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"Topalow ist die Marionette seines Managers"

Interview mit Weltmeister Kramnik: "Die letzte Chance gegen den Computer"

Text und Fotos von FM Hartmut Metz, Dezember 2006

mehr Schachtexte von Hartmut Metz

 

Wladimir Kramnik

Wladimir Kramnik

 

   Es gibt nur noch einen Schach-Weltmeister: Wladimir Kramnik. Der 31-jährige Russe lässt wenige Wochen nach seinem Sieg bei der WM-Titelvereinigung das nächste spektakuläre Duell folgen. Seit dem 25. November spielt Kramnik in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn gegen Deep Fritz. Dank des Sponsorings der RAG und des Engagements von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück findet erstmals solch ein hochkarätiges Computer-Match über sechs Partien in Europa statt. Im Saarland hat sich der beste Match-Spieler auf dem Globus zwei Wochen lang auf die Herausforderung vorbereitet. „Nur zwei Wochen wegen der vorhergehenden WM“, bedauert der Weltranglistendritte und hätte sich lieber zwei Monate Vorbereitungszeit gewünscht. Schließlich könnte es seiner Ansicht nach die vielleicht letzte Chance sein, dass ein Mensch eines der stärksten Programme bezwingt. Bei einem Sieg bekäme Kramnik seine Antrittsgage von 500.000 US-Dollar auf eine Million verdoppelt. Im Interview mit Hartmut Metz und Stéphanie Souron, die zusammen das auflagenstärkste deutsche Magazin, den „Stern“, vertraten, stand zum einen das Computer-Duell im Mittelpunkt. Zum anderen sprach Metz natürlich mit Kramnik auch über die Titelvereinigung in Elista.

 

Wladimir Kramnik am Schach-Computer

Wladimir Kramnik bei der Vorbereitung auf Deep Fritz im Saarland.

 

Frage: Herr Kramnik, wenn Sie heute auf die Toilette gehen, denken Sie automatisch an die Schach-Weltmeisterschaft gegen Wesselin Topalow?

Kramnik (lacht): Wenn ich mit Freunden Karten spiele und ab und an verschwindet einer aufs Klo, dann witzeln wir immer. Ich selbst denke aber ansonsten nicht mehr daran und konzentriere mich auf die nächsten Wettbewerbe.

 

Frage: So zählen Sie nicht Ihre täglichen Toilettengänge, so wie es Ihr bulgarischer Kontrahent bei der Titel-Vereinigung tat anhand der Video-Aufzeichnungen aus dem Ruheraum?

Kramnik: Nein, nein, so etwas macht nur Topalows Manager Silvio Danailow.

 

Frage: Hat Ihr Manager, der Dortmunder Carsten Hensel, noch keinen neuen Sponsor aufgetan? Ein Hersteller von Mitteln gegen Blasenschwäche drängt sich doch regelrecht auf.

Kramnik (lacht): Stimmt, die Weltmeisterschaft war perfekte Werbung für diese Art von Mittelchen.

 

Frage: Geht Ihr WM-Sieg in der Verlängerung nur durch den Toilettenstreit, bei dem Ihnen Beschiss auf dem Klo mit einem Computerprogramm vorgeworfen wurde, in die Schach-Historie ein?

Kramnik: Nein, ich glaube, dass die WM als großer Schach-Event mit interessanten Partien im Gedächtnis haften bleibt. Das Match war hart umkämpft, die Partien gingen sehr lange. Deswegen halte ich die Weltmeisterschaft für eine der spannendsten seit vielen Jahren. Pech für mich natürlich, dass das breite Publikum mit dem Zweikampf vor allem die Toiletten-Affäre verbindet. Ich kann’s jedoch nicht ändern. Ich finde es nur schade, wenn Schach in den Schmutz gezogen wird. Ich spiele immer fair und brauche keine Hilfe. Der Skandal wurde nur initiiert, um mich nach dem Rückstand von Topalow aus dem Konzept zu bringen. Wenn sich andere Leute auf dieses niedrige Niveau begeben, ist es deren Problem. Ich sinke nicht so tief.

 

Frage: Dabei galten Sie schon vor Jahren als eifriger Verfechter von scharfen Kontrollen, um „Computer-Doping“ zu unterbinden.

Kramnik: Exakt. Weil ich dafür plädierte, wurden in Elista solch strenge Kontrollen wie noch nie durchgeführt. Ich forderte diese nicht, weil ich schon einmal Betrügereien gegen mich witterte. Aber generell halte ich Computer für eine Gefahr, die mit der Stärke der Programme zunimmt und entscheidend bei solch einem Wettkampf sein kann. Durch die strengen Sicherheitsvorkehrungen mit Detektoren und Messgeräten bei der WM wurde Betrug von vornherein ausgeschlossen. Dagegen sind Kontrollen am Flughafen nichts dagegen. Selbst an Störsignale für Handys und Internetanschlüsse wurde gedacht, berichteten mir die Organisatoren. Umso bedauerlicher, dass die Gegenseite trotzdem aus dem Nichts heraus einen Skandal schuf.

 

Frage: War es vernünftig, die fünfte Partie – auch noch mit den weißen Steinen - kampflos zu verlieren und Ihren Gegner so auf 2:3 herankommen zu lassen?

Kramnik: In so einem Moment denkt man nicht an die Farbe der Figuren oder den Zwischenstand. Das Verhalten des Topalow-Teams und des Berufungsgerichts, das den Bulgaren die Videoaufzeichnungen aus meinem Ruheraum zur Verfügung stellte, war eine Beleidigung. Und nicht nur eine, sondern es folgten zig weitere. Meine Reaktion fiel emotional aus, so dass ich den Spielstand vergaß. Ich wollte nicht mehr spielen. Wer will sich schon an einer billigen, primitiven Show beteiligen? Es war deshalb ein menschliches Bedürfnis, mich von all dem abzugrenzen. Ob ich die falsche oder richtige Entscheidung traf und Topalow dem Ziel eines WM-Abbruchs näher kam, ist egal. Es geht nur um meine eigene Einstellung zu derlei.

 

Frage: Dann eine Stunde lang im Ruheraum nichts zu tun, während draußen die Schachuhr tickt, war Ihre Entscheidung?

