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Schluss mit dem Zirkus!

Ex-Weltmeister Viswanathan Anand fordert klare Verhältnisse an der Spitze des Schachs

von FM Hartmut Metz, August 2003

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   Ex-Weltmeister Viswanathan Anand hat im vergangenen Jahr herausragende Erfolge gefeiert. Mit Ausnahme des Schach-Turniers in Linares (Spanien) gewann der 33-Jährige alle Wettbewerbe, an denen er teilnahm. Lohn seiner Siege: In Indien wurde der populäre "Tiger von Madras" erneut zum Sportler des Jahres gewählt. Nur die Rückkehr auf den WM-Thron bleibt dem Baden-Ooser Bundesliga-Spitzenspieler verwehrt. Hartmut Metz sprach mit Anand über die Krise des Spitzenschachs und seine anstehenden Turniere in Dortmund (31. Juli bis 10. August) und Mainz (13. bis 17. August).

 

Viswanathan Anand

Viswanathan Anand

 

Frage: Herr Anand, Sie äußerten Ihr Bedauern, dass die "Politik den Schachsport in seinen Klauen hält".

Anand: Soweit ich mich erinnere, gehört Politik seit 1993 zum Schach. Ich hoffe, dass darunter endlich mal ein Schlussstrich gezogen werden kann. Das Spiel leidet wirklich unter dem Hin und Her an der Spitze ohne klare Entscheidung, wer nun Weltmeister ist. Dieser Zirkus kann so nicht weitergehen. Wir alle hoffen, dass im Verlauf des nächsten Jahres die WM-Titel endlich wieder vereinigt werden.

 

Frage: Wen machen Sie für das Durcheinander verantwortlich? Den Weltverbandspräsidenten Kirsan Iljumschinow und den Weltranglistenersten Garri Kasparow?

Anand: Ich denke, die Namen liegen auf der Hand. Ich brauche die daher nicht einzeln zu nennen. Wegen der weltweiten wirtschaftlichen Lage ist es ohnehin schon schwer genug, Sponsoren zu finden - und dann gibt's Leute, die noch drei WM-Finals austragen wollen. Die letzten drei Jahre waren ein Zirkus! Und das Ergebnis davon ist, dass es keinen einzigen vermarktbaren Spieler mehr gibt.

 

Frage: Vor zwei Tagen sprach ich mit Alexej Schirow, Ihrem künftigen Mannschaftskameraden beim SC Baden-Oos. Er meinte, dass er sich nicht allzu sehr um das WM-Hickhack kümmere. Für Sie aber sei es bedauerlich, dass Sie in der derzeitigen Form keine Chance besäßen, um die Weltmeisterschaft zu spielen.

Anand: Natürlich träumt jeder Sportler davon, um die Weltmeisterschaft zu spielen. Im Moment spiele ich gut und hoffe, einige weitere Turniere zu gewinnen. Ich will aber nicht in Superlativen denken, was meine Erfolge anlangen. Ich hoffe einfach, mein Spiel in noch vielen Bereichen verbessern zu können.

 

Frage: Erachten Sie es als Vorteil, dass Sie sich keine Sorgen um die WM-Austragung machen müssen? Die Involvierten - Kramnik, Leko, Ponomarjow und Kasparow - spielen nicht gerade in Bestform. Kostet das ganze WM-Theater die Beteiligten zu viel Nerven?

Anand: Da müssen Sie die selbst fragen. Die kennen die Gründe besser.

 

Frage: Wie sähe ihr Vorschlag zur Titelvereinigung aus?

Anand: Eine faire Chance für alle auf den WM-Titel wäre ein guter Anfang. Bis jetzt ist jeder mit Ausnahme von vier Spielern davon ausgeschlossen. Momentan gibt es zu viele Vorschläge, wie man das ändern kann - aber keinerlei Bewegung da hin!

 

Frage: Gelänge endlich die Wiedervereinigung, wären Sie dann optimistisch gestimmt, was die Zukunft Ihres Denksports anlangt?

Anand: Auf jeden Fall. Schach profitiert durch die gewaltige Verbreitung im Internet enorm. Zudem wuchs das Interesse in Ländern wie Indien und China. Um nun auch noch große, finanziell lukrative Wettbewerbe zu bekommen, ist die Titelvereinigung am allerwichtigsten.

 

Frage: Sie erwähnten es gerade selbst: In Ihrer Heimat ist Schach mittlerweile äußerst populär. Sie wurden erneut zum Sportler des Jahres gekürt.

