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Der "Türke" düpiert Feldherr Napoleon

Schach-Programm Fritz lässt den legendären Automaten des Baron von Kempelen in 3D wieder aufleben / Zweiter Preis für innovative Technik

von FM Hartmut Metz, 10. Dezember 2005

mehr Schachtexte von Hartmut Metz

 

   Die österreichische Kaiserin Maria Theresia erteilte 1769 Baron Wolfgang von Kempelen den Auftrag, eine Maschine zu bauen, die alles bisher da Gewesene übertreffe. Der 35-jährige geniale ungarische Ingenieur und Erfinder präsentierte im Jahr darauf seiner königlichen Hoheit, die sich für mechanische Spielereien interessierte, die Sensation: Einen Apparat mit einer orientalisch gekleideten Puppe dahinter, die das Schachspiel beherrschte! Der „Türke“, wie der Automat wegen des Turbans bald hieß, faszinierte die Menschen bis ins 19. Jahrhundert. 1854 fiel der „Türke“ einem Brand in Philadelphia zum Opfer.

   Bei abertausenden Vorführungen, unter anderem bei einer zehnjährigen USA-Tour, wurde das Geheimnis nie gelüftet. Im Kasten unter dem Tisch mit Schachbrett war stets ein kleinwüchsiger Meisterspieler versteckt. Die Türen des Automaten wurden zwar vor jeder Vorstellung geöffnet und mit einer Kerze durchleuchtet – aber den jeweils in verschiedenen Winkeln versteckten Spieler entdeckten die mit offenen Mündern staunenden Zuschauer nicht. Die Züge auf dem Brett wurden durch eine komplizierte Mechanik zum Akteur beziehungsweise zurück zum „Türken“ übertragen. Es kursierten zahllose Mutmaßungen, darunter alberne wie etwa von Edgar Allan Poe, wie denn der Türke funktioniere.

   Den Urvater aller Schachcomputer lässt nun ein Programm aufleben: Fritz 9. Das Standardprodukt aus dem Hause Chessbase beweist mit dem neuen Feature einmal mehr, dass es die innovativste und unterhaltsamste Schachsoftware ist. An Spielstärke haben zwar mehrere Konkurrenten Fritz den Rang abgelaufen – etwa der zehnfache Weltmeister Shredder von Stefan Meyer-Kahlen –, doch das ist heutzutage eher Nebensache. Schließlich massakrieren alle guten Programme Top-Großmeister und Amateure sowieso.

   Daher zählt das Beiwerk, von dem die neunte Version für 49,99 Euro wieder reichlich bietet. Nicht umsonst vergab beispielsweise die Redaktion des Magazins „Gamestar“ beim Preis-Leistungsverhältnis die Note „sehr gut“. Noch mehr dürfte die Entwickler um Fritz-Erfinder Frans Morsch und Matthias Wüllenweber, dem führenden Kopf bei Chessbase, der zweite Platz beim Deutschen Entwicklungspreis gefreut haben. Den heimsten Wüllenweber&Co. in der Kategorie „Innovativste Technik“ ein. Der „Türke“ wird mit den mathematischen Techniken eines Industrieroboters gesteuert. Die virtuelle Figur bewegt sich so wie ein richtiger Roboter. „Mit ein wenig Zusatzausbildung könnte sie auch eine medizinische Operation durchführen oder ein Orchester dirigieren“, befindet Chessbase auf seiner Webseite. Apropos Musik: Fritz 9 komponiert für jeden Spieler – rund 170 000 sind auf dem weltgrößten Schach-Server registriert und wagen online ab und an ein Match – eine eigene Erkennungsmelodie. Es bringt auch noch nach mehreren Monaten Abspielzeit neue Motive hervor!

   Bald hat man sich allerdings am „Türken“ satt gesehen, und die zweite 3D-Animation namens „Mia“ ist weit weniger prickelnd als die verschiedenen 3D-Schachbretter mit all ihren Einstellungsmöglichkeiten. Gut, dass dann mit Fritz auch Schach analysiert, trainiert und geübt werden kann ... Hierbei überzeugen vor allem die mitgelieferten Videokurse von der zurückgetretenen Legende Garri Kasparow zum Thema Najdorf-Sizilianer; unterhaltsam sind zudem Beiträge von Großmeistern wie Viktor Kortschnoi und Helmut Pfleger.

