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Den Geist aufgegeben

Kortschnoi gewinnt spirituelle Partie

von Hartmut Metz, 24. März 2001

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Viktor Kortschnoi

Viktor Kortschnoi

   Viktor Kortschnoi feierte gestern seinen 70. Geburtstag. Die Schach-Legende ist mit Ausnahme des ebenfalls aus der Sowjetunion geflüchteten Boris Gulko (USA) der einzige Großmeister über 50 Jahre der noch zur erweiterten Weltspitze zählt. Zweifellos darf aber Kortschnoi in Anspruch nehmen, in seinem Alter einzigartige Leistungen zu vollbringen. „Mal abwarten, wie Kasparow mit 65 spielt", meint der Schweizer mit Blick auf den seiner Ansicht nach besten Spieler aller Zeiten. Außer Kortschnoi zeigte nur noch Weltmeister Emanuel Lasker im für einen Sportler biblischen Alter besondere Leistungen auf dem Brett.

   Über 4 000 Turnierpartien spielte der dreifache Vizeweltmeister in seiner langen Karriere. „Rund 2 000 davon habe ich gewonnen", erklärt die Schach-Legende nicht ohne Stolz. Wie bereits am Donnerstag im „Sport-Interview der Woche" ausgeführt, trug Kortschnoi seine ungewöhnlichste Begegnung gegen einen Geist aus.

   Diese „Fernpartie" wurde von 1985 bis 1993 gespielt - allerdings spirituell, weil der ungarische Großmeister Géza Maróczy bereits 1951 verstarb. Der St. Gallener Dr. W. Eisenbeiss initiierte die Partie zwischen dem Toten und Viktor Kortschnoi. Die Züge liefen über ein angeblich nicht Schach spielendes Medium namens Robert Rollans (Bonn). Kortschnoi fand laut „Schach-Kalender 2001" die Partieanlage des Ungarn „etwas altmodisch, aber nicht ganz ohne". Nach raschen Fortschritten von 1985 bis 1988 schleppte der Geist ab dem 32. Zug die schlecht stehende Stellung noch fünf Jahre bis 1993 hin.









Stellung nach:

W: Maróczy S: Kortschnoi

1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4 4.e5 Ungewöhnlich! Der irdische Maróczy spielte in seinen vier der Nachwelt erhalten gebliebenen Partien in der Winawer-Variante zweimal 4.exd5 und zweimal 4.Se2. Damit sicherte er sich jeweils leichte positionelle Vorteile, die Maróczy in drei Siege und ein Remis ummünzte. Launisch vermerkt Falvio Patricio Doro im „Internet Chess Café" dazu: „Die Variante passt kaum zum Stil des Ungarn, aber nicht auszuschließen ist, dass Maróczy seinen Stil im Jenseits aufgefrischt hat." 4...c5 5.a3 Lxc3+ 6.bxc3 Se7 7.Dg4 cxd4 8.Dxg7 Tg8 9.Dxh7 Dc7 10.Kd1 Vorher soll sich Maróczy „erkundigt" haben, ob man an dieser Stelle das althergebrachte Se2 ziehe oder doch besser das von Max Euwe nach Maróczys Tod ausbaldowerte Kd1. Der Geist entschied sich letztlich für die aktuellere Variante. 10...dxc3 11.Sf3 Sbc6 12.Lb5 Ld7 13.Lxc6 Lxc6 14.Lg5 d4 15.Lxe7 Kxe7 16.Dh4+ Ke8 17.Ke2 Lxf3+ 18.gxf3 Dxe5+ 19.De4 Dxe4+ 20.fxe4 f6 Das Endspiel ist mit dem Mehrbauern für Schwarz vorteilhaft, aber noch lange nicht gewonnen. Kortschnoi zeigte sich von der weißen Spielführung beeindruckt, habe sie doch belegt, dass Maróczy - oder wer auch immer - die Endspielphase wie die alten Meister aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts beherrschte. Zwischenzeitlich fürchtete der Schweizer gar den Verlust der Partie. 21.Tad1 e5 22.Td3 Kf7 23.Tg3 Tg6 24.Thg1 Tag8 25.a4 Txg3 26.fxg3 b6 27.h4 a6 28.g4 b5 29.axb5 axb5 30.Kd3 Kg6 31.Tf1 Th8 32.Th1 Th7 33.Ke2 Ta7 34.Kd3 Ta2 35.Tf1 b4 36.h5+ Kg5 37.Tf5+ Kxg4 38.h6 b3! Mobilisiert die zwei starken Freibauern, was die Entscheidung bringt. 39.h7 Ta8 40.cxb3 Th8 41.Txf6 Txh7 42.Tg6+ Kf4 43.Tf6+ Kg3 44.Tf1 Th2 45.Td1 Kf3 46.Tf1+ Tf2 47.Txf2+ Kxf2 und gleichzeitig gab Maróczy seinen Geist auf wegen 48.b4 c2 49.Kxc2 Ke2 50.b5 d3+ 51.Kc3 d2 52.b6 d1D.

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Die Partie zum Download (pgn)

Schachlektüre

Helmut Wieteck, „Die Wiener Schachschule - Aufstieg und Untergang (1866-1938)"
Schach-Profi-Verlag Reinhold Dreier, 30 Mark.

   Der mit nur 555 Exemplaren aufgelegte Band ist ein nettes Lesebuch über die glorreiche Epoche. Getreu dem Kaffeehaus-Schach sind die Partien nicht zu tiefgründig analysiert, was aber kein sonderlicher Schaden ist. Alle großen Stars gaben sich in der Metropole ein Stelldichein, darunter auch der damals noch lebende Maróczy ...


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