Der Schönheit ins gewetzte Messer laufenRochade-Spitzenspielerin Alisa Maric ist in Bühlertal favorisiertvon Hartmut Metz |
An welchem Brett spielt Alisa Maric?", fragte ein gerade im Turniersaal eingetroffener Journalist. "Sie werden sie leicht finden: Gehen Sie zu dem Brett, um das die meisten Männer herumstehen", lautete die Antwort. Solcherlei Mythen (wie der soeben erwähnte im Buch "Schach - Das Lexikon") ranken sich häufig um die "dunkelhaarige Schönheit aus Belgrad". Sie entlocken der Großmeisterin ein Schmunzeln. Dementiert hat Alisa Maric allerdings auch schon viele solcher Geschichtchen um ihr Aussehen. Zum Beispiel das, dass sie mehrfach bei der Schach- Olympiade zur "Miss Olympia" gewählt worden sei. Männer-Fantasien bei einem Sport, der unter dem niedrigen Frauenanteil leidet. Beim Deutschen Schachbund ist nur jede 15. eine Dame - hierbei natürlich die zwei auf den 64 Feldern ausgenommen.
Alisa Maric
Zwar brachten Alisa Maric ihr Aussehen auch schon TV-Verträge in Jugoslawien ein, aber eigentlich möchte die 30-Jährige mehr durch ihre starken Züge auffallen. Bis Samstag in Bühlertal beim internationalen Schwarzwald-Damen-Schachturnier, bei dem neun erstklassige Spielerinnen der Topfavoritin Rang eins streitig machen wollen. Nach vier der neun Runden führt die Belgraderin mit den Großmeisterinnen Zoja Leltschuk (Ukraine) und Joanna Dworakowska (Polen), die ebenfalls drei Punkte aufweisen und "eigentlich besser sind als ihre derzeitigen Weltranglistenplätze". Alisa Maric selbst steht derzeit auf Position 16. Ihr schlechtester Platz seit einem Jahrzehnt. "Ich will zurück in die Top Ten", gibt sie als Ziel aus und muss folglich in Bühlertal mindestens 6,5:2,5 Punkte holen, um ihre 2463 Elo-Weltranglistenzahl zu steigern.
Bereits mit drei Jahren erlernte Alisa Maric das königliche Spiel vom Herrn Papa. Mit 16 war sie bereits jugoslawische Frauen-Meisterin. Dabei immer einen Schritt ihrer Zwillingsschwester Mirjana voraus. "Ich kam 21 Minuten früher auf die Welt", berichtet Maric die Ältere. Zur Schach- Großmeisterin brachte es auch die gänzlich anders aussehende Mirjana. Ein besonderer Erfolg wie die Qualifikation für das Kandidaten-Finale der Damen blieb der "kleinen" Schwester allerdings verwehrt. Auf der letzten Stufe vor dem WM-Kampf scheiterte jedoch auch Alisa Maric 1991 an Xie Jun. Anschließend nutzte die Chinesin die Chance und entthronte Weltmeisterin Maja Tschiburdanidse (Georgien). Herrschen in der Weltspitze der Herren zig Rivalitäten, trauert Alisa Maric der vertanen Weltmeisterschaft nicht nach. "Ich gönne Xie Jun den WM-Titel. Sie ist eine äußerst nette Frau", äußert die Unterlegene.
Alisa Maric kann glänzende Partien hinlegen - doch letztlich fehlt der Spitzenspielerin von Oberligist Rochade Kuppenheim der entscheidende Biss. Auch wenn sie in Jugoslawien als einziger "seriöser und gut trainierter Profi" gilt, die Großmeisterin genießt bevorzugt die schönen Seiten des Lebens wie viele Reisen, anstatt emsig zu üben. Tag für Tag neueste Eröffnungen zu pauken, ist ihre Sache nicht. Da trieb sie sogar lieber noch nebenher ihr Studium der Wirtschafts-Wissenschaften voran. Nach dem soeben geschafften erfolgreichen Abschluss gibt sich Alisa Maric indes keiner Illusion hin, eine geregelte Tätigkeit zu finden - obwohl die Vize-Europameisterin von 1999 in Jugoslawien sehr populär ist und Mannschafts-Sportlerin des Jahres wurde. "Die wirtschaftliche Lage bleibt nach dem Krieg katastrophal. Es gibt kaum Arbeit."
Das gilt auch auf dem Brett. Reine Damen-Turniere sind selten. In Deutschland werden in diesem Jahr nur zwei hochkarätige organisiert. Neben jenem des Badischen Schachverbandes (BSV) in Bühlertal eines in Dresden. Am einträglichsten gestalten sich für die gebürtige New Yorkerin somit Mannschafts-Wettkämpfe. Jedes Unternehmen in Jugoslawien, das etwas auf sich hält, leistet sich ein Firmenteam. Im Europacup sind die Serben meist ganz vorne zu finden. Um wenigstens alle fünf, sechs Wochen im Wettbewerb zu stehen, misst sich Alisa Maric häufig mit Männern in offenen Turnieren. Kein leichtes Unterfangen, lassen sich die Klötzchenschieber auf der gegenüberliegenden Seite schließlich nicht alle durch das bloße Aussehen der Weltklassespielerin blenden. Manch einer rennt aber doch verträumt in das scharfsinnig gewetzte Messer.