Kramnik: Ja, letztlich muss ich die Entscheidung fällen, schließlich ist es meine Karriere, mein Wettkampf, meine Verantwortung. Ich berate mich natürlich auch mit meinen Freunden, meinem Manager. Ich bin aber nicht wie Topalow lediglich der Übersetzer und Überbringer meines Managers.

 

Frage: Wie verbrachten Sie die Stunde?

Kramnik: Ich lag auf dem Sofa. Das Hauptproblem dabei war (schmunzelt), dass sie meine Toilette geschlossen hatten! Ich muss zugeben, dass ich mich nach etwa 40 Minuten unbehaglich fühlte. Ich rüttelte zwar an der Toilettentür, die war aber fest verriegelt. Der Hauptschiedsrichter riet mir daher, doch eine Tasse zu benutzen … Nein, Letzteres war ein Scherz. Ich dachte nicht sonderlich nach in der Stunde und wartete, bis sie ablief. Hauptschiedsrichter Geurt Gijssen, der schon viele wichtige Turniere leitete, erzählte mir später, er hätte mich erstmals in seinem Leben wütend gesehen.

 

Frage: Ex-Weltmeister Anatoli Karpow und viele andere Profis solidarisierten sich mit Ihnen und empfahlen sogar den Abbruch der WM. Stand dieser aus Ihrer Warte zur Debatte?

Kramnik: Natürlich war der erste Impuls, einfach abzureisen, um sich aus dieser armseligen Show zu verabschieden. Mich hielt jedoch der Gedanke ab, dass es ein Tiefschlag für die Schachwelt gewesen wäre. Wir hatten in den letzten Jahren mit anderen Zweikämpfen wie Kasparow gegen Ponomarjow Probleme, andere Wettbewerbe platzten ebenso, hinzu gesellten sich Skandale – und dem Ganzen hätte ein Abbruch der WM-Titelvereinigung die Krone aufgesetzt, auch wenn es nicht mein Verschulden gewesen wäre. Ein Scheitern der WM hätte auf Jahre hinaus alle Sponsoren endgültig vertrieben. Ich kapierte, dass ich große Verantwortung fürs Schach trage. Dennoch schwankte und zögerte ich lange Zeit, ob ich das Duell abbrechen sollte oder nicht.

 

Frage: Topalow und sein Manager Danailow haben sich mit den haarsträubenden Vorwürfen einen Bärendienst erwiesen. Die Stimmung von pro Topalow, der einen spektakulären Schachstil pflegt, kippte auf pro Kramnik. Außer den Bulgaren drückte nach der Schlammschlacht die ganze Welt Ihnen die Daumen. War die Affäre ein Glücksfall für Sie?

Kramnik: Ich bin keiner, der sich um seine Beliebtheit schert und etwas dafür macht. Ich bin, wie ich bin und sage, was ich denke – wenn’s den Fans gefällt, schön, wenn nicht, kann ich auch damit leben.

 

Frage: Auf Ihrer Homepage und zahllosen anderen Schach-Webseiten drückten wirklich alle Schachanhänger Ihre Sympathie für Sie aus. Für Topalows Position erhob keiner seine Stimme.

Kramnik: Das stimmt. Ein Eintrag auf meiner Homepage gefiel mir besonders gut: Ein Arzt berichtete, dass er Operationen durchzuführen hatte, aber alle Termine um eine Stunde nach hinten verschob, um das Finale live im Internet verfolgen und mir die Daumen drücken zu können. Ich glaube, es erfolgten Einträge von Schachspielern aus über 50 Ländern von Afrika, Skandinavien, Asien bis Amerika. Das freute mich selbstverständlich nach dem Match.

 

Frage: Wie geht es nun weiter nach der Wiedervereinigung? Sie plädierten für eine Beibehaltung der WM-Zweikämpfe. Die FIDE beharrt auf ein Turnier mit acht Großmeistern in Mexiko.

Kramnik: Ich favorisiere weiterhin ein WM-Match. Gehen Sie doch hinaus auf die Straße und fragen den nächsten Passanten, was ihm zum Thema Schach einfällt. Entweder weiß er gar nichts, was seltener der Fall sein wird, oder er erzählt: Da war doch mal dieser Zweikampf der Systeme zwischen Spasski und Fischer anno 1972. Oder Karpow gegen Kasparow. Darin besteht der Wert: Die Leute erinnern sich an diese großen Duelle. Selbst mein Wettkampf gegen Topalow fällt nun darunter. Aber wer weiß schon etwas über die Weltmeisterschaft des Schach-Weltverbandes FIDE mit acht Teilnehmern im argentinischen San Luis? Niemand, außer Schachkennern. Die Zweikämpfe sind folglich gut fürs Schach und für die FIDE, weil sich dafür auch Sponsoren finden lassen und solch eine WM leicht zu organisieren ist mit zwei Personen. Ich versichere Ihnen, das schließe ich auch aus zahlreichen E-Mails und Briefen aus aller Welt, dass die überwiegende Mehrheit der Schachanhänger WM-Zweikämpfe sehen will. Wie sagt ein amerikanisches Sprichwort: Ändere nichts, was perfekt läuft. Warum sollte man daher ausgerechnet dieses perfekte System abschaffen? Mir fällt kein einziger logischer Grund ein. Es gibt jede Menge anderer Probleme in der Schachwelt, die stattdessen angegangen werden sollten. Ich vertrete diesen Standpunkt auch gegenüber der FIDE. Letztlich muss die aber entscheiden, ich gebe nicht den Ausschlag.

 

Frage: Würden Sie nochmals in einer so abgelegenen Region wie Kalmückien spielen?

Kramnik: Mir macht das nichts aus. Während einer WM konzentriere ich mich nur auf meine Partien. Ob darum herum der Bär tobt oder nicht, ist egal. Ich befinde mich unter einer Glashaube außerhalb der Zivilisation, unabhängig davon, ob wir in Afrika oder Amerika antreten. Wichtig sind nur faire Bedingungen für beide Spieler, die zunächst in Elista gegeben waren.

 

Frage: Erstaunlicherweise plädierten Sie dafür, auch Topalow bei der nächsten WM einen Freiplatz einzuräumen, obwohl der Verlierer der Titelvereinigung nicht für dieses Turnier qualifiziert sein sollte. Eine versöhnliche Geste?

