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"Carlsen vom Schach" mit 15 jüngster WM-Kandidat

Wunderknabe schaltet beim Weltcup arrivierte Großmeister aus / Rückkehrer Kamsky stoppt kleinen Norweger

von FM Hartmut Metz, 23. Dezember 2005

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   Seinen 15. Geburtstag während des Schach-Weltcups im russischen Khanty-Mansiysk hat Magnus Carlsen am letzten November-Tag ziemlich unspektakulär verbracht. „Ich gönnte mir ein paar Süßigkeiten und bereitete mich ansonsten auf meine nächste Partie vor“, berichtete der kleine Norweger. Die Geburtstagsfeier hole er daheim, im nahe Oslo gelegenen Lommedalen, mit seinen Freunden nach. Inzwischen besitzt der Wunderknabe einen weiteren Grund zum Feiern: „Der Welt bester Carlsen vom Schach“, wie er gerne in Anlehnung an die populäre Lindgren-Figur „Karlsson vom Dach“ genannt wird, qualifizierte sich als jüngster Spieler aller Zeiten mit Platz zehn für die WM-Kandidatenrunde.

   Ein weiterer beeindruckender Rekord des Fußballfans, der als Achtjähriger mit Schach begonnen hatte und mit 13 bereits Großmeister wurde. Der im Frühjahr zurückgetretene beste Spieler aller Zeiten, Garri Kasparow, sicherte sich die Teilnahme an dem K.o.-Turnier der 16 WM-Kandidaten erst im Alter von 19. Just der Legende luchste Carlsen auch schon ein Remis ab und klagte hernach, dass er den Sieg ausgelassen habe. Der unbekümmerte Junge hatte noch während des mit 1,5 Millionen Dollar dotierten Weltcups gestanden: „Ich habe mir noch nie Gedanken über den WM-Titel gemacht. Ich bin glücklich, dass ich hier dabei bin und absolviere einfach eine Partie nach der anderen.“

   Die Einstellung bescherte dem 15-Jährigen ein Preisgeld von knapp 20.000 Euro. Nach einem Patzer in Gewinnstellung gegen den ehemaligen Weltranglistenfünften Jewgeni Barejew (Russland) schied Carlsen zwar im Weltcup-Achtelfinale unnötig in der Verlängerung mit 1,5:2,5 aus. Da aber auch die Plätze neun und zehn zur Qualifikation für den nächsten Weltmeisterschaftszyklus reichten, reisten die Unterlegenen nicht ab. So heftete sich der Knirps weitere große Skalps ans Revers: Hatte Carlsen schon zum Auftakt den ehemaligen Top-Ten-Großmeister Surab Asmaiparaschwili (Georgien) und den Bulgaren Iwan Cheparinow, Sekundant von Weltmeister Wesselin Topalow, ausgeschaltet, zogen nun auch der Franzose Joel Lautier und Wladimir Malachow (Russland) den Kürzeren.

   Im Weltcup-Finale um 80.000 Dollar für den Sieger schlug der Kreuzberger Bundesligaspieler Levon Aronjan (Armenien) Ex-Weltmeister Ruslan Ponomarjow (Ukraine) nach zwei Remis in der Schnellschach-Verlängerung mit 2:0. Fast mehr als deren Partien interessierten aber viele Fans im Internet wegen der Abwesenheit der Topstars die Platzierungsspiele. Neben Carlsen stand in diesen nämlich auch ein anderes früheres Wunderkind: Gata Kamsky. Der 1989 mit seinem Vater in die USA geflüchtete Tatare war wie Kasparow mit 19 WM-Kandidat. Erst im WM-Finale wurde das Enfant Terrible – für dessen schlechten Ruf sein schlagkräftiger Vater Rustam, ein ehemaliger Boxer, sorgte – von Anatoli Karpow gestoppt. 1996 trat Kamsky zurück, um nach dem Willen seines Vaters Jura zu studieren. Nach neun Jahren (ein kurzes Intermezzo bei der K.o.-WM 1999 ausgenommen) kehrte Kamsky wieder in die Turnierarena zurück. Sein Eröffnungsrepertoire wirkt zwar noch altbacken, aber die frühere Spielstärke kehrt nach und nach zurück. Durch die Loslösung von seinem dominanten Papa könnte dem 31-Jährigen ebenso wie Carlsen die Zukunft gehören. Im Zweikampf um Platz neun wies er jedenfalls den nicht einmal halb so alten Gegner trotz der Auftakt-Niederlage (siehe Partie) noch mit 3:1 in die Schranken. Bereits vorher waren aber beide als letzte WM-Kandidaten festgestanden.

