Valeri Bronznik: "Das Colle-Koltanowski-System" Das Repertoire-Buch im Test von Robert Miklos, September 2003 Kommentare zur Rezension können im Schach-Forum präsentiert werden |
Schachverlag
Kania
223 Seiten, etwa 20
ISBN: 3-931192-23-7
Sprache: Deutsch
Bewertung des Rezensenten:
Dieses Buch ist so, wie man sich ein Eröffnungsbuch wünschen würde. Der Autor, IM Valeri Bronznik, erhielt bereits für sein erstes Buch beim Kania-Verlag über die Tschigorin-Verteidigung gute Kritiken, das zweite Werk ist nicht schlechter. Es reiht sich nahtlos ein in die Serie der bisherigen Kania-Bücher, sowohl äußerlich (Hardcover, Fadenbindung - aber keine Karikatur und ein schlecht kontrastierender Untertitel "Trügerische Ruhe hinterm Mauerwerk" - letzteres könnte aber auch Absicht sein!?) als auch inhaltlich: Ausführlich kommentierte Partien (manchmal bis ins Endspiel hinein - ist das übertrieben?), wortreiche Erklärungen der Pläne, Hinweise zu Zugumstellungen und der entsprechenden farbvertauschten Eröffnung (in diesem Falle Meraner System im Damengambit), eigene Ideen und Einschätzungen des Autors, die sich von denen der wenigen Vorgänger öfter mal unterscheiden. Nach den Kapiteln gibt es eine Zusammenfassung der Theorie.
Was ist überhaupt Colle-Koltanowski? Weiß entwickelt sich mit d4, e3, c3, Ld3, Sbd2, 0-0, der schwarzfeldrige Läufer bleibt vorerst eingeschlossen und Schwarz antwortet mit d5, e6, c5, der weißfeldrige schwarze Läufer bleibt ebenfalls eingeschlossen. Die weiße Idee ist der Vorstoß e4. Es gibt oftmals einen Königsangriff, im Zweifelsfall kann sich Weiß auf die Mehrheit am Damenflügel berufen - nicht, dass es objektiv was bedeuten würde, das betonen die meisten modernen Autoren, im Gegensatz zur früheren Auffassung (Capablanca). Bronznik erklärt die Eröffnung so: "Colle-Koltanowski entwickelt sich am Anfang ganz ruhig, sehr oft geht es um einen weißen oder schwarzen Isolani oder um die weiße Bauernmajorität am Damenflügel. In vielen Abspielen entstehen Positionen, in den Weiß sehr aggressiv gegen den schwarzen König vorgehen muss." - somit wäre der ideale Leser ein Positionsspieler, der taktischen Angriffen nicht aus dem Wege geht. Dieses Fahndungsbild sollte auf die meisten Schachspieler passen und was nicht ist kann ja noch werden oder muss sogar werden zur schachlichen Vervollkommnung.
Also prima, ein fehlerfreies Buch? Nein, es gibt auch einige mehr oder weniger große Kleinigkeiten. Vor allem ist wichtig ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass das Buch keine erschöpfende Darstellung von Colle-Koltanowski ist sondern ein Repertoire-Buch für Weißspieler; die Schwarzspieler finden somit nicht immer Rat für ihre Probleme. Trotzdem zeigt Bronznik oft nicht ausschließlich die besten Züge für Weiß, sondern weist auf Alternativen und deren Schwächen hin, womit das allgemeine Verständnis für die Eröffnung gesteigert wird. Sogar das Zwillings-System Colle-Zukertort kommt ein paar Mal vor (Weiß verzichtet auf c3 und entwickelt sich mit b3 und Lb2), Flexibilität kann ja nicht schaden. Spielern mit einer Wertungszahl unter 1500 dürfte das angebotene Material zu kompliziert erscheinen, nach oben dürfte bei etwa 2200 Schluss sein
Beim Variantenindex fielen zwei Ungenauigkeiten auf: Die Variantenunterscheidung fängt bei Zug 6 an - doch was wurde vorher gespielt? Ein kleiner Hinweis wäre nicht schlecht gewesen (nach einiger Arbeit mit dem Buch ist das natürlich geklärt), stattdessen war der Hinweis wichtiger, dass die Schlüsselzüge der Themapartien erst 2-3 Seiten später erreicht werden. Und ein Tippfehler hat sich in den Variantenindex eingeschlichen (Seite 223 in der zweiten Zeile 11...d:e5 sollte 11...D:e5 heißen - das macht bei der figurinen Notation ein bisschen mehr aus als nur einen einfachen Tippfehler) - ansonsten ist das Buch, wie alle bisherigen Kania-Bücher, ziemlich fehlerfrei - wenn auch immer noch in alter Rechtschreibung.
Hier eine kleine Übersicht der Varianten, zu vielen weißen Zügen werden die Alternativen mehr oder weniger ausführlich angeschaut, die schwarzen Antworten sowieso. Zusätzlich werden folgende Abweichungen untersucht: Schwarz spielt früh b7-b6 (auf 12 Seiten) und frühes c5-c4 (auf 7 Seiten) oder auch das Auslassen des Zugpaares c3/c5 (eine eigene Partie auf 4 Seiten).
