömmliche Muster. Diese Mustererkennung ist aber der Trumpf des Menschen im Schach." Wüllenweber verweist hierbei auf eine Untersuchung seines Chessbase-Kompagnons Frederic Friedel. Er hatte Großmeister Andras Adorjan verschiedene Stellungen zehn Sekunden lang gezeigt. Die „normalen" Positionen konnte sich der Ungar weit besser merken als Amateure. Der Mensch speichert dabei so genannte „Chunks" ab. Er merkt sich hierbei nicht „Bauern auf f2, g2 und h2, dazu König auf g1 und Turm auf f1". Sondern einfach „kleine Rochade", die er leicht memoriert. Fallen solche Einteilungen weg - in der Untersuchung bedeutete dies, dass die Stellungen völlig sinnlos aufgebaut wurden, unter anderem mit Bauern auf der ersten und acht Reihe -, schrumpfen die Unterschiede zwischen Profis und Amateuren gegen null. „Fritz on Primergy zählt nur die Dinge. Herkömmliche Muster sind dem Rechner völlig egal, ob er nun drei Springer hat oder nicht und wo sie anfangs stehen. Der Unterschied zwischen Mensch und Maschine beträgt beim Fischer Random mehrere hundert Elo!", glaubt Wüllenweber an eine gewaltigen Leistungsunterschied.

   Lässt sich der zurückhaltende Jussupow nicht zu einem Tipp verleiten, glaubt Hans-Walter Schmitt an einen 1,5:0,5-Erfolg der deutschen Nummer eins. „Die immens große Eröffnungsdatenbank fehlt Fritz", meint der Organisator der Frankfurt Chess Classic. Der Spitzenspieler von Bundesligist Solingen wägt eher ab. „Die fehlenden bekannten Eröffnungspfade haben Vor- und Nachteile. Ich kann selbst meine Erfahrung nicht nutzen. Es ist insofern auch ein Nachteil, weil ich nicht automatisch ein Mittelspiel erreiche, in dem ich die Pläne kenne", führt der 40-Jährige aus und verweist auf die damit begünstigte Taktik, dem schlagendsten Argument des Computers. In dieselbe Kerbe haut Wüllenweber. „Artur hat doch riesige Eröffnungskenntnisse. So spielt er seit 20 Jahren Russisch. Die entfallen ohne bekannte Eröffnungsschablonen. Der Vergleich ist ein interessantes Experiment. Man sollte dabei nicht frustriert sein, wenn der Mensch verliert."

   Dass Jussupow sich auf Abarten des traditionellen Schachs versteht, bewies er bereits bei den Europameisterschaften im Janus-Schach. Auf dem auf 10x10 Felder vergrößerten Brett mit zwei zusätzlichen Bauern und vor allem der Janus-Figur, die wie Springer und Läufer zieht, gewann der ehemalige WM-Kandidat den Kontinental-Titel. Im Fischer Random verfügt der Großmeister ebenfalls über einen gewissen Erfahrungsschatz. Seinen Nationalmannschaftskollegen Christopher Lutz bezwang der gebürtige Russe in einem Match mit 1,5:0,5 - wobei hierbei beide Seiten zusätzlich einen Computer einsetzen durften. „Es macht Spaß und ist mit Schach verbunden", gewinnt der renommierte Lehrer den Abarten positive Seiten ab. Vor allem im Fischer Random gehe es oftmals schon nach „fünf, sechs Zügen los", wenn die Figuren günstiger als im Original-Aufbau stehen. Einen Nachteil bringt dies aber auch mit sich: „Ich muss schon vom ersten Zug an überlegen, wie ich meine Figuren entwickele", verweist Jussupow nochmals auf die Eröffnungs-Problematik.

   Wird Fischer Random Chess das herkömmliche Spiel eines Tages ablösen? „Noch ist es keine Konkurrenz", meint die deutsche Nummer eins und setzt fort, „aber durch die Computer-Entwicklung und die ausanalysierten Eröffnungen wird es vielleicht zunehmend populärer. Der theoretische Ballst ist einfach geringer. Deshalb erfordert das Spiel mehr Kreativität." Noch sei es „zu früh zu sagen, wohin die Entwicklung geht, aber eine erste Alternative" sei Fischer Random womöglich. Indes relativiert Jussupow gleich in seinem letzten Satz: „Schach ist so schön und so schwierig, dass man es noch lange spielen kann!"


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