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Schachentwicklungen und Meilensteine meisterhaft aufgespürt

Figos Schach-Klassiker Teil 3

von Harald Fietz, Januar 2004

Rezensionen von Harald Fietz

 

   Die vielleicht erbaulichsten Schachbüchern sind jene, die einfach nur grandiose Momente der bedeutenden Turniere dokumentieren oder das schachpraktische Erbe in seiner historischen Dimension einordnen. Wendepunkte der Schachgeschichte und bahnbrechende Sichtweisen der Schachprinzipien gibt im Laufe von 250 Jahren mehr als genug. Welche Epoche auf jemanden Faszination ausübt, warum der Lesestoff zu einem bestimmten Ereignis wie im Fluge verschlungen wird, ist ziemlich beliebig. Sprachliche Vorlieben, die Neigung für einen speziellen Spielstil, angenehme Erinnerungen an eigene intensive Phasen der Beschäftigung mit dem königlichen Spiel können eine Rolle spielen. Solche Bücher nimmt man unzählige Male zur Hand und sie bekommen auf dem Bücherbord einen besonderen Platz. Sie wird man gegenüber Schachfreunden jederzeit mit gutem Gewissen preisen.

 
Rudolf Teschner: Fischer gegen Spasski  

Rudolf Teschner "Fischer gegen Spasski"
Goldmann Verlag 1972 (nur noch antiquarisch erhältlich)

   Eines meiner ersten Schachbücher, welches damals für drei Mark in vielen Buchhandlungen in der Schaufensterauslage lag. Der Berliner IM - seinerzeit Herausgeber der Deutschen Schachzeitung und Schreiber für den Berliner Tagesspiegel - fächert einen Zeitticker der heißen Schachtage im Juli und August 1972 auf, als Schach kontinuierlich in den Weltnachrichten auftauchte. Kein Buch mit besonders tiefschürfenden Analysen, aber aufgrund seiner allgemein verständlichen Sprache für viele weniger beschlagene Schachfreunde idealer Blick auf das Match des Jahrhunderts.

 

 
Savielly Tartakower: Die hypermoderne Schachpartie  

Savielly Tartakower "Die hypermoderne Schachpartie - Ein Schachlehr- und Lesebuch"
Edition Olms Reprint 1988 (nur noch antiquarisch erhältlich)

   Olms sei Dank möchte man dem Verleger für diesen Reprint zurufen. Tartakower fasst mit sprachlicher Brillanz den theoretischen Gezeitenwechsel in ein Monumentalwerk mit über 500 Seiten; der Schachkonsument sehnte sich Mitte der goldenen zwanziger Jahre eben nach einem Lehr- und Lesebuch zugleich. Sicher wird man heute mit Computerprogrammen vieles relativieren oder korrigieren können, aber den Genuss, die intellektuelle Spielwiese der größten Denksportler vor dem Wirken der Schachsupermacht Sowjetunion zu durchschreiten, sollte man sich keinesfalls entgehen lassen.

 

 
Euwe, Nunn: The Development of Chess Style  

Max Euwe / John Nunn "The Development of Chess Style. An instructive and entertaining trip though the heritage of chess"
Batsford 1997

   Euwe stellte die Schachgeschichte und das Schachwissen auf eine sytematische Grundlage. Trotzdem lesen sich seine Werke immer leicht und verständlich. Für die Revue der Schachstile hat Nunn ab der Nachkriegszeit die Kapitel überarbeitet bzw. neu geschrieben. Allein die Kapitelüberschriften verraten, wie begrifflich anregend die Entwicklungslinien erfasst wurden. Besonders die 50-Seiten-Würdigung von Wilhelm Steinitz' Leistungen lohnen die Lektüre: Excursions with the pieces (Greco 1600-34), The discovery of the Pawns (Philidor, 1726-95), Long live Combination! (Anderssen, 1818-79), Combination für Strategic Ends (Morphy, 1837-84), Positional Play (Steinitz, 1836-1900), Technique and Routine (The Virtuosi, 1900-14), The independent Thinkers (Between the wars: 1919-39), New Thirst for Battle (The Soviet School: 1945-63), The Rise of the West: Bobby Fischer (1963-72), The Triumph of Technique: Anatoly Karpov (1972-85), True Professional: Garry Kasparov (1985-97), The Future 1997 onwards). Unverzichtbar für die schachliche Allgemeinbildung!

