Startseite Rochade Kuppenheim

"Grobe Fehler macht nur der Mensch"

Weltmeister Kramnik lässt sich von Deep Fritz wie ein Anfänger in einem Zug matt setzen

Text und Foto von FM Hartmut Metz, November 2006

mehr Schachtexte von Hartmut Metz

 

Wladimir Kramnik

Wladimir Kramnik

 

   Im sicheren Gefühl des nahen Sieges ist Wladimir Kramnik vom Schachbrett aufgestanden, drehte sich nochmals um und fasste sich mit der Hand an den Kopf. Mit starrem Blick erkannte der Weltmeister: In einem Zug würde ihn Deep Fritz matt setzen. Das Programm brauchte keine Millisekunde, um die entscheidende Fortsetzung auszuspucken. Als Computer-Bediener Mathias Feist die weiße Dame dem schwarzen König direkt vor die Nase gestellt hatte, gratulierte Kramnik und lief kopfschüttelnd von der Bühne.

    Nach zwei Partien in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle führt Deep Fritz mit 1,5:0,5. Um seine Antrittsgage von 500.000 Dollar in dem Match „Mensch gegen Maschine“ auf eine Million zu verdoppeln, muss Kramnik die Software aus Hamburg in sechs Partien mit mindestens 3,5 Punkten schlagen. Dass das noch immer möglich ist, unterstrich der Weltmeister wenige Minuten nach der Tragödie in einem Akt. Relativ gefasst analysierte er das Drama. „So ein Patzer ist mir noch nie passiert!“, sagte der 31-Jährige mit Blick auf den 35. Zug. Großmeister Helmut Pfleger, der seit Jahrzehnten für das Fernsehen von Weltmeisterschaften und Topturnieren berichtet, konnte sich an keinen ähnlichen Bock auf diesem Niveau erinnern. „So etwas habe ich noch nie gesehen, nein, so was nicht“, wiederholte sich der Münchner und fand den stümperhaften Fehler „unglaublich und erschütternd“.

    Viele der Millionen Fans im Internet werden zunächst an einen Übertragungsfehler geglaubt haben. Der Verteidiger der menschlichen Ehre in Bonn hatte schließlich dem Programm in den ersten 30 Zügen „eine Lehrstunde erteilt“, wie der mehr als hundertfache Nationalspieler Pfleger und Frederic Friedel von Fritz-Vertreiber Chessbase unisono meinten. Selbst die Mitglieder aus dem Team der Hamburger Software-Firma bekundeten ihr Mitleid. „Kramnik hatte bis dahin enorm stark gespielt und ist sehr gut auf uns vorbereitet“, lobte Deep-Fritz-Bediener Feist. „Nach dieser fantastischen Leistung hätte er nur noch die Früchte ernten müssen“, pflichtete Pfleger bei und hatte nur eine Erklärung für den Aussetzer, „Kramnik war sich zu sicher, dass er gewinnt.“

    Mit den schwarzen Steinen, kündigten Experten an, überrenne das Rechenmonster, das bis zu zehn Millionen Stellungen pro Sekunde berechnet, seinen Gegner. Doch der Vorteil des ersten Zugs verpuffte. Durch das Publikum ging zwar ein Raunen, als Deep Fritz einen vermeintlich aggressiven Damenzug in Richtung des schwarzen Königs machte, doch Kramnik brachte die Partie rasch unter Kontrolle. Schon im ersten Duell hatte der Mensch das Geschehen mit einer kontrollierten Offensive bestimmt. Geschickt sammelte der Russe kleine Vorteile, nur den möglichen K.o.-Schlag verpasste er auch schon da in einem Moment.

    Der Weltmeister berichtete, er habe in der Schlussphase die Varianten nach jedem Zug aufs Neue geprüft. „Ich konnte das Remis forcieren, sah aber keinen Grund, ein Unentschieden anzustreben“, analysierte der Russe. Deep Fritz sah seinen Gegner mit bis zu 0,7 Bauerneinheiten im Plus. Das ist ein deutlicher Vorteil, den die Profis oft gegen ihre menschlichen Kontrahenten verwerten. „Ich stand noch nicht ganz auf Gewinn, hatte aber gute Chancen“, erläuterte Kramnik, warum er das zweite Remis in dem Wettkampf verschmähte. Doch ab dem 33. Zug geriet er vom Erfolgspfad ab. Danach hätte die Partie mit einem Dauerschach von Weiß enden sollen.

    Dass er vor dem heutigen dritten Duell (15 Uhr) mit 0,5:1,5 zurückliegt, anstatt womöglich sogar mit 2:0 zu führen, entmutigt Kramnik kaum. „Ich finde nicht, dass ich schlechter bin“, äußerte der Schach-Weltmeister trotzig, „ich drückte in der ersten Partie und überspielte Fritz. Deshalb gehe ich sehr zuversichtlich in die nächsten vier Begegnungen.“ Helmut Pfleger ist banger, obwohl Kramnik Deep Fritz selbst auf „dessen ureigenstem Terrain, der Taktik, vorführte“. Der Mediziner mit Fachgebiet Psychosomatik gibt nach dem Patzer gegen die Maschine zu bedenken: „Grobe Fehler macht nur der Mensch!“

 










DEEP FRITZ - Kramnik,V (2750) [D20]
Mensch - Maschine Bonn (2), 27.11.2006

1.d4 d5 2.c4 dxc4 3.e4 b5 4.a4 c6 5.Sc3 b4 6.Sa2 Sf6 7.e5 Sd5 8.Lxc4 e6 9.Sf3 a5 10.Lg5 Db6 11.Sc1 La6 12.De2 h6 13.Le3 Lxc4 14.Dxc4 Sd7 15.Sb3 Le7 16.Tc1 0-0 17.0-0 Tfc8 18.De2 c5 19.Sfd2 Dc6 20.Dh5 Dxa4 21.Sxc5 Sxc5 22.dxc5 Sxe3 23.fxe3 Lxc5 24.Dxf7+ Kh8 25.Df3 Tf8 26.De4 Dd7 27.Sb3 Lb6 28.Tfd1 Df7 29.Tf1 Da7 30.Txf8+ Txf8 31.Sd4 a4 32.Sxe6 Lxe3+ 33.Kh1 Lxc1 34.Sxf8 De3 35.Dh7# 1-0

zur Meko