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"Judit Polgar imponierte mir schon immer!"

Chess-Classic-Organisator Schmitt findet Duell der Geschlechter gegen Anand besonders prickelnd / Gründung eines Chess960-Weltverbandes

von FM Hartmut Metz, Juli 2003

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   Die Chess Classic Mainz (13. bis 17. August) bieten dem Schach-Fan wieder in der Rheingoldhalle eine Fülle von interessanten Wettbewerben. Motor des wichtigsten deutschen Schach-Events neben Dortmund ist Hans-Walter Schmitt. Während viele Turniere stagnieren, boomen die Open bei den Chess Classic - dank des 51-jährigen Bad Sodeners, der sich Jahr für Jahr etwas Neues einfallen lässt. Heuer steht die erste Chess960-WM zwischen Peter Leko (Ungarn) und Peter Swidler (Russland) auf dem Plan. Als Hauptanziehungspunkt gilt jedoch das Duell der Geschlechter zwischen Ex-Weltmeister Viswanathan Anand (Indien) und der weltbesten Frau, der Ungarin Judit Polgar. Hartmut Metz unterhielt sich mit Organisator Schmitt über die Chess Classic Mainz 2003.

 

Hans-Walter Schmitt

Hans-Walter Schmitt

 

Herr Schmitt, 2001 in Mainz "Duell der Weltmeister" Anand - Kramnik, 2002 Titelverteidiger Anand gegen seinen Nachfolger als FIDE-Weltmeister, Ruslan Ponomarjow, diesmal bestreitet Judit Polgar das Topmatch gegen den Inder. Ein Rückschritt in der Qualität?

Hans-Walter Schmitt: Ganz im Gegenteil, das ist das Beste, was man momentan für Geld am Schachmarkt präsentieren kann. Dieses Durcheinander mit den beiden Vereinigungs-Duellen ist doch wieder einmal eine Lähmung des ganzen Schachs und lässt die Protagonisten wirklich uninteressant erscheinen. Dieses Match ist frisch, spannend und unterhaltend zugleich. Dabei steht eine Menge Prestige auf dem Spiel. Mich wundert wirklich, dass noch kein anderer Veranstalter auf die Idee gekommen ist, dasselbe zu tun oder wenigstens ein Match im Sieben-Stunden-Schach mit den beiden zu veranstalten. Die Wettkampfform Zweikampf ist die fairste, aber zugleich auch gnadenloseste Turnierform, die es gibt, zumal es bei den Chess Classic kein Unentschieden geben wird.

Welche Vorzüge sehen Sie in der Vermarktung des Wettkampfs? Gibt eine Frau diesem ein besonderes Gepräge?

 

Judit Polgar

Judit Polgar

 

Schmitt: Die beste Schachspielerin der Welt gegen den unbestritten besten Schnellschachspieler der Welt, den Chess Classic Superstar Vishy Anand, das wird Sport, Spiel, Spannung pur sein und exzellentes Entertainment obendrein. Die Grundeinstellung dieser zierlichen Person, Judit Polgar, gegen die besten schachspielenden Männer schon in frühen Jahren und aus Prinzip den Hut in den Ring zu werfen, imponierte mir schon immer. Als sie dann im Wettkampf "Rest der Welt gegen Russland" Garri Kasparow und Anatoli Karpov im Schnellschach bezwang und in Wijk aan Zee 2003 Anand einen Kampf auf Biegen und Brechen um den Turniersieg lieferte, gab es für mich keinen Zweifel mehr, welche Person die beste Lösung für die Herausforderung von Chess-Classic-Champion Anand ist. Dabei spielte ihre Ratingzahl zunächst eine untergeordnete Rolle. Judit ist im Frauenschach das Maß aller Dinge, niemals zuvor konnte beim Männerschach auch nur annähernd jemand diese Dominanz erreichen - weder ein Garri Kasparow noch ein Bobby Fischer! Ich traue ihr alles zu! Dass Judit Polgar inzwischen auch noch die Schallmauer von 2700 Elo durchbrach, ist das Sahnehäubchen für unser Match.

Anand gilt weithin als weltbester Schnellschachspieler. Hat Judit Polgar überhaupt eine Chance, ihn zu entthronen?

