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In Vergessenheit geraten

von Reinald Kloska, März 2003

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   Sonntag, 16. März 2003, Kuppenheim II empfängt Durmersheim zur 7. Runde in der Landesliga Mittelbaden/Ortenau - Abstiegssorgen und Aufstiegshoffnungen prallen aufeinander. Nach Bekanntgabe der Mannschaftsaufstellungen treffen sich die Spieler Wolfgang Burkart (Durmersheim) und Reinald Kloska (Kuppenheim) am dritten Brett. Beideitige Begrüssung, Smalltalk und ein "Wir haben aber noch nicht gegeneinander gespielt?" erhält die Antwort "Doch, ich glaube schon. Das war wohl vor 10 oder 15 Jahren - als ich noch in Baden-Baden spielte - aber sicher bin ich mir auch nicht. Aber ich werde mal zu Hause nachschauen!". Ein paar Tage nach dem Spiel, Leverkusen liegt gerade gegen Inter Mailand mit 1-0 hinten, wird nachgeschaut und Erstaunliches entdeckt:

   Das Spiel vom letzten Sonntag war bereits das dritte dieser beiden Kontrahenten.

   In allen drei Partien hatte Wolfgang Burkart weiß.

   Alle drei Partien endeten mit einem Remis (was bei Reinald Kloska nicht wirklich eine Seltenheit ist), aber:

   Alle drei Partien endeten genau im 20. Zug remis!

   Und trotz dieser erstaunlichen Gemeinsamkeiten hat sich keiner der Spieler an eine der bisherigen Begegnungen erinnert. Worin liegt die Ursache hierfür? Grundlagenforschung ist angesagt, die Partien müssen analysiert werden. Fangen wir bei der ersten Begegnung an, gespielt in der dritten Runde der Verbandsliga Südbaden:

 











Wolfgang Burkart - Reinald Kloska

15. November.1992

D69: Damengambit (Hauptvariante, Capablancas Entlastungsmanöver, Rubinstein-Angriff)

1.c4 e6 2.Sc3 d5 3.d4 Sf6 4.Sf3 Le7 5.Lg5 Sbd7 6.e3 c6 7.Ld3 0-0 8.0-0 dxc4 9.Lxc4 Sd5 10.Lxe7 Dxe7 11.Tc1 Sxc3 12.Txc3 e5 13.dxe5 Sxe5 14.Sxe5 Dxe5 15.Db3 Fritz meldet, dass dies der letzte Zug "aus dem Buch" sei. Schon erstaunlich, denn mein "Buch" endet bereits nach 2..d5

15...Dg5 16.Kh1 b6 17.Td1 Lf5 18.Ld3 Lxd3 19.Tdxd3 c5 20.Td7
Gut, diese Partie kann man schon mal vergessen. 1/2-1/2



   Schon kurze Zeit später, ebenfalls im November 1992, traf man sich beim Mannschaftspokal. Auch diese Partie besticht durch ihre einfache Klarheit und der Gewissheit, dass man sie ebenfalls vergessen darf:











Wolfgang Burkart - Reinald Kloska

27. November 1992

D55: Damengambit (Hauptvariante, Abweichungen - Alte Lasker-Variante, etc.)

1.c4 e6 2.Sc3 d5 3.d4 Sf6 4.Sf3 Le7 5.Lg5 0-0 Aha! In der ersten Partie ging es mit 5..Sbd7 weiter. Aber egal, das Resultat ist das gleiche.

6.e3 b6 7.Ld3 Lb7 8.0-0 dxc4 9.Lxc4 Sbd7 10.Tc1 c5
Diesmal sind wir aber wagemutig, denn wir verlassen die bekannten Pfade (=Theorie) bereits fünf Züge früher als in unserer ersten Partie.

11.De2 cxd4 12.Sxd4 Se4 13.Lxe7 Dxe7 14.Tfd1 Se5 15.Lb3 Tac8 16.Sxe4 Lxe4 17.Lc2 Lxc2 18.Txc2 Txc2 19.Dxc2 h6 20.De4 Sg6
Reell betrachtet muss man sich auch diese Partie nicht wirklich merken. 1/2-1/2



   Etwas mehr als 10 Jahre später fehlt den betroffenen Kontrahenden jegliche Erinnerung an die beiden bisher gespielten Perlen der Remiskunst. So offen für Neues entsteht eine interessante und inhaltsreiche Partie:











Wolfgang Burkart - Reinald Kloska

16. März 2003

D35: Damengambit (Abtauschvariante)

1.c4 e6 2.Sc3 d5 3.cxd5 Bereits im dritten Zug weichen wir von unseren bisherigen Abspielen ab - das Spiel erhält hierdurch einen völlig anderen Charakter!

3...exd5 4.d4 Sf6 5.Sf3 c6 6.e3 Lg4
Mit zunehmenden Alter werden die Recken wagemutig und verlassen das Fritz'sche Eröffnungswissen schon mit diesem Zug.

7.Le2 Sbd7 8.0-0 Ld6 9.a3 a5 10.Dc2 0-0 11.Tb1 De7 12.Te1 Tfe8 13.Sg5 Lxe2 14.Dxe2 h6
[ 14...b5 15.Ld2 Sb6-+ ]

15.Sf3 Sb6 16.Sd2 Dc7 17.g3 h5 18.Sf3 g6 19.b3 De7 20.Ta1 Se4
Zugegeben, so völlig anders war der Charakter dieser Partie nun doch wieder nicht. Ob wir uns wohl nach ein paar Jahren an diese Partie erinnern werden? 1/2-1/2

 

   Warten wir mal weitere 10 Jahre ab, ob diese dritte Begenung nun eher in Erinnerung bleibt. Aber offen ist noch die Frage, wieso diese beiden all ihre Partien nach 20 Zügen in ein Remis führen? Ein paar mögliche Antworten zur Auswahl:

Beide sind ausgesprochen friedfertig
Beide wollen nicht verlieren
Beide wollen nicht gewinnen
Beide kennen die Zahlen nur bis 20
Im Spiellokal war es zu kalt
Im Spiellokal war es zu warm
Das Spiellokal war zwar wohltemperiert, doch es war zu laut
Das Spiellokal war zwar wohltemperiert, doch es war zu leise
Das Wetter war zu schön zum Schachspielen
Das Mittagessen war fertig
Im Kino kam ein guter Film
Am Nachbarbrett war eine interessante Partie im Gange, die man ungestört beobachten wollte
Leverkusen hat wieder verloren
Beide haben Capablanca als Vorbild
Das bestellte, frisch gezapfte Pils war fertig
Es gab kein Pils im Spiellokal
Hartmut Metz kam zum Zuschauen
Es war von vorne herein dieser Artikel geplant
Beide wollten einer eventuell auftretenden Zeitnot ausweichen
Beide sind Großmeister und machen entsprechenden Remisen
Es gibt keinen Grund

   Vielleicht gibt es noch mehr oder aber auch nur einen, dann aber anderen Grund - wir wissen es nicht, doch es könnte sein.


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