Vom richtigen Isolieren und der Suche nach den Edelpilzen Neue ChessBase-CD kann Büchern über die Kunst der Bauernführung mit dem Isolani nicht das Wasser reichen von Harald Fietz, September 2003 Kommentare zur Rezension können im Schach-Forum präsentiert werden |
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Batsford 1998; 256 Seiten |
Intervest,1995; 232 Seiten |
ChessBase 2003, ca.
25 Euro |
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Bewertung des Rezensenten: |
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Im Schach muss man die unverwüstlichen Themen kennen. Nicht selten steht so ein Evergreen in der d-Linie herum. Und daran kann auch eine fleißige Produktionsfirma wie ChessBase nicht vorbei. Für 19,99 Euro bekommt man die Silberscheibe "Der isolierte Damenbauer" von Reinhold Ripperger mit 95 "umfangreich" kommentierten Partien, 17 Einführungstexten und einer Trainingsdatenbank mit 70 Partien. Hört sich werbetechnisch gut an, ist jedoch im Vergleich mit Alexander Baburins "Winning Pawn Structures" nicht so beeindruckend. Sein Buch bietet mit 110 Partien und Endspielstellungen bzw. in drei thematischen Blöcken mit 12 Kapiteln sowie 35 Trainingsstellungen quantitativ etwa gleich viel, aber seine Präsentation, Analysen und Zusammenfassungen sind ungleich kohärenter und gründlicher. Ein weiteres Paperback "Isolated Pawn - Theory of Chess Middlegame" stammt auch aus dem Erfahrungsschatz der sowjetischen Schachschule. Mitte der 90er Jahre bereits erschien in englischer und deutscher Sprache ein in der Ukraine verlegtes Lehrbuch von Adrian Michaltschischin und Jaroslaw Srokowski. Es enthält 201 Übungen aufgegliedert in 23 Kapitel.
Beide Bücher bringen zudem eine zentrale Fragestellung, die bei Ripperger völlig unterbeleuchtet bleibt: Die Isolani-Schwäche im Endspiel. Solche Stellungen sind dadurch geprägt, dass mit zunehmenden Abtäuschen, die Seite mit dem Isolani einen Teil der Aktivität ihrer Figuren für die Deckung des "Einzelgängers" abzweigen muss. Häufig ist das Maß an Passivität die Ursache für die Niederlage. Bei Baburin sind es 22 Beispiele und bei Michaltschischin/Srokowski 16 Beispiele, die zeigen, wie unterschiedliche Konstellationen von ein, zwei oder drei Figuren auf die Bauernstruktur einwirken. Baburins Kapitel ist besonders lesenswert, weil es zahlreiche englisch- und russischsprachige Quellen vergleicht bzw. teilweise korrigiert. Tauchen bei Ripperger einige längere Partien auf, so bleiben Erklärungen im Endspiel bloße Plattitüden mit geringem Lernwert (z.B. "Es ist für die Turnierpraxis zu empfehlen, immer darauf zu achten, ob es auf dem Brett ungedeckte Steine gibt." oder "Schwarz hat alle Hände voll zu tun, seine Schwächen zu verteidigen."). Überhaupt unterscheiden sich die drei Ansätze gravierend in der Art der Wissensvermittlung.
Vlastimil Hort meinte einmal, dass
"die gutkommentierten Partien so selten wie die Edelpilze in den Wäldern
sind". In seiner Revue "Begegnungen am Schachbrett - So spielen Profis" erinnert
er an eine Anekdote: "Vor vielen Jahren bat ein Herausgeber den unvergessenen
Akiba Rubinstein um einen Artikel über das Königsgambit. Etwa ein
halbes Jahr später erschien Rubinstein in der Redaktion und hielt sechs
handgeschriebene Seiten in der Hand. Das erschien dem Auftraggeber zu wenig,
aber Rubinstein meinte nur: Die Ideen darin sind wichtig, und Sie bezahlen
dafür den doppelten Seitenpreis!'" (Rau-Verlag 1984, S. 71) Ein Jahrhundert
später ist es mit moderner Technik und einem Fundus von Millionen Partien
sicher didaktisch leichter, Techniken und Manöver zu erklären,
aber nicht immer walten Autoren mit gleicher Sorgfalt und Kompetenz. Die
folgende Gegenüberstellung offenbart es. Vor exakt zwei Jahrzehnten
spielten der damals 62-jährige Wassili Smyslow und sein 30 Jahre
jüngerer Kontrahent, Zoltan Ribli aus Ungarn, darum, wer Gary Kasparow
im Kandidatenfinale im Weg stehen sollte. Die vorentscheidende siebte Matchpartie
besitzt heute den Status eines Klassikers. Doch die analytischen Darbietungen
für den Lernwilligen können krasser nicht sein:
Ripperger liefert bis zum 20. Zug, als die Partie bereits ihre grundlegende Phase hinter sich hat, drei magere Hinweise, die dem Lernenden nichts über den Isolani verraten. Vielmehr sind es allgemeine Feststellungen (Turm auf der 7. Reihe ist gut und Smyslow spielt einfach genial). Eine wenig relevante Variante garniert das. Über den Isolani und das Figurenspiel entlang dieser Bauernformation fehlen Erklärungen durchweg.