 

Viswanathan Anand

Viswanathan Anand

 

Schmitt: Moment mal: Vishy Anand gilt nicht nur, sondern er ist der beste Schnellschachspieler der Welt. Wer sollte besser sein als der Gewinner des am stärksten besetzten Schnellschachturniers in der Historie (1998: Elo-Schnitt 2781, Kategorie 22), dem einzigen Top-Ten-Turnier aller Zeiten (2000: Elo-Schnitt 2767, Kategorie 21) und der Zweikämpfe gegen den amtierenden Einstein-Weltmeister Wladimir Kramnik (2001) und den Fide-Weltmeister Ruslan Ponomarjow (2002)? Hier ist die Bescheidenheit des zweimaligen indischen Sportler des Jahres und Schachweltmeisters von 2000 bis 2002 völlig unangebracht. Sympathisch wirkt dieses Understatement von ihm allemal, aber ich bitte um mehr Respekt vor seiner Spielkunst. Er ist nicht nur verdammt schnell, sondern er spielt auch fantastisch gut. Und wenn er die groben Unkonzentriertheiten à la Bruder Leichtfuß in wichtigen Turnieren abstellen könnte, dann würde er der Erste sein, der die Elo-Schallmauer von 2900 Punkten durchbrechen.

Eine gewagte Behauptung! Nach Polgars kürzlicher 2:6-Niederlage im Schnellschach gegen Boris Gelfand müsste Anand demnach ja die Weltranglistenerste der Frauen mit 8:0 nach Hause schicken ...

Schmitt: Die Frage nach dem Ausgang ist dieses Mal schwer für mich zu beantworten, spontan würde ich sagen, dass mein Freund Vishy bei den Chess Classic unschlagbar ist, weil er sich wohlfühlt und nächstes Jahr wieder eingeladen werden möchte. Aber wenn ich richtig überlege, fällt mir auf, dass Judit die bessere psychologische Ausgangsposition hat. Einerseits hat sie sich im vergangenen Jahr gewaltig verbessert und hat nichts zu verlieren. Andererseits steht eine Menge an Prestige für Vishy auf dem Spiel - zwischendurch hatte ich mal den Eindruck gewonnen, dass er lieber gegen Kasparow oder Kramnik gespielt hätte. Eines steht fest: Wenn er sich nur für das unmittelbar vor den Chess Classic Mainz stattfindende Turnier mit klassischer Bedenkzeit in Dortmund vorbereitet, wo Kramnik, Leko, Bologan, Radjabow und Naiditsch auf ihn treffen, und die Vorbereitung auf die pausierende Judit Polgar vernachlässigt, wird er wahrscheinlich nicht gewinnen können - er muss diese mutige, starke Frau sehr, sehr ernst nehmen.

Im zweiten Hauptereignis stehen sich Peter Leko, der WM-Finalgegner von Wladimir Kramnik, und Peter Swidler gegenüber. Sie verkaufen dies als Weltmeisterschaft im Chess960.

Schmitt: Ich gehe davon aus, dass Sie nichts gegen Vertriebs- und Marketingfachleute im Schach einzuwenden haben, deren generelle Aufgabe es ist, Ideen und Visionen in kurz-, mittel- und langfristige Strategien umzusetzen, um dann den Kunden und Verbrauchern die neuen Produkte anzupreisen. Alles mit dem Ziel, sie auch verkaufen zu wollen - Verkaufen in Verbindung mit Schach gesetzt hört sich bei den Fragen der Schach-Journalisten irgendwie seltsam negativ besetzt an. Doch zum Thema: Wir suchten möglichst einen treffenden Namen für dieses Match, nachdem Peter Leko 2001 Michel Adams im ersten wichtigen 8-Partien Chess960-Match schlug und wir letztes Jahr im ersten Chess960-Open den Sieger Peter Swidler unter 34 Großmeistern, 58 Titelträgern und 131 Teilnehmern ermittelt hatten. Es bot sich einfach an, die Begegnung mit dem amtierenden Champion Peter Leko und des fair und offen ermittelten Herausforderers Peter Swidler als erstes WM-Match zu deklarieren. Wie sollte man es sonst nennen? Es ist ein Neustart einer Schachspielidee. Sie ist noch klein, soll aber fein sein und ihren Platz im neuen Schachmarkt mit Hilfe eines ergänzenden Schachangebotes für "Wenigzeitinhaber" finden. Dass dazu eine Organisation gebildet werden sollte, ist klar, da die etablierten nationalen und internationalen Organisationen die Entwicklung des Chess960 eigentlich nur behindern. Deshalb wurde im Jahre 2001 der Geschäftsbereich der Chess960 gegründet, um speziell diese Form des Schachs zu fördern und die bestehenden Blockaden und Barrieren zu beseitigen.

