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Der Welt bester Carlsen vom Schach

Wunderkind mit 13 bereits Großmeister / Trainer Simen Agdestein einstiger Fußballnationalspieler

von FM Hartmut Metz, 8. Mai 2004

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Magnus Carlsen

Magnus Carlsen. Foto: Harald Fietz

 

   "Magnus wird Garri Kasparow in zwei oder drei Jahren verprügeln", kündigte der sonst so bedächtige Großmeister Simen Agdestein an. Sein Schützling Magnus Carlsen hatte soeben gegen den seit zwei Jahrzehnten in der Schach-Weltrangliste führenden Russen ein Remis ertrotzt. Von dem sensationellen Resultat in Reykjavik zeigte sich der kleine Norweger aber keineswegs angetan: "Ich war mit dem 0,5:1,5 gegen Kasparow in den Schnellschach-Partien überhaupt nicht zufrieden. Ich hätte mit Weiß gewinnen müssen - und mit Schwarz spielte ich wie ein Kind!" Exakt das ist der Knirps. "Der Wunderknabe ist 13 Jahre alt, sieht aber aus wie acht", bemerkte der ehemalige englische Vizeweltmeister Nigel Short und ergänzte in seinem Bericht für das Magazin "Schach" erstaunt, "niemand traute ihm zu, den Goliath zu Fall zu bringen, aber er kam ihm mit der Steinschleuder verdammt nahe."

   Mit der hat Carlsen inzwischen einen anderen großen Ex-Weltmeister, Anatoli Karpow, erlegt, wenn auch "nur" in einer fünfminütigen Blitzpartie. Der Junge aus Lommedalen bei Oslo lehrt inzwischen bei jedem Turnier die Arrivierten das Fürchten. Beim Open in Dubai blieb der "Mozart des Schachs", wie ihn die Wiener "Presse" und die "Washington Post" euphorisch betitelten, ungeschlagen. Mit 6,5:2,5 Punkten belegte Carlsen vergangene Woche den geteilten zweiten Platz - und noch wichtiger: brachte seine dritte Großmeister-Norm unter Dach und Fach. Damit erhält er vom Schach-Weltverband FIDE die höchste Auszeichnung, praktisch den schwarzen Gürtel des Denksports, mit 13 Jahren, drei Monaten und 27 Tagen verliehen. Nur der Ukrainer Sergej Karjakin war rund ein halbes Jahr früher Großmeister als der am 30. November 1990 geborene Skandinavier. Zum Vergleich: Legende Bobby Fischer hielt mehr als drei Jahrzehnte den vermeintlichen "Rekord für die Ewigkeit", als der US-Amerikaner 1958 mit fünfzehneinhalb Großmeister wurde. Kasparow schaffte das erst mit 17.

   Dabei begann das Supertalent fast zu spät: mit acht. Zuvor hatte Henrik Carlsen schon die Hoffnung aufgegeben, dass sich sein Sohnemann ebenfalls so für das königliche Spiel interessiert wie der starke Amateur selbst und dessen Töchter. Doch schon nach wenigen Monaten war klar, dass er mindestens "Der Welt bester Carlsen" - in Anlehnung an die populäre Lindgren-Figur "Karlsson vom Dach" - ist. Vater Henrik unterlag seinem Nachwuchs und gab ihn in die Obhut von Agdestein. Klein-Magnus akzeptiert den ehemaligen Weltranglisten-16. noch aus zwei Gründen als Trainer: Zum einen sei dieser der einzige stärkere Spieler des Landes. Zum anderen war Agdestein Fußball-Nationalspieler, bevor sich der erste Großmeister Norwegens mit 26 eine schwere Verletzung zuzog und ganz dem Schach widmete. Fußball zählt zu Carlsens größten Hobbys neben Skifahren und Bergsteigen. Früher verschwand der 13-Jährige gerne während der Phasen, in denen seine Kontrahenten verzweifelt grübelten, zum Kicken nach draußen.

   Die "Konzentrationsschwierigkeiten, wenn ich nicht gegen einen Großmeister antrete", sind verschwunden, weil das Wunderkind inzwischen ausschließlich auf Profis trifft. Diese Woche lehrt "Carlsen vom Schach" manches Ass beim Sigemann-Einladungsturnier in Schweden und Dänemark das Fürchten. Vater Henrik ließ Magnus für ein Jahr vom Schulunterricht befreien, kündigte seinen Job als Bauingenieur, verkaufte das zweite Auto der Familie und vermietete das Haus, um mit der neuen Hoffnung des Westens von Turnier zu Turnier zu ziehen. Das finanzielle Risiko dieses Abenteuers minderte lediglich Sponsor Microsoft.

   "Im Herbst gehe ich wieder hundertprozentig zur Schule, auch wenn mir der Unterricht mit meinen Eltern mehr bringt", erklärt der aufgeweckte Bursche, der wie acht aussieht, aber wie ein 25-Jähriger denkt. Die Schule fordert Klein-Carlsen kaum und langweilt den Klassenprimus deshalb bis auf das Fach Sport. "Ich verstehe die Probleme von Lehrern mit 30 Schülern. Trotzdem ist für mich die ständige Warterei frustrierend und wenig motivierend", analysiert der jüngste Großmeister auf dem Globus. Mit fünf habe Magnus, berichtet Vater Henrik vom fotografischen Gedächtnis seines Sohnes, alle 430 Bezirke Norwegens samt deren Größe sowie Einwohnerzahl auswendig gewusst. Heute verschlingt er Schach-Bücher ebenso wie andere Werke.

