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Anand fehlt die Zeit zum Schreiben

Weltmeister Topalow siegt dank furioser Aufholjagd in Sofia

von FM Hartmut Metz, 27. Mai 2006

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   Beim Superturnier in Sofia hat sich Erstaunliches getan. Nicht dazu zählt die furiose Aufholjagd von Wesselin Topalow. Dass der Bulgare gleich eine ganze Serie von Partien gewinnen kann und so einen zunächst verkorksten Wettbewerb noch rettet, bewies er schon mehrfach. Mit vier Siegen zum Abschluss zog der Weltmeister bei seinem Heimspiel mit 6,5:3,5 Punkten am führenden Gata Kamsky (6:4) vorbei. Der US-Amerikaner war dennoch die positive Überraschung beim Mtel Masters und meldete sich nach seiner achtjährigen Schach-Abstinenz in der Weltspitze zurück.

   Weniger zufrieden kann Viswanathan Anand sein. Der Inder in Diensten des deutschen Meisters OSC Baden-Baden fiel nach einem guten Start mit 5,5:4,5 Zählern auf Rang drei zurück. Zwischenzeitlich hatte der „Tiger von Madras“ seinen Widersacher Topalow in der Weltrangliste rechnerisch überflügelt. Am Ende des Turniers baute jedoch der im spanischen Salamanca lebende Topalow den bis dato minimalen Vorsprung von einem Elo-Punkt auf rund 15 Elo aus. Ein Novum erlebte Anand überdies: Der seit mehr als einem Jahrzehnt überragende Schnellschachspieler der Gegenwart befand sich in der neunten Runde gegen seinen Baden-Badener Mannschaftskameraden Peter Swidler in Zeitnot – und „strichelte“ zum ersten Mal in seiner Karriere. Bei weniger als fünf Minuten Restbedenkzeit muss der Spieler nicht die Züge auf dem Partieformular notieren, sondern kann diese durch Striche ersetzen. Der „schnelle Brüter“ aus Indien schaffte letztlich den 40. Zug bis zur Zeitkontrolle und remisierte gegen Swidler.

   Am Rande des Mtel Masters trafen sich Organisatoren, um mit denen von Sofia eine Art Grand Slam – ähnlich wie im Tennis – auf den Weg zu bringen. Während die Turnierchefs von Linares/Morelia (Spanien/Mexiko) und Wijk aan Zee (Niederlande) die Idee unterstützen, fehlte ein Vertreter aus Dortmund, wo alljährlich der vierte Topwettbewerb über die Bühne geht.

   Nachstehend der zweite Sieg von Topalow über Kamsky, mit dem der Weltmeister in der vorletzten Rückrundenpartie zu dem 31-jährigen Amerikaner aufschloss.

Mit 31 Jahren zurück aus dem Ruhestand

Schillernder Jurist Kamsky stiehlt in Sofia Topalow und Anand die Schlagzeilen

Von Hartmut Metz

Alle Schach-Fans hatten sich auf das Duell zwischen Weltmeister Wesselin Topalow und Exchampion Viswanathan Anand konzentriert. Beim Superturnier in Sofia sollte endlich die Frage geklärt werden, ob derzeit der bulgarische oder der indische Nationalheld die Nummer eins auf dem Globus ist. Doch die gänzlich unerwartete Antwort schien plötzlich Gata Kamsky zu lauten. Der Amerikaner beherrschte bis zur vorletzten Runde das sechsköpfige Feld, obwohl ihm noch eine achtjährige Schach-Pause in den Gehirnwindungen steckt. Diese nutzte Topalow, um den 31-jährigen Rückkehrer zu stoppen und das Turnier mit 6,5:3,5 Punkten knapp vor dem US-Amerikaner (6:4) zu gewinnen.

Kamsky war mit drei Siegen und einem Remis fulminant in die Vorrunde gestartet. „Sein Spiel zeigt, dass es keinen Klassenunterschied zwischen ihm und den anderen Top-Großmeistern gibt“, konstatierte Artur Jussupow. Der deutsche Nationalspieler erkannte jedoch auch ein Manko, bevor der Außenseiter erneut gegen Topalow fehlgriff: „Er weist Eröffnungsdefizite auf.“ Im zweiten Duell mit dem Weltmeister hatte Kamsky die Eröffnungszüge vertauscht und ging deshalb in nur 29 Zügen unter. Das Repertoire des einstigen Wunderkindes befindet sich noch auf dem Stand von 1996. Damals hatte sein Vater Rustam nach dem verlorenen WM-Finale gegen Anatoli Karpow beschlossen, dass eine Karriere als Rechtsanwalt in den Staaten einträglicher sei und deshalb sein Filius umzusatteln habe. Fortan studierte der 22-Jährige genauso hartnäckig Jura, wie er zuvor Schach gepaukt hatte.

