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Statistik spricht für Kasparow

Übersicht über die sechs Höhepunkte bei den Frankfurt Chess Classic

von Hartmut Metz

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   Ein Höhepunkt jagt den anderen bei den Frankfurt Chess Classic (FCC) vom 16. bis 25. Juni. Einmalig ist bereits die Besetzung mit der gesamten Weltelite. Die zehn besten Schachspieler der Erde geben sich in der Mainmetropole und in Bad Soden ein Stelldichein. Im Blickpunkt steht dabei besonders das Fujitsu Siemens Giants. Die Top 6, Garri Kasparow (Russland), Viswanathan Anand (Indien), Wladimir Kramnik (Russland), Alexej Schirow (Spanien), Alexander Morosewitsch (Russland) und Peter Leko (Ungarn) messen sich an den vier letzten Tagen der FCC in Schnellschach-Partien mit 25 Minuten Bedenkzeit. Der doppelrundige Wettbewerb findet heuer im Taunus-Tagungszentrum (Treff Parkhotel, Königsteinerstr. 88) in Bad Soden statt, nachdem im Vorjahr die Ballsporthalle nicht das gewünschte Ambiente liefern konnte. Spielbeginn ist am 22. und 24. Juni jeweils 19 Uhr, am 23. und 25. Juni 18 Uhr.

   Die sechs Teilnehmer halten sich mit Prognosen zurück. Jeder der sechs Großmeister besitzt schließlich die Klasse, die faktische Schnellschach-Weltmeisterschaft zu gewinnen. Schirow siegte 1996 in Frankfurt, die zwei Jahre danach verließ Anand als Sieger das Fujitsu Siemens Giants und im Vorjahr legte sich Kasparow (7,5:4,5 Punkte) nach seinem enttäuschenden dritten Platz 1998 mächtig ins Zeug und setzte sich deutlich vor Anand und Kramnik (beide 6:6) und Anatoli Karpow (4,5:7,5) durch. Leko konnte seine Giants-Tauglichkeit immerhin durch Platz zwei im Masters 1999 - knapp hinter Fritz on Primergy - beweisen. Einzig Morosewitsch blieb bisher im Schnellschach den Beweis schuldig, mit den Großen mithalten zu können. Seine Bilanz ist mit 0,5:5,5 (siehe unten) deutlich negativ. Indes haben sechs Partien noch keine allzu gewaltige Aussagekraft, zumal der zweitjüngste Akteur im Feld noch entwicklungsfähig ist. Mit seinem einfallsreichen Spielstil gilt der 22-Jährige als belebendes Element. Sollte Morosewitsch seine im Vorjahr im Masters offenbarten Zeitprobleme in den Griff bekommen - was gegen Ende des Wettbewerbs der Fall war -, ist der Russe für eine Überraschung gut.

   „Anand, Kasparow und Kramnik" favorisiert FCC-Organisator Hans-Walter Schmitt, der aber zudem betont: "Tagesform und Siegeswillen werden entscheiden." Die Statistik der 31 bedeutendsten Schnellschach-Turniere seit 1991 gibt fast ähnliche Fingerzeige. Als einziger Teilnehmer besitzt Kasparow mit 28,5:21,5 Punkten eine deutlich positive Bilanz gegen seine Rivalen. Der Weltranglistenerste steht überdies gegen keinen der Herausforderer im Soll. Allerdings spielte der Frankfurter Titelverteidiger aber auch noch nie gegen Leko und Schirow Schnellschach. Letzterer wird besonders motiviert gegen ihn antreten, nachdem der Wahl-Spanier sich um ein WM-Match betrogen fühlt. Schirows Score von 11:9 gegen die Elite kann sich überdies sehen lassen. Rechnerisch schlechter liegen da Anand (30:30) und Kramnik (28.5:32,5), der wiederum jedoch gegen seinen WM-Gegner im Oktober, Kasparow, nur minimal im Rückstand (11,5:12,5) liegt. Zusätzlichen Reiz bekommt das Fujitsu Siemens Giants durch gleich fünf Premieren: Neben den erstmaligen Vergleichen von Leko und Schirow mit Kasparow haben auch noch nie die Trainingspartner Anand und Leko sowie Morosewitsch mit Kramnik und Schirow eine Schnellschach-Partie bestritten. Gab es beim Turnier in Linares mit Kasparow und Kramnik zwei Sieger, betont Schmitt, dass in Frankfurt das "schwarze Jackett" nur an einen, den "Schnellschach-Weltmeister", gehe. Im Zweifelsfall wird also bis zur Entscheidung gestochen.

