Grafs Kämpferherz wird belohntLeipziger gewinnt EM-Bronze / Anand kritisiert "heilloses Durcheinander" an der Spitzevon FM Hartmut Metz, Juni 2003 |
"Ich glaube, dass ich vom Schach nicht weniger verstehe als Garri Kasparow." Zudem: "Judit Polgar ist eine reine Taktikerin und versteht überhaupt nichts. Ihr fehlt die Schachkultur." Mit diesen Einschätzungen hatte Alexander Graf bisher am meisten Aufsehen in seiner Karriere gesorgt. Der derzeitige Weltranglisten-62. auf einer Höhe mit dem seit fast zwei Jahrzehnten führenden Russen? Gar besser als die weltbeste Schachspielerin aus Ungarn, die derzeit bei den Herren in den Top Ten steht? Dass sein Interview in der Zeitschrift "Schach" nicht nur hohles Geschwätz eines neidischen Großmeisters aus der zweiten Reihe darstellte, bewies Graf bei den Europameisterschaften in der Türkei. In Silivri gewann der 40-Jährige mit 9:4 Punkten die Bronzemedaille.
Alexander Graf
Dabei ging Graf gewohnt kompromisslos bis zum Schluss zu Werke. Während das Gros der Konkurrenz dazu neigt, in den letzten Runden mit schnell vereinbarten Remis einen erreichten vorderen Rang abzusichern, behält der Bundesligaspieler der SG Köln-Porz bis zum letzten Zug Platz eins im Visier. Das kostete den gebürtigen Usbeken, der vor seiner Auswanderung nach Deutschland Nenaschew hieß, schon manch gutes Preisgeld - wird aber auch zuweilen belohnt wie jetzt mit 16.000 Euro bei der EM. Als einziger Topplatzierter siegte Graf in Durchgang elf wie zwölf und schlug sogar einen der Favoriten, den Russen Alexander Grischuk.
Der vor der letzten Partie mit neun Zählern führende Surab Asmaiparaschwili bot gleich danach Graf ein Unentschieden für den nächsten Tag an. Der dachte aber nicht im Traum an ein kurzzügiges Remisgeschiebe. Leute wie der Georgier sind dem aufrichtigen Graf, der kein Blatt vor den Mund nimmt, zuwider. Asmaiparaschwili hatte sich einst in die Top Ten hineinbetrogen. Der Präsident des georgischen Schachverbandes "organisierte" ein Turnier mit drei weiteren gut bezahlten Spielern, in dem der 43-Jährige nahezu alle Partien gewann und zig Weltranglistenpunkte einheimste. Dummerweise hatte es "Asmai" mit seinem exorbitanten Resultat übertrieben. Der Schwindel flog auf, weil sich die vier Betrüger nicht einmal die Mühe gemacht hatten, sich zu dem "Wettbewerb" gemeinsam ans Brett zu setzen.
Nach 18 Zügen akzeptierte Graf in Silivri dann doch das Friedensangebot. Asmaiparaschwili war so mit 9,5 Punkten neuer Europameister. Im anschließenden Schnellschach-Stichkampf um Silber zog der Leipziger gegen den punktgleichen Russen Wladimir Malachow mit 0,5:1,5 den Kürzeren. Äußerst zufrieden mit ihrem Abschneiden bei der EM durften auch Rustem Dautov (SC Baden-Oos) und die Turniersensation, der 19-jährige Bochumer Leonid Kritz, sein. Mit 8:5 Zählern teilten sie den 15. Platz und qualifizierten sich für die nächste Weltmeisterschaft. IM Kritz übertraf seine Elo-Zahl mit der Performance von 2679 Elo um 211 Punkte und schaffte eine GM-Norm. Nur auf Platz 63 kam Arkadij Naiditsch (7,5) ein, knapp dahinter folgte der deutsche Meister Thomas Luther (7), der den Sprung zur letzten WM noch geschafft hatte.
Bei den Damen eroberte die Schwedin Pia Cramling nach einem Stichkampf Gold vor der Litauerin Viktorija Cmilyte (beide 8,5:2,5). Die beiden besten deutschen Damen, Ketino Kachiani-Gersinska (SC Baden-Oos/7,5) und die 18-jährige Elisabeth Pähtz (Dresdner SC/7), sind als 8. beziehungsweise 15. ebenfalls bei der WM mit von der Partie.
Wann und wo die stattfindet - das weiß nicht einmal Kirsan Iljumschinow, der Präsident des Schach-Weltverbandes FIDE. Den eigenwilligen Präsidenten der russischen Teilrepublik Kalmückien, der als letzter Politiker vor dem Krieg Saddam Hussein seine Aufwartung in Bagdad gemacht hatte, plagen noch genug Sorgen wegen des ausstehenden WM-Finales der FIDE zwischen Titelverteidiger Ruslan Ponomarjow (Ukraine) und Kasparow. Deswegen weilte Iljumschinow zuletzt in Kiew, um den ukrainischen Staatschef Leonid Kutschma für eine Austragung in Jalta zu begeistern. Bei einer entsprechenden Morgengabe wird das Match eben von Buenos Aires, wo es ursprünglich für Juni angesetzt war, auf die Krim verlegt.
Auch der Konkurrenz geht es nicht besser. Der Einstein-TV-Gruppe fehlt vor dem Finale zwischen Weltmeister Wladimir Kramnik (Russland) und Peter Leko (Ungarn) das Geld für eine Millionen-Börse. Der Zweikampf wurde schon mehrfach verschoben, die danach geplante Titelvereinigung rückt in weite Ferne. Womöglich soll nun ausgerechnet Iljumschinow, der angeblich mittlerweile 30 Millionen Dollar aus seiner Privatschatulle in das Denkspiel gepumpt hat, beim Konkurrenz-Zyklus einspringen. "Die Schachwelt kann so nicht weitermachen. Es herrscht ein heilloses Durcheinander", urteilt Ex-Weltmeister Viswanathan Anand in Neu Delhi. Der indische Sportler des Jahres ist heilfroh, dass er sich aus dem nun schon "drei Jahre währenden Zirkus" heraushielt. Um Sponsoren anzulocken, dürfe es endlich wieder nur einen Weltmeister geben, fordert Anand.
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Graf,A (2630) - Grischuk,A (2701) [D13]
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Azmaiparashvili,Z (2678) - Graf,A (2630) [E12]
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