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Kramnik läuft ins offene sizilianische Messer

Deep Fritz schlägt Schach-Weltmeister nach Sieg in letzter Partie mit 4:2

Text und Foto von FM Hartmut Metz, Dezember 2006

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Wladimir Kramnik

Wladimir Kramnik

 

   „Ist Kramnik wahnsinnig geworden?“ Schach-Großmeister Raj Tischbierek konnte die Eröffnungswahl des Russen mit den schwarzen Steinen nicht verstehen. Der Weltmeister setzte in Bonn gegen das Programm Deep Fritz alles auf eine Karte, um im letzten Duell noch wenigstens den 3:3-Ausgleich zu erzwingen – und lief mit der so genannten Sizilianischen Verteidigung ins offene Messer. Die Maschine aus Hamburg setzte sich dank des zweiten Sieges in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle mit 4:2 durch.

   Damit unterlag zum zweiten Mal der Schach-Weltmeister einem Computer. 1997 hatte Garri Kasparow in New York mit 2,5:3,5 gegen den IBM-Großrechner Deep Blue den Kürzeren gezogen. Am Tag danach machten die Aktien des US-Unternehmens einen Kurssprung von 30 Prozent. 2002 trennte sich Kramnik in Bahrain 4:4 von der siebten Version von Fritz. Die zehnte Edition, die jetzt in der ehemaligen Bundeshauptstadt antrat, berechnet rund zehn Millionen Stellungen pro Sekunde und ist damit mehr als doppelt so schnell wie der Vorgänger in Bahrain. „Die Resonanz auf das neuerliche Duell Mensch gegen Maschine fiel überwältigend aus“, resümierte Organisator Josef Resch. Angesichts von mehr als 200 Medienvertretern und zehn Millionen Live-Zuschauern im Internet kündigte er „weitere Schach-Großveranstaltungen in Deutschland an“.

   „Ich bin natürlich etwas enttäuscht, dass ich verlor“, äußerte Kramnik und rechtfertigte seine scharfe Vorgehensweise in der letzten Partie, „ich musste riskant spielen, um mit Schwarz zu gewinnen.“ Im nächsten Atemzug räumte der 31-Jährige jedoch ein, dass man „eigentlich solch offene Stellungen gegen Computer“ nicht mehr wagen dürfe. Prompt entging dem Moskauer im 25. Zug bei knapper Bedenkzeit ein starker Bauernvorstoß nach e5, der ihn Material kostete. Das Übergewicht verwertete Deep Fritz anschließend leicht. Nach 47 Zügen streckte Kramnik die Waffen. Immerhin heimste der Unterlegene durch sein schneidiges Spiel Lob ein. „Der Weltmeister hat uns Paroli geboten“, befand Matthias Wüllenweber, Chef des Deep-Fritz-Herstellers Chessbase, „man muss bedauern, dass der Ausgang so deutlich war.“

   Der Weltmeister bewertete ungeachtet seiner 2:4-Niederlage den Wettkampf als „sehr ausgeglichen. Ich fühle mich der Maschine nicht unterlegen“. Für den 31-Jährigen „ist die Geschichte der Duelle Mensch gegen Maschine noch nicht zu Ende“. Kramnik wirft deshalb den Fehdehandschuh hin: „Ich würde gerne noch einmal in ein, zwei Jahren gegen Deep Fritz antreten“, äußerte der Sohn eines Bildhauers.

   Der Weltmeister weiß, dass er nicht mehr wie „vor sechs Jahren gegen Deep Junior mit einer typischen Computer-Strategie zum Zug kommt: Geschlossene Stellungen anstreben, um dann das Programm wie ein kleines Kind matt zu setzen“. Der Russe sieht nach Analyse der sechs Partien jedoch weiter Vorteile für sich im positionellen Spiel und in technischen Endspielen. Fern des taktischen Schlagabtauschs kommt es mehr auf die Intuition des menschlichen Gehirns, das allgemeine Grundsätze verinnerlicht, an als auf bloße Rechenkraft des Computers.

   Kramnik hatte wegen der WM-Titelvereinigung gegen den Bulgaren Wesselin Topalow diesmal nur drei Wochen für die Vorbereitung auf Deep Fritz. „Mit zwei, drei Monaten Zeit“ sieht sich der Weltmeister aber durchaus in der Lage, die Ehre der Menschheit ein letztes Mal zu retten – „auch wenn die Chessbase-Programmierer nach ihrem Sieg sicher nicht die nächsten zwei Jahre lang nur Party machen werden“.

   Wüllenweber glaubt zwar wie Kramnik, dass das Duell zwischen Mensch und Maschine in einem Jahrzehnt reizlos sein wird. Den Sieg in dem mit einer Million Dollar dotierten Match bewertet der Hamburger aber nicht über. „Wir wissen, was in der zweiten Partie passierte“, spielte Wüllenweber auf die Tragödie an, als der Weltmeister erstmals in seiner Karriere ein einzügiges Matt übersehen hatte. Für den Chef von Chessbase steht fest: „Nach unserer Einschätzung gibt es auf der ganzen Welt nur noch einen Spieler, der solch eine Leistung gegen Computer zeigen kann: Kramnik.“ Einstweilen ist der aber froh, dass er in den nächsten Turnieren auf Gegner aus Fleisch und Blut trifft: „Gegen Menschen ist es etwas leichter!“, gestand Kramnik.

 










DEEP FRITZ - Kramnik,V (2750) [B86]
Mensch - Maschine Bonn (6), 05.12.2006

1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.Lc4 e6 7.0-0 Le7 8.Lb3 Dc7 9.Te1 Sc6 10.Te3 0-0 11.Tg3 Kh8 12.Sxc6 bxc6 13.De2 a5 14.Lg5 La6 15.Df3 Tab8 16.Te1 c5 17.Lf4 Db7 18.Lc1 Sg8 19.Sb1 Lf6 20.c3 g6 21.Sa3 Dc6 22.Th3 Lg7 23.Dg3 a4 24.Lc2 Tb6 25.e5 dxe5 26.Txe5 Sf6 27.Dh4 Db7 28.Te1 h5 29.Tf3 Sh7 30.Dxa4 Dc6 31.Dxc6 Txc6 32.La4 Tb6 33.b3 Kg8 34.c4 Td8 35.Sb5 Lb7 36.Tfe3 Lh6 37.Te5 Lxc1 38.Txc1 Tc6 39.Sc3 Tc7 40.Lb5 Sf8 41.Sa4 Tdc8 42.Td1 Kg7 43.Td6 f6 44.Te2 e5 45.Ted2 g5 46.Sb6 Tb8 47.a4 1-0

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