   Nicht nur bei der Frankfurter Eintracht bewies Felix Magath ein glückliches Händchen. Der Trainer, der nach dem Klassenerhalt mit Fußball-Bundesligist Eintracht Frankfurt in Hessen enorme Popularität genießt, sorgte in der ersten Runde gleich für die Schlager-Paarung: Die WM-Gegner Kasparow und Kramnik prallen im Fujitsu Siemens Giants aufeinander. Bei der Auslosung half Felix Magath gerne. Der unkomplizierte Bundesliga-Trainer und Torschütze des legendären Hamburger Europapokal-Sieges 1983 (1:0 im Duell der Landesmeister gegen Juventus Turin) trug eine Beratungspartie aus, bei der jede geschlagene Figur den Teilnehmern eine Startnummer zuordnete. Zusammen mit dem Wiesbadener Großmeister Eric Lobron trotzte er der deutschen Nummer eins, Artur Jussupow (Solingen), und FCC-Organisator Hans-Walter Schmitt. Nach 26 Zügen einigten sich beide Seiten auf ein Remis, weil der Bauernvorteil von Magath und Lobron nicht zu verwerten war. "Schach ist der zweitschönste Sport nach Fußball", erklärte der 43-fache Nationalspieler, der jedem seiner Kicker empfiehlt, "unbedingt Schach zu spielen, um besser die Strategie des Fußballs zu verstehen." Als Jussupow und Schmitt einen unbeweglichen Bauern aufs Brett bekamen, kommentierte der Analogien zwischen den beiden Sportarten schätzende Magath: "Unbewegliche Spieler sind immer schlecht!"

   Der Hobby-Schachspieler, der 1977 kurzzeitig Mitglied beim Hamburger SK war und 1985 in einem Simultan gegen Kasparow unterlag, hätte gerne in Frankfurt die Revanche versucht. Doch bei der Vorstellung der Nummer eins am 19. Juni weilt der Bundesliga-Coach noch in Urlaub. Zu den Tagen des Fujitsu Siemens Giants ist der 46-Jährige jedoch wieder zurück und will sich das Turnier im Taunus-Tagungszentrum anschauen. Magath zeigte sich überdies so von der Veranstaltung mit den Top Ten angetan ("Ich bin begeistert, was hier auf die Beine gestellt wird!"), dass er spontan nach der Auslosung beim SC Frankfurt-West als Mitglied eintrat. Schmitt könnte sich dafür im Gegenzug vorstellen, den vakanten Managerposten bei Eintracht Frankfurt zu übernehmen. Der hochrangige Manager bei Fujitsu Siemens sieht in der Bankenstadt ähnliches Potenzial für den Fußball-Bundesligisten wie mit den Frankfurt Chess Classic, die durch Schmitt binnen sieben Jahren zum Topevent mit einem Etat von rund 850.000 Mark wuchsen.

   Die erste Pressekonferenz war dank Magath ein großer Erfolg. "Ich bin stolz, in solch einem Rahmen mit an einem Tisch sitzen zu dürfen", zeigte der Star Bescheidenheit statt Allüren. Als kleinen Dank für sein wertvolles Engagement für die FCC erhielt Magath ein Schachprogramm Fritz und das Turnierbuch über die FCC 1999. Nachstehend die Beratungspartie, bei der jede geschlagene Figur den Teilnehmern eine Startziffer zuordnete:

Magath / Lobron - Jussupow / Schmitt

[C42] Russisch

1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 3.Sc3 Lb4 4.Lb5 Lxc3 5.dxc3 0-0 6.0-0 Sxe4 7.Sxe5 d6 8.Sf3 Sc6 9.Te1 Lf5 10.Lxc6 bxc6 11.Sd4 Dd7 12.f3 Sc5 13.Le3 Tfe8 14.Dd2 Lg6 15.Te2 Se6 16.Tae1 Sxd4 17.cxd4 f6 18.Lf2 Txe2 19.Txe2 Te8 20.Txe8+ Dxe8 21.c4 d5 22.c5 Db8 23.Lg3 a6 24.b3 Db5 25.Lxc7 Dd3 26.Dxd3 Lxd3 Remis.

