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Baden-Ooser "Mädchen spitze"

Durchmarsch von der Regionalliga zum deutschen Titel

von FM Hartmut Metz, 22. März 2003

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   Die Schachspielerinnen des SC Baden-Oos brechen einen Rekord nach dem anderen: Erst vor drei Jahren wurde das Team gegründet und marschierte seitdem durch die Regionalliga wie zweite Bundesliga. Am zehnten Spieltag machte der Aufsteiger die Erfolgsserie perfekt: Durch einen 4,5:1,5-Erfolg über Verfolger Hamburger SK sicherten sich die Kurstädter die deutsche Meisterschaft. Auch in der Schlussrunde war Baden-Oos beim 4:2 über Gastgeber Turm Emsdetten nicht zu schlagen. Der neue Meister ging so mit 21:1 Zählern und fünf Punkten Vorsprung auf Titelverteidiger Dresdner SC und den Hamburger SK (beide 16:6) durchs Ziel. Die vor der Saison als Topfavorit gehandelten Emsdettener (14:8) enttäuschten auf der ganzen Linie und belegten lediglich Rang vier. Hinter einem breiten Mittelfeld, das vom USV Halle (11:11) bis zum SC Meerbauer Kiel (9:13) reicht, müssen Weißblau Allianz Leipzig, der SK Holsterhausen (beide 6:16) und der SC Leipzig-Gohlis (5:17) in den sauren Apfel des Abstiegs beißen.

   "Die Mädchen sind spitze!" Spitzenspielerin Ketino Kachiani-Gersinska verteilte ein pauschales Lob an ihre Mannschaftskameradinnen. Der Teamgeist sei besonders. "Bei Niederlagen trösten wir uns gegenseitig", berichtet die Weltranglisten-21. Oft mussten sich die Damen aus Baden-Baden aber nicht gegenseitig aufbauen. Nur sieben Einzelniederlagen kassierte das Meisterteam in 66 Partien. Lediglich Jekaterina Borulja kassierte deren zwei. Außerdem teilte der neue Champion in nur 17 Begegnungen den Punkt. Starke Nerven waren deshalb in der vergangenen Saison kaum gefragt. Zu überlegen agierte die herausragende Mannschaft: Lediglich gegen Titelverteidiger Dresden hatte der Aufsteiger einen Aussetzer. Gegen vier Dresdnerinnen erlaubte sich Baden-Oos ein 3:3. Das bleibt aber bis dato der einzige schwarze Fleck auf der ansonsten makellosen weißen Weste der Badener. "Der klare Vorsprung hat uns gut getan", weiß Kachiani-Gersinska. Nie geriet das Team der deutschen Ranglistenersten in Zugzwang. Die Konkurrenz patzte mal hier, mal dort. Deshalb fuhr der SC mit einem komfortablen Punktepolster zum letzten Doppelspieltag in Emsdetten. Ein Remis gegen den Tabellenzweiten Hamburg am Samstag hätte bereits zur ersten deutschen Meisterschaft der Ooser gereicht.

 

Ketino Kachiani-Gersinska

Ketino Kachiani-Gersinska

 

   Um das 3:3 musste Mannschaftsführer Jürgen Gersinska nie bangen. Nach einem Remis von Jekaterina Borulja sorgten Nino Churtsidse und die Russin Jekaterina Kowalewskaja für die Ooser Führung. Zwei Minuten vor der ersten Zeitkontrolle, um exakt 17.58 Uhr, machte dann Kachiani-Gersinska mit ihrem Remis gegen die Polin Marta Zielinska das 3:1 und den Titelgewinn perfekt. Die moldawische Weltranglistendritte Almira Skriptschenko remisierte danach ebenfalls, und Jessica Nill erhöhte auf 4,5:1,5.