Kramnik: Er ist ein exzellenter Schachspieler, weshalb mein Vorschlag nur logisch war. Ich finde, in Mexiko sollte man meinen nächsten Herausforderer 2008 ermitteln. In diesem System sollte vernünftigerweise Platz für Topalow sein. Ich weiß nicht, ob die FIDE meine Vorschläge aufgreift. Zweifellos zählt Topalow aber zu den Besten und verdient eine weitere Chance – unabhängig von meinen persönlichen Befindlichkeiten ihm gegenüber.

 

Frage: Topalow scheint dennoch aus den Vorfällen nichts gelernt zu haben und wiederholte auch nach seiner Niederlage die harschen Vorwürfe.

Kramnik: Ich versuche die zwei Bereiche zu trennen, auch wenn es mir angesichts der fortlaufenden Provokationen schwer fällt. Ich sehe auf der einen Seite die verbreiteten Lügen, auf der anderen Seite seine hohe Schachkunst, die ich respektiere. Als Mensch hat er mich enttäuscht. Mich irritieren die Vorwürfe kaum noch, es nervt nur, dass ich ständig zu neuen abstrusen Vorwürfen von Danailow Stellungen beziehen muss. Das kann noch Jahre so weitergehen. Ich wünsche mir, dass er von dieser Toiletten-Affäre runterkommt. Im Moment sieht es indes danach aus, dass er noch einige Verschwörungstheorien spinnt.

 

Frage: Finden Sie es normal, dass Sie nun auch offizieller Weltmeister eines Verbandes sind, dessen Präsident Kirsan Iljumschinow steif und fest behauptet, er sei von Außerirdischen in einem UFO entführt worden?

Kramnik: Ich dachte, das sei ein Witz. Wie auch immer, ich habe kein Problem damit …

 

Frage: … weil Sie mit im UFO waren …

Kramnik (lacht): Genau und den WM-Kampf dort aushandelte ... Mir ist es nicht wichtig, ob ich FIDE-Weltmeister bin oder nicht. Mir bedeutet es mehr, der mit dem historisch gewachsenen Titel zu sein, den die Öffentlichkeit als Weltmeister anerkennt. Das war 2000 so. Ich konnte ja nichts dafür, dass die Situation unübersichtlich geraten war durch Kasparows Abspaltung 1993. Ich bin zwar nun unumstrittener Weltmeister und niemand kann etwas dagegen sagen, aber es bedeutet mir nur wenig. Der vorherige Titel war mir persönlich nicht weniger wert als der jetzige.

 

Frage: Verstehen Sie als russischer Landsmann die Gründe, warum Iljumschinow so viel eigenes Geld ins Schach steckt?

Kramnik: Er mag Schach und will etwas für den Sport tun. Ich bin zwar häufig anderer Meinung als er gewesen, aber aus seiner Warte versucht er stets, Schach zu fördern. Er sorgt für Kontroversen, bemüht sich jedoch. Das kann man nicht von allen FIDE-Funktionären behaupten. Wenn die FIDE einige Strukturen verändern würde, wäre es gut fürs Schach – die muss allerdings Iljumschinow als Präsident in Angriff nehmen und nicht ich als Weltmeister.

 

Frage: Braucht er aus politischen Gründen den Titel als Schach-Präsident, um sich in der autonomen russischen Republik Kalmückien als Staatspräsident an der Macht zu halten?

Kramnik: Nein, wir befinden uns nicht mehr in den 80er Jahren der Sowjetunion. Schach ist nun ein Teil der russischen Sportwelt, aber nicht mehr des politischen Kampfes gegen den Westen. Schach ist kein politisches Spiel mehr, auch wenn es Politiker gibt, die es mögen. Schach zählt einfach zu den populärsten Sportarten weltweit. Ich bin froh, dass ich deshalb auch kein Teil solch eines Kampfs der Systeme wie früher bin. Auch wenn die WM auf heimischem Terrain stattfand, bestand mein Ziel nicht darin, die russische Überlegenheit oder dergleichen zu beweisen.

 

Frage: Peer Steinbrück unterstützt Ihr Match gegen das Computer-Programm Deep Fritz nicht nur als Schirmherr. Glauben Sie, dass er als Schachspieler ein besserer Finanzminister ist als andere?

Kramnik: Ich kann seine Arbeit in Deutschland nicht beurteilen. Ich finde ihn sympathisch. Generell hilft es, gut Schach zu spielen. Das Spiel ist ein kleines Modell für vielerlei im Leben: Es gibt Parallelen von Schach und beispielsweise der Finanzwelt. Man muss wissen, welche Regeln in bestimmten Momenten zu beachten sind und welche nicht. Ich las ein Buch über berühmte Feldherren und stellte fest, dass wirklich exakt die gleichen Regeln auch im Schach gelten. Schach stellt unblutigen Krieg im Kleinen dar, mit denselben Taktiken und Strategien. Als Schachspieler hat mich im Übrigen Steinbrück beeindruckt. Für einen Hobbyspieler, der sich noch nie ernstlich damit beschäftigte, ist er erstaunlich gut. Als ich im Vorjahr in einer Partie auf ihn traf, erwartete ich einen leichten Sieg. Ich musste mich wirklich anstrengen, um ihn zu bezwingen.

 

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück bein Schach-Wettkampf

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück machte den ersten Zug des Wettkampfs.

  

Frage: Jede Partie stellt somit eine Art Krieg für Sie dar?

Kramnik: Für mich persönlich nicht. Ich verspüre keinen Hass auf meinen Kontrahenten. Ich denke während einer Partie nicht einmal daran, gegen wen ich antrete. Ich spiele gegen Figuren. Ich habe wirklich viele Freunde in der Schachwelt, gegen die man keinen Krieg führt. Es ist nur ein Spiel. Diese Haltung scheint mir ein Vorteil für mich zu sein: Für Topalow wurde die WM plötzlich zum Krieg. Ich bin vor und nach jeder Partie freundlich.

 

Frage: Ihr Vorgänger Garri Kasparow fühlt sich nach seinem Rücktritt berufen, die russische Politik aufzumischen. Etwas, was Sie angesichts Ihrer Fähigkeiten nach dem Karriereende in Betracht ziehen?