Die Bilanzen

Spieler Kasparow Anand Kramnik Schirow Morosewitsch Leko Gesamt
Kasparow

xxxx

14-10

12,5-11,5

-

2-0

-

28,5-21,5
Anand

10-14

xxxx

14-11

4-4

2-1

-

30-30
Kramnik

11,5-12,5

11-14

xxxx

5-5

-

1-1

28,5-32,5
Schirow

-

4-4

5-5

xxxx

-

2-0

11-9
Morosewitsch

0-2

1-2

-

-

xxxx

0,5-1,5

0,5-5,5
Leko

-

-

1-1

0-2

1,5-0,5

xxxx

2,5-3,5

Basis: die 31 bedeutendsten Schnellschach-Turniere 1991-2000

Ehrgeizige Ziele mit Fritz on Primergy

   Eine besondere Note erhielten die FCC in den Vorjahren vor allem durch Fritz on Primergy. Das in der schwedischen Computer-Weltrangliste führende Programm siegte erst im Ordix Open, danach im Masters. Die renommierte FAZ kürte daraufhin Fritz gar zum "Mann der Woche". Die Kombination aus Chessbase-Software und Fujitsu-Siemens-Hardware trifft nach dem zweiten Aufstieg auf die Besten. Einzige Ausnahme: Garri Kasparow. Dieser braucht Fritz on Primergy angesichts einer Bilanz von +4 =3 -1 nicht zu fürchten, gleichwohl hofft der Moskauer auf ein anderes lukratives Computer-Match in den nächsten Monaten. Matthias Wüllenweber stimmt zwar die Absage "traurig, denn er ist deutlich der Stärkste", eine besondere Herausforderung erkennt er aber auch ohne den Weltmeister. Gegen Kramnik und Schirow spielte sein "Hätschelkind" noch nie - sieht man von Trainingseinheiten ab, die heutzutage jeder Profi mit dem taktisch überlegenen Programm bestreitet. Gegen Anand ist das Ergebnis noch negativer als gegen Morosewitsch, der im Vorjahr im Masters zu einem Sieg und einem Remis kam. In sieben Begegnungen setzte es drei Niederlagen bei vier Remis. In zwei Zweikämpfen waren die Hamburger nicht chancenlos, jedoch trug der Inder stets die Siegespalme davon. "Anand fürchten wir am meisten", gesteht Wüllenweber. Doch auch Peter Leko sei kaum zu schlagen, obwohl der 20-Jährige 1999 nur ein Remis in den zwei Masters-Partien geschafft hatte. Kramnik hält der Software-Guru für einen "Tick stärker als Leko", der Weltranglistendritte verfüge allerdings nicht über die Computer-Erfahrung des Großmeisters aus Szeged. In der separaten Tabelle, die mit Fritz on Primergy anstatt Kasparow geführt wird, glaubt der Hanseat an ein gutes Abschneiden seines Produkts. "Der erste oder zweite Platz ist nicht unbedingt wahrscheinlich, aber drin", betont Wüllenweber. Oberstes Ziel sei, kein einziges Mini-Match über zwei Partien in der Stadthalle Frankfurt-Zeilsheim (Bechtenwaldstr. 17/ 17. und 18. Juni, jeweils 18 bis 22 Uhr) beziehungsweise im Taunus-Tagungszentrum (22. und 24. Juni, jeweils 13 Uhr) zu verlieren! Dadurch sei ein Resultat von "plus eins oder zwei" möglich.

   Dass seine Prognose weder kühn noch von purem Optimismus geschürt ist, versucht Wüllenweber mit konkreten Zahlen zu belegen. Die auf beiden Seiten gewonnenen Erfahrungen in den vergangenen Monaten seien ähnlich, Mensch wie Maschine dürften ihr Eröffnungsrepertoire gegeneinander verbessert haben. Die Leistung wuchs jedoch vorrangig bei Fritz on Primergy. Weitere "40 bis 50 Elo zugelegt" habe man, nachdem schon im Vorjahr eine Performance von über 2800 Elo erzielt worden war. Dank der acht Prozessoren a 700 Megahertz berechnet Fritz inzwischen 1,4 bis 1,5 Millionen Knoten pro Sekunde nach nur 900.000 beim Sieg im Masters. Dies bringe etwa zehn bis 15 Elo mehr. Weitere 30 Elo steuere die verbesserte Engine bei. "Da darf man nicht verlieren", konstatiert Wüllenweber und setzt fort, "es geht jedes Jahr weiter. 2001 nehmen wir uns dann Kasparow vor."

Feiert Swidler ein Comeback?