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Übersicht Colle-Koltanowski1.d4 d5 2.Sf3 Sf6 3.e3 e6 4.Ld3 c5 5.c3 Sc6 [ 5...Sbd7 6.Sbd2 ( 6.Se5 ) 6...Ld6 ( 6...Le7 7.0-0 0-0 ( 7...Dc7 8.e4 ; 7...b6 ) 8.De2 ( 8.Se5 Sxe5 ( 8...Dc7 9.f4 b6 10.Df3 Lb7 11.g4 Sxe5 ( 11...Tad8 ) ) ) 8...b6 9.e4 dxe4 10.Sxe4 Lb7 11.Td1 cxd4 ( 11...Dc7 ) ; 6...Dc7 7.0-0 b6 ) 7.0-0 0-0 ( 7...Dc7 8.De2 ; 7...b6 ; 7...cxd4 ) 8.Te1 Dc7 ( 8...Te8 9.e4 dxe4 ; 8...Db6 9.e4 ( 9.b3 ) ; 8...b6 ) 9.e4 cxd4 ( 9...dxe4 ) 10.cxd4 dxe4 11.Sxe4 Sd5 ( 11...Lf4 ; 11...b6 ; 11...Sxe4 ) ] 6.Sbd2 Ld6 [ 6...Le7 7.0-0 0-0 ( 7...Dc7 ; 7...cxd4 8.exd4 0-0 9.Te1 Dc7 10.De2 Te8 ( 10...Sd7 ) ) 8.De2 ( 8.Se5 ) 8...b6 ( 8...Sd7 ) ] 7.0-0 0-0 [ 7...Dc7 ; 7...cxd4 8.exd4 0-0 ( 8...Dc7 9.Te1 Ld7 10.De2 0-0-0 ) 9.Te1 Dc7 10.De2 Te8 ( 10...Sd7 ) ] 8.dxc5 Lxc5 9.e4 Dc7 [ 9...e5 10.exd5 Sxd5 ( 10...Dxd5 ) ; 9...dxe4 10.Sxe4 Sxe4 ( 10...Le7 11.De2 Dc7 ) ] 10.De2 [ 10.exd5 ] 10...h6 [ 10...Se5 11.Sxe5 Dxe5 ; 10...b6 ; 10...Ld7 ; 10...Lb6 ] 11.Lc2 Te8 |
Bronznik verwendet laut Eigenangabe im Quellenverzeichnis ältere Datenbanken (Mega 2002 und Corr 2000 von ChessBase, ihre Nachfolger gibt es schon seit fast einem Jahr und Tim Hardings MegaCorr 2 von 2001), dafür hat er Partien aus den TWICs bis Nr. 447 (2. Juni 2003) berücksichtigt, somit dürfte von den wichtigen Partien nichts verpasst worden sein. Da Colle selten gespielt wird, macht das "verlorene Jahr" sowieso nicht viel aus. In zwei Nebenvarianten, von denen der Autor schreibt, dass er keine Partien dazu finden konnte, präsentierte die Mega03 doch eine oder zwei. Der Leser muss aber eben auch selbst tätig werden und Material sichten und sammeln, alles kann man nicht präsentiert bekommen - vor allem liest die Gegenseite, die potenziellen Schwarzspieler, auch mit, nicht alle Geheimnisse müssen preisgegeben werden.
Dann hat die Colle-Eröffnung selbst zwei "Nachteile":
Sie gibt nicht viel her, das räumt der Autor in der Einleitung auch ein: Colle-Koltanowski funktioniert zwar auf einem bestimmten Niveau sehr gut, auf einem höheren Level (Meisterebene) ist es im Gewinnsinne nicht besonders empfehlenswert (gibt es deshalb vom Autor auch nur eine Partie in der Mega03 von ChessBase?), dafür ist sie dort für ein Remis gut genug.
Die Startstellung für Colle ist erst nach einigen Zügen erreicht - der Schwarzspieler kann oft abweichen. Deswegen gibt es am Ende des Buches einen eher halbherzigen Versuch auf 10 Seiten mit Tipps, wie man darauf reagieren könnte und weiterführende Buchtipps.
Es fehlt ein Partienindex und ein Spielerindex (der eher wenig Sinn machen würde, nicht viele Großmeister trauen sich in Turnierpartien Colle zu spielen). Hier eine Ausnahme jüngeren Datums, der deutsche Großmeister Artur Jussupow opfert zwei Bauern, um an den schwarzen König zu kommen, die Partie ist im Buch ausführlich kommentiert.
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Jussupow,A (2633) - Markowski,T (2548) [D05]
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Abgesehen von diesen Kleinigkeiten handelt es sich, wie bereits erwähnt, um ein sehr gutes Buch (mit Sicherheit ist es das beste Buch über dieses Eröffnungsystem), das dem in Großmeisterkreisen wenig gespielten Colle-Koltanowski-Aufbau zu einem Aufschwung verhelfen könnte.
das Buch stellte der Schachverlag Kania, Richard-Wagner-Str. 43, 71701 Schwieberdingen für die Rezension zur Verfügung