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Menschen nur Figuren im großen Spiel

Das Musical Chess ein großer Erfolg

von Hartmut Metz und Markus Mack, Februar 2000

mehr Schachtexte von Hartmut Metz


   Menschliche Schicksale, mitreißende Musik, ein blendend spielendes Ensemble, präzise agierendes Orchester, schöne Kostüme - das sind die Zutaten für ein Erfolgsmusical. Wenn dieses noch geistiges Kind der beiden ABBA- Musiker Benny Andersson und Björn Ulvaeus ist und die Texte vom Erfolgsautor Tim Rice ("Evita", "Jesus Christ Superstar") stammen, so verwundert es nicht, dass das Musiktheater um das Spiel auf den schwarzen und weißen Feldern bereits seit seiner Uraufführung am 5. Mai 1986 in London das Publikum begeistert. Nur eine speziell auf den amerikanischen Markt abgestimmte Version fiel bis dato bei den Zuschauern in den USA durch. Am 5. Februar garantierte jedoch die Londoner Variante im Baden- Badener Kurhaus den gewohnten Erfolg: Das Publikum feierte mit stehenden Ovationen die deutsche Erstaufführung von "Chess", verdienter Lohn für die Akteure auf der Bühne, im Orchestergraben und hinter den Kulissen für eine gelungene Show.

   Die Geschichte um die beiden Schach-Größen Anatoly Sergievsky (Bruno Grassini beeindruckte mit ausdrucksstarker Stimme) und den Amerikaner Frederick Trumper (Matthias Pagani) beinhaltete alles, was ein Musical zum Erfolgsmusical macht. Pagani nahm man in seiner Rolle den egozentrischen Amerikaner, verbissen nach Erfolg suchend und diesen verteidigen wollend, hundertprozentig ab. Auch die innere Zerrissenheit beider männlicher Hauptdarsteller wurde perfekt in Musik und Dramaturgie umgesetzt. Besonders dann, wenn mit Florence Vassy die weibliche Hauptrolle ins Spiel kam, glänzend interpretiert durch Marion Musiol. Auch sie beeindruckte mit klarer und sicherer Stimme.

   Schach mehr als Kampf zwischen West und Ost mit Intrigenspiel und Ränke schmieden im Hintergrund, in "Chess" sind alle Elemente vertreten. Der historisch bewanderte Schachfreund erkennt in den Figuren eine Melange aus mehreren ehemaligen WM-Anwärtern. Frederick Trumper erinnert vor allem an Bobby Fischer, der die Gegner beschimpft und wie anno 1972 im Match gegen Boris Spasski mit einer Absage des Wettkampfs gegen Sergievsky droht. Inzwischen dürfte man einige Allüren auch Garri Kasparow - damals bei Beginn der Original-Produktion 1984 aber kaum Vorbild - zuschreiben. Irgendwie tröstlich, dass der anfängliche Unsymphat Trumper wenigstens im Musical den WM-Titel am Brett verliert. Ebenso famos wie Pagani Trumper mimt, agiert Bruno Grassini als Sergievsky. Dieser verkörpert eine Mischung aus Anatoli Karpow - wobei allerdings auch später der schachlich uninspirierte Leonid Viigand an den treuen sowjetischen Parteisoldaten erinnert - und Viktor Kortschnoi. Vor allem dessen Flucht aus der Heimat und das Zurücklassen der Familie zu Gunsten eines fairen Titelkampfs und einer neuen Geliebten fußt auf realen Begebenheiten. Wie bei Trumper endet das Schicksal von Sergievsky anders als bei seinem Haupt-Vorbild Kortschnoi: Rückkehr in die Sowjetunion, aber als Weltmeister. Wer hätte diesen Titel dem 68-jährigen Kämpfer nicht auch im Leben gegönnt?

   Musikalische Höhepunkte der Produktion sind vor allem die Duette Grassini/Musiol, die Nerv und Ohr der Zuhörer trafen. Sehr hübsch hört sich auch im ersten Akt "Merano" vor dem WM-Kampf in Südtirol an. Herausragend wirkte vor allem der Tanz der sowjetischen Delegation auf den Tischen und deren schmetternden Gesangseinlagen. Überhaupt: Die Musik geht ins Ohr, kein Wunder, stammt sie doch aus einer Hitfabrik. ABBA-Anklänge waren unüberhörbar und garantieren den Erfolg des Stückes.