Das abrupte Ende sorgte für genauso viel Aufsehen wie schon die gesamte junge Karriere. Mit zwei konnte Klein-Gata angeblich bereits lesen, mit vier rechnen und mit sechs schwierige Klavierstücke ohne Ansicht der Noten spielen. Mit acht lernte der Enkel von Gata Sabirow, dem Begründer des tatarischen dramatischen Theaters, Schach kennen. Dank der spartanischen Erziehung durch Rustam Kamsky, der sich als renommierter Boxer auch abseits des Rings als schlagkräftig erwies, gewann das Ausnahmetalent bereits mit zwölf und 13 Jahren die U20-Meisterschaft der UdSSR. In die internationalen Schlagzeilen geriet die Familie 1989. Ein Turnier in New York nutzten die Kamskys zur Flucht. Boxer Rustam befand, dass sein 15-jähriger Sohn in der Sowjetunion behindert werde und er den WM-Titel gegen die arrivierten Partei-Bonzen nur im freien Westen erobern könne. Nach der Schlappe im WM-Finale gegen Karpow wurde dieser Traum begraben. 1999 kehrte Gata Kamsky für wenige Züge zurück, um bei der WM in Las Vegas einen ihm offerierten Freiplatz zu besetzen und ein paar tausend Dollar für das frühe Aus einzustreichen.

Mittlerweile hat Gata Kamsky eine eigene Familie gegründet und lässt sich vom Vater nicht mehr hineinreden. So feierte er vor eineinhalb Jahren ein mühsames Comeback bei Open-Turnieren. „Manchmal spiele ich gut, manchmal schlecht. Hier rettete ich mich aus einer passiven Eröffnungsstellung heraus gegen Ruslan Ponomarjow. Nach diesem Start lief es“, begründet Kamsky seinen zweiten Platz. Inzwischen ist der Tatare wieder die Nummer eins der USA und reiste von Sofia gleich weiter zur Schach-Olympiade, die am Sonntag in Turin begann. Der von Rang drei enttäuschte Anand (5,5:4,5) eilte seinem ohne ihn patzenden indischen Team ebenso zur Hilfe wie die hinter ihm liegenden Peter Swidler (Russland/5:5) und Schlusslicht Etienne Bacrot. Vor den Franzosen hatte sich der Ukrainer Ponomarjow (beide 3,5:6,5) geschoben, der ebenso wie Topalow auf die Olympiade verzichtet.

Der bulgarische Sportler des Jahres sonnt sich lieber im Erfolg in seinem Heimatland. Nach sechs Runden schien der 31-Jährige mit 2,5:3,5 Punkten abgeschlagen. Doch dann kam Topalow in Schwung, und der Großmeister mit dem Kampfnamen „Der Bulldozer“ überrollte nach seinem glücklichen Sieg über Ponomarjow auch Anand, Kamsky und Bacrot. Dank des fulminanten Endspurts mit vier Siegen durfte der Weltmeister die Siegertrophäe aus den Händen von Staatspräsident Georgi Parwanow entgegennehmen. „Mit meinem Ergebnis bin ich natürlich zufrieden – nicht aber mit der Qualität meiner Partien“, urteilte Topalow. Die Qualität reichte jedoch immerhin, um in der Weltrangliste Anand zu zeigen, wer momentan auf Platz eins gehört.










Topalow,Wesselin (2804) - Kamsky,Gata (2671) [D15]
Mtel Masters Sofia BUL (5), 15.05.2006