Sie haben dieser Schachvariante nicht nur den Namen - der auf die 960 verschiedenen möglichen Startpositionen hinweist - verpasst. Sie versuchen Chess960 auch zu puschen. Ein Weltverband soll gegründet werden.

Schmitt: Die World New Chess Association, WNCA, um genau zu sein. Sie soll die Aktivitäten der sich einzig und allein um die Förderung des Chess960 kümmernden Frankfurt Chess Tigers e.V. international legitimieren und federführend fortsetzen. Während der Chess Classic Mainz 2003 soll ein erster Konvent am 14. August um 9 Uhr im Congress Centrum Mainz stattfinden. Also unmittelbar vor dem Start des Chess960-Open um 12.30 Uhr beziehungsweise der ersten Weltmeisterschaft um 18.30 Uhr. Seit 1997 kümmere ich mich mit Akribie um diese Idee, nicht weil sie von Bobby Fischer kam, sondern um die besondern Merkmale, Vor- und Nachteile gegenüber der gewohnten Figurenaufstellung herauszufinden. Genauso lief auch die Namensfindung 2001 an, um mittels Meinungsumfragen den wirkungsvollsten Namen zu finden. Das Namensungetüm "Fischer Random Chess" oder die Abkürzung "FRC" war zu negativ besetzt. Da sich die Chess Classic schon 1994 für die Variante Schnellschach entschieden, um möglichst mit kurzweiligem Schachspiel neue Kunden anzuziehen, hatten wir damit auf Anhieb großen Erfolg. Alle Weltklassespieler waren schon Teilnehmer in irgendeiner Form, und das Ordix Open mauserte sich zum größten Schnellschach-Open der Welt. Jetzt galt es noch einen Schritt weiter zu gehen und dem durch Eröffnungstheorie überfrachteten Schach eine Trendwende zu wieder mehr Basisschachwissen zu geben. Da war schnell klar, dass das nur mit Chess960 richtig gut gelingt. Die Kommentare einiger Teilnehmer beim Prominententurnier 2001 ("Da merkt wenigstens keiner, dass ich keine Eröffnungstheorie mehr kann"), als wir für alle überraschend ankündigten, es würden sechs Runden Chess960 gespielt, beseitigten unsere restlichen Bedenken. Der mentale Zugang zu den beruflich und familiär erfolgreichen "Wenigzeitinhabern" war gefunden. Dass wir zusätzlich eine natürliche Verlangsamung der Eröffnungsphase bei Spitzenpartien bekommen würden, weil die Reduzierung der Wichtigkeit des Eröffnungstheorie zu Gunsten des Schachbasiswissens, Kreativität und Improvisationskunst durchschlägt, vergrößerte den Genuss, die Akzeptanz und damit die Zufriedenheit des Zuschauers exorbitant.

Ist das nicht ein, drücken wir es mal gelinde aus, abstruser Versuch eines Amateurs, der durch Chess960 sein geringes Eröffnungswissen im normalen Schach kaschieren will?

Schmitt: Genau hier fängt die Sache an spannend zu werden! Die Frage impliziert "Eröffnungswissen gleich Spielstärke". Die Zeit-Investitionen in das Eröffnungswissen zum Nonplusultra zu erklären ist in meinen Augen ein Fauxpas - ein Eigentor mit 100 Metern Anlauf! Diese Entwicklung ist im Weltklasseschach sowie im gehobenen und mittleren Amateurschach zu beobachten. Und der Zeitaufwand vor jeder gespielten Partie wird immer größer, so dass irgendwann nur noch "Vielzeitinhaber" wie Voll- und Teilzeitprofis, Schüler und Studenten sowie Pensionäre dem Schachsport erfolgreich angehörig sein können. Dazu kommt das ungerechte Ratingsystem, das nur Punkte für langsam gespielte Partien ermöglicht ... Aus meiner Warte eine völlig falsche Entwicklung. Wir grenzen nämlich die "Wenigzeitinhaber", die im Beruf und in der Familie engagiert sind, ganz aus oder benachteiligen sie dermaßen, dass sie die Lust auf diese Art Schach zu spielen verlieren. Obendrein sitzen diese 30- bis 60-Jährigen an den Schalthebeln der Marketing- und Sponsoringetats von Firmen und Instituten. Diese Leute verfügen normalerweise über ein großes Basisschachwissen, gehen aber im Wettbewerb mit Kontrahenten unter, die über spezielles Eröffnungswissen verfügen - und schon waren sie beim Schach nicht mehr gesehen, bis sie dann in Ruhestand gingen und wieder auftauchten.

