Kritik an dem verbohrten Übervater BotwinnikInteressante Kasparow-Bände 3 und 4 / WM erstmals seit langem wieder sehr gut besetztvon FM Hartmut Metz, 24. September 2005 |
Der Weltmeister-Titel im Schach hat seit 1993 kontinuierlich an Wert verloren. Nach der vom damaligen Weltmeister Garri Kasparow betriebenen Abspaltung des Titels vom Weltverband FIDE kam bei beiden Seiten kein regelmäßiger Zyklus mehr zu Stande. Vor allem die FIDE-Weltmeisterschaften litten unter Absagen vieler Topstars und daraus resultierenden Weltmeistern aus der zweiten Reihe der Großmeister-Gilde. Spieler wie der Russe Alexander Chalifman oder der amtierende FIDE-Champion Rustam Kasimdschanow (Usbekistan) ließen das Renommee sinken.
Am Dienstag beginnt nun aber im argentinischen San Luis ein WM-Turnier, bei dem bis auf wenige Ausnahmen die Creme de la Creme am Start ist. Endlich die Wende beim Niedergang des Titels? Die in der Weltrangliste auf Platz eins liegenden Viswanathan Anand (Indien) vom OSC Baden-Baden und der Bulgare Wesselin Topalow werden zusammen mit Peter Leko (Ungarn) als Topfavoriten gehandelt. Außenseiterchancen besitzen dessen Landsmännin Judit Polgar und der Russe Peter Swidler, dem zweiten OSC-Bundesligaspieler im achtköpfigen Teilnehmerfeld. Dem Briten Michael Adams, dem Russen Alexander Morosewitsch und Kasimdschanow wird kaum zugetraut, auf den WM-Thron zu steigen.
Von den Assen fehlen lediglich der Russe Wladimir Kramnik, der als Weltmeister in der Kasparow-Nachfolge eine Teilnahme ablehnte, und Wassili Iwantschuk. Der Ukrainer, der in der Weltrangliste auf Platz vier vorstieß, war zum Zeitpunkt der Zusammenstellung des Feldes zu schlecht im Ranking postiert.
Außen vor bleibt der beste Spieler aller Zeiten, der aus Frust, keine WM-Chance mehr zu erhalten, abgetreten war. Das hat aber auch sein Gutes: Kasparow treibt sein Buchprojekt "Meine großen Vorkämpfer" voran, mit dem er die zwölf Weltmeister und seine Karriere einordnet sowie die besten Partien aus allen Perioden analysiert. In der deutschen Übersetzung von Edition Olms liegen mittlerweile die Bände drei und vier vor. Sieben sollen es nun endgültig wegen der Fülle des Materials werden.
Band drei, dessen Preis bei 25 Euro liegt, ist besonders zu empfehlen. In diesem beleuchtet Kasparow die Ära seines Lehrmeisters Michail Botwinnik. Mit dem russischen Schach-Übervater überwarf sich der 13. Weltmeister später, weshalb sich auch einige kritische Töne zu Botwinnik finden. Widersacher wie David Bronstein kommen auf den 184 Seiten ausführlich zu Wort. Das legendäre Misstrauen des oft verbohrten Botwinnik wird beispielsweise thematisiert. Der Asket und Pendant traute selbst seinem Freund und Sekundanten im Match gegen Bronstein, Salo Flohr, nicht über den Weg und trieb diesem dadurch die Tränen in die Augen.
Zwei anderen Weltmeistern, die Botwinnik in WM-Kämpfen schlugen, aber in Revanchekämpfen nach nur einem Jahr wieder abgelöst wurden, ist Band vier (29,90 Euro) von "Meine großen Vorkämpfer" gewidmet: Wassili Smyslow und Michail Tal. Letzterer wurde der "Hexer von Riga" genannt, weil Tal die Gegner reihenweise mit riskanten Opfern entzauberte. Smyslow gilt als feinsinniger Spieler, der vor allem im Endspiel zu brillieren wusste. Mit 63 Jahren stand der Ex-Weltmeister 1984 nochmals im Kandidaten-Finale und unterlag dort dem 21 Jahre jungen Kasparow. Der Autor analysiert natürlich auch Duelle gegen den Mann, der gegen die besten Denkstrategen aus mehr als einem Jahrhundert Schach-Geschichte die Klingen kreuzte.
Der heute 84-jährige Smyslow besitzt noch immer einen messerscharfen Verstand. Besonders widmet sich der siebte Weltmeister Studien. Diese enthalten immer ungewöhnliche Züge und überraschende Lösungen in scheinbar hoffnungslosen Stellungen. Die nachstehenden Studien von Smyslow zählen auch dazu.
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