   Im Lager des Norwegers geht’s daher weiter locker zu. Simen Agdestein, neben dem Dänen Peter Heine Nielsen Trainingspartner des 15-Jährigen, tanzt derzeit nicht nur wegen Carlsens Erfolg „wie ein Känguru“. Das findet zumindest Espen Agdestein, der Bruder des ehemaligen norwegischen Fußball-Nationalspielers. Der Vater dreier Kinder hat zwar „noch nie eine Frau zum Tanzen aufgefordert“, Simen Agdestein nimmt nun aber für eine TV-Sendung Unterricht. Dass der 38-Jährige mit einer heiteren Tanzeinlage zur Unterhaltung bei Carlsens nachgeholtem Kindergeburtstag beitragen wird, ist nicht ganz auszuschließen.

 










Carlsen,M (2570) - Kamsky,G (2690) [B43]
Weltcup. Spiel um Platz 9 Khanty Mansyisk RUS (7.1), 15.12.2005

1.e4 c5 2.Sf3 e6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 a6 5.Sc3 Dc7 6.Ld3 b5 7.0-0 Lb7 8.De2 Se7?! Die Variante hält Viktor Kortschnoi seit einer Partie gegen Krogius 1958 für äußerst zweifelhaft. Die Springerentwicklung nach f6 wirkt natürlicher. 9.Te1 [Als einzigen Vorläufer erwähnt die elektronische Zeitschrift "Chess Today" Milman - Simutowe, ICC 2005, in der Schwarz schnell und sehenswert unterging: 9.Kh1 d6 10.Ld2 g6 11.e5! Sd5 (11...dxe5 12.Sdxb5! axb5 13.Sxb5-> Dc6? 14.Le4!+- ) 12.f4 dxe5 13.fxe5 Sd7 14.Tae1 Sxc3 (14...Lg7 15.Lxb5! ) 15.Lxc3 Sc5 16.Sxb5! axb5 17.Lxb5+ Lc6? (17...Kd8 ) 18.Df3 Ta6 19.La5! Dd7 (19...Txa5 20.Lxc6+ Kd8 21.Df6+ ) 20.Lxc6 Txc6 21.Td1 Ld6 22.Txd6 und Schwarz gab wegen 22...Txd6 23.Da8+ Ke7 24.exd6+ Dxd6 25.Dxh8 auf.] 9...Sbc6 10.Sxc6 Sxc6 [10...dxc6 ist, im Nachhinein betrachtet, sicherer. Doch dann ergibt der Springerzug nach e7 noch weniger Sinn, weil Schwarz diesen ein zweites Mal ziehen muss, um den Läufer auch ins Spiel zu bringen.] 11.Sd5! Carlsen spielt gewohnt mutig und opferbereit. 11...exd5 12.exd5+ Se7 13.c4! Obwohl Weiß momentan nur einen Bauern für die Figur besitzt, halten selbst die ins Material verliebten Programme die Stellung für etwas besser für Carlsen! Der Bauernzug nach c4 stützt nicht nur den Vorposten d5, sondern verhindert vor allem, dass der schwarze Monarch via langer Rochade auf den Damenflügel entschwindet. Dort würde es nun angesichts der aufgerissenen Position rasch ungemütlich. 13...b4 Kamsky plant weiter die lange Rochade. 14.Lg5 f6 Dies ist Pflicht. [14...d6 15.Dh5 h6 (15...0-0-0 16.Dxf7 ; 15...g6 16.Df3 f5 17.Lf6 Tg8 18.Txe7+ Lxe7 19.Te1 0-0-0 20.Txe7 Td7 21.Te6 ) 16.Txe7+! Lxe7 17.Te1 g6 18.Lxg6! 