Baburin bleibt in der Kommentierung seinem Buchkonzept treu. Er strebt danach, den "Fluss" der Partie zu erfassen. Seine Stellungseinschätzungen betrachten die Merkmale des gesamten Denkprozesses rund die Bauernstruktur - was ist, was sein könnte, was darf nicht sein. Für das ganze Buch gilt: Besonders gelungen mischen sich neue Analysen und mit Belegen aus wichtigen älteren Quellen - bisweilen auch aus in Westeuropa wenig bekannten russischen Veröffentlichungen. Ebenfalls instruktiv bilanzieren thematische Einführungen und Zusammenfassungen jedes Kapitel.
Michaltschischin/Srokowski haben sich ganz dem Metier des Übungsbuchs verschrieben, d.h. keine ganzen Partien sondern Stellungen. Systematische Einleitungen und Resümees fehlen. Die Textteile zu den jeweiligen Positionen sind ausreichend; sie fokussieren zumeist darauf, welche Felder, warum kontrolliert werden und wie das Zusammenspiel der Figuren ist oder sein kann. Gewünscht hätte man sich für das Selbststudium allerdings erkenntnisleitende Fragen.
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W. Smyslow - Z. Ribli
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Da sich die beiden ukrainischen Autoren mit Fragen an den Leser zurückhalten, kann unter dem Aspekt "Training durch Kontrollstellungen" nur die CD und das Baburin-Buch beurteilt werden. Auch im Trainingsteil gefällt das Chessbase-Produkt weniger. Die abgefragten Positionen beschränken sich auf Lösungssuche nach einzelnen Motiven (z.B. Druck der Figuren auf Diagonalen oder Linien, Turmüberführung über die dritte Reihe). Das Wort "Plan" hat in Rippergers Wortschatz Seltenheitswert. Entsprechend werden in Rubinsteins Sinne keine Ideen verständlich gemacht. Aussagen wie "Es ist ein Königsangriff möglich." oder "Der Vorstoß des isolierten Bauern ist nur dann möglich, wenn der Gegner das Blockadefeld nicht unter Kontrolle hat." sind zu trivial, als dass sich daraus viel für die Praxis lernen lässt. Der Lernende wird durch einen Parcours von Einzelentscheidungen geschickt. Das ist aber zu eindimensional, denn Stellungen sind häufig durch mehrere Charakteristika gekennzeichnet. Erst wer die durchdekliniert, kann wissen, welches Motiv ihm weiterhilft. Dieses Verständnis schult der Rippergers Ansatz aber kaum.
Die entgegengesetzte Philosophie aus der sowjetischen Lehrtradition basiert auf dem Erkennen der "großen Zusammenhänge" einer Stellung - anschließend kommt die schrittweise Durchführung. Auch wenn den Plänen der meisten Buchbeispiele konkrete, "kräftige" Züge voranstehen, erklärt Baburin schlüssiger, welche Mechanismen ineinander greifen (z.B. "Weiß sucht die Initiative, indem er die Unkoordiniertheit der schwarzen Figuren und die Grundlinienschwäche nutzt."). Außerdem spornt er seinen Leser auch an, - gerade mit dem Wissen des klassischen Schacherbes - Stellungen zu vergleichen (z.B. "Diese Stellung ist ziemlich ähnlich der aus Awerbach-Keres. Wie wir aus dieser Begegnung wissen, ist es in solchen Situationen für die Seite, die gegen den Isolani spielt, nicht passend, die Türme zu tauschen, solange der Gegner nicht eine weitere Schwäche hat."). Durch die umfangreichen Erklärungen in Form von Übersichten und der Demonstration von älteren und modernen Beispielen im Hauptteil hat Baburin im Übungsteil leichtes Spiel, seine Leser nicht nur zum Lösen zu animieren, sondern anzuregen, die Stellungen gegen Freunde auszuspielen.
Der gebürtige Russe Alexander Baburin, der nun in Irlands Hauptstadt Dublin ansässig ist und für die SG Bremen in der Bundesliga spielt, schrieb 1998 einen Klassiker über Isolani-Bauernstrukturen. Foto: Harald Fietz
In der Bilanz haben die beiden Bücher klare Vorzüge gegenüber der CD - insbesondere weil sie das Thema unter allen Blickwinkeln, d.h. der Isolani in Eröffnung, Mittelspiel und Endspiel, betrachten. Die CD kann Novizen und Spielern bis maximal DWZ 1700 empfohlen werden - am Computer wird man höchstens mit den Anfangsgründen vertraut. Wer im Crash-Test Isolani-Stellungen pauken will, ist mit dem Werk von Michaltschischin/Srokowski gut versorgt. Doch jeder, der die diffizilen Facetten des Isolani kennen lernen will, wird viele lehrreiche Gedanken aus dem Baburin-Buch saugen. Das Werk hat selbst für Fortgeschrittene die nicht zu unterschätzende Qualität, Wissen systematisch darzustellen. Es ist ein Buch, dass man ohne weiteres auf eine einsame Insel mitnehmen würde. Eigentlich schade, dass ChessBase ihren früheren Mitarbeiter aus Irland nicht für eine CD über dieses edle Thema gewinnen konnte!
die Rezension erschien zuerst in Schachmagazin 64, Nr. 17 / 2003, S.
476/477
die CD stellte
ChessBase, Mexikoring
35, 22297 Hamburg, für die Rezension zur Verfügung