 Allein der bekannteste Hit enttäuschte den Zuhörer, fand er bis dato Gefallen an der Produktion von Mariah Carey: "One Night in Bangkok" eroberte in den 80ern die Hitparaden im Sturm.

  Drei Millionen Scheiben wurden davon verkauft, das Lied fand sich unter anderem in Deutschland und Österreich auf Platz eins der Charts. "I know him so well" gelang überdies der Sprung auf den Platz an der Sonne in Großbritannien. Jedenfalls ließ der sowjetische Delegations- Leiter Alexander Molokow (ansonsten gut dargestellt von Bernard Szyc) Stimmgewalt und die Musik Opulenz im Vergleich zum Nr.-1-Hit vermissen.

   Die deutsche Erstaufführung in der Schachstadt Baden-Baden zu produzieren, erwies sich als geglückter Zug. Die Reaktion des Publikums, das längst nicht nur aus Schach-Experten bestand, war deutlich. Wenn auch die Mischung aus englisch-sprachigen Liedtexten und dem gesprochenen Wort auf Deutsch bei so manchem Zuschauer für Verwirrung sorgte. Einen deutschen Textanteil von vielleicht zehn bis 15 Prozent erboste den ein oder anderen Besucher, ließ doch die vollmundige Ankündigung der deutsch-sprachigen Premiere eine andere Relation erwarten.

   „One night in Bangkok", entgegnet der Salzburger Konzertverantalter Schlote, "wäre auf Deutsch eine Lachnummer." Polnisch muss deshalb wohl eine eingängigere Sprache sein, setzte das Musicaltheater Gdynia "Chess" doch komplett um ... Mancher Song-Inhalt ging so vermutlich beim Laien unter, dem eine durchgängige deutsche Sprache bei der Verständlichkeit des Stückes erheblich geholfen hätte. Dies gilt einzig nicht bei der musikalischen Aneinanderreihung der Namen der Weltmeister von Steinitz, Lasker, Capablanca ..., die im zweiten Akt ein kleines Schmankerl für die Kenner darstellt. Dennoch: Das blendend agierende Ensemble des Musicaltheaters Gdynia verstand es, das Publikum zu fesseln.

   Gesangliches Können, mitreißende Musik, herrliche Kostüme, das dem Schachbrett nachempfundene Bühnenbild, gelungene Tanzszenen und die Dramatik des Stückes um die menschlichen Schicksale der Hauptdarsteller fügten sich zu einem beeindruckenden Gesamtbild zusammen. Wenn auch die Hauptdarsteller am Schluss des Musicals erkennen mussten, nur Figuren im großen Spiel zu sein, das von anderen im Hintergrund gelenkt wird. Nicht um das königliche Spiel geht es, sondern um Macht und den Einfluss - und diese werden eben von anderen abseits der 64 Felder ausgeübt. Die Rechte an "Chess" erwarb die Konzertagentur Schlote von der inzwischen maroden Hamburger Stella AG, die zu Hochzeiten die deutsche Musical-Szene beherrscht hatte. Ein "kleines Juwel" nennt Joachim Schlote "Chess".

   Da die Kosten aber doch zu hoch seien, schlug der Salzburger den Weg einer Koproduktion mit dem Musicaltheater Gdynia ein, das ihn bereits bei "Evita" begeistert hatte. "Die Koproduktion gibt dem Theater die Möglichkeit, mehr in die Produktion zu investieren, als das eigene Budget zulässt. Außerdem kann man so zugleich auf Tournee mehr technischen Aufwand finanzieren", meint der Veranstalter mit Blick auf die 18 in der Technik tätigen Personen sowie die über 300 Kostüme, die von Ort zu Ort zu transportieren sind. In 41 meist kleineren Städten in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg gastiert "Chess" bis 24. März (Termine siehe unten).