Kramnik: Ich weiß noch nicht, was ich dann tun werde. Einstweilen sehe ich mich noch als Schachprofi, auch wenn ich sicherlich nicht mit 70 oder 80 noch am Brett sitzen werde.

 

Frage: So wie Viktor Kortschnoi.

Kramnik: Ich schätze ihn sehr und bewundere ihn, aber so wird mein Lebensweg keinesfalls verlaufen. Ich habe viele Interessen und werde nach meiner Karriere gewiss keine Langeweile verspüren. Es wäre eigenartig, wenn ich mich jetzt schon damit befasste, was ich in ferner Zukunft mache. Noch genieße ich Schach. In fünf Jahren habe ich vielleicht andere Pläne, dann bin ich aber eventuell ein ganz anderer Mensch, der Interessen bekam, die er sich jetzt noch nicht vorstellen kann. Den Gang in die Politik würde ich gegenwärtig für mich ausschließen.

 

Frage: In Ihrer Familie spielt Kunst eine wichtige Rolle: Ihre Mutter ist Musikerin, Ihr Vater Bildhauer. Könnten Sie sich eine Karriere als Künstler vorstellen?

Kramnik: Nein. Der Zug als Profi-Musiker oder –Maler ist abgefahren, auch wenn ich beides schätze. Als schönes Hobby ja, aber als Beruf käme ich unglücklicherweise nie an die Leistungen heran, die ich als Schachspieler erziele. Vielleicht könnte ich Ausstellungen organisieren, weil ich im Freundeskreis einige Künstler habe. Aber als Maler wäre ich zu mies. Ich bin zu ambitioniert, um ein schlechter Irgendwas zu werden. Nur Durchschnitt genügt mir nicht, folglich muss ich etwas finden, worin ich auch Potenzial besitze.

 

Frage: Spielen Sie ein Instrument?

Kramnik: Nein, leider nicht mehr. Dafür fehlt mir die Zeit. Meine Mutter lehrte mich Klavierspielen. Bis ich da wieder anknüpfen könnte und mich erinnerte, benötige ich bestimmt einige Stunden.

 

Frage: Beeinflusste die Nähe zu den schönen Künsten Ihren Schachstil?

Kramnik: Wahrscheinlich. Die Umgebung, die Atmosphäre um dich herum als Kind beeinflusst dein Schachspiel, impft dir deine Einstellung ein. Selbst als Profi spielst du wie als Kind, nur eben stärker. Mein erstes Schachbuch über „Karpows beste Partien“ – damals war er Weltmeister und es gab nur Bücher über ihn – beeinflusste mich. Mein Vater kam in seinem Buchladen an kein anderes dran, so studierte ich jahrelang mit meinem einzigen Schachwerk die Partien Karpows und ähnele ihm in seinem positionellen Schachverständnis. Wäre mir als erstes Buch eines von Michail Tal oder Kasparow in die Hände gefallen, würde ich heute vielleicht ganz anders spielen.

 

Frage: Wer brachte Ihnen Schach bei?

Kramnik: Mein Vater. Es gehört bei uns in intellektuellen Familien einfach mit zur Ausbildung, wie wenn er mich in den Schwimmverein brächte oder in Deutschland in den Fußballklub.

 

Frage: Was passierte aber Schreckliches in Topalows Kindheit, dass er stets solche Komplikationen heraufbeschwört?

Kramnik (lacht): Keinen Schimmer. Eine lustige Erklärung liefert jedoch ein französischer Freund von mir. Er erzählte mir, dass Topalows Geburtsstadt namens Russe auf Französisch „Trick“ bedeutet. So ist es für ihn ziemlich normal, Fallen zu stellen.

 

Frage: Haben Sie sich von Ihrer rheumatischen Arthritis erholt?

Kramnik: Ich fühle mich wieder definitiv besser als im Vorjahr. Ich muss Medikamente nehmen, aber nicht mehr so viele. Ich kann wieder gehen und etwas Sport treiben.

 

Frage: Welche Sportarten?

Kramnik: Leider darf ich nicht mehr das machen, was mir Spaß bereitet: Tennis mochte ich immer sehr. Jogging musste ich auch sein lassen. Schwimmen sei am besten für mich, meinen meine Ärzte. So schwimme ich jeden Tag eineinhalb, zwei Kilometer, obwohl ich zugebe, dass ich es nicht sonderlich mag, um nicht zu sagen hasse. Es ist wie beim Essen: Was am besten schmeckt, ist ungesund … Ich spielte Tennis mit unheimlich viel Spaß und mochte Fußball sowie Tischtennis – aber alles musste ich aufgeben! Jetzt schwimme ich eben wie ein Verrückter …

 

Frage: Jeden Tag?

Kramnik: Jeden Tag außer bei Turnieren. Da kann ich keine Kraft vergeuden. Ansonsten langweile ich mich täglich eine Stunde im Wasser. Damit es etwas aufregender wird, wechsele ich zwischen Kraul-, Brust und Rückenschwimmen ab.

 

Frage: Nachdem Sie Ihre rheumatische Arthritis in den Griff bekamen, haben sich Ihre Resultate wieder auf hohem Niveau stabilisiert. Mittlerweile rückten Sie in der Weltrangliste wieder auf Platz drei vor. Sehen Sie sich noch hinter Topalow und dem zweitplatzierten Inder Viswanathan Anand?

Kramnik: Ich denke, wir liegen nun wieder nahe beieinander. Eines meiner Ziele besteht darin, Platz eins zu erobern. Das ist nicht so wichtig wie im Tennis, der WM-Titel zählt im Schach mehr - was jedoch nicht heißt, dass ich die Spitze in der Weltrangliste aus den Augen verloren habe. Ich versuche mein Bestes zu geben.

 

Frage: Angenommen, Sie wollten tatsächlich auf dem Klo betrügen, welches Programm würden Sie dort einsetzen?