Anand: Ja, das Interesse an Schach wuchs in Indien beträchtlich, es zählt nun zu den Topsportarten. An den internationalen Jugend-Titelkämpfen nehmen inzwischen viele Inder teil. Das ist ein sicheres Zeichen dafür, dass Schach auch an den Schulen boomt. Eine "Mind Champions Academy" wird gerade getestet. Das ist eine Art virtuelles Gymnasium, an dem Kinder von 2500 Schulen Schach als Hobby mit viel Spaß betreiben können. Was die Ehrung als Sportler des Jahres anlangt, erhielt ich diese von der indischen Ausgabe des weltweit bekannten Laureus Sports Awards. Die Auszeichnung wurde in meiner Heimat erstmals vergeben. Zahlreiche andere Ehrungen als Sportler des Jahres bekam ich in der Vergangenheit von Sportmagazinen oder der indischen Regierung.

 

Frage: Sie nutzen Ihre Besuche auf dem Subkontinent auch immer, um karitative Einrichtungen zu unterstützen.

Anand: Zusammen mit meinem Sponsor NIIT, dem weltweiten Marktführer was das Lehren von Informationstechnologie anlangt, helfe ich. Dabei geht es vor allem darum, Menschen - besonders unterprivilegierten Kindern - den Umgang mit Computern beizubringen. Der Welt-Computer-Literaturtag am 2. Dezember ist solch eine Initiative. Wir sind dauerhaft bemüht, die klaffende digitale Brücke zu schließen. Kürzlich besuchten meine Frau Aruna und ich in Vidyasagar ein Heim, das geistig behinderte Kinder betreut. Ich wurde zu ihrem weltweiten Botschafter ernannt. Wir möchten durch diese Initiative das Bewusstsein zugunsten geistig behinderter Kinder steigern. Interessant ist dabei, dass viele dieser Spastiker talentierte Schachspieler sind! Generell nehme ich mir Zeit für karitative Veranstaltungen. Dabei liegen meiner Frau und mir Veranstaltungen für Kinder am meisten am Herzen.

 

Frage: In Mainz fordert Sie Judit Polgar in acht Schnellschach-Partien heraus. Kann die Ungarin Ihre Siegesserie bei den Chess Classic stoppen? Zuletzt beim 2:6 gegen Boris Gelfand bekleckerte sich die 27-Jährige nicht mit Ruhm.

Anand: Wir sind alte Rivalen. Ich spielte einige sehr schöne Partien gegen sie, beispielsweise 1992 in Roquebrune. Ich muss gegen sie auf jeden Fall 100 Prozent geben. Boris Gelfand spielte wirklich gut gegen Judit und verdiente sich den Triumph. Er nutzte alle sich bietenden Chancen und das gab den Ausschlag. Nichtsdestoweniger bin ich überzeugt davon, dass Judit in Mainz ganz anders auftreten wird.

 

Frage: Die Nummer eins der Frauen-Weltrangliste machte aber ansonsten in normalen Turnieren gewaltige Fortschritte. Beispielsweise belegte Judit Polgar in Wijk aan Zee (Niederlande) Platz zwei hinter Ihnen und blieb ebenfalls ungeschlagen. Erkennen Sie Gründe für Ihren Aufschwung?

Anand: Sie scheint hart an ihrem Schach zu feilen und ihre gewaltige Erfahrung tut ein Übriges. Ich denke, momentan bereitet es ihr richtig Freude, Schach zu spielen.

 

Frage: Ist das genug, um den weltbesten Schnellschachspieler in Mainz zu schlagen?

Anand: Ich muss natürlich gut spielen - und der Bessere wird in Mainz gewinnen.

 

Frage: In der deutschen Bundesliga spielten Sie fantastisch und holten 6:1 Punkte am ersten Brett. Ihre Mannschaft aus Baden-Oos belegte indes nur Platz acht. Werden die Baden-Badener in der nächsten Saison, verstärkt durch die Weltklassespieler Alexej Schirow und Francesco Vallejo Pons, stark genug sein, um Meister Lübeck und den Dauerrivalen Köln-Porz hinter sich zu lassen?

Anand: Die Philosophie des Teams und des Sponsors, Grenke Leasing und Wolfgang Grenke selbst, sieht langfristige Perspektiven vor. Eines der Ziele besteht auch darin, badische Talente zu fördern. Eine gelungene Mischung aus lokalen Größen und internationalen Stars gibt der Mannschaft ein besonderes Gepräge. Wir haben ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl im Kader entwickelt. Die meisten von uns sind gute Freunde. Von der Leistung her können wir mit unserem Bundesliga-Debüt halbwegs zufrieden sein. Natürlich werden wir nächste Saison nach Höherem streben. Es gibt andere starke Teams, aber wir haben unser Schicksal selbst in der Hand.

 

Frage: Sie arbeiteten zeitweise mit Vallejo Pons zusammen. Hatten Sie Ihre Finger im Spiel, als der Spanier von Emsdetten nach Baden-Oos wechselte?

Anand: Ich bin Schachspieler und nicht sein Manager. Wir sind hier nicht beim Fußball!

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