0-0-0 19.Lf5+ Kb8 20.Lxe7 Dxc4 21.Dxf7 Lxd5 22.Df6 Tdg8 23.Dxd6+ Ka7 24.Lh3 und Weiß steht auf Gewinn.] 15.Dh5+ g6?! [15...Kd8 wirkt sehr passiv, weil die schwarzen Figuren kaum noch manövrieren können - doch Weiß bricht auch nicht leicht durch. 16.Lh4 d6 17.Lg3 Lc8 18.Tac1 Dc5 19.Df7 Ld7 20.Lf4 Tc8 21.Le3 Dc7 22.c5 dxc5 23.Lxc5 Dxc5 24.Txc5 Txc5 25.d6 Sg6 26.f4 Lxd6 27.Dxg7 Tf8 mit unklarem Spiel.] 16.Df3 [16.Lxg6+ gewinnt zwar etwas Material zurück, doch Schwarz bekommt danach die Oberhand: 16...hxg6 17.Dxh8 fxg5 18.Df6 (18.Txe7+? Kxe7 19.Te1+ Kf7-+ ) 18...0-0-0 ] 16...fxg5 [16...Lg7 17.Lf4 (Bloß nicht 17.Lxf6 0-0! 18.Txe7 Txf6 19.Dh3 Td8 mit schwarzer Gewinnstellung.) 17...d6 18.Te6 0-0-0 19.Dg3 The8 20.Tae1 f5 21.b3 Lc3 22.T1e2 Le5 23.Lxe5 dxe5 24.T6xe5 und Weiß bleibt am Drücker.] 17.Df6 0-0-0 [Kamsky opfert die Qualität, um im Spiel zu bleiben. 17...Tg8? 18.d6 Dd8 (18...Dc6? 19.Txe7+ ) 19.Txe7+! Lxe7 20.Te1 führt zum Matt.] 18.Dxh8 Dd6 19.Le4 Droht 20.c5. 19...Kb8 20.Tac1 20...Df4 21.g3 Df7 22.Dd4 d6 23.Db6 Td7 24.Dxb4 Sf5?! [24...Lg7 ist besser, um das Feld d4 ins Auge zu fassen. Außerdem behält der Springer d5 im Visier.] 25.Lxf5 gxf5 26.Te6 f4 27.Tce1 Td8 28.Db6 Tc8 [28...Dc7 29.Dxc7+ Kxc7 30.gxf4 gxf4 31.Tf6 kostet einen weiteren Bauern.] 29.b4! fxg3 [29...Txc4 verbietet sich wegen 30.b5! axb5 31.Te8+ Tc8 32.Dxb5 Dxd5 33.Txc8+ Kxc8 34.Te8+ Kc7 35.Dxd5 Lxd5 36.Txf8 fxg3 37.fxg3 Lxa2 38.Tf5 h6 39.Tf6 h5 40.Tf5 mit gewonnenem Endspiel.] 30.hxg3 h5 31.b5 Dc7 32.Dxc7+ Kxc7 33.a4 axb5 34.axb5 Kb6 35.Te8? Ein Schnitzer, der der schwarzen Stellung wieder Leben einhaucht. [35.Tf6! würde den Läufer auf f8 gezähmt halten und sich den schwachen schwarzen Bauern auf dem Königsflügel widmen.] 35...Lg7 36.T8e6 [36.Txc8 verhunzt die Stellung endgültig. 36...Lxc8 37.Te8 Lg4 38.Kg2 Ld4 39.f3 Lf5 40.Td8 Kc7 41.Tg8 Le3 42.Te8 Ld4 43.Tg8 mit Ausgleich.] 36...Td8? [36...Txc4! ist geboten. 37.Txd6+ Kc5 38.Tg6 Lc3 39.Td1 Lxd5 40.Txg5 Ld4 41.b6 (41.Txh5 Tc2 ) 41...Tc2 42.Txh5 Tb2! und Schwarz hält die Waage im Gleichgewicht.] 37.c5+! Das dürfte Kamsky entgangen sein. 37...Kxc5 Auch mit anderen Fortsetzungen kann Schwarz Figurenverlust nicht verhindern. 38.Te7 Ld4 [38...Lc3 39.Tc7+ Kd4 (39...Kb4 40.Tb1+ ) 40.Td1+ rettet die Läufer nicht.] 39.Txb7 Tf8 40.Tc7+ Kxd5 41.Td1 Tb8 42.Tg7 g4 43.Tg5+ Kc4 44.Txh5 Lc5 45.Tg5 Txb5 46.Txg4+ Kc3 47.Kg2 La3 48.Tgd4 1-0

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