Kramnik: Ich kenne mich nicht so aus unter all den Schach-Programmen. Ich habe seit vielen Jahren nur Fritz auf meinem Computer. Einige haben ja mehrere. Mich bekümmert das weniger, mir reicht das eine. Mit Fritz kenne ich mich aus, es ist gut und funktioniert in allen Bereichen gleich gut. Andere Programme sind taktisch gut, dafür wieder positionell schlecht. Fritz überzeugt mich in allen Stellungen. Deshalb setze ich es schon lange Zeit ein. Diesmal muss ich aber dagegen antreten und Schwächen herausfinden. Ernste Schwächen finden sich natürlich inzwischen nicht mehr. Aber ein paar Kleinigkeiten entdeckte ich doch, bei denen Fritz etwas falsch macht. Ich trug sehr viele Schnellschach-Partien aus und muss zugeben, dass sich das Programm bisher gut schlägt (lacht). Es hat wirklich Fortschritte erzielt im Vergleich zu unserem 4:4 in Bahrain.

 

Frage: Welche Schwächen entdeckten Sie?

Kramnik: Schwer zu beschreiben. Ich will natürlich auch nicht alles verraten. Das erzähle ich erst nach dem Match. Bei Programmen gilt wie bei Menschen: Manches versteht es besser, manches schlechter. Aber selbst bei den Kleinigkeiten, die ich herausfand, ist es schwer, die Ungenauigkeiten auszunutzen. Fritz agiert selbst in diesen Bereichen auf hohem Niveau, wenn auch nicht so hoch wie in anderen. Es geht um Nuancen. Man muss versuchen, die Partie langsam in eine bestimmte Richtung zu wenden. Auf jeden Fall lässt sich sagen: Ich habe in den vergangenen zwei Wochen die Maschine besser verstanden und Fortschritte erzielt. Ob das reicht, muss man sehen.

 

Frage: Welche gravierenden Unterschiede gibt es zur Bahrain-Version?

Kramnik: Das Programm rechnet nun mehr als doppelt so schnell. 2002 verarbeitete Fritz etwa vier Millionen Stellungen pro Sekunde, jetzt sind es acht bis zehn Millionen.

 

Frage: Und wie viele Züge können Sie in einer Sekunde berechnen?

Kramnik: Etwa einen. Aber Menschen und Computer haben eine unterschiedliche Art zu denken. Wenn ich eine bestimmte Spielsituation sehe, dann schließe ich 99,9 Prozent aller möglichen Züge aus – weil sie in dieser Stellung unangebracht wären. Ich kann mich also auf die zwei, drei oder vier logischen Züge und deren Folgen konzentrieren. Das zeichnet einen Profi aus. Der Computer berechnet alle möglichen Züge. Deshalb können wir Menschen manchmal sogar weiter rechnen, weil wir stark selektiv vorgehen. Das ist ein kleiner Vorteil für uns Menschen. Man kann ihn nicht in allen Positionen nutzen, aber manchmal eben schon. Und dann können wir 20 Züge im Voraus denken. Das kommt aber wirklich sehr, sehr selten vor. Deswegen habe ich beispielsweise eine Partie gegen Fritz gewonnen. Aber meistens läuft es umgekehrt …

 

Frage: Haben sie Angst vor dem Rechner?

Kramnik: Nein, ich fürchte nichts. Mehr als verlieren kann ich nicht. Ich bin Sportler, zu meiner Arbeit gehören Siege wie Niederlagen. Ich kenne vielleicht auch noch nicht die gesamte Dimension von Fritz, die wird sich mir erst während des Zweikampfs erschließen. Gut möglich, dass der Computer schon jetzt unschlagbar ist. Und wenn nicht jetzt, dann spätestens in zwei, drei Jahren. Definitiv sind wir ganz nahe an diesem Wendepunkt. Es wird immer schwieriger, nahezu unmöglich, gegen einen Computer zu gewinnen. Ich hoffe nur, dass der Moment jetzt noch nicht gekommen ist. Ich habe bestimmte Erwartungen und Ideen ... Warten wir es ab. Ich gebe mein Bestes – und wenn der Gegner besser ist, verliere ich.

 

Frage: Aber Ihnen ist schon klar, dass Sie die Ehre der Menschheit verteidigen?

Kramnik: Ach, das sind hehre Worte (lacht) – das hängt ganz vom Ergebnis ab. Derlei Gedankenspiele erhöhen nur den Druck, was sich negativ auswirken kann. Wenn ich Schach spiele, konzentriere ich mich nur auf die Partie und den nächsten Zug. Mich juckt es nicht, ob ich jetzt einen WM-Kampf ausfechte oder das entscheidende Duell meiner Karriere austrage. Ich versuche meine ganze Konzentration in das Spiel zu legen. Mir gelingt das nicht immer, aber von Jahr zu Jahr schaffe ich das besser. Sie müssen vergessen, an das Ergebnis zu denken, sondern sich nur auf das Spiel konzentrieren. Im Laufe meiner Karriere habe ich viele entscheidende Partien gewonnen, weil ich konzentriert war und nicht an das Ergebnis dachte. Meine Gegner dagegen ließen sich verrückt machen. Ich habe dies ein Leben lang befolgt – und werde mich auch von Deep Fritz nicht davon abbringen lassen.

 

Frage: Sie zeigen also genauso wenig Nerven wie die Maschine.

Kramnik (lacht): Genau. Deshalb denke ich nicht an die Ehre der Menschheit. Das wäre eine zu schwere Last für meine Schultern.

 

Frage: Verändern Sie Ihren Stil gegen den Computer?

Kramnik: Gewissermaßen ja. Ich spiele wie immer gegen Figuren, nicht gegen ein Gegenüber. Zumal der Bediener, der die Züge von Fritz ausführt, für eine menschliche Atmosphäre sorgt. Ich muss auch gegen jeden Gegner, wie etwa Topalow bei der WM, etwas anders spielen. Man muss sich anpassen, die Schwächen des Kontrahenten nutzen. Spielte ich stets den gleichen Stiefel, könnten sich meine Gegner ansonsten leicht auf mich vorbereiten. Ich versuche immer etwas Neues, Überraschendes zu finden.

 

Frage: Mit verblüffenden, aber unlogischen Zügen können Sie das Elektronenhirn nicht irritieren.

