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Für Karpow gibt es nur einen Weltmeister

FIDE verschleppt juristisches Geplänkel

von Hartmut Metz, Oktober 2000

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Anatoli Karpow

Anatoli Karpow

 

   Von Strategie versteht kaum einer mehr als er. Zumindest auf den 64 schwarz-weißen Feldern. Bei den Internationalen Strategietagen im Baden-Badener Kongresshaus war Anatoli Karpow Anfang Oktober mit seinen Schachbrettern ein Anziehungspunkt, der Neugierige zum Stand der Grenke Leasing AG lockte. Der russische Großmeister versteht auch dort logisch wirkende Gebäude aufzubauen, wo der Rest der Welt anderer Ansicht ist. Ideal für Strategietage. „Ja, ich behaupte, ich bin noch immer Weltmeister", bestätigt Karpow seine Anschauung. Das derzeit in London ausgetragene Match zwischen dem verhassten Erzrivalen Garri Kasparow und Wladimir Kramnik, die in der Weltrangliste führen, sei nur ein „Freundschaftsspiel mit einem hohem Preisgeld", befindet der Moskauer. Das Duell sei abgekartet und würde niemals von Kramnik gewonnen.

   Anatoli Karpow vermutet gar ein abgekartetes Spiel in dem „Freundschaftsspiel um ein hohes Preisgeld" (zwei Millionen Dollar). Genüsslich referiert der 1985 von Kasparow entthronte Russe über ein Internet-Match, in dem Kramnik 12:11 gegen Kasparow führte, um dann die letzte Partie trotz aller Vorteile stümperhaft zu verlieren. Ähnliches erwartet Karpow nun in den Riverside Studios, nachdem Kasparow dem eigentlich qualifizierten Alexej Schirow und Viswanathan Anand ausgewichen sei. Der 49-jährige Erzrivale sieht sich immer noch als legitimer Weltmeister des Weltverbandes - gleichwohl die FIDE den St. Petersburger Alexander Chalifman als seinen Nachfolger führt. „Wer in einem Turnier wie Linares nur nicht Letzter werden will, ist doch kein Weltmeister. Sicher, Tigran Petrosjan wurde auch oft nur Vierter oder Fünfter. Aber er war ein glänzender Match-Spieler", höhnt Karpow und berichtet von seiner in der Schweiz anhängigen Klage gegen den Verband, der seine Amtszeit eigenwillig abgekürzt habe. Alexander Chalifman möge ein guter Spieler sein - aber Weltmeister, nein. „Er gewann eine WM, die im untauglichen K.o.-Modus durchgeführt wurde. Vorher wie nachher hat er doch bei keinem Turnier etwas gezeigt." Die FIDE bekriegt Karpow juristisch, weil die Föderation seiner Ansicht nach die WM ein Jahr früher veranstaltete, als beide Parteien in den Verträgen fixiert hatten. Siebenstelligen Schadenersatz fordert die Koryphäe nun am Sitz des Weltverbandes, in Lausanne (Schweiz). „Meine Zeit als Weltmeister wurde um ein Jahr verkürzt, zumindest der finanzielle Schaden muss ersetzt werden", meint Karpow und wähnt sich dabei als Anwalt aller Profis. Ein FIDE-Funktionär habe ihm nämlich gesagt, dass der Verband auch vier oder fünf Weltmeisterschaften im Jahr ausrichten könne, sollte ihm ein Titelträger nicht genehm sein ... „Wenn sie mich nicht respektieren, respektieren sie niemanden", erklärt der Russe und zeigt sich „überrascht über Stellungnahmen einiger Großmeister. Ich denke, sie sollten auf meiner Seite sein, weil ich auch für ihre Rechte kämpfe. Ich will keinen Platz eines anderen einnehmen. Dass Chalifman gewonnen hat, ist das Problem der FIDE, ich habe keines mit Chalifman. Die machen Mist und sollen ihn jetzt lösen".