   Die nachstehende Partie stammt angeblich aus dem Jahre 1809. In Schönbrunn (bei Wien) soll Napoleon Bonaparte gegen den „Türken“ gespielt haben. In diesem versteckte sich damals Johann Baptist Allgaier, ein schneidiger Angriffsspieler, nach dem auch eine Gambiteröffnung benannt ist. Auf dem Brett gab Napoleon eine weniger überzeugendere Vorstellung als Feldherr.

 










Napoleon Bonaparte - Der Türke [C23]
Freie Partie Schönbrunn (Wien), 1809
[H. Metz]

1.e4 e5 2.Df3? Der erste Anfängerzug. Anstatt die Figuren zu entwickeln, wirft Napoleon seine Dame früh ins Schlachtengetümmel. Die wird rasch zur Zielscheibe der feindlichen Armee und begünstigt deren Angriff. 2...Sc6 3.Lc4 Droht das berühmte Schäfermatt mit 4.Dxf7. Doch darauf fallen nur Patzer herein - gewiss jedoch kein Meister wie Allgaier. 3...Sf6 Die beste Entgegnung auf das Schäfermatt: Schwarz pariert die Drohung und entwickelt einen Springer. Nebenbei bemerkt: Der Schäfermatt-Versuch mit Dh5 anstatt Df3 ist unter Anfängern Erfolg versprechender! Mit der Dame auf h5 erweist sich der Springerzug als grober Bock, weil dennoch 4.Dxf7 matt geht. In diesem Fall muss Schwarz mit g6 fortsetzen. 4.Se2 Lc5 5.a3? Weitere Zeitverschwendung. [5.Sbc3 wäre ein normaler Entwicklungszug.] 5...d6 6.0-0 Lg4 Nutzt den unklugen Damenzug aus und bringt den Läufer a tempo ins Spiel. 7.Dd3 [7.Db3 0-0 8.Dxb7 Lxe2 9.Lxe2 Sd4 10.Da6 (10.Ld3 a5 und die weiße Dame wird anschließend durch einen Turmzug gefangen.) 10...Sxe4 11.Sc3 (11.Ld3 deckt zwar den Bauern auf c2, erlaubt jedoch einen tödlichen Angriff: 11...Sf3+! 12.gxf3 Dg5+ 13.Kh1 Sxf2+ 14.Txf2 Lxf2 und das Matt auf g1 ist nur noch durch die Preisgabe des Läufers mittels 15.Lxh7+ Kxh7 16.Df1 zu verhindern, wonach Weiß allerdings auch hoffnungslos verloren steht.) 11...Sxc2 12.Tb1 Sf6 und Schwarz verfügt über einen gesunden Mehrbauern.] 7...Sh5 8.h3?! Napoleon spielt zu sehr mit den Bauern. Erneut war [8.Sbc3 geboten.] 8...Lxe2 9.Dxe2 Sf4 10.De1? Das verliert endgültig. [10.Dg4 hält Weiß dagegen im Spiel. 10...Df6 11.d3 h5 12.Dd1 ] 10...Sd4?! [10...Dg5 beendet das Duell noch rascher: 11.g4 (11.g3 Dxg3+ 12.Kh1 Dg2# ) 11...Sxh3+ 12.Kh1 Dh4 mit nicht mehr zu parierenden Mattdrohungen.] 11.Lb3 Sxh3+ [11...Dg5 oder; 11...Sf3+ gewinnen ebenso.] 12.Kh2 [12.gxh3 Sf3+ 13.Kg2 Sxe1+ kostet die Dame.] 12...Dh4 13.g3 Sf3+ 14.Kg2 Sxe1+ [Wollte der "Türke" den Kaiser nicht zu sehr düpieren? Das Matt durch 14...Sf4+! 15.Kxf3 (15.gxf4 Dg4+ 16.Kh1 Dh3# ) 15...Dh5+ 16.g4 Dh3# wird Allgaier trotz der Enge im Schach-Automaten kaum entgangen sein.] 15.Txe1 Dg4 Aber auch so gibt es kein Entrinnen für Napoleon. 16.d3 Lxf2 17.Th1 Dxg3+ 18.Kf1 Ld4 19.Ke2 Dg2+ 20.Kd1 Dxh1+ 21.Kd2 Dg2+ 22.Ke1 Sg1 23.Sc3 Lxc3+ 24.bxc3 De2# 0-1

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