   Das Frankfurt Chess Masters (22. bis 25. Juni, täglich ab 14.30 Uhr im Taunus-Tagungszentrum in Bad Soden) ist mit den in der Weltrangliste auf den Plätzen sieben bis zehn geführten Großmeistern glänzend besetzt: "Wassili Iwantschuk vor Wesselin Topalow und Michael Adams", lautet der Einlauf-Tipp Schmitts. Das Feld aus den Top Ten ergänzt der Weltranglistenneunte Jewgeni Barejew (Russland). Die deutschen Farben vertreten die nationale Nummer eins, Artur Jussupow, und der nationale Schnellschach-Champion Robert Rabiega (siehe Bericht in dieser Ausgabe). Im Vorjahr bewies überdies Loek van Wely seine Qualitäten. Der Niederländer setzte sich mit 9,5/11 souverän im Ordix Open durch und darf gewiss nicht unterschätzt werden. Nicht nur auf ihn bezieht es sich, wenn Schmitt von einer durchaus denkbaren "Überraschung" spricht. Denn 2000 rückt der Sieger des Ordix Open gleich vier Tage später ins Masters auf.

   Deshalb könnte Peter Swidler wie 1999 mit von der Partie sein. Der knapp aus den ersten Zehn herausgefallene dreifache russische Meister ist der erste Anwärter im Kampf um die 7.500 Mark, die es am 16. (18 Uhr), 17. und 18. Juni (jeweils 10 Uhr) im Ordix Open für den Sieger zu verdienen gibt. Weltklassespieler Michail Gurewitsch und Junioren-Weltmeister Alexander Galkin sind ebenfalls bereits gemeldete Koryphäen. Insgesamt dürften erneut um die 50 Großmeister in der Stadthalle Frankfurt-Zeilsheim an den Start gehen. Vor zwölf Monaten waren aus den Top 40 der Welt exakt ein Viertel im Ordix Open vertreten. Die Zahl der weiteren Titelträger sollte die 100 übersteigen, wuchs doch der Preisfonds von 30.000 auf 43.000 Mark. Auch Masters-Starter Robert Rabiega lässt sich hierdurch verlocken und geht gerne die Doppelbelastung ein. Einiges aus diesem Preiskuchen dürfen sich Amateure herausschneiden, da die Ratingpreise mit bis zu 1.000 Mark dotiert sind. 432 Teilnehmern sorgten 1999 dafür, dass Klasse wie Masse das Open der Frankfurt Chess Classic auszeichneten. Extrem viel Schach-Spaß verspricht der Wettbewerb auch deshalb, weil die Rundenzahl von elf auf 15 geschraubt wurde.

810 Mark für ein bisschen Kasparow

   Neben dem Vergleich im Fischer Random Chess am 23. und 25. Juni (jeweils 13 Uhr) zwischen Artur Jussupow und Fritz on Primergy , gehören zudem zwei Simultans zu den Höhepunkten der FCC. Am 20. Juni (16.30 Uhr) spielt der Weltranglistenachte Iwantschuk in der Taunus Sparkasse in Frankfurt-Höchst (Hostatostr. 19) an 40 Brettern. Der Ukrainer feiert damit sein Deutschland-Debüt in dieser Sparte. Gleiches gilt für Garri Kasparow, der noch nie in der Bundesrepublik gegen 40 Gegner gleichzeitig antrat. Stilgerecht findet diese Schauveranstaltung am 19. Juni (16.30 Uhr) im Frankfurter Römer statt. Das Interesse daran ist enorm. Wie begehrt die Plätze sind, zeigt eine Versteigerung im Internet. Auf der Homepage der FCC www.frankfurt-west.de wurden 20 Plätze für beide Simultans feilgeboten. Gingen die ersten sechs Plätze bei Iwantschuk für bis zu 120 Mark weg, reichten die Offerten für eine Teilnahme am Kasparow-Event bis zu 810 Mark! Ein Vater wollte seinem Sohn unbedingt einen Platz schenken. Bis zum 31. Mai können dort oder per Fax (Nummer: 06196/22796) Gebote für die verbliebenen 14 Plätze in beiden Veranstaltungen abgegeben werden. Mittlerweile liegt das Minimum bei 211 Mark, das für Kasparow zu berappen wäre. Iwantschuk ist noch für 60 Mark zu haben. Schmitt rechnet jedoch damit, dass sich am letzten Tag Interessierte ständig übertrumpfen werden. Zum Geschäft wird das Simultan für die FCC aber auf keinen Fall, kostet solch ein Gastspiel des Weltmeisters 50.000 Mark. Jedes Brett müsste folglich für 1.250 Mark an den Mann gebracht werden.


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