   Vor Gericht geht es aber nicht so recht voran. Die fünfstündige Anhörung, in der zur Freude Karpows beide Seiten exakt die Hälfte der Zeit zu Stellungnahmen bekommen, verschob sich immer wieder. „Den Termin am 18. Juni empfand die FIDE als zu kurzfristig und forderte einen Monat Vorbereitung. Das akzeptierte ich. Am 18. Juli sowie anschließend im August hatte plötzlich Kirsan Iljumschinow keine Zeit, weil er stets seit 20 Jahren in diesen Monaten mit seiner Familie Urlaub mache. Dann wollte man 19 Zeugen aufbieten. Die Hälfte davon sollte doch nur erzählen, was für ein netter Kerl der FIDE-Präsident sei", ist der entthronte Weltmeister die Ausreden leid. Zumindest verbuchte Karpow einen Teilerfolg, weil die FIDE nun ihre Zeugen wie deren Themen benennen muss. Vor der WM in Neu Delhi rechnet der Moskauer mit keinem Urteil mehr. In Indien wird er folglich auch nicht teilnehmen, zumal Karpow den Modus weiterhin für untauglich hält.

   Obwohl er im nächsten Jahr 50 wird, fühlt sich Karpow noch lange nicht ausgebrannt. Im Gegenteil. „Im Turnierschach machen 20 Jahre Unterschied eigentlich viel aus. Ich fühle diesen aber kaum. Den einzigen Unterschied, den ich gegenüber früher verspüre, ist meine schwindende Lust auf Reisen. Aber so ist das eben: Die, die immer ständig unterwegs sind, wollen endlich zu Hause sein. Die, die immer daheim sitzen, würden gerne reisen", äußert der 49-Jährige und berichtet von seinen Plänen, die ihn in den nächsten Wochen nach Zypern, in den Mittleren Osten, zum Schnellschach nach Cap d´Age, zu einer UNESCO-Sitzung nach Paris, New York und nach Spanien führt, wo er am 20. November ein Internet-Simultan geben wird gegen Kontrahenten aus sieben spanischsprachigen Ländern. Dass der Weltrekordler ehrgeizig wie zu Beginn seiner einmaligen Karriere vor drei Jahrzehnten ist, zeigt sein Ärger über den verpassten 152. Turniererfolg in Argentinien. „Ich hatte in der letzten Partie gegen Pablo Ricardi noch zehn Sekunden auf der Uhr und zog in Gewinnstellung eine Millisekunde zu spät. Mit einem Sieg wäre ich Erster gewesen, so wurde ich nur Vierter! Gegen Vadim Milov vergeigte ich auch einen Sieg", ereifert sich der Weltranglistenzwölfte und behauptet, sein Weltranglistenplatz sei ihm „egal, so lange ich noch so spiele wie in Argentinien". Wenig grämt ihn auch das Remis im Karpow-Schachzentrum, wo ihm das dort größte Talent trotzte. An dem deutschen Jugendmeister Andreas Schenk vom SC Baden-Oos gefällt dem Ausnahmekönner die blitzschnelle Auffassungsgabe sowie die „sehr ruhige Art, das ist wichtig", erklärt das Pokerface und räumt Schenk mit dem großmeisterlichen Trainer Philipp Schlosser Entwicklungspotenzial ein, „sofern er hart arbeitet".

   Ruhig geht es bei dem Botschafter der UNESCO selbst nie zu. Ihm bleibt viel zu wenig Zeit für sein 14 Monate altes Töchterchen Sofia. Unruhig jettet Väterchen „Tolja" rund um den Globus, weil er sich neben dem königlichen Spiel auch dem „dringlichsten Problem unserer Zeit", dem Umweltschutz, verschrieben hat. „Die großen Nationen USA, Russland und China müssen den Umweltschutz zusammen mit der UN auf den Weg bringen und mehr machen. Wir haben nur einen Planeten", sagt das Schachgenie. Frieden zu stiften hält Karpow da schon fast für nebensächlich. Trotzdem wollte er nach den Strategietagen Jassir Arafat treffen, um zwischen Palästina und Israel zu vermitteln.


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