Wie bewerten Sie die Akzeptanz des Chess960-Turniers, das am 14. und 15. August vor den großen Wettkämpfen ausgetragen wird?

Schmitt: Bei der Veranstaltungsstruktur haben wir das erfolgreiche Konzept vom letzten Jahr beibehalten: Mittags und nachmittags selbst spielen und abends bei den großen Matchs zuschauen und sich was abgucken. Das innovative Chess960-Open, gleichzeitig Qualifikation des nächsten Herausforderers, ist am 14. und 15. August. Das traditionelle Ordix Open findet anschließend am 16. und 17. August statt. Bei der Abendveranstaltung laufen die acht Partien umfassenden Duelle vom 14. bis 17. August parallel. Jeder Zuschauer oder Journalist bekommt die einmalige Chance, diese beiden Spielarten des Schachs vergleichend zu genießen. Die erste Runde wird immer um 18.30 Uhr und die zweite Runde um 20 Uhr beginnen. Zusammengefasst gesagt: Vier Tage lang Schach nonstop! Die Akzeptanz des Chess960-Turniers nimmt sowohl bei den Profis als auch bei den Amateuren sprunghaft zu, obwohl die Werktage Donnerstag und Freitag nicht gerade geeignet sind, um große Teilnehmerzahlen zu erreichen. Auf jeden Fall wird die Zahl von 131 vom letzten Jahr übertroffen werden und die Qualität der teilnehmenden Titelträger enorm wachsen.

Welche Simultans sind heuer geplant?

Schmitt: Am 13.August wird es im Goldsaal des Hiltons in Mainz eine Weltneuheit geben. Beide Peters, Protagonisten im Kampf um den ersten WM-Titel im Chess960, werden ein Simultan geben - natürlich im Chess960. An je 20 Brettern werden sie 20 verschiedene Stellungen zu bewältigen haben. Ich bin sehr gespannt, wer hier besser zurechtkommt: die "Theoriehaie" Leko und Swidler oder die Amateure. Ein Rückschluss auf den Vorbereitungsstand auf das WM-Match kann danach auf jeden Fall gezogen werden! Die Ersteigerung von mindestens zehn Simultanplätzen ist über unsere Webseite www.chesstigers.de möglich. Wir spielen auf dieser auch derzeit schon eine Internet-Partie zwischen den Chesstigers-Mitgliedern um Viswanathan Anand und dem "Rest der Welt", bei der es bei jedem Zug einen Preis zu gewinnen gibt.

Das anschließende Ordix Open verspricht ebenfalls ein Leckerbissen für die Schachfans zu werden. Asse aus den Top Ten sollen auch ihr Interesse an einer Teilnahme bekundet haben.

Schmitt: Das Ordix-Open ist für Schnellschach ein Markenname geworden. Das bekannte Paderborner Softwareunternehmen Ordix AG sponsert die zehnte Ausführung des Opens im Congress Centrum Mainz. Internet-Live-Übertragung sowie die Präsentation der Spitzenbegegnungen in der vollklimatisierten Rheingoldhalle sind genauso Standard geworden wie die perfekte Durchführung und Auswertung der elf Runden am Samstag und Sonntag. Die Qualität des Feldes in der Spitze wird höchsten Ansprüchen gerecht und die Ausstattung mit einem Gesamtpreisfonds von 33.333 Euro bei insgesamt 158 Preisen kann sich weltweit sehen lassen. Rating und Sonderpreise für Spieler jedweder Spielstärke werden die Chancen jedes Einzelnen erhöhen, da in Verbindung mit der Kombinationswertung von Chess960 und Ordix-Open zusätzlich 34 Preise vergeben werden.


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