   Eine schwache Vorstellung bot Turm Emsdetten. Der Gastgeber war vor der Saison als erster Titelanwärter, noch vor Baden-Oos und Dresden, gehandelt worden. Am Schlusstag trat der aussichtslos mit 14:6 Punkten zurückliegende Papiertiger erneut mit nur vier Spielerinnen an, nachdem auch schon gegen die Karlsruher SF ein Rumpfaufgebot mit fünf anstatt sechs Spielerinnen am Brett saß. Als einzige der gemeldeten Weltklasse-Akteurinnen war die Niederländerin Zhao Qin Peng mit von der Partie. Die gebürtige Chinesin brachte prompt Kachiani-Gersinska die einzige Saisonniederlage bei. Die Nationalspielerin aus Muggensturm nahm's gelassen: "Meine Niederlage war nicht so wichtig. Mehr Bedeutung besaß unser Sieg am Samstag!" Mit 7,5:3,5 Punkten hat die 31-Jährige trotzdem eine sehr gute Saison gespielt. Noch mehr Punkte sammelte Borulja, die ebenfalls alle elf Spiele bestritt und beim 4:2 über Emsdetten ihre Bilanz auf 8,5 Zähler ausbaute.

   Trümpfe des von der Grenke Leasing AG gesponserten Vereins war die Überlegenheit an den hinteren zwei Brettern, an denen Nill 8:2 und Iamze Tammert 6:1 Punkte holten, und vor allem Nino Churtsidse. Die Wltranglisten-24. aus Georgien eroberte bei ihren vier Einsätzen stets den vollen Punkt. Innerhalb der Erwartung lagen die Bilanzen der Großmeisterinnen Skriptschenko (5/7), Kowalewskaja (4/6), Tamara Klink (4,5/6) und Elvira Sachatowa (3/4).

   Nimmt man den umtriebigen Hamburger SK aus, der als größter deutscher Schachklub auch stets alle Bretter besetzte, gaben sich die härtesten Baden-Ooser Widersacher Blößen. Ja, geradezu peinlich erscheint es, wenn in der höchsten deutschen Spielklasse Punkte kampflos abgegeben wurden. Hielt sich die Malaise bei den Sachsen noch in Grenzen - am ersten Doppel-Spieltag trat Dresden zweimal nur zu viert an -, verschenkte Emsdetten gleich sieben Punkte kampflos! Nur Absteiger Holsterhausen war noch "besser" mit acht frei gelassenen Brettern. Die weiteren zwei der 21 kampflosen Partien gingen auf das Konto der Karlsruher SF.

   Der neue Meister wird auch in Zukunft dank des großzügigen Sponsors Grenke Leasing komplett antreten. In Emsdetten leistete sich der SC Baden-Oos den bei anderen Vereinen kaum vorstellbaren Luxus, mit sieben Spielerinnen anzureisen. Ein wirklicher Herausforderer könnte dennoch Turm Emsdetten werden: "Durch die vielen Terminüberschneidungen - nicht nur wegen Turnieren, sondern auch wegen Schule und Studium - hatten wir teilweise Probleme, überhaupt eine Mannschaft an die Bretter zu bekommen. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, dass das nächste Saison wieder besser wird", räumt Raimo Vollstädt ein. Der Vereinsvorsitzende und Mannschaftsführer sieht das "Saisonziel klar verfehlt. Wir wollten Meister werden. Wie wir spielten, ist ärgerlich". An den Finanzen habe das schwache Abschneiden nicht gelegen, unterstreicht Vollstädt. Dem auch in der Herren-Bundesliga engagierten SK Turm gehe es "finanziell nicht besser oder schlechter als anderen Vereinen". Es bedarf ja nicht unbedingt einer Judit Polgar am ersten Brett, um die Meisterschaft im nächsten Jahr spannender zu machen. Aber die dahinter aufgebotenen Pia Cramling (zwei Remis), Zhao Qin Peng (4/5), Alisa Maric, Natascha Bojkovic (beide ohne Einsatz) und Harriet Hunt (2/2) müssen schon öfter auflaufen, um den neuen Titelträger fordern zu können.

   Zweimal gewann das "schwache Geschlecht" aus Baden-Oos schon den deutschen Pokal. Auch wenn das bei nur geringen Teilnehmerzahlen im Frauenbereich deutlich weniger wert ist als bei den Herren, müssen die erst einmal gleichziehen. In Berlin wollen sich die Kurstädter heute im Halbfinale und morgen im Endspiel gegen Außenseiter SC Friesen Lichtenberg, den Hamburger SK und den favorisierten Bundesliga-Tabellenzweiten SG Köln-Porz durchsetzen.