   Für Frühjahr 2001 plant Schlote eine weitere Tournee. Nach dem grandiosen Erfolg in Baden-Baden, wo das Musical an beiden Tagen ausverkauft war und die jeweils 1.000 Zuschauer mit stehenden Ovationen eine Zugabe erklatschten, will die Kurstadt erneut Vorreiter sein. "Im nächsten Jahr soll "Chess" eine ganze Woche in Baden-Baden gastieren", erklärte Joachim Heiermann, Chef der Festival GmbH und zudem zweiter Vorsitzender des Karpow-Schachzentrums.

 

Die weiteren Tourneedaten im Februar: 18. Itzehoe (Theater), 19. Syke (Theater an der La-Chartre-Str.), 20. Lingen (Theater an der Wilhelmshöhe), 22. Selb (Rosenthal-Theater), 24. Olpe (Stadthalle), 25. Balingen (Stadthalle), 26. CH-Luzern (Kultur- und Kongresshaus), 27. CH-Chur (Stadttheater), 29. Dinslaken (Stadthalle).

Im März: 1. Remscheid (Theater), 3. Iserlohn (Parktheater), 4. Hameln (Theater Hameln), 5. Diepholz (Theater an der berufsbezogenen Schule), 8. Lüdenscheid (Kulturhaus), 9. Rheine (Stadthalle), 10. Düren (Theater), 11. Marl (Theater), 12. Lünen (Heinz-Hilpert-Theater), 13. Korbach (Stadthalle), 14. L-Esch (Theatre Municipal), 15. Neunkirchen (Bürgerhaus), 16. Merzig (Stadthalle), 17. Worms (Städtisches Spiel- und Festhaus), 18. Pirmasens (Festhalle), 19. Langenfeld (Stadthalle), 20. L-Esch (Theatre Municipal), 21. Hanau (Stadthalle), 22. Pfullendorf (Stadthalle), 23. Singen (Kunsthalle), 24. CH-Olten (Stadttheater).

 

   Die entscheidende Partie gewinnt Sergievsky gegen Viigand, weil der geläuterte Trumper aus "Liebe zum Schach" seinem einstigen Rivalen einen Fehler im Varianten-Repertoire des Herausforderers aufzeigt. Der dazu ersonnene schachliche Höhepunkt - Großmeister Raymond Keene und der Internationale Meister William Hartston (unter anderem durch den Bestseller "Wie man beim Schach bescheißt" und ein Werk über die Entstehung von "Chess" bekannt) wirkten einst als Berater für das Musical - endet mit einer genialen neunzügigen Mattkombination, bei der Weiß Dame, Turm, Läufer und Springer opfert! Dass in Baden-Baden Sergievsky im Wettkampf gegen Trumper zweimal hintereinander die weißen Steine führte, dann aber in der nachstehenden Partie gegen Viigand fälschlicherweise auf der schwarzen Seite saß, mag man nachsehen. Eher mit einem Schmunzeln hatte der Turnierspieler zuvor auch das mühselige Abstellen der Figuren auf einer Ablage unter dem Tisch zur Kenntnis genommen ...

 

Sergievsky,A - Viigand,L
Musical "Chess", Entscheidungspartie
 

1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.f3 0-0 6.Lg5 c6 7.Ld3 a6 8.Sge2 Sbd7 9.Dd2 e5 10.d5 cxd5 11.Sxd5 Sc5 12.0-0-0 b5 13.cxb5 axb5 14.Kb1 Tb8 15.Sb4 Tb7 16.Tc1 Se6 17.Lh6 Sd7 18.h4 Sdc5 19.Sc3 Ld7 20.Le2 Da5 21.Sbd5 b4 22.Se7+ Kh8 23.Lxg7+ Kxg7 24.Scd5 Lb5 25.h5 Ta7








26.Dh6+ Kxh6 27.hxg6+ Kg5 28.Th5+ Kxh5 29.f4+ Lxe2 30.Sf6+ Kh6 31.Th1+ Kg7 32.Se8+ Txe8 33.Txh7+ Kf6 34.Txf7# 1-0


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