   "Der Welt bester Carlsen" unterscheidet sich aber ansonsten kaum von seinen Kameraden. Die Pausen zwischen den Schulstunden sehnt er herbei - und "nichts anderes" mehr, als dass es von der Penne weg endlich wieder "nach Hause geht". Am meisten freut sich der 13-Jährige nach seinen Reisen auf die Fußball-Duelle mit den Freunden in Lommedalen. Und wie sie liest der "Mozart des Schachs" am liebsten Donald-Duck-Taschenbücher.

   In der nachstehenden Partie legte Carlsen gegen Verfolger Sipke Ernst den Grundstein zu seinem Turniersieg in Wijk aan Zee (Niederlande). Dort gelang ihm in der C-Gruppe seine erste von drei Großmeister-Normen.

 










W: Carlsen S: Ernst

1.e4 c6 2.d4 d5 3.Sc3 dxe4 4.Sxe4 Lf5 5.Sg3 Lg6 6.h4 h6 7.Sf3 Sd7 8.h5 Lh7 9.Ld3 Lxd3 10.Dxd3 e6 11.Lf4 Sgf6 12.0-0-0 Le7 13.Se4 Da5 14.Kb1 0-0 15.Sxf6+ Sxf6 16.Se5 Tad8 17.De2 Häufiger wird [ 17.Dg3 gespielt.] 17...c5 [ Jewgeni Barejew zog beim Schnellschachturnier in Moskau 2002 gegen Viswanathan Anand 17...Db6 18.c3 c5 19.Le3 Sd5 mit Ausgleich.] 18.Sg6! fxg6? Das Figurenopfer sieht auf den ersten Blick nicht sonderlich nachhaltig aus, Schwarz darf es jedoch nicht annehmen. [ Richtig ist 18...Tfe8 19.Sxe7+ Txe7 20.dxc5 Sd5 21.Ld6 Ted7 , um mit folgendem b6 den Bauern zurückzuerobern. 22.c4 ( 22.g4 b6 23.g5 bxc5 24.Le5 Sb4 25.a3 Txd1+ 26.Txd1 Txd1+ 27.Dxd1 Sc6 bringt auch nichts.) 22...Sf6 23.g4 Se8 mit Rückgewinn des Bauern. ] 19.Dxe6+ Kh8 20.hxg6! [ Das ist die Pointe. Indes beschert 20.Dxe7 Sd5 21.Ld2 Sxe7 22.Lxa5 Txd4 23.Txd4 cxd4 24.Lb4 Tf7 25.Te1 Sg8 26.f3 gxh5 Weiß nur einen kleinen Vorteil.] 20...Sg8 [ 20...Tfe8 21.Lxh6 gxh6 22.Df7 führt umgehend zum Matt.; 20...Tde8 21.Txh6+!! gxh6 22.Lxh6 Db6 ( 22...Tg8 23.Th1 erweist sich als noch unerfreulicher für den Nachziehenden.) 23.g7+ Kh7 24.gxf8D Lxf8 25.Df7+ Kxh6 26.f4!! Droht Th1 matt. 26...Sh5 27.g4! und erneut kann das Matt nicht pariert werden.] 21.Lxh6! Damit zeigt sich endlich, was das schwarze Hauptproblem bei der Annahme des Figurenopfers ist: Die h-Linie ging auf und wird von Carlsen weidlich zum Angriff genutzt. 21...gxh6 [ 21...Sxh6 22.Txh6+! gxh6 23.Dxe7 ] 22.Txh6+! Sxh6 23.Dxe7 Sf7 24.gxf7! [ In der Partie Almagro Llanas-Gustafsson (Madrid 2003) brachte 24.Df6+ Kg8 25.Th1 Sh6! Weiß so durcheinander, dass er 26.De7 Sf7 27.Th3! Sg5 28.Th7! De1+ (Die einzige Verteidigung gegen das Matt!) 29.Dxe1 Sxh7 30.gxh7+ Kxh7 mit Gewinnstellung nicht entdeckte.] 24...Kg7 25.Td3 [ 25.De5+ Kxf7 26.Td3 ist die präzisere Fortsetzung.] 25...Td6 [ 25...Db6 26.Tg3+ Dg6 27.Txg6+ Kxg6 28.d5 mündet in ein hoffnungsloses Endspiel.] 26.Tg3+ Tg6 [ 26...Kh7 27.De4+ Kh8 28.Dh4+ Th6 29.Dxh6# ] 27.De5+ Kxf7 [ 27...Kh7 28.Dh5+ Th6 29.Df5+ Kh8 30.De5+ Kh7 31.Dg7# ] 28.Df5+ Tf6 Schwarz erlaubt ein hübsches Mattbild. 29.Dd7# 1-0

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