   Die Baden-Ooser Spitzenspielerin Ketino Kachiani-Gersinska hält die nachstehende Partie aus der siebten Runde für ihre beste Leistung in der abgelaufenen Saison. Dabei schlug die Muggensturmerin die ukrainische Weltklassespielerin Tatjana Wasilewitsch von den Rodewischer Schachmiezen.

 










W: Kachiani-Gersinska S: Wasilewitsch

 

1.d4 Sf6 2.c4 b6 3.Sc3 Lb7 4.Sf3 e6 5.a3 d5 6.cxd5 exd5 7.g3 Le7 8.Lg2 0-0 9.0-0 Sa6 10.Lf4 c5 11.dxc5 bxc5 12.Se5 Te8 13.Sc4! Der erste kleine taktische Schlag. 13...Dd7?! Schwarz darf den Springer natürlich nicht nehmen, weil [ 13...dxc4 14.Lxb7 Sc7 15.Dxd8 Lxd8 16.Lxa8 Sxa8 verliert.; 13...Sc7! 14.Sa5 La6 15.Sc6 Dd7 16.Sxe7+ Txe7 17.Te1 ist die wohl beste Fortsetzung, in der Weiß nur minimalen Vorteil hat.] 14.Sa5 Sichert Weiß das Läuferpaar. Vor allem der weiße Läufer auf g2 ist ohne Widerpart mächtig. 14...Tad8 15.Sxb7 Dxb7 16.Da4 Sc7 17.Lxc7 Dxc7 18.Lxd5! Nutzt die unglückliche Stellung des Turms auf e8 aus. 18...Sxd5 19.Sxd5 Db7?! [ 19...Txd5 verbietet sich wegen 20.Dxe8+ Doch; 19...Dd6 20.Tad1 Lf6 21.Sxf6+ Dxf6 22.Txd8 Txd8 23.Td1 Txd1+ 24.Dxd1 h6 ist eine Alternative, um das Heil in einem Damenendspiel mit Bauer weniger zu suchen.] 20.Tad1 Lg5 21.h4 Lc1 22.Txc1!? [ 22.Sf6+ gxf6 23.Txc1 Dxb2 24.e3 Db6 25.Dg4+ Kh8 26.Dh5 Tc8 27.Dxf7 verspricht Weiß auch entscheidenden Vorteil.] 22...Dxd5 23.Dxa7 Txe2 24.Txc5 Db3 Jetzt sieht es so aus, als ob Schwarz einen Bauern zurückerobert und danach ums Remis kämpfen kann. Mit einem hübschen Trick bewahrt Kachiani-Gersinska aber die zwei Mehrbauern. 25.Dd7! Tf8?! [ 25...Db8 ist zäher. Reicht aber auch nicht aus: 26.Tb5 Da8 27.Db7 Da4 28.Tb4 De8 29.a4 Td7 30.Db5 Te5 31.Dc4 und langsam machen sich die zwei Mehrbauern bemerkbar.] 26.Tb5 Da4 27.Dd3 Tfe8 28.Tb8 Txb8 29.Dxe2 h6 30.Tc1 Db3 31.Tc2 Da2 32.Kh2 Db3 33.Td2 Da2 34.De5 Db3 35.Dc7 Tf8 36.Dc2 Da2 37.a4 Die schwarze Blockade der Damenflügel-Bauern ist gebrochen. Kachiani-Gersinska hat nun leichtes Spiel. 37...Tb8 [ 37...Ta8 38.Td6 Tb8 ( 38...Dxa4 verbietet sich wegen 39.Td8+ Txd8 40.Dxa4 ) 39.Tc6 g6 40.Tc8+ Txc8 41.Dxc8+ Kh7 42.Db7 Kg7 43.Db5 und Weiß gewinnt.] 38.Dc7 Txb2 39.Dc8+ Kh7 40.Df5+ g6 41.Txb2 Dxb2 42.Dxf7+ Kh8 43.a5 Da1 44.Dxg6 [ 44.Dxg6 Dxa5 45.Dxh6+ Kg8 46.Dg5+ mit Damentausch wollte Wasilewitsch nicht mehr sehen.] 1-0

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