Kramnik: Schach ist ein durch und durch logisches Spiel. Wenn ich unlogisch spielen würde, würde das heißen: Ich spiele schlecht. Sie müssen einer gewissen Logik folgen. Man kann nur viele kleine Dinge verändern. Auch die Programmierer von Fritz können während des Duells hier und da kleine Einstellungen an Fritz verändern. Ich mache es genauso. Ich werde sicher nicht alle sechs Partien mit der gleichen Strategie angehen.

 

Frage: Besitzt ein Erfolg über die Maschine einen höheren Stellenwert als gegen einen Menschen?

Kramnik: Es ist nicht mehr oder weniger wichtig, sondern anders. Ich wäre natürlich überglücklich, könnte ich die Maschine schlagen – es wäre womöglich das letzte Mal, dass ein Mensch ein Spitzenprogramm bezwingt. In den vergangenen Jahren verliefen solche Begegnungen stets äußerst enttäuschend für die Menschen, die Programme setzten sich problemlos durch. Ich erinnere nur an das 0,5:5,5 von Michael Adams gegen Hydra. Wenn ich gewinne, wäre das ein Traum. Um ehrlich zu sein: Ich glaube nicht, dass das in der Zukunft noch einmal vorkommen wird. Es ist wahrscheinlich die letzte Chance. Deshalb gehe ich sehr motiviert in das Match.

 

Frage: Experten wie Chessbase-Chef Matthias Wüllenweber glauben, dass Ihr Spielstil der beste sei, um eine Maschine zu schlagen.

Kramnik: Dem pflichte ich bei. Bisher fielen meine Ergebnisse gegen Computer sehr viel besser aus als die anderer Spieler. Ich schlug schon Deep Junior in Dortmund, setzte mich in Mainz durch und das Unentschieden gegen Fritz in Bahrain lässt sich auch sehen. Aber der Tag wird kommen, an dem man selbst an seiner obersten Leistungsgrenze nichts mehr gegen den Computer ausrichten kann. Ich hoffe, dass das nicht schon in Bonn der Fall sein wird.

 

Frage: Können sich andere Großmeister Ihre Stärken nicht aneignen?

Kramnik: Manche Dinge kann man nicht trainieren. Jeder bekommt Grenzen von der Natur gesetzt. In einigen Bereichen ist man stark, in anderen begrenzt. Ich habe auch Grenzen. Generell bin ich jedoch ein sehr universeller Spieler. Vielleicht sogar der vollständigste auf der ganzen Welt. Deshalb bin ich womöglich ein schwer ausrechenbarer Kontrahent für Menschen wie Computer. Man kann nicht ahnen, was ich als nächstes tun werde. Das versuche ich auszunutzen.

 

Frage: Worin besteht die größte Dummheit, die ein Mensch gegen die Maschine begehen kann?

Kramnik: Leider gibt es Möglichkeiten zuhauf, Fehler zu machen. Der größte Fehler besteht natürlich darin, sich auf einen taktischen Schlagabtausch einzulassen. Bei nur der geringsten Ungenauigkeit bestraft dich der Computer unerbittlich. Je kürzer die Bedenkzeit, desto fürchterlicher zertrümmert einen dann die Maschine. In Bahrain geriet ich so zweimal unter die Räder.

 

Frage: Die Opferpartie war fantastisch, auch wenn Sie den Kürzeren zogen. Konnten Sie nicht anders?

Kramnik: Das war eine Frage der Selbstachtung. Wenn ich spüre, dass das die beste Fortsetzung ist, muss ich losschlagen und kann nicht ruhig in positionelles Fahrwasser abdriften – obwohl ich natürlich wusste, was das bedeutet.

 

Frage: Gibt es etwas, das Sie von Computern gelernt haben?

Kramnik: Sehr viel. Der Computer ist ein guter Lehrer. Computer haben das Spiel verändert. Sie gewähren einem neue Einsichten in bestimmte Positionen. Wir spielen jetzt völlig anderes Schach als noch vor ein paar Jahren. Bei einigen meiner Trainingspartien auf dem schnellen Rechner, der stärker als mein Laptop ist, war ich von Deep Fritz regelrecht begeistert. Er eröffnete mir erstaunliche Visionen, die mir bisher verschlossen blieben. Das ist wirklich wahr!

 

Frage: Ein Beispiel?

Kramnik: Es gibt bestimmte klassische Partien. Man sieht, wie diese von den alten Meistern behandelt wurden. Wenn der Computer über die Züge drüberläuft, spielt er viel extravaganter und oft sehr stark. Manchmal auch nicht, aber meist doch. Ich bin wirklich beeindruckt. Die Maschine veränderte mein Denken. Ich treffe jetzt in manchen Stellungen andere Entscheidungen. Selbst wenn ich Deep Fritz unterliegen sollte, profitiere ich in späteren Partien davon.

 

Frage: Wie oft haben Sie im Training das Programm geschlagen?

Kramnik: Ich habe nur Schnellpartien gespielt. Da ist es noch schwieriger. Bisher habe ich weniger als zehn Prozent gewonnen. Mir gelangen jedoch sehr viele Unentschieden. Im Schnellschach steht der Mensch schon jetzt vor einer zu hohen Hürde gegen den Computer. Mit normaler Bedenkzeit bleibt die Aufgabe zwar auch schwierig, bietet aber mehr Chancen. Für einen Computer mit seinen zehn Millionen Zügen pro Sekunde spielt die Zeit keine so wesentliche Rolle. Ein Mensch benötigt mehr Zeit, um Varianten zu analysieren. Dennoch erhöhe ich meine Ausbeute zwar langsam, aber sicher!

 

Frage: Wie lange hatten Sie Zeit, Deep Fritz zu studieren?

Kramnik: Leider wegen meines WM-Kampfs mit Topalow nicht so viel Zeit, wie ich mir wünsche. Zwei Monate wären besser als die zwei Wochen.

 

Frage: Mit Großmeister Christopher Lutz, der dem Hydra-Team beistand, und Stefan Meyer-Kahlen, Schöpfer von Rekordweltmeister Shredder, stehen Ihnen zwei Fachleute zur Seite. Können Sie Ihnen helfen?

Kramnik: Auf jeden Fall. Sie tüfteln jeden Tag. Christopher ist einer der besten deutschen Schachspieler und Spezialist im Computer-Bereich. Gleiches gilt für Stefan. Sie gaben mir gute Ratschläge und teilen sich die Arbeit mit mir. Ihre Vorschläge sind interessant, dennoch bleibt für uns viel zu tun.