 

 
Raymond Keene: Die Entwicklung der Schacheröffnungen  

Raymond Keene "Die Entwicklung der Schacheröffnungen - Von Philidor bis Kasparow"
Franckh-Kosmos 1990 (nur noch antiquarisch erhältlich)

   Fließbandschreiber Keene schrieb tatsächlich früher gute Bücher. Über 200 Jahre Schachentwicklung mit Fokus auf die Eröffnung sollten als Rüstzeug für heutige Betrachtungsweisen immer noch tauglich sein (das englische Original erschien 1985). Denn es geht um das uralte Ringen zwischen dogmatischen und progressiven Auffassungen über die Rolle der Bauern und Figuren in der ersten Partiephase: Korrekt oder falsch? Glauben oder zweifeln? Dauerhaft oder Eintagsfliege? Ein Buch in der Tradition der Lesebücher Marke Tartakower.

 

 
Raymond Keene: Aron Nimzowitsch  

Raymond Keene "Aron Nimzowitsch: A Reappraisal"
Batsford 1999

   Und nochmals Keene! Es wundert mich immer, wie viele Spieler Aron Nimzowitschs Schriften "Mein System" und "Die Praxis meines Systems" als Vorbilder nennen. Unbenommen der revolutionären Ansichten zu Schachprinzipien, aber wer kann ernsthaft diese skurrile Sprache und die ungewöhnliche Schachterminologie aushalten. Das Zentrum und dessen Demobilisierungswut, der Granitblock und dessen Unterminierung, das "Schwimmverbot" und vieles mehr künden offensichtlich seltsam von mutigen Erkenntnissen. Daher besitzen Keenes 250 kommentierend-vergleichende Seiten einen wunderbaren Wert als Führer durch die Ideenwelt des großen Zweiflers.

 

 
Seiravan, Stefanovic: No Regrets - Fischer-Spassky 1992  

Yasser Seirawan / George Stefanovic, "No Regrets - Fischer-Spassky 1992"
International Chess Enterprises 1992 (nur noch antiquarisch erhältlich)

   Es geschah, was nicht passieren musste - eine Legende stieg nach zwanzig Jahren vom Schacholymp. Krieg, Geld, Boykott, verbale Exzesse als Beiwerk des 1992er Nostalgiematches, an das niemand mehr zu glauben wagte. Ein ambivalentes Gefühl, Zeuge einer Begegnung zweier "Außerirdischer" zu sein, beschleicht einen bei der Lektüre. Seirawan und der jugoslawische Journalist Stefanovic legten definitiv die beste Bilanz vor: Alle Pressekonferenzen im Wortlaut, Wiedergabe von Originaldokumenten, viele O-Töne von Schach- und sonstigen Experten, hohe Qualität der Analyse (inklusive der Dokumentation der Ausführungen Fischers zur elften Partie bei einem Besuch in dessen Residenz) und eine vorsichtige Gutheißung der Veranstaltung. Über die Bewertung kann man unterschiedlicher Meinung sein, aber die Chronologie liest sich krimiähnlich.

 

 
Stichting Schaak Groningen: Groningen/Lausanne 1997/98  

Stichting Schaak Groningen (Hg.) "World Championship Groningen/Lausanne 1997/98"
Stichting Schaak Groningen 1998 (nur noch antiquarisch erhältlich)

   Und zum Schluss nochmals ein persönliches Erinnerungsstück. Vor genau sechs Jahren begann eine neue Zeitrechnung im Spitzenschach: die Weltmeisterschaft nach K.O.-Modus. In einem fast einmonatigen Marathon qualifizierte sich Viswanathan Anand, um Anfang 1998 - nach nur zwei Tagen Pause - einem ausgeruhten Anatoli Karpow vorgesetzt zu werden. Die nordholländische Kleinstadt als Treffpunkt der großen Schachwelt und auch drei Kuppenheimer Alexander Hatz, Hartmut Metz und der Schreiber dieser Zeilen dabei als Beobachter oder Teilnehmer am Meisteropen. Daneben noch das Kandidatenturnier der Frauenweltmeisterschaft und viele andere Kleinturniere. In der bemerkenswerten Tradition holländischer Turnierbücher gab der Veranstalter ein faktenreiches Turnierbuch mit 350 Seiten heraus. Tolle Analysen, umfassende Tagesreports, schöne Bilder und viel Statistik bringen die Atmosphäre des damals gewöhnungsbedürftigen Arrangements zur Ermittlung des Weltmeisters zurück. Leider sank danach das internationale Ansehen des Groninger Turniers gewaltig und auch die Weltmeisterschaftszyklen besitzen nicht mehr den Stellenwert wie früher!


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