1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 Sf6 4.Sc3 a6 5.c5!? Zusammen mit seinem Ersatzsekundanten, dem Georgier Baadur Jobawa, bereitete Topalow diesen Zug vor. Er nimmt den Bauerntausch auf c4 aus der Stellung und schränkt die Möglichkeiten zu schwarzem b5 ein. Nachteil des Zuges: Der Druck auf das Zentrum und d5 wird aufgegeben. 5...Sbd7 6.Lf4 Sh5 Schwarz muss verhindern, dass sich der Läufer auf der Diagonale h2-b8 ansiedelt, da ansonsten der befreiende Vorstoß e5 nahezu unmöglich gemacht wird. 7.Ld2 [7.Lg5 h6 8.Ld2 Shf6 geschah zwischen Topalow und Garri Kasparow 2004 in Linares.] 7...Shf6 8.Tc1 [In Partien zuvor hatte Topalow zweimal 8.Dc2 versucht.] 8...g6 9.h3 Dc7 10.g3 10...Lg7!?N Dieser neue Zug kam für Topalow "unerwartet". [10...e5 11.Sxe5 Sxe5 12.Lf4!? Sfd7 13.e4 g5 14.Lxg5 Sg6 15.exd5© spielte Topalow rund zwei Monate zuvor in Monaco mit Schwarz gegen Francisco Vallejo Pons.] 11.Lf4 Dd8 12.Lg2 Sh5 13.Lg5 h6 14.Ld2 0-0 15.e4 dxe4 16.Sxe4 Shf6 [16...Sdf6!? betrachtete Kamsky nach der Partie als gute Alternative: 17.Sc3 Sd5 und Schwarz steht nicht viel schlechter.] 17.Sc3 Te8 18.0-0 Sf8 Das geißelte Topalow als "passiv". [Kamsky missfiel 18...e5 19.dxe5 Sxe5 20.Sxe5 Txe5 21.Sa4 Td5! 22.Lxd5 Sxd5~~ Allerdings konnte sich auch Weiß nicht für diese Stellung erwärmen, weshalb Topalow 19.Le3 gezogen hätte, anstatt auf e5 zu nehmen.] 19.Db3 Wegen des rückständigen Bauern auf b7 steht Schwarz nun klar schlechter. 19...Se6 20.Le3 Sc7 21.Se5 Sfd5 22.Sxd5 Sxd5 23.Ld2 Die Motive wiederholen sich: Schwarz hoppelt mit seinen Springern umher, und Weiß bewahrt sich seinen Läufer mit dem erneuten Rückzug nach d2. 23...Lxe5?! [23...Dc7 wirkt stärker, um endlich die Entwicklung des Läufers auf c8 in Angriff zu nehmen.] 24.dxe5 h5 25.Tfe1 Dc7 26.e6! Der Nachziehende gedachte seine Entwicklung mit Le6 abzuschließen und eine haltbare Stellung zu erreichen. Das verhinderte Topalow radikal! 26...Lxe6 27.Txe6! fxe6 28.Te1 Dd7 29.Dd3 Topalow befand in der Analyse, ein Mensch könne die schwarze Position nur schwer verteidigen. Bei einem Computer war er sich nicht sicher. Der König auf g8 steht gefährdet, und die eigenen Figuren können ihn kaum auf den geschwächten weißen wie schwarzen Feldern unterstützen. 29...Kh7 30.Te5 Sf6 31.De3 Kg7 32.Le4! Damit blicken alle weißen Figuren auf den Königsflügel. 32...Kf7 [32...Sxe4 verliert: 33.Dh6+ Kf7 34.Txe4 e5 35.Dh7+ Kf6 (35...Ke6 36.Dxg6+ Kd5 37.Te1 Kxc5 38.Le3+ Kb5 39.a4+ Kb4 40.De4+ Kb3 41.Tc1 ) 36.Lc3 Dd1+ 37.Kh2 Dd5 38.Txe5 Dxe5 39.Lxe5+ Kxe5 40.Dxg6 ] 33.Lc2 Tad8 34.Dh6 [Oder gleich 34.La5 ] 34...Tg8 35.La5+/- Dd4? [35...Tdf8 36.Tg5 Ke8 37.Lxg6+ Txg6 38.Dxg6+ Tf7 39.Dc2 e5 bietet noch Verteidigungschancen, auch wenn der weiße Vorteil deutlich ausfällt.] 36.Lc3!+- Dadurch fällt Kamskys Stellung zusammen wie ein Kartenhaus. 36...Dc4 [36...Dd7 37.Tg5 und auf g6 folgt der tödliche Einschlag.] 37.Lb3 Dd3 38.Lxe6+ Ke8 39.Kg2 Tf8 40.Dg7 Td5 41.Lf5 Tf7 42.Txe7+! [42.Txe7+ Kamsky gab auf wegen 42...Kxe7 43.Lxf6+ Ke8 44.Dg8+ Tf8 45.De6# Ein schönes Mattbild, bei dem der Obsiegende zwei Qualitäten weniger hat, die Läufer jedoch dominieren.] 1-0

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