 

Frage: Sie erhielten eine Version von Deep Fritz zur Vorbereitung. Was darf Chessbase noch daran ändern?

Kramnik: Das Programm muss unverändert bleiben, allerdings nicht die Einstellungen. Ansonsten könnte ich ja leicht Partien vorbereiten. Chessbase darf zum Beispiel Präferenzen für bestimmte Stellungen ändern. Deshalb weiß ich nie, gegen wen ich antrete. Die Maschine ist nie dieselbe.

 

Frage: Sie erwähnten, dass Sie vor allem mit Fritz arbeiten. Rybka von Newcomer Vasik Rajlich gilt als neues Wunderprogramm. Zuletzt gewann Rybka ein Turnier in den Niederlanden mit 9:0 Punkten. Außerdem wird häufig Shredder als positionell agierendes Programm gepriesen. Was halten Sie von denen?

Kramnik: Ich kenne die natürlich, vertraue aber aus den bereits genannten Gründen auf Fritz. Ich hüpfe nicht zwischen den Analysen aller Programme hin und her. Der Mensch ist der Meister, ich will nicht zur Marionette degradiert werden. Ein Programm reicht mir, um mir zu helfen. Das Programm gibt mir Anregungen, läuft eine Minute, schätzt ein, danach setze ich meinen eigenen Kopf ein. Nur so kann man meines Erachtens auf hohem Niveau bleiben. Ansonsten wird man doch verrückt und am Brett auch abhängig von den Eingebungen.

 

Frage: Bonn liegt inmitten einer Region von Bundesliga-Fußballklubs. Schauen Sie sich ein Spiel an?

Kramnik: Wenn es die Zeit erlaubt, gerne. Spielt etwa jemand? In Dortmund war ich schon oft. Die Borussia ist natürlich mein Lieblingsverein in Deutschland, weil mich so viel mit der Stadt verbindet. Mein Manager Carsten Hensel stammt von dort, das Turnier, das ich am häufigsten gewann, siebenmal, findet in Dortmund statt, deshalb bin ich sehr oft da. Und ich halte zum BVB, auch wenn er derzeit eher ein Tief durchlebt.

 

Frage: Ihr Match-Sponsor RAG wirbt auch auf den Trikots von Borussia Dortmund. Unlängst schaltete das Unternehmen Anzeigen nach einem Heimspiel, auf dem die Aussage „Ein Unentschieden gegen Arminia Bielefeld ist gar nicht so schlimm“ zu lesen war. Den Satz sprach die schwindelnde langnasige Holzpuppe Pinocchio aus. Wie würden Sie ein Unentschieden gegen Deep Fritz werten?

Kramnik: Ein 3:3 wäre sehr gut! Ich bin nicht der Favorit. Heutzutage wäre deshalb ein Unentschieden ein Erfolg. Dennoch trage ich die Illusion in meinem Herzen, dass ich vielleicht die Oberhand behalte … Borussia Dortmund bestätigt mich, dass auch der Außenseiter gewinnen kann – wer hätte schon mit dem 3:1-Sieg in Bremen gerechnet?

 

Frage: Und wer hat die längere Märchen-Nase: Pinocchio oder Wesselin Topalow?

Kramnik (prustet): Ein bisschen sehen sie sich ähnlich. Aber lassen wir es, Witze über Topalow zu reißen. Um objektiv zu bleiben: Er scheint mir in anderer Beziehung Ähnlichkeiten mit Pinocchio zu besitzen. Er wirkt wie die Marionette seines Managers. Als 31 Jahre alter Anwärter auf den WM-Thron sollte er gelernt haben, sich selbst zu äußern, darzustellen und eigene Entscheidungen zu treffen. Ich bedauere ihn in gewisser Weise, weil er so infantil ist. Ich fürchte, er ist bedauerlicherweise kein glücklicher Mensch, weil er in diesem Alter noch von anderen beherrscht wird. Ich hoffe, die Zeit kommt, in der er seine Geschicke selbst in die Hand nimmt. Gute Resultate sind nicht alles. Ich besitze nur Achtung vor mir selbst, wenn ich keine Marionette Dritter bin und die Fäden selbst in Händen halte. Aber gut, er ist ein großartiger Schachspieler, was einen gewissen Ersatz darstellt.

 

Schach-Match Bonn 2006

Ohne den Patzer in der zweiten Partie gegen Mathias Feist (links) und sein Programm Deep Fritz hätte Wladimir Kramnik wohl ein 3:3 geschafft.

 

 










Kramnik,V (2750) - DEEP FRITZ [E03]
Mensch - Maschine Bonn (1), 25.11.2006

1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.g3 d5 4.Lg2 dxc4 5.Da4+ Sbd7 6.Dxc4 a6 7.Dd3 c5 8.dxc5 Lxc5 9.Sf3 0-0 10.0-0 De7 11.Sc3 b6 12.Se4 Sxe4 13.Dxe4 Sf6 14.Dh4 Lb7 15.Lg5 Tfd8 16.Lxf6 Dxf6 17.Dxf6 gxf6 18.Tfd1 Kf8 19.Se1 Lxg2 20.Kxg2 f5 21.Txd8+ Txd8 22.Sd3 Ld4 23.Tc1 e5 24.Tc2 Td5 25.Sb4 Tb5 26.Sxa6 Txb2 27.Txb2 Lxb2 28.Sb4 Kg7 29.Sd5 Ld4 30.a4 Lc5 31.h3 f6 32.f3 Kg6 33.e4 h5 34.g4 hxg4 35.hxg4 fxe4 36.fxe4 Kg5 37.Kf3 Kg6 38.Ke2 Kg5 39.Kd3 Lg1 40.Kc4 Lf2 41.Kb5 Kxg4 42.Sxf6+ Kf3 43.Kc6 Lh4 44.Sd7 Kxe4 45.Kxb6 Lf2+ 46.Kc6 Le1 47.Sxe5 1/2-1/2

 

 










DEEP FRITZ - Kramnik,V (2750) [D20]
Mensch - Maschine Bonn (2), 27.11.2006

1.d4 d5 2.c4 dxc4 3.e4 b5 4.a4 c6 5.Sc3 b4 6.Sa2 Sf6 7.e5 Sd5 8.Lxc4 e6 9.Sf3 a5 10.Lg5 Db6 11.Sc1 La6 12.De2 h6 13.Le3 Lxc4 14.Dxc4 Sd7 15.Sb3 Le7 16.Tc1 0-0 17.0-0 Tfc8 18.De2 c5 19.Sfd2 Dc6 20.Dh5 Dxa4 21.Sxc5 Sxc5 22.dxc5 Sxe3 23.fxe3 Lxc5 24.Dxf7+ Kh8 25.Df3 Tf8 26.De4 Dd7 27.Sb3 Lb6 28.Tfd1 Df7 29.Tf1 Da7 30.Txf8+ Txf8 31.Sd4 a4 32.Sxe6 Lxe3+ 33.Kh1 Lxc1 34.Sxf8 De3?? Der Patzer. 35.Dh7# 1-0

 

 










Kramnik,V (2750) - DEEP FRITZ [E03]
Mensch - Maschine Bonn (3), 29.11.2006

1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.g3 d5 4.Lg2 dxc4 5.Da4+ Sbd7 6.Dxc4 a6 7.Dc2 c5 8.Sf3 b6 9.Se5 Sd5 10.Sc3 Lb7 11.Sxd5 Lxd5 12.Lxd5 exd5 13.0-0 Sxe5 14.dxe5 Dc8 15.Td1 De6 16.Dd3 Le7 17.Dxd5 Td8 18.Db3 Txd1+ 19.Dxd1 0-0 20.Db3 c4 21.Dc3 f6 22.b3 Tc8 23.Lb2 b5 24.De3 fxe5 25.bxc4 Txc4 26.Lxe5 h6 27.Td1 Tc2 28.Db3 Dxb3 29.axb3 Txe2 30.Ld6 Lf6 31.Lc5 a5 32.Ld4 Le7 33.Lc3 a4 34.bxa4 bxa4 35.Td7 Lf8 36.Td8 Kf7 37.Ta8 a3 38.Txf8+ Kxf8 39.Lb4+ Kf7 40.Lxa3 Ta2 41.Lc5 g6 42.h4 Kf6 43.Le3 h5 44.Kg2 1/2-1/2

 
 










DEEP FRITZ - Kramnik,V (2750) [C43]
Mensch - Maschine Bonn (4), 01.12.2006

1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 3.d4 Sxe4 4.Ld3 d5 5.Sxe5 Sd7 6.Sxd7 Lxd7 7.0-0 Ld6 8.Dh5 Df6 9.Sc3 Dxd4 10.Sxd5 Lc6 11.Se3 g6 12.Dh3 Sg5 13.Dg4 Df4 14.Dxf4 Lxf4 15.Sc4 Se6 16.Lxf4 Sxf4 17.Tfe1+ Kf8 18.Lf1 Lb5 19.a4 La6 20.b4 Lxc4 21.Lxc4 Td8 22.Te4 Sh5 23.Tae1 Td7 24.h3 Sg7 25.Te5 Sf5 26.Lb5 c6 27.Ld3 Sd6 28.g4 Kg7 29.f4 Thd8 30.Kg2 Sc8 31.a5 Td4 32.T5e4 Kf8 33.Kf3 h6 34.Txd4 Txd4 35.Te4 Td6 36.Ke3 g5 37.Td4 Ke7 38.c4 Txd4 39.Kxd4 gxf4 40.Ke4 Kf6 41.Kxf4 Se7 42.Le4 b6 43.c5 bxc5 44.bxc5 Sg6+ 45.Ke3 Se7 46.Kd4 Ke6 47.Lf3 f5 48.Ld1 Kf6 49.Lc2 fxg4 50.hxg4 Ke6 51.Lb1 Kf6 52.Le4 Ke6 53.Lh1 Kf6 54.Lf3 Ke6 1/2-1/2

 

 










Kramnik,V (2750) - DEEP FRITZ [E51]
Mensch - Maschine Bonn (5), 03.12.2006

1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 d5 4.Sc3 Lb4 5.e3 0-0 6.a3 Lxc3+ 7.bxc3 c5 8.Lb2 Sc6 9.Tc1 Te8 10.Ld3 dxc4 11.Lxc4 e5 12.dxe5 Dxd1+ 13.Txd1 Sxe5 14.Sxe5 Txe5 15.Le2 Ld7 16.c4 Te7 17.h4 Se4 18.h5 La4 19.Td3 b5 20.cxb5 Lxb5 21.Td1 Lxe2 22.Kxe2 Tb8 23.La1 f5 24.Td5 Tb3 25.Txf5 Txa3 26.Tb1 Te8 27.Tf4 Ta2+ 28.Ke1 h6 29.Tg4 g5 30.hxg6 Sxf2 31.Th4 Tf8 32.Kf1 Sh3+ 33.Ke1 Sf2 34.Kf1 Sh3+ 35.Ke1 1/2-1/2

 

 










DEEP FRITZ - Kramnik,V (2750) [B86]
Mensch - Maschine Bonn (6), 05.12.2006

1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.Lc4 e6 7.0-0 Le7 8.Lb3 Dc7 9.Te1 Sc6 10.Te3 0-0 11.Tg3 Kh8 12.Sxc6 bxc6 13.De2 a5 14.Lg5 La6 15.Df3 Tab8 16.Te1 c5 17.Lf4 Db7 18.Lc1 Sg8 19.Sb1 Lf6 20.c3 g6 21.Sa3 Dc6 22.Th3 Lg7 23.Dg3 a4 24.Lc2 Tb6 25.e5 dxe5 26.Txe5 Sf6 27.Dh4 Db7 28.Te1 h5 29.Tf3 Sh7 30.Dxa4 Dc6 31.Dxc6 Txc6 32.La4 Tb6 33.b3 Kg8 34.c4 Td8 35.Sb5 Lb7 36.Tfe3 Lh6 37.Te5 Lxc1 38.Txc1 Tc6 39.Sc3 Tc7 40.Lb5 Sf8 41.Sa4 Tdc8 42.Td1 Kg7 43.Td6 f6 44.Te2 e5 45.Ted2 g5 46.Sb6 Tb8 47.a4 1-0

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